Zurück in die Zukunft

Martin Klotz
29. Oktober 201516:27
Kevin Durant und Kawhi Leonard schenkten sich nicht einen Zentimetergetty
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Kevin Durant machte im ersten Saisonspiel gegen die San Antonio Spurs eine gute Figur und lieferte sich mit Elite-Defender Kawhi Leonard ein Duell auf MVP-Niveau. Hinter KD liegt ein langer Leidensweg, der insgesamt eineinhalb Jahre dauerte. Nun ist Durant endlich wieder zurück - doch er ist nicht mehr der, der er einmal war.

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Kevin Durant lässt sich unter den Korb fallen, an ihm klebt Kawhi Leonard. Dann sprintet er Richtung Perimeter. Am Block von Serge Ibaka streift KD den besten Verteidiger der Liga ab, der Pass kommt von Russell Westbrook. Scharf. Genau in die Hände von Durant. Ein Dribbling zum Elbow, dann steigt er hoch. Sein Handgelenk knickt butterweich ab, der Spalding fliegt durch die Luft - nothing but net.

Es das erste Spiel, die erste Minute, der erste Wurf mit zwei gesunden Füßen. 516 Tage hatte Durant mit seinem rechten zu kämpfen gehabt. 516 Tage, in denen er drei Mal unters Messer musste. 516 Tage, in denen alle Comeback-Versuche scheiterten. Nun ist er wieder da.

Zu grün für den Titel

Flashback: Wir schreiben das Jahr 2012. Ein junger Westbrook, ein junger Durant und ein junger James Harden begeistern die Liga mit Tempo-Basketball und spektakulären Plays. Am Ende sind die Thunder zu grün - für den ganz großen Wurf reicht es nicht. In den Finals schicken die Miami Heat um LeBron James OKC mit 4-1 nach Hause.

In einer rückblickend folgenschweren Entscheidung tradet Oklahoma James Harden, den damaligen Sixth Man of the Year, zu den Rockets. Damals war sein Bart zwar noch ein wenig kürzer, doch Harden glaubte an seine Qualität, wollte zum Superstar aufsteigen. Das tat er auch, allerdings in Houston. Man stelle sich nur vor, was die drei MVP-Kandidaten gemeinsam in Oklahoma City hätten erreichen können - ok, genug. Nun kehre man wieder in die Realität zurück.

Die folgenden Saisons wurde Harden schmerzlich vermisst, doch dank des Superstar-Duos blieb OKC ein Contender. Einzig das Verletzungspech hatte etwas dagegen, dass die Thunder ernsthaft in den Titelkampf eingreifen konnten. 2013 war es das Knie von Westbrook, das ihn fast die gesamten Playoffs kostete, im Jahr darauf musste Serge Ibaka zwei wichtige Spiele in den Conference Finals gegen San Antonio pausieren.

Vergangenes Jahr traf es die Thunder gleich mehrfach: Russ fiel zu Beginn 14 Spiele aus, Air Congo flog ab März nicht mehr durch die Lüfte. Und Kevin Durant? Hatte bis dato lediglich 16 von 631 Spielen verpasst. Doch das sollte sich ändern.

Immer Ärger mit Jones

In der Preseason wurde bei KD eine Jones-Fraktur diagnostiziert, ein Bruch des fünften Mittelfußknochens. Keine alltägliche Verletzung, sondern meist eine Ermüdungserscheinung.

"Ich habe jeden Tag des Sommers draußen gespielt, über die letzten fünf oder sechs Jahre", so Durant: "Jetzt schaue ich darauf zurück und denke: 'Mmh, vielleicht ist das der Grund, warum ich nun verletzt bin.' Aber hätte ich es rückblickend anders gemacht? Auf keinen Fall! Ich bereue nichts."

Der Ex-MVP entschied sich für eine Operation und bekam eine Schraube eingesetzt, um den Heilungsprozess zu beschleunigen. Alles schien gut zu laufen. Sieben Wochen später stand Durant wieder auf dem Court - ein üblicher Ausfall-Zeitraum für eine Jones-Fraktur. Doch das war erst der Anfang der Probleme.

Aus dem Tritt

Immer wieder hatte Durantula mit den Folgen der Verletzung zu kämpfen. Neun Spielen in Serie folgten sechs Abende im Anzug an der Seitenlinie. In ungefähr diesem Rhythmus ging es weiter. Man sah KD das Unbehagen deutlich an - einmal wechselte er zweimal in einer Partie den Schuh. Doch nichts half.

Eine Woche nach der All-Star Break gab es dann Gewissheit: Durant musste noch einmal unters Messer. Ein Rückschlag nach dem anderen bewog die Ärzte schließlich dazu, eine neue Schraube in einen der wertvollsten Füße der Liga einzusetzen.

Bekanntes Phänomen

Durant ist aber nicht der erste NBA-Spieler, der sich nach einer Jones-Fraktur mit Komplikationen herumschlagen musste. Gleiches Schicksal erlitt beispielsweise Brook Lopez, der infolge der Verletzung die komplette Saison 2011/2012 verlor.

Er kam zurück, spielte anschließend das beste Jahr seiner Karriere und wurde sogar All Star. Die Verletzung war vergessen - doch dann holten ihn die Probleme wieder ein. Der Nets-Center musste erneut auf den OP-Tisch und verpasste abermals fast eine gesamte Saison. Vergangenes Jahr stand Lopez für 74 Spiele auf dem Parkett und war wieder beschwerdefrei.

"Nie wieder der Alte"

Nicht ganz so gut lief es bei Glen Davis. Auch er musste nach seiner Jones-Fraktur eine neue Schraube eingesetzt bekommen, bevor es aufwärts ging. Später sagte der Power Forward, dass sein Fuß dennoch "wohl nie wieder der Alte" werden würde. Big Baby hat bekanntlich deutlich mehr Speck auf den Hüften als KD, doch ganz ausschließen kann man eine solche Entwicklung auch bei Durant nicht. Zumal es nicht bei zwei Eingriffen bleiben sollte.

Auch mit Durants neuem Implantat wollte sich keine Besserung einstellen, stattdessen entdeckten die Ärzte einen zweiten Riss im Knochen. Die Zeit der Comeback-Versuche war vorbei. Saison-Aus, vier bis sechs Monate Pause - so lautete die Prognose nach dem dritten Besuch bei den Herren mit dem Skalpell Ende März diesen Jahres.

Als neue Therapiemethode wählte KD eine Knochentransplantation. Sie versprach den besten Erfolg, stellte Durant aber auf eine harte Probe. Der MVP bewies trotz der mehrfachen Rückschläge mentale Stärke.

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Der Selbst-Motivator

Während seiner Reha setzte sich Durant kleine "Championship-Ziele", wie er sie nannte. Jeden neuen Meilenstein markierte er im Kalender und hakte ihn auf einer Liste ab: Das erste Mal einen Schuh anziehen, Gehen, Laufen auf dem Laufband, Jogging, Autofahren ohne Hilfe, der erste Sprungwurf, schließlich der erste Dunking. Schritt für Schritt arbeitete sich Durant zurück und hielt so seine Motivation aufrecht.

"It's coming". KD weiß, was die Stunde geschlagen hat. Mit "it" meint er aber weder den neuen Bond-Streifen noch den bevorstehenden Winter in Westeros. Wovon Durant spricht, ist Erfolg: "Dieses Jahr wird es geschehen. Ich komme von der Verletzung zurück und viele erwarten, dass ich besser bin als zuvor. Viele zweifeln auch an mir."

Durant hingegen zweifelt nicht. "Ich bin immer noch der beste Spieler der Welt", so Durant im Spätsommer: "Bei allem Respekt für die anderen Spieler, aber ich hatte dieses Selbstbewusstsein schon immer."

Als ein Reporter Durant vor zwei Wochen fragte, wie er sich denn fühle, hielt der Ex-MVP kurz inne. Dann sagte er: "Ich habe mir geschworen, diese Frage nicht mehr zu beantworten." Durant ist nicht mehr derselbe. Die Verletzung hat ihn härter gemacht, seine zuvor so große Bescheidenheit hat er abgelegt.

Alles neu

Während Durants Abwesenheit hat sich einiges um ihn herum getan. Scott Brooks wurde nach der Saison ohne Playoffs gefeuert und mit Billy Donovan - getreu der Liga-Entwicklung - ein College-Coach an die Seitenlinie beordert. Neu im Team sind Dion Waiters und Enes Kanter, Russell Westbrook legte eine phänomenale Entwicklung hin und wurde vom Knie-Dauerpatienten zum Triple-Double-Monster.

Die Frage, ob eine Co-Existenz der beiden Alpha-Tiere möglich ist, stellt sich zurecht. In der ersten Partie gegen San Antonio funktionierte das Zusammenspiel von KD & Russ ohne Probleme und während Westbrook immer wieder zum Korb zog, konzentrierte sich Durant auf seinen traumhaften Jumper. 35 Minuten stand er auf dem Parkett, über die er sich mit Leonard ein Duell auf MVP-Niveau lieferte. Das macht Hoffnung für eine verletzungsfreie Saison.

"Es ist ein Segen, dass er wieder zurück ist. Kevin ist der beste Spieler der Welt" unterstrich auch Westbrook noch einmal Durants Aussage: "Er hat heute Nacht ein paar Würfe verfehlt, aber wir haben noch 81 Spiele und ich freue mich darauf, ihn viele Würfe treffen zu sehen, die noch kommen werden."

Letzte Chance?

Das wird er auch müssen, denn 2015/2016 ist die Saison. Das letzte Jahr von Durants Vertrag - und damit auch das Jahr, in dem die Thunder Meister werden wollen, ja eigentlich müssen. Zumindest die Finals sollten erreicht werden, um KD davon zu überzeugen, mit OKC eine reelle Chance auf die Larry O'Brien Trophy zu haben.

Bereits vor Monaten befeuerte Durant die Gerüchte über eine Rückkehr in seine Heimatstadt Washington und verlieh der Kampagne #KD2DC damit neuen Schub. Andere Franchises mit Cap Space im kommenden Sommer - also quasi alle - machen sich zudem insgeheim Hoffnungen, den Superstar in die eigene Stadt lotsen zu können. Ok, die Sixers vielleicht nicht.

Es wird bereits spekuliert, Durant könnte kommenden Sommer einen Einjahresvertrag bei OKC unterschreiben, um dann 2017 zum Free Agent zu werden. Erstens gäbe es aufgrund des steigenden Salary Caps deutlich mehr Scheine zu kassieren, zweitens läuft dann auch der Vertrag von Westbrook aus.

Losgelöst

Ohne den vertrauten Coach fehlt KD in Oklahoma City ein Stück Kontinuität, schließlich spielte Durant die letzten sieben Jahre unter Brooks. Doch eine Schablone für seine Rückkehr auf den Thron gibt es ohnehin nicht.

Ein MVP, der fast eine komplette Saison verpasst und dann direkt wieder dominiert? KD wagt sich auf bisher unerschlossenes Terrain. Und zwar wie bei seiner langwierigen Reha: Schritt für Schritt. Doch dieses Mal ist das Ziel ein anderes.

"Der MVP-Award ist nicht der Grund, warum ich in der NBA bin. Ich bin hier, um die Meisterschaft zu gewinnen. Ich bin es leid, immer nur Zweiter zu sein."

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