Wie war das noch vor zwei Jahren? Minnesota hatte sein Team um Kevin Love und Ricky Rubio aufgebaut, galt als vielversprechender, baldiger Anwärter auf einen Platz in den Playoffs. Es wurde nichts, und nach sechs Saisons ohne Playoffs in Folge hatte Love genug.
Den Wolves drohte also eine schwierige Situation - schließlich hatten es schon viele Teams am Ende bereut, einen unzufriedenen Superstar abgegeben zu haben. Kein Angebot war gut genug, und so hätte sich das Drama noch lange hinziehen können. Doch dann fielen plötzlich die Dominosteine.
"Auf einmal ging alles ganz schnell, als LeBron James nach Cleveland zurückging und Andrew Wiggins verfügbar wurde", erinnerte sich Wolves-Coach, -GM und -Präsident Flip Saunders, der seine Posten trotz eines Hodgkin-Lymphoms weiter ausfüllen möchte, kürzlich gegenüber Grantland. "Da kann man wohl sagen, dass wir Glück hatten."
Karl-Anthony Towns: Talent mit Köpfchen und Karlito
Wiggins weckt Phantasie
Aus der heutigen Sicht kann man ihm da hundertprozentig zustimmen. Während Love in Cleveland für seine Verhältnisse schwächelte, legte Wiggins eine sehr gute Saison hin und wurde Rookie des Jahres. Als er im Januar ausgerechnet gegen die Cavs 33 Punkte erzielte, weinte dem in Minny ziemlich umstrittenen Love kaum noch einer hinterher.
Mehr noch: Wiggins zeigte über die Saison neben seiner außerirdischen Athletik auch ein spielerisches Potenzial, das die magischen zwei Worte "Franchise" und "Player" im für die Phantasie zuständigen Temporallappen des Gehirns eines jeden Wolves-Fans erscheinen ließ.
Minnesota war auch mit ihm noch weit von echter spielerischer Kompetenz entfernt. Ihren Superstar der Zukunft schien die Franchise aber gefunden zu haben - der wichtigste Baustein überhaupt und gleichzeitig einer, den etliche andere Teams im Rebuild immer noch suchen (beispielsweise Boston, Orlando oder Denver).
Einen Sommer später haben die Wolves womöglich sogar zwei Spieler dieser Sorte.
Towns: Moderner Big Man vom Reißbrett
Denn das Glück war ihnen auch 2015 wieder hold. Vor der Lottery verfügte Minnesota über die besten Aussichten auf den No.1-Pick, das muss aber nichts heißen - seit den Magic im Jahr 2004 hatte kein Team mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich den ersten Pick bekommen. Bis jetzt.
Die Wolves hatten daher den einzigen Pick, über den fast unter allen Experten Konsens bestand, und handelten entsprechend: Karl-Anthony Towns spielt künftig zusammen mit Wiggins und gibt einem ohnehin sehr interessanten Roster noch eine weitere Dimension.
Towns ist ein Big Man, der quasi am Reißbrett für das aktuelle NBA-Spiel erfunden wurde - er kann werfen und ist trotzdem ein Rim-Protector, verfügt über Top-Athletik, Skills im Lowpost und ist schnell genug, sowohl den Break mitzulaufen als auch nach Switches kleinere Gegenspieler zu übernehmen. Kurz gesagt: das komplette Paket.
Natürlich wird KAT nicht vom Start weg die Liga dominieren. Dennoch haben die Wolves mit ihm und Wiggins ihr aufregendstes Duo seit Stephon Marbury und Kevin Garnett zusammen und können darum in Ruhe einen Contender aufbauen.
Das Puzzle nimmt Form an
Zumal diverse andere Puzzle-Teile ebenfalls schon bereitstehen. Das schließt talentierte Youngster wie Zach LaVine, Gorgui Dieng, Shabazz Muhammad oder Adreian Payne mit ein, oder auch den (27-jährigen) Rookie und amtierenden Euroleague-MVP Nemanja Bjelica, der im Sommer günstig verpflichtet wurde.
Auch Rubio ist immer noch da und will ebenso wie Nikola Pekovic endlich mal eine fitte Saison absolvieren - die Wolves holen dafür wohl kurzfristig noch den renommierten Physiotherapeuten Arnie Kander, der erst vor kurzem nach 23 Jahren bei den Pistons zurückgetreten war. Er gilt als einer der besten "Körpermechaniker" im Profisport.
Und dann ist da natürlich noch der mit großem Abstand beste Spieler in der Geschichte der Franchise, der bereits zur Trade Deadline aus Brooklyn geholt wurde. Kevin Garnett mag bereits 38 Jahre alt und längst nicht mehr der Spieler früherer Tage sein, weshalb sein neuer "Renten-Vertrag" (2 Jahre, 16,5 Millionen Dollar) überzogen anmutet. Seinen Wert hat er trotzdem.
"Da Kid" als Mentor
Eine Anekdote von Saunders verdeutlicht das: "Bei seinem ersten Training nach seiner Rückkehr ist folgendes passiert. Bei einem Drill ist Pekovic nicht schnell genug nach hinten gerannt, was KG aufgeregt hat - dafür bekam er das Wort 'motherfucker' zu hören. Das bekommt ein großer, finster aussehender Typ wie Pek zu hören."
Und seine Reaktion? "Er hat den Kopf eingezogen und ist losgerannt. Das ist die Sache: KG rennt schneller als jeder andere. Der Typ ist ein Hall-of-Famer und einer der besten Power Forwards aller Zeiten. Und 38 Jahre alt! Wenn er sich so reinhaut, wie kannst Du es dann nicht tun?"
In Minnesota hoffen sie, dass KG - einer der vielseitigsten Big Men aller Zeiten, anerkanntes Defensiv-Genie und Muster-Profi in Sachen Intensität (nur nicht Manieren) - seine legendäre Arbeitseinstellung auf die jungen Spieler überträgt und ihnen auch seine Siegermentalität einimpft.
Miller und KG besonders gefragt
"Professor" Andre Miller, der im Sommer beinahe zum Nulltarif verpflichtet wurde, soll eine ähnliche Rolle bei den Guards einnehmen und vor allem Rubio sowie Rookie Tyus Jones helfen. Auch er ist ein optimaler Mentor: Wie viele Point Guards haben sich schon über 17 Jahre in der Liga gehalten, ohne über Athletik, Schnelligkeit oder einen Sprungwurf zu verfügen?
Insbesondere angesichts der Krebserkrankung von Saunders werden die Rollen dieser beiden Veteranen noch größer werden. Saunders gab sich kämpferisch und will seine Arbeit auf jeden Fall weiter ausüben, die Prognose ist seinen Ärzten zufolge auch positiv.
Natürlich kann es trotzdem sein, dass er zeitlich und auch mental teilweise mit anderen Aufgaben beschäftigt sein wird. Hier ist der Coaching Staff um Sidney Lowe, David Adelman und Saunders' Sohn Ryan besonders gefragt - KG und der Professor eben auch.
Playoffs? Na klar...
Garnett hat bereits während der Summer League an die Motivation der Youngster appelliert: "KG hat unseren Spielern gesagt: 'Wenn Ihr am 29. September zum Training Camp kommt und denkt, dass wir nicht die Playoffs erreichen werden, dann macht Euch gar nicht erst auf den Weg'", so Saunders.
Die Absicht dahinter ist klar erkennbar und sinnvoll, Rubio, Towns und andere haben bereits ebenfalls vom Ziel Postseason gesprochen. Mit der Realität hat das freilich trotzdem nicht allzu viel zu tun - nicht in dieser Saison.Natürlich haben die Bucks es zuletzt geschafft, vom schlechtesten Team der Liga (15 Siege) zum Playoff-Team zu werden (41). Einen Sprung dieser Art werden die Wolves aber weder packen, noch würde er in der brutalen Western Conference auch nur ansatzweise ausreichen.
Die Zeit läuft für sie
Das muss aber auch gar nicht sein. Das Fundament steht bereits, jetzt geht es erst einmal darum, die jungen Spieler zu fördern und bei anderen zu evaluieren, wie sie ins Gesamtbild passen. Im Frontcourt etwa besteht ein klarer Überschuss - es ist nicht sicher, dass Pekovic oder auch Anthony Bennett eine Zukunft im Team haben.
Auch Rollenspieler wie Damjan Rudez müssen erst zeigen, ob sie sich für ein dauerhaftes Engagement empfehlen können. Selbst bei Rubio wird erst dann wirklich Klarheit über seinen Status als "Aufbau der Zukunft" bestehen, wenn er mal über längere Zeit verletzungsfrei durchspielen kann und endlich anfängt, wenigstens respektabel zu werfen (komm' schon, Ricky!).
Im Gegensatz zur Vergangenheit haben die Wolves-Entscheider dabei aber keinen Zeitdruck. Sie können diese Saison ganz befreit angehen, sich an den Spielen erfreuen, in denen das immense Potenzial der Jungstars aufblitzt, und bekommen am Ende wieder einen hohen Draft-Pick.
Es könnte deutlich schlechter aussehen. Dafür muss man nicht einmal allzu lange zurückdenken.