Kobe Bryant eröffnete seine Pressekonferenz mit einem Scherz. Ob es irgendwas Neues gebe, fragte er die versammelten Journalisten - und es waren etliche anwesend. Denn natürlich gab es etwas Neues. Einige Stunden vor dem Spiel gegen die Pacers hatte Bryant schließlich mit einem bewegenden Brief im Players Tribune sein Karriereende nach der Saison angekündigt.
Der Ton für die Pressekonferenz war damit festgelegt - Kobe witzelte, wirkte glücklich, bezeichnete sich als "Triple OG" und "Großvater" seiner jüngeren Mitspieler. Er schien seinen Frieden gemacht zu haben - endlich. "Ich musste für mich akzeptieren, dass ich das nicht mehr tun wollte. Und das ist in Ordnung für mich", sagte Bryant.
Ganz unfallfrei kam er allerdings nicht durch. Als das Thema auf die Fans kam, wurde sein Ton wesentlich ernster, die Stimme trocken - und die Augen feucht. "Sie haben mir so viel bedeutet und waren so wichtig für das, was ich erreicht habe. Ich empfinde unglaublichen Respekt und Liebe für sie." Die Reaktion wirkte ehrlich. Kobe hatte kein Problem damit, seine Emotionen zu zeigen.
Storify zum Kobe-Karriereende: "Einer der wahren Könige"
"Spiele wie Scheiße"
Das war bei ihm keineswegs immer so, doch die letzten Jahre haben Kobe verändert. Offensichtlich als Spieler, aber ebenso als Persönlichkeit. Er ist schon lange nicht mehr der verbissene Typ früherer Tage, sondern wesentlich lockerer und auch reifer geworden. Wo sich ein Großteil der Sportler eher auf Standardphrasen beschränkt, antwortet Kobe seit Jahren frei heraus.
Ein Beispiel vom Sonntag: "Ich habe so hart gearbeitet und arbeite weiterhin hart, auch wenn ich in letzter Zeit wie Scheiße gespielt habe. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um nicht so einen Mist zusammenzuspielen. Das gibt mir ein gutes Gefühl."
Es sind die Worte von einem, der weiß, dass er nicht mehr die enormen Erwartungen erfüllen kann, die andere und vor allem er selbst an ihn stellen. Um genau zu sein kann er momentan nicht einmal mehr die Erwartungen an einen unterdurchschnittlichen Spieler erfüllen. Seine derzeitigen Quoten sind so mies, dass der Ruhestand eigentlich kaum früh genug kommen kann.
Unrealistische Erwartungen
Das ist allerdings auch kein allzu großes Wunder. Bryant ist 37 Jahre alt und in seiner 20. Runde bei den Lakers. Drei Saisons in Serie musste er frühzeitig mit Verletzungen beenden, unter anderem mit einem Achillessehnenriss, der schon so manche Karriere komplett zerstört hat. Dass von ihm trotzdem nochmal ein starkes Comeback erhofft wurde, zeigt nur den Respekt, den Kobe in und um die Liga herum genießt.
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"Die Erwartungen sind ehrlich gesagt etwas, das ich sehr gerne annehme. Achillessehnenriss. Gebrochenes Knie. Gerissene Schulter. 20. Saison, 37 Jahre alt. Und sie erwarten, dass ich 30 Punkte pro Spiel machte", sagte Kobe kürzlich zu Yahoo! Sports. "Das motiviert mich aber immer noch, ich freue mich darüber. Mal sehen, wozu ich noch in der Lage bin."
Es ist leider nicht mehr viel. Im Spiel gegen die Pacers am Sonntag traf Kobe 4 seiner 20 Würfe, damit bleibt es dabei, dass er in dieser Saison kein einziges Mal eine 50-prozentige Wurfquote in einem Spiel erreicht hat. Athletik und Speed sind nahezu futsch, deswegen beißt auch kaum mehr ein Verteidiger auf seine Fakes an. Kobe wirft trotzdem munter weiter, nur eben mit engerer Deckung - ergo machen etliche Fahrkarten das Zugucken heuer zu einer schmerzvollen Erfahrung.
Chaos bei den Lakers
"Es ist hart, einem der Besten aller Zeiten zuzusehen, wie er so etwas durchmacht", sagte Dwyane Wade schon vor Kobes Ankündigung zur Associated Press. Man kann ihm nur zustimmen. Bryant ist sicher nicht unschuldig an der aktuellen Lage, allerdings wird es ihm durch seine Franchise auch nicht gerade leichter gemacht.
Coach Byron Scott etwa lässt Kobe trotz aller Probleme 31,1 Minuten pro Spiel auf dem Court und sieht auch keinen Grund dafür, daran etwas zu ändern. Er hat einige vielversprechende Talente zur Verfügung, verunsichert diese aber lieber mit widersprüchlichen Statements wie "Ich habe den jungen Spielern gesagt, dass ich geduldig sein werde. Aber nicht lange", anstatt ihnen die Zügel in die Hand zu legen.
Teilweise geistert schon die Frage herum, ob die Lakers trotz aller gegensätzlichen Beteuerungen insgeheim tanken, um ihren Pick zu behalten - landet er außerhalb der Top 3, geht der Lakers-Pick 2016 an die 76ers. Ob Scott dann überhaupt noch mit von der Partie ist, weiß derzeit keiner. Bei Kobe gibt es nun hingegen Klarheit.
Black Mamba > "Grey Mamba"
Bryant hat verstanden, dass der Kampf gegen die Zeit verloren ist. Es ist eine Erkenntnis, die jeden großen Sportler irgendwann ereilt, selbst wenn sie objektiv gesehen manchmal zu spät kommt. Michael Jordan etwa brauchte dafür die Zeit bei den Wizards, obwohl viele seiner Fans die Erinnerung daran gerne ausradieren würden.
Ähnlich wird es bei Bryant sein. Seine Fans werden die Black Mamba als unaufhaltsamen Scorer in Erinnerung behalten, als fünffachen Champion, als bösen Wolf der Liga. Als den einzigen Spieler, der 20 Saisons bei derselben Franchise absolviert hat. Nicht als die "Grey Mamba" der letzten drei verletzungsgeplagten Saisons.
MJ war dementsprechend auch einer der ersten, die Kobe von seiner Entscheidung in Kenntnis setzte. "Ich habe Michael im Sommer gesagt, dass diese Saison für mich die letzte sein wird. Er hat mir gesagt: 'Genieß' es einfach.'", verriet Bryant nach dem Spiel gegen die Pacers.
Die Abschiedstournee ist im Gange
Das wird er nun versuchen. Der Rest dieser Saison wird nun auch offiziell zur Abschiedstournee für den prägenden Spieler seiner Generation, auch wenn diese inoffiziell längst begonnen hat. In Detroit etwa.
"Vor dem Spiel treffen sich die Kapitäne, pro Team sind zwei erlaubt. Von den Pistons kam aber ein dritter Spieler, der sich hinter Andre Drummond versteckte. Der Ref wollte ihn wegschicken, aber er entgegnete nur: 'Ich bin kein Kapitän, ich wollte nur Kobes Hand schütteln.' Ich habe nicht gesehen, wer es überhaupt war. Ich habe nur die Hand gesehen und sie geschüttelt", erzählte Bryant. Am Mittwoch geht es in seiner Heimatstadt Philadelphia weiter.
George: "Kobe war mein Jordan"
Die Mamba hat Zeit seiner Karriere polarisiert, dennoch gibt es fast niemanden in der Liga, der mehr Respekt genießt. Spieler wie Damian Lillard, Mike Conley oder James Harden fragen ihn regelmäßig um Rat. "Sie bedanken sich für die Inspiration, die Lektionen, die Mentalität. Das bedeutet mir am meisten, so von meinen Kollegen respektiert zu werden. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt."
Seit Jordan hat kein Spieler so viele Nachahmer und Fans inspiriert. Paul George, der die Lakers am Sonntag mit 39 Punkten die "Kobe-Medizin" schlucken ließ, bestätigte dies: "Kobe war mein Jordan." PG-13 ist bei weitem nicht der Einzige, der so empfindet. Daran würden auch die nächsten 400 Backsteine nichts ändern.