Isiah Thomas gehört zu den besten Point Guards der NBA-Geschichte. SPOX traf die Legende der Detroit Pistons in London zum Gespräch über die Bad Boys, die heutige NBA und den "Namensklau" der deutschen Handballnationalmannschaft. Und: Seine Einschätzung zu Dennis Schröder.
SPOX: Mr. Thomas, verfolgen Sie eigentlich Handball?
Isiah Thomas (lacht): Entschuldigen Sie, das tue ich leider nicht.
SPOX: Dann ist Ihnen wohl gar nicht bewusst, dass die deutsche Handballnationalmannschaft Ihren Namen geklaut hat? Seit der EM 2016 bezeichnen sie sich als "Bad Boys" - und das hat nichts mit Will Smith oder Martin Lawrence zu tun. Sie wollen Ihnen nacheifern.
Thomas: Ach, das wusste ich gar nicht. Das ist ja überragend! Wie kamen Sie denn auf uns?
SPOX: Der Nationaltrainer Dagur Sigurdsson ist ein großer NBA-Fan. Als er das Gefühl hatte, dass seine Spieler zu weich agierten, zeigte er ihnen die "30 for 30"-Dokumentation über Ihre Pistons. Sie wurden als Underdogs dann tatsächlich Europameister.
Thomas: Ich verstehe. Guter Mann! (lacht)
SPOX: Was löst es bei Ihnen aus, dass ein heutiges Sportteam, das Erfolg haben will, Ihr Team von vor fast 30 Jahren als Vorbild nimmt?
Thomas: Es ist ein großartiges Gefühl. Uns ging es nie nur um Sport - wir wollten natürlich Erfolg haben, aber wir wollten vor allem auch füreinander da sein. Wir wollten Freunde sein, authentische Freunde, die man mitten in der Nacht anrufen konnte, wenn man Redebedarf hatte. Dieser Zusammenhalt hat sich dann auf den Court übertragen. Dass heute, so viele Jahre später und dann auch noch in einer völlig anderen Sportart, eine Mannschaft ausgerechnet uns "kopieren" will, ist ein großartiges Gefühl. Es zeigt mir, dass wir unsere Ziele erreicht haben und dass die Menschen auch verstanden haben, weshalb wir erfolgreich waren.
SPOX: Bekommen Sie so etwas denn öfters zu hören? Ich habe das Gefühl, dass die Leute, wenn es um die 80er und 90er Jahre geht, immer zuerst von den Bulls, Celtics und Lakers sprechen, die Pistons aber gar nicht unbedingt auf dem Schirm haben. Würden Sie mir da zustimmen?
Thomas: Nun, ich bin der Meinung, dass wir vom Establishment immer unterbewertet wurden. Das war damals schon so und das ist auch heute noch der Fall. Von den Menschen dagegen wurden wir geliebt und mehr als wertgeschätzt! Wir waren sozusagen schon immer ein Team des Volkes. Wir haben gegen das Establishment gekämpft, teilweise sogar gegen die Liga. (lacht) Wir waren immer mit unserer Spielweise Revolutionäre in der NBA, was sicher nicht jedem gefiel. Wir wurden nie so vermarktet wie die Celtics und Lakers oder später die Bulls, was ja auch verständlich war. Wir hatten eben nicht diese riesigen Superstars oder den großen Markt, wir waren die Underdogs aus Detroit. Aber unser Erfolg trotz aller Hindernisse kam dafür umso mehr bei den Menschen an.
SPOX: Lag diese fehlende Vermarktung nicht auch daran, dass Sie härter spielten als alle anderen und gerade Bill Laimbeer sehr häufig an der Grenze des Legalen agierte beziehungsweise sie überschritt?
Thomas: Das wird meiner Meinung nach alles ein wenig verklärt. Häufig wird es so dargestellt, als hätten damals nur wir sehr physisch gespielt, aber das taten in Wirklichkeit alle Teams. Boston, Los Angeles, New York, Chicago... wir alle spielten damals mit dem Messer zwischen den Zähnen. Dr. J und Larry Bird haben sich auch mal auf dem Court geprügelt, nur als Beispiel. (lacht) Außergewöhnlich war bei uns eher, dass wir vollkommene Gleichheit gepredigt haben, und zwar nicht nur auf dem Court. Wir waren das Team, das über Rassen- und Geschlechterdiskriminierung gesprochen hat, über alle möglichen sozialen Themen. Heute ist das normal und wird von den Stars auch erwartet, aber damals war es überhaupt nicht "cool", über solche Themen zu sprechen. Ich habe es ja schon gesagt, uns ging es nie ausschließlich um Sport.
Thomas-Porträt: Der Antichrist des Basketballs
SPOX: Dies wurde auch in der angesprochenen "30 for 30"-Dokumentation thematisiert. Haben Sie das Gefühl, dass diese Doku von 2014 die Wahrnehmung der Bad Boys ein wenig verändert hat?
Thomas: Sie hat uns definitiv einem jüngeren Publikum vorgestellt und unsere Geschichte meiner Meinung nach erstmals richtig fair erzählt. Und unser soziales Engagement kam bei den jüngeren, aufgeklärteren Leuten, für die Gleichheit selbstverständlich ist, deutlich besser an als zu unseren Spielzeiten. Heute ist es akzeptabel, solche Diskussionen zu führen, aber die Doku hat einigen Leuten in Erinnerung gerufen beziehungsweise sie darauf hingewiesen, dass wir diesen Diskussionen gewissermaßen auch den Weg geebnet haben. Nochmal: Wenn ein Sportler Ende der 80er anfing, über Rasse und Co. zu sprechen, hieß es eher: "Holt ihn von der Bühne!" Ich bin froh, dass das heute nicht mehr so ist.
SPOX: Das können wir alle sein. Dann lassen Sie uns doch mal zum Basketball kommen: Gerade auf der Point-Guard-Position wird vieles von der einen Generation an die nächste weitergegeben. Gibt es in der heutigen NBA Spieler, die Sie ein wenig an Sie selbst erinnern? Auch wenn sich der Stil natürlich verändert hat.
Thomas: Gewisse Aspekte sehe ich in fast jedem Spieler, aber das ist auch völlig normal, wie Sie schon gesagt haben. Am meisten an mich selbst erinnern mich vermutlich Kyrie Irving und Isaiah Thomas. Letzterer nicht nur wegen des Namens. (lacht) Es geht eher um ihr Ballhandling, ihren Wurf, die Art und Weise, wie sie zum Korb ziehen. Natürlich ist der Dreier bei beiden ein wesentlich größerer Teil des Spiels, als es bei mir der Fall war.
SPOX: Steve Nash sagte einst, dass Sie sein primäres Vorbild waren, als er die Position lernte. Verraten Sie uns, wer wiederum Sie auf Ihrem Weg zum Topspieler geprägt hat?
Thomas: Ich habe tatsächlich sehr viel von den Harlem Globetrotters gelernt. Es waren Marques Haynes und Curly Neal, die mir bei einem Basketball-Camp zeigten, wie man richtig dribbelt. Und ansonsten waren es häufig einfach diejenigen, gegen die ich auf den Straßen von Chicago als Kind gespielt habe. Auch meine eigenen Brüder. So funktioniert Basketball: Du schaust dir immer und überall ein paar Dinge ab und versuchst, sie in dein eigenes Spiel zu integrieren. Deswegen gab es bei mir nicht das eine Vorbild, sondern eher Dutzende.
SPOX: Sie haben die wachsende Rolle des Dreiers schon angesprochen. Wie findet eigentlich jemand, der den Mitteldistanzwurf zur Kunstform erhoben hat, den heutigen "Pace-and-Space"-Stil in der NBA?
Thomas: Ich sehe es mir gerne an, wie heute gespielt wird. Die Fans mögen es auch, wie schnell und spektakulär das Spiel ist, und das ist definitiv gut. Mein einziger Wunsch wäre aber, dass Defense wieder einen größeren Anteil am Spiel bekommt. Offense und Defense sind wie Yin und Yang, aber die heutigen Regeln übervorteilen die Offensiv-Spieler so extrem, dass korrekte Defense kaum noch möglich ist. Ich würde mir da mehr Balance wünschen. Das schönste am Basketball ist es doch, wenn großartige Offense auf großartige Defense trifft, und meiner Meinung nach gibt es derzeit kein einziges wirklich großartiges Defensiv-Team in der NBA. Es gibt nicht einmal viele individuell großartige Verteidiger, aber das hat wie gesagt auch mit den Regeln zu tun. Der höchste Level wird meiner Meinung nach nur erreicht, wenn großartige Offense auf echten Widerstand trifft. Dieser ist momentan jedoch kaum zu sehen.
SPOX: Ihre alte Position ist derzeit mit Offensivstars gespickt wie wohl noch nie, es verteidigen aber längst nicht alle von ihnen auch nur adäquat. Wer ist für Sie momentan der kompletteste Point Guard?
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Thomas: Das ist eine gute Frage. Aufgrund der Regeln ist es gar nicht so leicht zu sehen, wer tatsächlich gut verteidigen kann. Offense lässt sich auf so viele Arten messen, bei der Defense dagegen schauen die Leute viel zu oft nur darauf, wie viele Steals oder Blocks jemand hatte. Dabei ist das überhaupt nicht aussagekräftig! Viele Spieler spekulieren auf Steals und lassen dadurch ihren Mann offen stehen. Sie haben dann am Ende des Spiels vielleicht 2 oder 3 Bälle geklaut, aber ihr Gegenspieler hat 30 Punkte gemacht. Soll das etwa gut sein? (lacht) Auch die neueren Statistiken können Defense meiner Meinung nach nicht wirklich messen. Ich persönlich würde wohl Chris Paul als den komplettesten Aufbau derzeit bezeichnen.
SPOX: Paul, Isaiah und Kyrie haben Sie genannt - was halten Sie eigentlich von Stephen Curry? Wie Sie früher wird er "baby-faced assassin" genannt.
Thomas: Nun, wie jeder andere liebe ich sein Ballhandling und seinen Wurf. Er hat das Spiel mit seiner Range revolutioniert und die Definition von einem "schlechten Wurf" völlig verändert. Es war früher völlig inakzeptabel, die Würfe so oft von so weit draußen zu nehmen, aber dadurch, dass er sie so sicher trifft, hat er das vollkommen verändert. Das ist eine große Errungenschaft.
SPOX: Halten Sie es denn für gesund, wenn junge Spieler versuchen, dies nachzuahmen?
Thomas: Nur, wenn sie dafür auch die Fundamentals haben. Man vergisst das leicht, weil bei ihm alles so einfach aussieht, aber Curry hat eine großartige Wurfbewegung, die er sich hart antrainiert hat. Dadurch, dass er die Fundamentals hat, kann er aus großer Distanz genau die gleiche Wurfbewegung nutzen. Man muss erst das eine meistern, bevor man mit dem anderen anfangen kann, denn: Wer ohne Fundamentals einfach nur von weit draußen werfen will, kann sich seine Wurftechnik komplett ruinieren. Es muss richtig gemacht werden, aber das tun meiner Meinung nach auch viele Kids. Und wenn man sieht, wie sicher und gut einige 12- oder 13-Jährige heute werfen können, und sich dann vorstellt, wie sicher sie in fünf oder sechs Jahren sein werden, ist das schon ziemlich furchteinflößend.
SPOX: Das Spiel hat sich seit Ihrer aktiven Zeit extrem gewandelt und wandelt sich auch jetzt kontinuierlich weiter. Was meinen Sie, wie erfolgreich die Bad Boys wären, wenn man sie in die heutige NBA verpflanzen könnte?
Thomas: Wir hätten meiner Meinung nach ziemlich großen Erfolg. Natürlich könnten wir nicht so physisch spielen wie früher, aber ich denke, dass wir sonst gar nicht groß anders auftreten würden als damals. Unsere Guards würden gut zurechtkommen - Joe Dumars, Vinnie Johnson und ich - und athletisch wären Dennis Rodman und John Salley mindestens so gut wie die heutigen Jungs. Laimbeer war ja damals schon eine Stretch-Five, also ein Center, der Dreier schießen konnte und der am Korb trotzdem seinen Mann stand. Wir liefen damals schon extrem viele Pick'n'Rolls. In gewisser Weise waren wir ein 2017er Team in den 80er Jahren. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir so erfolgreich waren. Mit diesem Stil würden wir auch heute gut fahren.
SPOX: Welches Team schauen Sie sich heutzutage am liebsten an?
Thomas: Das ist relativ einfach. Ich liebe es, LeBron James spielen zu sehen. Es gibt in der Geschichte der Liga wohl kaum einen intelligenteren Spieler als ihn. Es ist immer wieder interessant, wie er die Defense liest und einen Weg findet, gegen jede Herausforderung die richtige Lösung zu finden und dabei sowohl seine Mitspieler als auch sich selbst einzubeziehen. Er ist wahrlich ein Künstler und ein Meister dieses Spiels. Daher wären die Cavaliers meine erste Wahl. Natürlich schaue ich auch gerne den Warriors zu, nicht nur wegen ihres Stils, sondern auch aus Interesse, wie es mit Kevin Durant funktioniert. James Harden und Russell Westbrook schaue ich bei ihren Alleingängen auch gerne zu. Und kurioserweise sehe ich auch meinen alten Rivalen aus Boston sehr gerne zu, was vor allem an meinem Namensvetter liegt. Die Celtics hatten schon immer eine leidenschaftliche Fan-Base und ihr jetziges Team schafft es wieder, diese Zuschauer zu begeistern.
SPOX: Die Zeit rennt uns davon - aber diese Frage kann ich nicht ungestellt lassen, wenn ich schonmal mit einem der besten Point Guards der NBA-Geschichte spreche: Was halten Sie von Dennis Schröder?
Thomas: Er wird immer besser! Wir nennen ihn im Studio von NBA TV immer scherzhaft "Lil' Goldie", wegen seiner blonden Strähne. (lacht) Im Ernst: Als er gedraftet wurde, gab es ziemlich viele Fragezeichen zu seinem Spiel und auch sein erstes Jahr verlief nicht so toll. Aber man kann sehen, wie hart er arbeitet und wie er sich seitdem weiterentwickelt hat. Es kam ja nicht von ungefähr, dass die Hawks mit Jeff Teague einen ehemaligen All-Star abgaben, um Schröder das Team zu übergeben. Das sagt sehr viel über seine Arbeitseinstellung aus. Und bisher scheint es sich ja auszuzahlen, er spielt eine sehr gute und erfolgreiche Saison, obwohl er zum ersten Mal Starter ist.
SPOX: Denken Sie, dass er wie Teague das Zeug zum All-Star hat?
Thomas: Ja. Das Potenzial hat er, die Mentalität offensichtlich auch. Es gibt viele Point Guards mit All-Star-Kaliber in der NBA, aber wenn seine Teams erfolgreich bleiben, wird auch seine Nominierung früher oder später kommen.