Nur wenige Minuten waren im zweiten Viertel gespielt, als LeBron James das erste Ausrufezeichen auf den dominanten Auftritt der Cavaliers setzte. Der King sah sich einem Eins-gegen-Eins mit DeMarre Carroll gegenüber. Ein direktes Duell mit dem wahrscheinlich besten Verteidiger der Raptors? Kein Problem für LeBron!
Mit einem schnellen ersten Schritt war er an seinem Gegenspieler vorbei, an der Baseline entlang ging es Richtung Korb. Als die Help-Defense der Raptors endlich kam, hatte LBJ den Spalding schon längst durch die Reuse gehämmert - der Höhepunkt eines 20:2-Laufs und gleichzeitig eine 17-Punkte-Führung für Cleveland.
Diese Szene stand sinnbildlich für das erste Aufeinandertreffen der Cavaliers und Raptors in Spiel 1 der Eastern Conference Finals, vor allem aber für die unglaubliche Dominanz von LeBron und Co. Mit am Ende 31 Zählern fegte Cleveland die Raptors aus der Halle, ein Franchise-Rekord der Cavs für den höchsten Sieg in einem Playoff-Spiel. Toronto hatte nicht den Hauch einer Chance.
Es regnet Franchise-Rekorde
So ging es in letzter Zeit vielen Teams, die gegen die Cavaliers antreten mussten. Mit dem Erfolg gegen die Kanadier gelang den Cavs der 16. Playoff-Sieg gegen einen Rivalen aus dem Osten in Folge. Die Mannschaft von Head Coach Tyronn Lue ist erst das fünfte Team in der NBA-Historie, das seine ersten neun Playoff-Partien in der Postseason gewinnen konnte - ganz nebenbei ein weiterer Franchise-Rekord für die Cavs.
"Wir haben ein Ziel und das lautet nicht, neun Spiel in Folge zu gewinnen", versuchte James den Rekord herunterzuspielen. "Das liegt nicht in unserem Fokus. Als Leader des Teams werde ich sichergehen, dass auch die anderen wissen, was unser Ziel ist." Das ist ohne Frage die Meisterschaft. Sieben Siege fehlen noch, um dieses Ziel zu erreichen. Erst einmal müssen sich die Cavaliers aber um die Raptors kümmern.
Kein reines Jump-Shooting-Team
Der Auftritt in Spiel 1 lässt die Vermutung zu, dass das aber eher kein allzu großes Problem für den King und seine Kollegen sein wird. Immerhin war zwischen den Cavs und Raptors ein deutlicher Klassenunterschied zu sehen, den Cleveland seinen Gegner auch spüren ließ. Dabei zeigten die Cavs allerdings ein anderes Gesicht als noch in den Runden zuvor - und bewiesen auch ihren letzten Kritikern, dass sie nicht bloß auf ihre Shooting-Qualitäten reduziert werden dürfen.
"Wir sind kein Jump-Shooting-Team", erklärte LeBron auf der Pressekonferenz nach der Partie. "Wir sind ein ausbalanciertes Team. Wir sind in der Lage, uns an das anzupassen, was uns das Spiel vorgibt." Das wurde gegen Toronto mehr als offensichtlich.
Die Raptors hatten ganz offenbar keine Lust, ähnlich wie die Hawks in den Conference Semisinals, in einem Dreierregen der Cavs unterzugehen, und ließen den Schützen relativ wenig Platz. Doch Torontos Defense konnte natürlich nicht überall gleichzeitig sein und so boten sich den Cavs viele Räume in der Zone - aus Sicht der Raptors zu viele, wie sich im Laufe der Partie herausstellen sollte.
Einfach nicht zu stoppen
Angeführt von Kyrie Irving und eben James attackierten die Gastgeber unaufhörlich den Ring. Im Eins-gegen-Eins waren sie nicht zu stoppen und da die Raptors-Defense auf die Distanzschützen konzentriert war, kam die Help-Defense regelmäßig viel zu spät. Das nutzte Cleveland gnadenlos aus.
Unglaubliche 17 der ersten 21 Wurfversuche in der Painted Area fanden den Weg durch die Reuse. Das entspricht einer Quote von 80,9 Prozent! Den meisten Schaden richteten James und Irving an, die zusammen genommen 51 Punkte erzielten und dabei 22 ihrer 30 Würfe aus dem Feld versenkten - die meisten davon in unmittelbarer Ringnähe.
Auf der Suche nach der Balance
"Das ist ziemlich demoralisierend", musste Raptors-Coach Dwane Casey zugeben. "Du willst den Dreier wegnehmen, aber gleichzeitig nicht zu viele Räume in der Zone öffnen und ihnen einfache Korbleger schenken. Da müssen wir disziplinierter sein und besser verstehen, wo die Hilfe herkommen muss und in welchem Winkel wir am besten den Close-Out machen."
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Wenn die Raptors auch nur einen einzigen Sieg in den Conference Finals holen wollen, dann muss genau das in den kommenden Partien besser klappen. Das weiß auch Casey: "Wir müssen eine Balance finden. Ich denke, das ist der Schlüssel zur kompletten Serie." Doch die richtige Balance in der Verteidigung zu finden, ist nicht das einzige Problem. Auch in der Offense muss sich Toronto verbessern.
Raptors lassen Aggressivität vermissen
Das gilt vor allem für den Backcourt. In Abwesenheit von Jonas Valanciunas, der mit seiner Knöchelverletzung auch für Spiel 2 in der Nacht von Donnerstag auf Freitag fraglich ist, liegt mehr Verantwortung auf den Schultern von Kyle Lowry und DeMar DeRozan. Doch nach guten Auftritten in den Spielen zuvor fielen die beiden wieder in ihr Loch vom Beginn der Postseason zurück.
DeRozan erzielte immerhin 18 Zähler (9/17 FG), während Lowry gerade mal auf 8 Punkte bei 4 von 14 aus dem Feld kam. Beide hatten Probleme mit dem Ballhandling (Lowry: 4 TO, DeRozan: 3 TO) und vor allem: Nicht einmal im kompletten Spiel fanden die Guards den Weg an die Freiwurflinie! Damit blieben die beiden zum ersten Mal in 269 gemeinsamen NBA-Spielen ohne einen einzigen Freiwurf.
Das Credo für die kommende Partie ist damit klar: "Einfach aggressiver sein", so DeRozan. "Wir müssen von Anfang an mit dieser Einstellung rausgehen, so wie wir es normalerweise machen. Ich glaube, heute hat uns das gefehlt." Wenn der Backcourt der Raptors nicht bald wieder in die Spur findet, könnten die Eastern Conference Finals schneller wieder vorbei sein, als es Toronto lieb ist.
Cleveland wie von einem anderen Stern
Die frenetischen Fans der Kanadier müssen also auf Lowry und DeRozan hoffen, ebenso wie auf eine stark verbesserte Defense. Eine Rückkehr von Valanciunas würde ebenfalls helfen, allein um den Raptors eine weitere Option im Angriffsspiel zu bieten. Wann das der Fall sein wird, steht allerdings in den Sternen, genau wie die Antwort auf die Frage, ob das gegen die Cavs auf diesem Niveau überhaupt reicht.
Cleveland präsentierte sich in Spiel 1 wie von einem anderen Stern und überragte die Gäste in allen Belangen. So sieht pure Dominanz aus. Dafür gebührt den Cavaliers einiges an Respekt und Anerkennung. Das zählt für LeBron James und Co. aber genauso wenig wie neue Franchise-Rekorde.