Mit Geduld und Geschick haben die Utah Jazz ein richtig gutes Team zusammengestellt. Die Defense zählt sogar zu den besten der gesamten Liga. Nach prominentem Vorbild verfolgen die Jazz einen einzigartigen Plan. Mit dabei: Tibor Pleiß.
Die beste Defense der Liga? Rein statistisch spielte sie vergangene Saison in Oakland. Auch in Memphis wurde gewohnt unangenehm verteidigt. Nimmt man allerdings nur die finalen 29 Spiele der abgelaufenen Spielzeit, präsentiert sich die Spitze leicht verändert. Sie wechselt von der Bay Area an den Salzsee. Von Kalifornien nach Utah.
94,8 Punkte ließen die Jazz während besagter 29 Spiele pro 100 Possessions zu und distanzierten Memphis (99,4) damit so weit, dass die Grizzlies im Vergleich beinahe wirkten wie einst Muggsy Bogues neben Alonzo Morning. Doch auch im rein wörtlichen Sinn überragten und überragen die Jazz den Rest der Liga.
Denn in Utah widersetzt man sich dem in der Association mittlerweile allgemein gültigen Trend. Die Golden State Fashion Week hat noch nicht Einzug gehalten in Salt Lake City. Wo andernorts nur zu gern Small Ball gespielt wird, lief in Utah regelmäßig eines der größten Lineups der vergangenen Saison auf (kein Spieler maß weniger als 1,98 Meter). Wo Steve Kerr die Finals unter anderem entschied, indem er anstatt Andrew Bogut Draymond Green auf die Fünf stellte, regieren in Utahs Zone Rudy Goberts zwei Meter und 18 Zentimeter.
Langer Gegenpart
Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass sich der Mormonenstaat einfach um des Widersetzens willen zwanghaft dem Mainstream widersetzt. Die Jazz verfolgen einen Plan. "Natürlich müssen wir auf die Liga reagieren", weiß auch General Manager Dennis Lindsey. "Andererseits ist es aber schön, der Gegenpart und so groß wie möglich zu sein. Die Spieler, die wir verpflichtet haben, sind groß und lang für ihre jeweilige Position."
Groß und Lang. Nicht die einzigen Attribute, nach denen man in Utah seine Neuzugänge auswählt. Aber doch essentielle. So denke man selbstverständlich an das Mantra des "best player available", sagt Lindsey. "Aber wir haben immer die Größe für die jeweilige Position im Blick und uns für größere Spieler entschieden."
Pleiß mit ungeahnten Qualitäten
2013 für Rudy Gobert. In diesem Jahr für Trey Lyles - und für Tibor Pleiß. Mit seinen 2,18 Metern passt der Nationalspieler perfekt ins Konzept der Jazz. Wahrscheinlich sicherten sich die Jazz im Zuge des Trades um Enes Kanter auch deshalb Pleiß' Dienste. Wahrscheinlich statteten sie ihn auch deshalb mit einem Dreijahresvertrag aus. In Utah scheint man angetan zu sein vom Deutschen - wenngleich die Jazz angeblich Ante Tomic, an dem sie ebenfalls die Rechte halten, favorisierten.
Der Kroate verlängerte jedoch in Barcelona, Pleiß unterschrieb in Salt Lake City. Dort soll er mit Rudy Gobert nun eines der längsten Center-Duos der Association bilden. Dazu eines, dessen Stärken sich ergänzen. "Rudy ist mehr der Center, der unter dem Korb spielt, den Ball dunkt und Blöcke setzt", sagt Pleiß selbst im SPOX-Interview. "Und ich könnte der sein, der mehr von außen agiert."
Dass er dazu in der Lage ist, obwohl er in Barcelona zuletzt häufiger in Ringnähe eingesetzt wurde, bewies Pleiß beim Workout kurz vor der Vertragsunterschrift. Dort traf er über fünf Tage beständig 60 Prozent seiner Dreier, insgesamt 66 von 90.
Nun ist ein Workout sicherlich nicht mit einer Spielsituation zu vergleichen, trifft Pleiß den Dreier - oder zumindest den Wurf aus der Mitteldistanz - halbwegs sicher, bestünde in der Theorie jedoch die Option, Minuten an der Seite Derrick Favors' zu sehen. Der nimmt einen Großteil seiner Würfe nämlich in unmittelbarer Ringnähe (weniger als 1,52 Meter entfernt) und versenkt dort 67,6 Prozent seiner Abschlüsse. Schließt der Power Forward aus größerer Distanz ab, sinkt die Quote deutlich.
Favors unverzichtbar
Möchte man nun wieder den Bogen zum allgemein vorherrschenden Trend spannen, passt Favors also nicht zwingend in die moderne NBA. Dort ist Spacing gefragt. Dort trifft der Big Man im Optimalfall seinen Dreier so sicher, als kommuniziere er regelmäßig mit seinem inneren Reggie Miller. Dort werden Big Men klassischer Prägung immer unbeliebter.
Größtenteils jedenfalls. Denn erstens lassen sich nur die wenigsten Dinge pauschalisieren und zweitens dienen die Jazz umgehend als Gegenbeispiel. In Utah wissen sie nämlich sehr wohl um Favors' Wert und tradeten ihren Big Man allen Gerüchten zum Trotz deshalb nicht.
"Wir wollen von unserer Länge profitieren", erklärt Dennis Lindey. "In den letzten 30 Spielen hat man gesehen, was das bedeuten kann. Es gibt keinen Grund, sich davon zu verabschieden. Derrick (Favors, Anm. d. Red.) haut uns da häufig raus. Wäre er nicht so mobil, folgte er dem Game Plan nicht oder fehlten ihm die Instinkte, wäre es viel schwieriger, Vierer zu verteidigen. Derrick erlaubt es uns mit seiner Intelligenz, Mobilität und Größe, einzigartig zu sein."
Es mag ein wenig hochgestochen klingen, doch einzigartig sind sie tatsächlich, die Jazz. Nicht nur, weil sie ein laut Lindsey - richtig - "einzigartiges Defensivkonzept spielen." Auch Utahs Gebaren während der Free Agency wollte so gar nicht in das allgemein hektisch praktizierte Hin-und-Her-Schieben von Assets und harter Währung passen.
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Neben Pleiß wurden einzig Raul Neto und Firstround-Pick Trey Lyles unter Vertrag genommen. Spieler, deren Rechte die Jazz ohnehin besaßen. Ansonsten hielten die Jazz ihr Team einfach zusammen. Dabei hätten sie unter dem Salary Cap sogar beinahe genügend Platz gehabt, um einen Maxcontract aufzunehmen. Doch man wollte nicht. Weil man nicht musste. Vergangene Saison stellte Utah das jüngste Team der gesamten Liga, kein Spieler war älter als 25. In solchen Fällen spricht man gemeinhin von Potenzial. Erst recht im Fall der Jazz.
Denn, anstatt den - unter Umständen ohnehin erfolglosen - Versuch zu unternehmen, einen namhaften Free Agent nach Utah zu locken, setzen sie auf organisches Wachstum. Stärke von innen heraus. "Building through the Draft", bedeutet das übertragen auf die Association. Favors, Gobert, Gordon Hayward, Trey Burke oder Dante Exum - sie alle wurden entweder direkt von den Jazz gedraftet oder noch im Zuge des Drafts respektive zu Beginn ihrer Karriere nach Salt Lake City transferiert.
So haben die Jazz nicht nur einen jungen Kern beisammen, der über Jahre gemeinsam gewachsen ist und wächst, sie haben sich zudem den Respekt der gesamten Liga erarbeitet. "Du hast Dennis (Lindsey, Anm. d. Red.) nicht dabei beobachtet, wie er einige Free Agents dumm mit Geld zugeschüttet hat, damit sie im Westen drei Plätze klettern", zitiert ESPN einen General Manager. "Mit all dem neuen Geld kann er das auch noch kommendes Jahr oder im Jahr darauf tun."
Von den Besten gelernt
Das könnte Lindsey. Ob er es tatsächlich vorhat, ist allerdings nicht klar. Schließlich hat Utahs GM die vielleicht nachhaltigste Schule der gesamten NBA besucht. Fünf Jahre arbeitete er bei den Spurs als Assistant General Manager von R.C. Buford, erfuhr also aus nächster Nähe, wie man in einem bei Free Agents weniger beliebten Markt ein durchaus erfolgreiches Team aufbaut. Wie man den Draft so gewinnbringend wie nur irgendwie möglich nutzt. Wie man eine eigene Identität entwickelt und die entsprechenden Spieler verpflichtet.
Also öffneten die Jazz den Geldbeutel nicht einfach in Richtung irgendeines Big Man-Free Agents, um ihre etwas dünne Rotation auf den großen Positionen aufzubessern. Sie drafteten stattdessen Trey Lyles, einen offensiv vielseitigen Power Forward, der das Potenzial besitzt, von draußen zu treffen, das Feld breit zu machen, gleichzeitig aber sicher am Ring abschließt.
Zudem blickten die Jazz hinter die Fassade. Dort schimmerte auf den ersten Blick nämlich ein eher unterdurchschnittlicher Verteidiger, der defensiv noch dazu häufig das richtige Gespür vermissen ließ. "Perfect Match" klingt anders. Allerdings musste Lyles in Kentucky häufig auf die Drei ausweichen, heißt: am Perimeter verteidigen. Dort musste er lernen, auch kleinere Spieler vor sich zu halten, sich besser zu bewegen, seine schwache laterale Geschwindigkeit zu kompensieren, was in Utahs System durchaus von Nutzen sein kann.
Natürlich kann das Experiment schief gehen. Das haben Experimente gemeinhin an sich. In Utah zählt jedoch Potenzial. So war es bei Gobert. So ist es sicherlich bei Pleiß und Lyles. Und so war es im vergangenen Jahr bei Dante Exum. 2014 galt der Australier, der zuvor lediglich an der Highschool in Down Under gespielt hatte, als großes Mysterium. Allerdings als eines mit jeder Menge Upside.
Exum auf dem richtigen Weg?
Also schlugen die Jazz an fünfter Stelle zu und sahen erst einmal zu, wie Exum Fehler machte, wie er den Drive mied wie Charles Barkley den Ernährungsberater (32 Freiwürfe in 82 Spielen). In der zweiten Saisonhälfte ließen sie Exum sogar starten. Er sollte lernen. Lernen, seine Schnelligkeit zu nutzen, Kontakt zu absorbieren.
Zunächst gelang es nicht, doch Exum scheint verstanden zu haben. Über den Sommer hat er rund 4,5 Kilo Muskelmasse zugelegt und nutzte diese während des ersten Summer-League-Spiels in Salt Lake City, um ausgerechnet Kraftpaket Marcus Smart durch die Zone zu schieben und im Anschluss den Assist zu spielen.
Die Sample Size ist klein, ja, zumal sich Exum direkt gegen die Celtics den Knöchel verstauchte. Wir sprechen von der Summer League, richtig, doch die Indikatoren zeigten in diesem einen Spiel in die richtige Richtung. Der Australier attackierte, verließ sich nicht zu sehr auf den Dreier - und tat damit exakt, was die Jazz von ihm verlangen.
Exum soll attackieren. Doch Exum wollte zunächst nicht attackieren. "Du kommst als 19-jähriger Rookie an", sagt er. "Da wollte ich niemandem auf die Füße steigen. Ich wollte den Point Guard geben, da werden Assists erwartet. Ich soll ein Teamspieler sein. Das habe ich versucht. Das Team hat mir vergangenes Jahr aber klar gemacht: ‚Wir lieben das, aber wir brauchen dich offensiv aggressiver und als Scoringbedrohung.' Kommende Saison werde ich all das versuchen."
Playoff-Chancen?
Es muss wohltuend klingen. Nutzt Exum sein Potenzial, haben die Jazz nicht nur einen starken Point Guard von optimaler Größe (2,03 Meter), sie könnten Trey Burke weiter von der Bank bringen, was ohnehin besser zum 9. Pick des 2013er Drafts passen könnte. Bestätigt Rodney Hood dann auch noch seine Leistungen aus der Summer League, kehrt Alec Burks nach seiner schweren Schulterverletzung stark zurück, hätte Utah potenziell einen mehr als vorzeigbaren Backcourt.
Hinzu kommt der Frontcourt. Dort gesellt sich zu besagter Big-Man-Rotation Gordon Hayward, dessen Vielseitigkeit und Scoring-Punch perfekt ins Konzept der Jazz passen, der vergangene Saison bewies, dass er seinen Maximalvertrag durchaus zu rechtfertigen weiß.
Coach Quinn Snyder hat also einiges, womit sich arbeiten lässt. Und der Coach scheint auch noch der Richtige zu sein, das Potenzial seiner Jazz zu nutzen. Nicht umsonst wird Snyder ein gutes Händchen bei der Entwicklung junger Spieler nachgesagt. Tibor Pleiß beispielsweise war überrascht, dass ihn sein neuer Coach beim Workout "gleich zur Seite genommen und mir Tipps gegeben" hat.
Dass Gobert, Favors, Trevor Booker und Burke über den Sommer in Salt Lake City blieben, um die Trainingshallen und Coaches der Jazz zu nutzen, rundet das positive Gesamtbild ab. Ob es am Ende bereits in der kommenden Saison mit der von einigen prognostizierten Playoff-Teilnahme reicht, weiß dennoch niemand. An der Defense sollte es allerdings nicht scheitern.
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