Seit 20 Jahren berichtet K.C. Johnson für den Chicago Tribune über die Bulls. Im Interview verrät er seine Meinung über das aktuelle Team und die Trennung von Derrick Rose, wagt eine Prognose und gibt Einblicke in eine mögliche Rolle von Paul Zipser.
SPOX: Herr Johnson, was haben Sie als Bulls-Insider schon von Paul Zipser gehört? Was weiß man über ihn in Chicago?
K.C. Johnson: Mein Wissen über Paul Zipser ist ziemlich auf das beschränkt, was man aus Team-Kreisen hört. Ich schaue kaum Spiele der BBL, aber ich habe natürlich seine Highlights gesehen. Ich schätze ihn als athletischen Flügelspieler ein, der zudem über einen guten Wurf verfügt und sich ordentlich reinhängt. Natürlich muss er sich an das Tempo in der NBA gewöhnen. Aber es wird schon deutlich, dass die Bulls das Gefühl haben, dass er schon im nächsten Jahr etwas beisteuern kann - gerade im Bereich Shooting, wo Chicago nicht so stark sein wird, soll er helfen.
SPOX: Die Verantwortlichen sehen in ihm also eher einen Rotationsspieler als ein Langzeitprojekt?
Paul Zipser im Interview: "Freue mich total auf Wade"
Johnson: Zipser wird die Chance bekommen, das steht fest. Die Bulls versuchen, einen Umbruch zu schaffen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür haben sie den erfahreneren Neuzugängen junge und athletische Spieler an die Seite gestellt. Paul ist einer davon.
SPOX: Sehen Sie denn eine Lücke, in die Paul schlüpfen kann?
Johnson: Zipser hat genau das Skill-Set, das den Bulls fehlt. Der NBA-Dreier sollte für ihn kein Problem darstellen. Chicago musste Mike Dunleavy traden, um Dwyane Wade unter Vertrag nehmen zu können. Daher ist eine Möglichkeit für Zipser da. Mit Doug McDermott und Nikola Mirotic gibt es natürlich noch andere Shooter im Team, aber in der neuen NBA brauchst du so viel Spacing, wie du kriegen kannst.
SPOX: Ein ähnliches Schicksal wie Tibor Pleiß, der für die Utah Jazz viel Zeit in der D-League verbracht hat, blüht Zipser also nicht?
Johnson: Vielleicht muss ich meine Worte etwas relativieren: Er ist immer noch ein Zweitrundenpick. Viele von ihnen schaffen es nicht einmal ins Roster, geschweige denn in die Rotation. Er wird kämpfen müssen, aber er wird die Möglichkeit bekommen, sich zu beweisen. Dann kommt es natürlich darauf an, was er selbst draus macht. Dennoch habe ich die Bulls lange nicht mehr so positiv und erwartungsvoll über einen Zweitrundenpick sprechen hören wie über Paul.
SPOX: Lassen Sie uns über die konkrete Rotation sprechen: Könnte Zipser als Backup für Jimmy Butler fungieren?
Johnson: Das wäre denkbar, aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wade wird sicherlich nicht so viel spielen, daher sind auf den Flügelpositionen Minuten zu vergeben. Erstrundenpick Denzel Valentine wird sich hier erst einmal beweisen dürfen, aber auch er hat einen großen Sprung aus der NCAA in die NBA vor sich. Paul kommt aus Deutschland, er hat schon als Profi gespielt. Butler wird auf der Drei spielen, McDermott wird, wenn das Matchup stimmt, sowohl auf der Drei als auch auf der Vier eingesetzt werden. Er wird die erste Shooting-Option des Teams sein. Wenn er gut spielt und solide verteidigt, dann wird er nächste Saison eine Menge Spielzeit bekommen.
Triangle-Offense: "Zipser kann von Bulls-Chaos profitieren"
SPOX: Würden Sie Bobby Portis als Power Forward starten lassen? In der Summer League hat er sich noch einmal verbessert gezeigt.
Johnson: Nein, ich würde mit Mirotic auf der Vier beginnen. Die Starting Five braucht wegen Rajon Rondo und Wade einfach sein Shooting. Das ist natürlich nicht in Stein gemeißelt, aber er wird wohl die erste Option sein.
SPOX: Wie geht Coach Fred Hoiberg Ihrer Erfahrung nach mit Rookies um?
Johnson: Da hat er keine besonderen Vorurteile. Jedem Spieler, der ihm hilft zu gewinnen, gibt er Einsatzzeit. Im letzten Jahr musste er sich erst einmal an den Head Coaching Job in der NBA gewöhnen, aber diese Offseason hat er viel gearbeitet und freut sich definitiv über seinen neuen Kader. Sicher wird er auch ein bisschen experimentieren, aber man muss sich auf jeden Fall keine Sorgen machen, dass er seine Rookies aus Prinzip übergeht.
SPOX: Hoiberg hat sich in der vergangenen Saison sehr zurückgehalten und sich nur selten öffentlich geäußert. Wie haben Sie, der jeden Tag im United Center ist, ihn erlebt?
Johnson: Ich habe Fred sowohl in seinen vier Jahren als Spieler der Bulls als auch nun seit letztem Sommer als Coach begleitet. Ich kenne ihn und seine Art also schon knapp 17 Jahre. Er ist kein lauter Typ, geht auch selten die Spieler an. Er ist diplomatisch und es stört ihn nicht, wenn sich Spieler äußern und Vorschläge machen. Er hatte ein komplett neues Roster, mit dem er arbeiten muss, daher war auch für ihn Vieles neu. Jetzt möchte er nach der verkorksten letzten Saison natürlich beweisen, dass er auf dem NBA-Level erfolgreich sein kann.
SPOX: Wie schwer war es für die Franchise, die Fans und die Stadt, Local Hero Derrick Rose gehen zu lassen?
Johnson: Ein Teil der Fan-Base war schon länger der Meinung, dass Rose und die Bulls schon zu lange versucht hatten, wieder zueinanderzufinden. Die Story war zu schön, um wahr zu sein: ein Spieler aus der eigenen Stadt, der es vom No.1-Pick 2008 zum MVP 2011 geschafft hat. Und dann kam 2012 der erste große Einschnitt mit dem Kreuzbandriss. Bis dahin konnte er nichts falsch machen, doch danach wurde er einfach nie mehr richtig fit. Dennoch haben beide Seiten lange versucht, es irgendwie miteinander hinzukriegen, aber letztendlich mussten sie sich eingestehen, dass es zu anstrengend war - und zum Scheitern verurteilt. Ein Großteil der Fans ist froh über den Neustart.
SPOX: Dann denken Sie, dass seine Karriere nicht mehr zu retten sein wird?
Johnson: Das würde ich so nicht sagen. Rose ist jetzt gesund und wird mit Sicherheit ein gutes Jahr für die Knicks hinlegen. Aber man muss auch sehen, dass er jetzt in sein letztes Vertragsjahr kommt und die Bulls auf Nummer sicher gegangen sind, indem sie ihn jetzt getradet haben. Anderweitig hätten sie riskiert, ihn im nächsten Sommer ohne Gegenwert zu verlieren.
SPOX: Sehen Sie es auch als richtige Entscheidung an?
Johnson: Ich bin einer der wenigen Journalisten, die nicht gerne General Manager spielen. Und ich bin auch nicht wirklich gut darin. (lacht) Aber nein, ich denke, es war nicht richtig, ihn jetzt zu traden. Er war letzte Saison das erste Mal seit vier Jahren nicht verletzt, ist gesund und motiviert. Ich kann die Entscheidung des Managements zwar verstehen, aber ich persönlich hätte es nicht getan.
SPOX: Was ist drin für die Bulls in dieser Saison?
Johnson: Ich halte nicht wirklich viel von Vorhersagen vor der Saison. Deshalb spielt man ja die Spiele, oder nicht? Viele Fragen lassen sich im Vorfeld einfach nicht beantworten. Aber vom Talent her, und wenn sie von größeren Verletzungen verschont bleiben, sind die Bulls definitiv im Kampf um die Playoffs dabei. Es wird natürlich kein Selbstläufer. Viele Teams haben sich verbessert: Boston durch die Verpflichtung von Al Horford, Toronto durch einige gute Moves, und Cleveland ist natürlich Cleveland. Chicago hat nach der letzten Saison jedoch etwas gut zu machen und ein komplett anderes Team. Wie gesagt mache ich ungern Vorhersagen. Aber: Die Bulls werden die Playoffs erreichen. Wie ist das? (lacht)