Patrick Ewing blickt auf eine beeindruckende Karriere im Trikot der New York Knicks zurück. Sein Aufstieg zu einem dominanten Center war steil - trotz bewegender Vorgeschichte. Manche Fans werden ihm den Makel des fehlenden Titels trotzdem niemals verzeihen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 5. August 2015.
Richard, wir danken dir. Ehrlich. Ob er nicht mitspielen wolle, fragte Richard Burton den 11-jährigen Patrick Aloysius Ewing kurz nach dessen Ankunft in Cambridge, Massachusetts. Es würde noch ein Spieler beim Streetball gebraucht.
Cricket und Fußball - das waren bis dato die Sportarten in Patricks Leben. Aber Basketball? "Ich wusste nicht, was Basketball war", so Ewing später: "Die Leute lachten über mich und machten Witze, weil ich so groß war und nicht spielen konnte."
Zehn Jahre später wurde es laut im Felt Forum von New York City. Die Fans der Knicks feierten und kreischten schon, bevor David Stern auf die Bühne trat und den ersten Pick des Drafts 1985 verkündete. Allen war klar: Der Name aus dem Mund des Commissioners konnte nur Patrick Ewing lauten. Der Heilsbringer war endlich da.
Patrick Ewing: Schöne neue Welt
Als Ewing gerade sieben Jahre alt war, verließen die Eltern die Familie und gingen in die USA - im Sinn nur das Wohl der Kinder. Vier Jahre später hatten sie genug Geld angespart, um auch Patrick und seine sechs Geschwister aus Jamaika in die schöne neue Welt holen zu können.
Kurz nachdem Ewing das Spiel mit dem Spalding für sich entdeckt hatte, startete er an der High School durch. Die öffentliche Cambridge Rindge and Latin School flog bis zu diesem Zeitpunkt im Basketball weit unter dem Radar. Mit Ewings Talent ging es steil bergauf. Von '78 bis '81 führte der Center sein Team zu einer sagenhaften Bilanz von 76-1.
Als erster High-School-Spieler überhaupt wurde Ewing 1980 zum Trainingscamp für die Olympischen Spiele eingeladen. Auch, wenn er es nicht ins Team für Moskau schaffte - es war eine große Ehre und in den folgenden Jahren ein großer Ansporn. Seine schulischen Leistungen waren dagegen alles andere als gut. Mit Ach und Krach sowie vielen Nachhilfestunden schaffte Ewing den Abschluss.
Patrick Ewing erlebt Rassismus und Anfeindungen
Ewing entschied sich für ein Studium an der Georgetown University in Washington und damit unter anderem gegen die Tar Heels, denen ein gewisser Michael Jeffrey Jordan gerade seine Zusage gegeben hatte. Grund dafür war eine Parade des Ku-Klux-Klans, die zeitgleich zu Ewings Besuch in North Carolina stattfand und ihn dazu bewog, nach D.C. zu gehen.
Und wie schon an der High School brachte die Ankunft von Ewing den Erfolg nach Washington. Zwar verloren die Hoyas im ersten Jahr das NCAA-Finale noch gegen North Carolina - Jordans Gamewinner war Schuld - doch zwei Jahre später ließen sich Ewing und Co. von den Houston Cougars um Hakeem Olajuwon nicht mehr aufhalten.
Die Begegnung mit dem KKK war nicht die einzige rassistische Anfeindung, die Ewing am College erleben musste. Vor allem im Rivalen-Duell gegen Syracuse wurde er immer wieder beleidigt, hin und wieder mit Gegenständen beworfen. Bei einem Auswärtsspiel verfehlte ihn eine Orange aus dem Publikum nur knapp.
Versprochen ist versprochen
Im Gegensatz zu Michael und Hakeem verließ der "Hoya Destroya" das College nicht nach drei Jahren, obwohl alle Franchises auf seine Ankunft warteten - selbst im legendären '84er Draft galt er als sicherer No.1-Pick. Er hatte jedoch seiner kurz zuvor verstorbenen Mutter versprochen, der Uni nicht ohne seinen Abschluss in Kunstgeschichte den Rücken zu kehren.
Im Mai 1984 kam mit der Geburt seines ersten Kindes, Patrick Ewing Jr., eine ungeplante Hürde hinzu, doch Pat Senior biss sich durch und durfte ein Jahr später seinen viereckigen Hut in den Washingtoner Himmel werfen.
Als in der ersten Lottery der NBA-Geschichte die Würfel beziehungsweise die Umschläge - nicht ohne Verschwörungstheorien - zugunsten der Knicks fielen, war die Wahl von Ewing als erstem Pick längst beschlossen. In einer Zeit, in der das Center-Spiel die Liga dominierte und ein starker Big Man der Grundstein für Erfolg war, lastete nicht nur die Bürde des Top-Picks auf Ewings Schultern. Die Fans in New York erwarteten vom Hoya Destroya tiefe Playoff-Runs. Und Titel. Nicht einen, sondern mehrere.
Patrick Ewing: Aufstieg mit Hindernissen
Zwar wurde Ewing in der folgenden Saison mit durchschnittlich 20 Punkten und 9 Rebounds zum Rookie of the Year und ins All-Star Team gewählt, dennoch verschlechterten sich die Knicks im Vergleich zum Vorjahr. Ohne die verletzten Bernard King und Bill Cartwright fuhr das Team von Hubie Brown lediglich 23 Siege ein. Ewing, der in der NBA ohne sein Markenzeichen, das T-Shirt unter dem Trikot, spielen musste, verpasste selbst 32 Spiele mit einer Knieverletzung.
Nach einer weiteren Saison unter ferner liefen war die Geduld der Fans im Big Apple aufgebraucht - und der Schuldige schnell gefunden: die Nummer 33. Doch Ewing ließ sich von der Kritik an seiner Person weder beeindrucken noch zu öffentlichen Äußerungen hinreißen. Er hielt sich von den Medien fern, war unnahbar. Und das nicht nur in den schlechten Zeiten. Für die Fans nicht immer leicht zu verstehen.
Stattdessen versuchte Ewing, die Antwort auf dem Court zu geben. Und endlich - in der dritten Saison des vermeintlichen Retters - zogen die Knicks wieder in die Playoffs ein. Das lag nicht nur an der Entwicklung von Big Pat (56 Prozent Trefferquote), sondern auch an der klugen Wahl im Draft. Das Front Office entschied sich an Position 18 für einen 1,85 Meter kleinen Spielmacher von St. John's. Mark Jackson.
Kein Mittel gegen Jordan
Jackson schlug richtig ein, legte im Schnitt 13,6 Punkte und 10,6 Assists auf und wurde RoY. Aber viel wichtiger: Er klickte mit Ewing. Die beiden harmonierten auf dem Court fast so gut wie Stockton und Malone zur gleichen Zeit in Utah.
Doch genau wie bei den Jazz wollte es lange Zeit nicht über die Conference Finals hinausgehen. Zu dominant waren die Chicago Bulls mit Jordan, die Ewing und Co. in vier der fünf folgenden Saisons aus der Postseason warfen.
Nachdem er bereits 1984 mit den College-Boys bei Olympia den Titel geholt hatte, reiste Ewing 1992 als wichtiger Teil des Dream Teams nach Barcelona. Dieses Mal an der Seite von MJ. Auf dem Weg zu Goldmedaille Nr. 2 wurde dem Rest der Welt eindrucksvoll demonstriert, wie der Sport mit dem orangefarbenen Ball richtig gespielt wird.
Durch die Erfahrung im Team USA reifte Ewing - und mit ihm sein Spiel. "Ich war genauso wichtig und genau so clever wie jeder Guard, mit dem ich zusammengespielt habe", so Big Pat über seine Rolle bei den Knicks: "Ich war es, der die Spielzüge ansagen, die Systeme kennen und die gegnerischen Konzepte beobachten musste. Ich tat alles, was sie auch tun mussten."
Eine einmalige Gelegenheit
Dann kam sie, die große Chance. Nach dem Rücktritt von MJ waren die Bulls schlagbar - und wie viele andere Teams träumte New York vom Titel. Spoiler-Alarm: Er sollte nicht in den Big Apple gehen. Hakeem Olajuwon hatte etwas dagegen.
In den Finals 1994 lieferten sich die Knicks und die Houston Rockets, die The Dream 1984 an Position 1 gezogen hatten, eine epische Defensiv-Schlacht über sieben Spiele. Ewing legte 18,9 Punkte, 12,4 Rebounds und 4,3 Blocks pro Partie auf - doch gegen Olajuwon, der deutlich effizienter agierte, war das nicht genug.
Selbst eine 3:2-Führung reichte nicht, um die Meisterschaft 21 Jahre nach der letzten Ring-Zeremonie wieder nach New York zu holen. Es war Hakeems Revanche für das verlorene NCAA-Finale. Nur auf einer etwas größerer Bühne.
Patrick Ewing: Finger-Roll des Grauens
Von den Conference Semifinals im folgenden Jahr gegen Reggie Millers Pacers wird Ewing vermutlich noch heute Albträume haben. Sein Finger-Roll zum Ausgleich von Spiel 7 landete auf dem hinteren Teil des Rings und zerstörte so auch die zweite Titel-Chance in Jordans Abwesenheit.
Die folgenden drei Jahre gehörten nach dessen Comeback wieder den Bulls, auch wenn Ewing trotz Handicaps durch einen langwierigen Handgelenksbruch seine achte, neunte und zehnte All-Star-Saison in Serie ablieferte. Doch es gab auch ein Problem. Während das Spiel der Knicks grundsätzlich immer athletischer wurde, setzte man trotzdem weiter auf Low-Post-Dominator Ewing.
Kritik wurde laut - es fielen die Worte eigensinnig und selbstsüchtig. Ewing selbst sah in der Offense vermutlich keine andere Option als sich selbst, schließlich hatte er nicht einmal mit einem anderen Spieler von Hall-of-Fame-Format im gleichen Jersey auf dem Court gestanden.
Die Karrierestatistiken von Patrick Ewing
Spiele | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Blocks | FG% |
1183 | 34,3 | 21 | 9,8 | 1,9 | 2,4 | 50,4 |
Cinderella auf Krücken
Unter dem jungen Coach Jeff van Gundy schnupperten Ewings Knicks 1999 an der Riesen-Sensation. Als achtplatziertes Team der Regular Season schaltete New York Top-Seed Miami sowie die Atlanta Hawks aus und stand überraschend in den Conference Finals gegen die Pacers.
Ewing hatte seit Monaten mit einer Reizung der Achillessehne gespielt - dachte er zumindest. Nach Spiel zwei wollte die Schwellung nicht abnehmen und eine MRT-Untersuchung ergab die bittere Diagnose: Anriss der Sehne. Saisonaus.
"Er wollte mir nicht glauben", so Team-Arzt Dr. Norman Scott: "Er war richtig depressiv, am Boden zerstört. Endlich war der Titel greifbar und jetzt das. Er fragte immer nur: 'Warum ich? Warum jetzt?'" Ohne Ewing reichte es für die Knicks noch zum Sieg über Indiana, doch in den Finals endete die Cinderella-Story.
Die San Antonio Spurs dominierten dank David Robinson und Tim Duncan die Zone, New York hatte ohne ihren Franchise-Player kein Gegenmittel und ging sang- und klaglos unter. Wieder eine Saison ohne Titel. Näher sollte Ewing der Larry O'Brien Trophy nicht mehr kommen.
Gewöhnungssache
Durch die Ankunft des jungen und talentierten Marcus Camby war Big Pat entbehrlich geworden. 2000 verschifften ihn die Knicks per Trade nach 15 Jahren und 1039 Spielen zu den Seattle SuperSonics. "Jedes Mal, wenn sie meinen Namen ansagten, hörte ich immer 'New York Knicks' statt Seattle 'SuperSonics'", erzählte Ewing später.
In Seattle konnte ebenso wenig an seine besten Zeiten anknüpfen wie als Bankspieler bei den Orlando Magic. An der Seite von Tracy McGrady, Grant Hill und Mike Miller wagte er einen letzten Angriff auf den Titel. Doch in der ersten Playoff-Runde war Schluss. Viel zu früh. Wie so oft in Ewings Karriere. Ein Schlusskapitel, das er im Nachhinein bereute, als er im Alter von 40 Jahren seine Karriere beendete.
Patrick Ewings: Ehrungen als Trostpflaster
Ewing kam als Siegertyp nach New York und wurde zum dominanten Center, den sich die Fans gewünscht hatten. Mehrfach war er ganz nah dran am Titel - doch was ebenfalls in Erinnerung bleibt haben, ist der Makel, in den entscheidenden Situationen versagt zu haben. Der Makel, keinen Ring am Finger zu tragen.
Nichts auf dieser Welt konnte ihn davon befreien. Weder die Knicks, die sein Trikot 2003 unter die Hallendecke zogen, noch die Auswahl für das Team der 50 besten Spieler aller Zeiten oder Aufnahme in die Hall of Fame. Die Ära Ewing im Big Apple mag unvollendet geblieben sein, doch seine Bedeutung für die Nachwelt ist größer als sein Makel - und größer als seine Rolle in "Space Jam".
Es gibt viele Zitate über die Karriere von Patrick Aloysius Ewing. Am besten treffen es wohl die Worte vom ewigen Kontrahenten Michael Jordan: "Er hat das Herz eines Champions. Wenn man an New York denkt hat, dann denkt man an Patrick Ewing. Er hat der Stadt ein neues Leben geschenkt."