"Man sollte Russell nicht widersprechen"

Dirk Sing
16. Januar 201716:32
Enes Kantergetty
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Enes Kanter ist bei den Oklahoma City Thunder als Sixth Man unverzichtbar. Im Interview mit SPOX spricht er über Veränderungen im Team seit dem Abgang Kevin Durants, der Anführer-Rolle von Russell Westbrook und über Reisen durch Europa. Außerdem klärt er über das Verhältnis zu seinem "Konkurrenten" Steven Adams auf.

SPOX: Enes, da Sie in Zürich geboren worden sind, könnten wir dieses Interview fast auf Deutsch führen, oder?

Enes Kanter (lacht): Oh ja, ich wünschte, dass ich das tatsächlich könnte. Dann würde ich das natürlich auch sehr gerne machen. Als ich neun Monate alt war, bin ich allerdings mit meinen Eltern zurück in die Türkei gegangen. Heute würde ich mir wünschen, dass wir viel länger in Zürich geblieben wären, damit ich eine weitere Sprache hätte lernen können. Ich habe aber schon gehört beziehungsweise weiß auch aus eigener Erfahrung, wie schwierig die deutsche Sprache ist.

SPOX: Sie waren erst in der Sommerpause für einige Tage in Deutschland! Was war der Hintergrund Ihres Besuchs?

Kanter: Ja, das stimmt. Ich habe insgesamt sechs Städte in Deutschland, darunter Berlin und Köln, bereist. Das Ganze war ein Teil einer Tour durch Europa, Afrika und Asien. Neben vielen Schulen habe ich dabei beispielsweise auch Projekte besucht, die sich um Kinder kümmern, denen es nicht so gut geht. Wissen Sie, für mich ist es wichtig, den Leuten etwas zurückzugeben. Um auf Deutschland zurückzukommen: Dort hat es mir sehr, sehr gut gefallen. Europa liebe ich ja ohnehin. Gerade die Spiele und das Herumreisen mit der Nationalmannschaft haben mir immer viel Spaß gemacht.

SPOX: Lassen Sie uns auf das Sportliche zu sprechen kommen. Seit Monaten gibt es rund um die Oklahoma City Thunder eigentlich fast nur ein Thema beziehungsweise eine Person, über die permanent gesprochen wird: Die Triple-Double-Maschine Russell Westbrook. Sie spielen mit ihm seit Februar 2015 zusammen und kennen ihn daher sehr gut. Sind Sie von seinen bisherigen Leistungen überrascht?

Kanter: Eigentlich nicht. Seit ich bei den Thunder spiele, habe ich Russ als einen Spieler kennengelernt, der unglaublich hart an sich arbeitet. Selbst wenn wir mal einen Tag frei haben, geht er oftmals in die Halle, um an irgendwelchen Details zu feilen. Seine Einstellung ist einfach unglaublich. Wie ernst er das Ganze nimmt, hat man ja auch beispielsweise beim All-Star Game gesehen. Während viele andere Jungs eigentlich ganz entspannt und locker etwas gezockt haben, hat er Vollgas gegeben und wollte auch diese Partie unbedingt gewinnen. Das ist Russ! Er ordnet alles dem Erfolg unter. Mit seiner Einstellung und seinem Auftreten macht er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitspieler besser. Das ist wirklich sehr beeindruckend.

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SPOX: Sind Sie also der Meinung, dass er im Vergleich zur vergangenen Spielzeit nochmals einen Schritt nach vorne gemacht hat?

Kanter: Oh ja, definitiv! Wie schon gesagt, er wird in meinen Augen von Tag zu Tag besser. Er hat in der letzten Saison bereits erstklassige Leistungen für unser Team abgeliefert und es jetzt geschafft, sein Spiel nochmals auf ein höheres Level zu heben. Wann und wo das enden wird, ist unmöglich zu beantworten.

SPOX: Wenn wir erneut bei der Saison 2015/2016 bleiben, als sich Oklahoma City erst in den Conference Finals den Golden State Warriors geschlagen geben musste: Würden Sie sagen, dass die Thunder bereits zu diesem Zeitpunkt Westbrooks oder noch Kevin Durants Team waren?

Kanter: Es war bereits im letzten Jahr ganz klar die Mannschaft von Russell. Er war unser Point Guard und Floor General, der die Kommandos auf dem Feld und auch in der Kabine gegeben hat. Jeder im Team hat auf ihn gehört und ist ihm gefolgt. Von dem her war Russ auch schon in der Vergangenheit definitiv unser Anführer.

SPOX: Wie würden Sie Ihre Gefühlslage beschreiben, als Sie im Sommer davon erfahren haben, dass Kevin Durant die Thunder verlässt und sich den Golden State Warriors anschließt?

Kanter: So hart es vielleicht klingen mag - aber so läuft es nun mal in diesem Geschäft! Jeder muss für sich die aus seiner Sicht beste Entscheidung treffen und diese dann auch gegenüber sich selbst verantworten. Kevin hat sich dazu entschieden, künftig bei den Warriors zu spielen. Wir können nichts dagegen machen, sondern müssen das so akzeptieren. Für uns galt es, uns darauf zu konzentrieren, was wir selbst beeinflussen können - nämlich unsere Leistung und unser Team. Und genau das haben wir auch gemacht.

SPOX: Können Sie beschreiben, wie sich die Spielweise der Thunder in Jahr eins nach KD verändert hat?

Kanter: Nun, ich denke, wenn man uns beobachtet, dann kann man sehr gut erkennen, dass wir in diesem Jahr den Ball deutlich mehr laufen lassen als zuvor. Dadurch ist jeder Akteur auf dem Court noch mehr in unser Spiel eingebunden, was uns gerade in der Offensive zusätzliche Optionen bietet. Auch wenn Russell bislang schon unser Anführer war, führt er das Team jetzt noch intensiver. Von der Entwicklung her befinden wir uns sicherlich auf einem sehr guten Weg.

SPOX: Hat sich mit dem Abgang von Kevin Durant auch Ihre Rolle und Verantwortung in der Mannschaft verändert?

Kanter: Das würde ich auf alle Fälle so sagen, ja! Meine Aufgabe ist es, von der Bank kommend, praktisch unsere zweite Fünf zu führen und auf beiden Seiten des Courts für möglichst viel Energie zu sorgen. Aber auch ansonsten bin ich jetzt noch wesentlich mehr ins Offensivspiel eingebunden. Gerade wenn Russell mit auf dem Feld steht, profitiere ich dabei ungemein. Er zieht oftmals mehrere Gegenspieler auf sich und hat dann das Auge für den freien Big Man. Darüber hinaus bekomme ich von unserem Coach Billy Donovan viel Vertrauen und stehe auch in knappen Partien am Ende auf dem Court. Das alles gibt mir sehr viel Selbstvertrauen.

SPOX: Viele Experten hatten dennoch vor Saisonbeginn erwartet, dass Sie Starter sein würden. Sind Sie selbst ein wenig enttäuscht, dass Sie "nur" von der Bank kommen beziehungsweise wie schwierig ist es, sofort den gewohnten Spiel-Rhythmus zu finden?

Kanter: Nein, enttäuscht bin ich darüber definitiv nicht. Unser Coach hat sich für eine Rotation entschieden, die momentan am besten für unser Team ist und die es uns ermöglicht, von Anfang bis zum Ende Druck auf unsere Gegner auszuüben. Ob du startest, von der Bank kommst, ob du eine oder 48 Minuten spielst - das ist letztlich zweitrangig. Wenn du auf dem Feld stehst, musst du deinen Job ganz einfach so gut wie möglich erfüllen. Letztlich geht es ausschließlich um den Erfolg der Mannschaft. Was den Rhythmus betrifft: Ich komme damit eigentlich ganz gut klar! Wenn ich zu Beginn auf der Bank sitze, versuche ich das Spiel so gut wie möglich zu beobachten und gleichzeitig ein Gefühl dafür zu entwickeln. Wenn der Coach dann meinen Namen ruft, bin ich mental schon drin in dieser Partie. Das hilft mir jedenfalls ungemein.

SPOX: Sie teilen sich die Center-Position zumeist mit Steven Adams, der - wenn man so will - letztlich auch so etwas wie Ihr Konkurrent im eigenen Team ist. Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihren neuseeländischen Mannschaftskollegen beschreiben?

Kanter: Steven ist wie ein Bruder für mich! Seit meinem ersten Tag bei den Thunder verstehen wir uns prächtig. Er hat mir von Beginn an geholfen, dass ich mich hier - auch außerhalb der Basketball-Halle - bestens einlebe. Auf dem Court pushen wir uns sowohl in der Offensive als auch in der Defensive gegenseitig. Das macht uns beiden einen riesengroßen Spaß. Zudem schickt uns Donovan ja auch in den Spielen vermehrt gemeinsam aufs Feld, was richtig cool ist. Ich glaube, dass wir beide zusammen unseren Gegnern das Leben richtig schwer machen können. (lacht)

SPOX: Apropos Defensive: Ihre Verteidigungsarbeit galt bislang - gelinde ausgedrückt - nicht unbedingt als Ihre große Stärke. Ihr Teamkollege Westbrook meinte dazu auf Nachfrage von SPOX, dass Sie sich in diesem Bereich "deutlich verbessert" hätten. Würden Sie dem zustimmen?

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Kanter: Wenn Russell so etwas sagt, sollte man ihm natürlich nicht widersprechen. (lacht) Nein, ich habe im Sommer schon hauptsächlich an meiner Verteidigung gearbeitet. Das Hauptaugenmerk habe ich dabei auf meine Beinarbeit gelegt, damit ich mich einfach schneller und gezielter bewegen kann. Ich denke, dass das der entscheidende Faktor ist. Was das betrifft, fühle ich mich jetzt deutlich besser und beweglicher. Nachdem der Satz "Offense wins games, Defense wins championships" immer noch stimmt, musste ich mich in diesem Bereich ganz einfach verbessern.

SPOX: Ihr ehemaliger Mannschaftskamerad von den Utah Jazz, Rudy Gobert, hat vor wenigen Wochen in einem Interview gesagt, dass er sich augenblicklich für den besten Big Man in der NBA hält. Hat er recht beziehungsweise was halten Sie von dieser Aussage?

Kanter (grinst): Nun, Rudy kann ja sagen, was er will oder was er denkt. Das ist sein gutes Recht. Ob das jetzt stimmt oder nicht, will ich gar nicht groß kommentieren. Fakt ist, dass viele junge Center in dieser Liga immer besser und besser werden. Wer letztlich tatsächlich der beste Big Man in der NBA ist, sollen die Experten entscheiden. Ich denke, dass die Meinungen bei einem solchen Thema immer weit auseinander gehen.

SPOX: Stichwort Utah: Würden Sie heute sagen, dass Ihr Trade im Februar 2015 von den Jazz zu den Oklahoma City Thunder letztlich ein echter Glücksfall für Sie war?

Kanter: Ja, das würde ich zu 100 Prozent unterschreiben! Ich hatte das Glück, zu einem der besten Teams in der NBA getradet zu werden. Die Jungs haben mich super aufgenommen und ich war sofort ein wichtiger Teil der Rotation. Von dem her war es für mich auf alle Fälle ein deutliches Upgrade. Auch wenn wir dann in den Playoffs sehr unglücklich in den Conference Finals gegen die Warriors ausgeschieden sind, war es für mich eine tolle Erfahrung, von der ich heute mit Sicherheit profitiere.

SPOX: Zum Abschluss noch eine private Frage: Sie sind in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram sehr aktiv. Hat das einen bestimmten Grund?

Kanter: Es ist ganz einfach etwas, das mir sehr viel Spaß macht. Für mich persönlich ist es auch eine gute Möglichkeit, mit den Fans in Kontakt zu sein. Sie wollen wissen, was wir auf und neben dem Court so alles machen. Und diese Plattformen bieten dazu eben eine hervorragende Gelegenheit.

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