Er sieht aus, als wäre er im Urlaub. Draymond Green sitzt nach dem Training der Golden State Warriors direkt neben dem Court: Den Blick auf sein Telefon gerichtet, die Knie in mehrere Schichten Eis eingewickelt. Er wartet. Oder besser: Er lässt warten.
Gut 20 Journalisten wollen mit dem Warriors-Forward sprechen, doch der sieht nicht so aus, als wäre er in Interview-Laune. Er lehnt sich auf dem viel zu klein wirkenden Klappstuhl zurück und greift sich ein isotonisches Kalt-Getränk.
Wenn man Green so sieht, könnte man ihn schnell als arrogant einstufen. Wenn er mit den Medien spricht, unterbricht der 26-Jährige schon mal ein Interview, um darauf hinzuweisen, dass ihn das T-Shirt eines Journalisten irritiert. Oder aber er springt mitten im Interview drei Fragen zurück, weil ihm eine bessere Antwort eingefallen ist. Green liebt das Spiel mit Fans und Medien - und er weiß genau, wie man es spielt.
Und das kommt nicht von ungefähr: Der Forward gilt als einer der intelligentesten Spieler der NBA. Im Umfeld des Teams erzählt man sich Anekdoten - wie Green etwa das gemeinsame Training abbricht, um allen zu erklären, dass man diesen bestimmten Spielzug gegen den nächsten Gegner nicht durchziehen kann. Er könne sich erinnern, dass man dabei in der Vergangenheit ganz böse ausgekontert worden wäre. Niemand glaubt ihm. Nicht einmal die Trainer wissen, wovon er redet. Bis sie nach 20-minütiger Video-Studie zurück in die Halle kommen und ihm recht geben müssen.
Green lebt für diese Momente. "Ich wurde mit diesem Talent gesegnet", sagt er. "Ein fast fotographisches Gedächtnis für Basketball. Und ich werde damit nicht hinter dem Berg halten, mich kleiner machen, den Mund halten, nur weil irgendjemandem meine offene Art nicht gefällt. Wenn man das dann arrogant nennt, dann ist das so."
Dem 26-Jährigen gefällt sein Image. Tough Guy. Harter Arbeiter. Der, der sich - auf eine irgendwie freundliche Art und Weise - mit dem Gegenspieler anlegt, wenn es sein muss. Doch sobald man sich länger mit Green beschäftigt, bröckelt die Fassade. Oder aber sie wird von anderen zum Einsturz gebracht. Wie in diesem Fall von Ian Clark.
Der Warriors-Guard drängelt sich hinter Green vorbei, greift in eine Kühlbox und legt seinem Teamkollegen nonchalant eine Handvoll Eis auf dem Kopf. Green - ohne auch nur eine Miene zu verziehen - massiert sich das Eis genüsslich in die Haare. "Ahhh", sagt er und winkt einen Team-Offiziellen herbei. Jetzt ist er bereit zum Interview.
SPOX: Die Stimmung im Team scheint zu passen, kein Anzeichen von Druck. Wie gehen Sie mit den gestiegenen Erwartungen und dem Rekord-Hype um?
Draymond Green (lacht): Ziemlich gut, würde ich sagen. Dafür sorgen wir mit solchen kleinen Einlagen wie eben von Ian. Nein, mal im Enrst. Für uns geht es darum, jeden Tag Spaß an dem zu haben, was wir machen. Das ganze Drumherum, die Interpretationen und das Auflisten von Rekorden, das überlassen wir lieber den Medien.
SPOX: Also verspüren Sie selbst keinen Druck, reden nicht über den Bulls-Rekord?
Green: Natürlich wollen wir den Rekord brechen - das ist doch klar. Wer würde das nicht. Wir haben aber einen ganz anderen Fokus. Wir sind nicht in die Saison gegangen und haben gesagt: 'Wir müssen unbedingt mehr als 72 Spiele gewinnen'. Wir haben uns viel mehr auf unsere Stärken konzentriert und der Erfolg ist das Resultat. Aber jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind, da wollen wir das natürlich auch zu Ende bringen.
SPOX: Also doch ein bisschen Druck... oder besser: Erwartungshaltung?
Green: Lassen Sie mich das kurz mal durchrechnen: 20 Jahre sind seit der legendären Bulls-Saison vergangen. In diesen 20 Jahren haben es alle 30 NBA-Teams jede Saison aufs Neue versucht - und sind gescheitert. Ich denke also nicht, dass es da viel Druck gibt. Aber vielleicht sehe ich das auch nur entspannter als viele andere. Für mich ist es viel wichtiger, hungrig zu bleiben, immer mehr zu wollen - und den Ritt zu genießen.
SPOX: Ist das nicht ein schwieriger Balanceakt - den Erfolg genießen und dennoch hungrig bleiben? Viele Experten hatten nach dem Titelgewinn davor gewarnt, nicht selbstgefällig zu werden - sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Wie haben es die Warriors geschafft, im Jahr nach dem ersten Titel sogar noch bissiger zu sein?
Green: Das ist schwer zu sagen. Wir haben ein junges, hungriges Team und sind noch lange nicht fertig. Und man muss das auch mal so sehen: Wir haben in diesem Jahr noch nicht wirklich viel erreicht. Die Bilanz ist beeindruckend, das stimmt. Aber die zählt am Ende nicht, wenn einem in den Playoffs plötzlich die Puste ausgeht.
SPOX: Wie sehr wird Ihnen eigentlich im Liga-Alltag bewusst, was Sie da gerade erreichen? Bleibt überhaupt die Zeit, um den Erfolg zu verarbeiten?
Green: Es kann schon passieren, dass man manchmal etwas mitgerissen wird. Dann blickt man wenig später zurück und sagt: 'Wow! Was war denn hier gerade los?' Aber insgesamt halten wir uns als Team gegenseitig immer irgendwo in der Balance zwischen 'den Moment auskosten, den Erfolg genießen und sich bewusst werden, dass man Teil von etwas Großem ist' und 'bloß nicht zu viel genießen und selbstgefällig werden.'
SPOX: Welche Rolle spielen Medien und Fans dabei? Der Andrang ist mittlerweile extrem. Noch vor zwei Jahren konnten Sie relativ unbehelligt agieren, jetzt sind bei jedem Training und in jedem Hotel Fans und Reporter dabei. Macht das Spaß?
Green: Es hat sich auf jeden Fall viel verändert. Nehmen Sie uns beide als Beispiel. Als wir uns mit Steph vor zwei Jahren zum ersten Interview getroffen haben, waren Sie fast der einzige Reporter, der sich beim Auswärtsspiel für uns interessiert hat. Jetzt stehen Fans und Fernsehen überall Schlange. Das ist eine krasse Veränderung, auf die man sich erst einstellen muss - dann ist es aber unglaublich cool. Das totale Rockstar-Program.