Fast genau fünf Jahre ist es her. Die Orlando Magic führen im heimischen Amway Center Ende des dritten Viertels mit 25 Punkten Vorsprung. Die Washington Wizards scheinen so gut wie geschlagen, das Spiel ist gelaufen.
Entsprechend uninspiriert sieht auch der abschließende Spielzug des Viertels aus: Kirk Hinrich wird isoliert, täuscht den Drive nach rechts an, wechselt zurück zur linken Hand, zieht in die Zone - und plötzlich liegt Gegenspieler J.J. Redick neben ihm auf dem Boden.
Auf den Hosenboden gesetzt durch ein Crossover von Kirk Hinrich - nicht gerade die Explosivität in Person. Bis heute ist es die wahrscheinlich bekannteste Szene in der Profikarriere des Shooting Guards. In jedem Fail- oder Blooper-Video taucht es auf - auch weil Teamkollege Jameer Nelson sich über das Missgeschick seines Mitspielers am meisten amüsiert und die Szene in der folgenden Pause noch einmal voller Schadenfreude nachspielt.
Superstar am College
Redick selbst dürfte seinen Ausrutscher schnell wieder abgehakt haben. Dennoch versinnbildlicht dieser auch ein wenig die ersten Jahre des Dukies in der NBA.
Am College war Redick ein Superstar. Er spielte für eine der größten Mannschaften unter einem der größten Trainer. Die vollen vier Jahre. Der Scharfschütze brach reihenweise Rekorde, in seinem letzten Jahr erzielte er 27 Punkte pro Spiel und wurde zum College-Spieler des Jahres erkoren.
Als Blue Devil polarisierte er außerdem zusätzlich, CBS kürte ihn gar zum "meistgehassten Athleten in Amerika". Trotz seines fortgeschrittenen Alters von fast 22 Jahren wurde er von den Magic an elfter Stelle im Draft ausgewählt.
Stotternder NBA-Start
Von da an verblasste Redicks Stern am Basketball-Himmel allerdings. Wie so viele Score-First-Player kam er mit dem abrupten Sprung von der ersten Option zum Rollenspieler nicht wirklich zurecht. Auch wenn seine Wurfqualitäten nicht abnahmen, kam Redick drei Jahre lang nicht über ein Dasein als Rollenspieler und einen Punkteschnitt von 6 Punkten hinaus. Mit den Magic schaffte er es zwar bis in die NBA Finals, der klare Superstar des Teams war jedoch Dwight Howard, J.J. kam nur von der Bank.
Anders als so mancher Spieler mit vergleichbarem Schicksal, wie aktuell beispielweise Jimmer Fredette, bekam Redick jedoch die Kurve. Der Swingman verbaschiedete sich vom Superstardasein und stellte sein Spiel radikal um. Aus dem wackligen Verteidiger wurde ein respektabler Defender, der frühere Nummer-eins-Scorer lief in der Offensive plötzlich unermüdlich durch Screens. "Um in dieser Liga zu bleiben, musst du ein Arbeiter sein", erklärte der 31-Jährige erst kürzlich in seinem eigenen Podcast bei The Vertical.
Wie ein guter Wein
Heute hat sich diese Arbeit ausgezahlt. Redick ist einer der Schlüsselspieler bei den Los Angeles Clippers und zählt ohne Frage zu den besten Shootern der NBA. In einem Alter, in dem andere Spieler ihren Zenit langsam aber sicher überschreiten, zaubert er die beste Saison seiner Karriere aufs Parkett.
Mit 16,5 Punkten pro Spiel legt die Nummer vier in dieser Spielzeit so viele Punkte pro Spiel auf wie nie zuvor, auch die Dreierquote von 47,5 Prozent stellt ein neues Career High dar. In beiden Kategorien pulverisierte er zudem Bestmarken, die er erst in der vergangenen Saison gesetzt hatte.
Trotz seiner herausragenden Leistungen fliegt der Shooting Guard weiter unter dem Radar. In die Sphären der Big Three Chris Paul, Blake Griffin und DeAndre Jordan kann er medial nicht einmal ansatzweise vorstoßen. Viele Fans schreiben Redicks Namen immer noch fälschlicherweise mit zwei D, die größte Aufmerksamkeit bekam er in diesem Jahr nicht für sein 40-Punkte-Spiel gegen die Rockets, sondern für ein verrücktes Post-Game-Interview, das er abrupt abbrach, um nicht als letzter Spieler in der Kabine zu erscheinen.
Der wichtigste Offensiv-Spieler?
Dabei bewegt sich Redick in dieser Spielzeit in mehr als nur elitären Kreisen. In puncto True Shooting Percentage sind ihm nur die Superstars Stephen Curry und Kevin Durant voraus. Aus der Distanz zwischen 20 und 29 Fuß zum Korb trifft einzig der MVP noch besser. Und bei Catch-and-Shoot-Würfen weist der Clipper sogar die beste Feldwurfquote der ganzen Liga auf.
All diese Werte machen Redick zu einem der wichtigsten Offensiv-Spieler der Clippers. Noch vor Jordan. Vielleicht sogar noch vor Griffin. Vielleicht sogar auch vor Paul?
Ständig in Bewegung
Es steht außer Frage, dass der Scharfschütze von den Passqualitäten seines Point Guards enorm profitiert, immerhin geht fast 90 Prozent aller Field Goals von Redick ein Assist voraus. Allerdings hilft er seinen Mitspielern durch seine konstante Bewegung abseits des Balls in ähnlicher Art und Weise.
Spielzüge, in die kein Off-Ball-Movement von Redick involviert ist, existieren im Playbook der Clippers praktisch nicht. Anders als bei vielen anderen Shootern endet die Bewegung des 31-Jährigen mit dem erstmaligen Erhalten des Balls zudem nicht, häufig gibt er diesen per kurzem Pass oder Hand-Off wieder ab, um anschließend einen weiteren Screen zu nutzen. Die Anzahl von Teams, die diese Aktionen im Team oder durch einen einzigen individuellen Verteidiger konstant verteidigen können, lassen sich an einer Hand abzählen.
So kommt es, dass Redick das höchste Offensivrating der Clippers aufweist. In der NBA sind nur Golden States Mega-Quartett Curry, Draymond Green, Klay Thompson und Andre Iguodala, sowie die Thunder-Stars Durant und Russell Westbrook noch besser unterwegs. Beim Net-Rating ist Redick ligaweit nach Teamkollege Luc Mbah a Moute der beste Spieler, der nicht in Oakland oder San Antonio seine Brötchen verdient.
Zurück im Kreis der Top-Teams
So trägt auch er seinen Teil dazu bei, dass Los Angeles trotz einiger Rückschläge und eines enttäuschenden Saisonstarts zurück im Rennen um den dritten Platz in der Western Conference ist. In Abwesenheit des verletzten Griffins steigerte Redick seinen Punkteschnitt nochmals, seine Quoten blieben auch ohne den besten Scorer des Teams konstant.
Langsam aber sicher haben sich die Clippers so zurück in den Kreis der Top-Teams gespielt. Seit der Verletzung von Griffin gewann das Team 25 von 33 Spielen. Darunter waren unter anderem Siege über die Spurs und die Thunder sowie eine knappe Niederlage gegen die Warriors. "Das ist definitiv ein Team, das alle wichtigen Teile hat und das sich in die richtige Richtung bewegt", zeigte sich Neuzugang Jeff Green zufrieden mit seiner neuen Franchise.
"Wir sind nicht so gut wie Golden State"
Die Hoffnungen der Clippers sind klar. Noch befindet man sich nicht auf einem Niveau mit den nahezu unschlagbar erscheinenden Warriors und Spurs. Durch eine gute Integration von Griffin, der kurz vor seinem Comeback steht, und Neuzugang Green hofft Coach Rivers allerdings, die fehlenden Level zur Konkurrenz doch noch ausgleichen zu können.
"Wir sind nicht so gut wie Golden State, deshalb müssen wir uns weiter verbessern", erklärte der Meistertrainer nach dem Blowout-Sieg über die Phoenix Suns Ende Februar. "Das sage ich meinen Jungs Tag für Tag. Jedes Training und jedes Spiel sind Vorbereitungen für die Playoffs und genau so gehen wir diese Aufgaben an."
Wollen die Clippers ihre ambitionierten Ziele erreichen, brauchen sie dafür auch einen Redick in Topform. Vor zwei Saisons ging der Shooting Guard angeschlagen in die Playoffs, in diesem Jahr will er in bester Verfassung angreifen. Am liebsten auch in den Finals. Und zum ersten Mal als Leistungsträger.