SPOX: Udonis, im Jahr 2006 konnten Sie dann mit den Miami Heat den ersten Meistertitel feiern. In den Finals gegen die Dallas Mavericks (4:2) hatten Sie sogar eines der absoluten Schlüssel-Duelle gegen Dirk Nowitzki. Wie bereitet man sich auf ein solch entscheidendes und - gelinde ausgedrückt - nicht unbedingt einfaches Mann-gegen-Mann-Duell vor?
Udonis Haslem: Nun, Dirk war damals schon und ist nach wie vor ein unglaublicher Spieler und zukünftiger Hall-of-Famer! Es war natürlich allen klar, dass wir in diesen Finals nur dann eine Möglichkeit haben, wenn es uns gelingt, seine Kreise irgendwie einzuengen. Ihn komplett aus dem Spiel zu nehmen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Unser damaliger Coach Pat Riley hat mir versucht, etwas den Druck zu nehmen, indem er meinte, dass ich mir im Duell mit Dirk keine allzu großen Sorgen machen bräuchte. Schließlich stünden mir ja immer vier Teamkollegen zur Seite, die mich in der Verteidigung entsprechend unterstützen würden. (lacht) Im Grunde konnte ich nur versuchen, jede Partie mit voller Energie anzugehen, jede Defense mit 100-prozentigem Einsatz zu spielen und es Dirk so schwer wie möglich zu machen. Allein und ohne Hilfe hast du freilich kaum eine Chance gegen ihn.
SPOX: TV-Star-Kommentator Mike Breen sagte kürzlich im SPOX-Interview, dass Nowitzki das Spiel beziehungsweise seine Position komplett revolutioniert hätte. Heutzutage würden daher viele Big Men dementsprechend Dreier werfen. Sehen Sie das auch so?
Haslem: Ja, das hat Mike sehr gut gesagt! Bevor Dirk in die Liga gekommen beziehungsweise seine Spielweise eingebracht hat, waren vor allem die Zone selbst sowie der unmittelbare Raum drumherum das Haupt-Betätigungsfeld der Big Men. Ansonsten waren sie in der Offensive vor allem für Double- oder Staggered Screens zuständig, um einem guten Schützen im Team das Catch-and-Shoot zu ermöglichen. Durch Dirk wurde diese Position plötzlich wesentlich aktiver, sprich eine deutlich größere Option im Angriffsspiel. Für einen Verteidiger machte es das Ganze natürlich nicht wirklich einfacher, wenn dein Gegenspieler auf einmal anfängt, von der Dreierlinie zu werfen und auch noch zu treffen. (lacht) Was das betrifft, hat Dirk das Spiel ganz sicher verändert.
SPOX: Lassen Sie uns ein wenig zurückblicken. Während Ihrer Zeit an der University of Miami hatten Sie als Hauptfach "Leisure Service Management", was man im Deutschen mit einer Art "Jugendhelfer" übersetzen würde. Warum haben Sie sich ausgerechnet für diesen Zweig entschieden und wie sehr hat diese Erfahrung Ihr weiteres Leben beeinflusst?
Haslem: Nun, für mich war eigentlich recht früh klar, dass ich etwas in diese Richtung machen möchte. Diesbezüglich wurde ich sicherlich von meiner eigenen Kindheit geprägt. Im Alter von drei Jahren bin ich neben meinem Vater bei meiner Stiefmutter aufgewachsen, die sich derart liebevoll um mich gekümmert hat, als wäre ich ihr eigener Sohn. Zudem hatte ich auch noch zwei Brüder und drei Schwestern. Wie sie unsere gesamte Familie damals - auch in nicht ganz einfachen Zeiten - "gemanagt" hat, war schon sehr beeindruckend. Im Grunde war sie mein großes Vorbild. Daher wollte ich etwas in diese Richtung machen. Es war jedenfalls eine Entscheidung, die ich bis heute keine Sekunde bereut habe. Ich bin in Miami geboren, aufgewachsen und habe der Region sowie den Menschen hier alles zu verdanken, was letztlich aus mir geworden ist. Auf diese Weise habe ich nun die Möglichkeit, gerade den Kindern, denen es nicht so gut geht, etwas zurückzugeben. Man muss sich mit diesen Kids beschäftigen und ihnen aufzeigen, dass es sich lohnt, für ein bestimmtes Ziel zu arbeiten, zu kämpfen und immer daran zu glauben. Um Ihre Frage zu beantworten: Es hat mein Leben definitiv stark beeinflusst.Erlebe die NBA Live auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
SPOX: 2002 haben Sie sich zum Draft angemeldet, doch bis zum Schluss wurde Ihr Name nicht genannt. Wie groß war damals Ihre Enttäuschung?
Haslem: Sie war riesengroß. Ich würde sogar von einem regelrechten Schock sprechen, denn damit hatte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gerechnet.
SPOX: War der große Traum von der NBA in diesem Moment für Sie komplett ausgeträumt?
Haslem: An diesem Tag auf alle Fälle, ja. So etwas steckt man nicht so einfach weg. Als ich dann eine Nacht mehr oder weniger darüber geschlafen hatte und wieder bei klarem Gedanken war, hat jedoch eine Trotzreaktion bei mir eingesetzt. Ich konnte und wollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen und ihnen die Schuld geben, dass mich kein NBA-Team genommen hatte. Im Gegenteil, ich musste selbst in den Spiegel schauen und mich fragen, ob ich wirklich alles dafür getan habe. Mein Plan war, künftig noch härter und konzentrierter an mir zu arbeiten, um doch noch den Sprung in die NBA zu schaffen. Das war für mich nach wie vor das große Ziel.
SPOX: Anstatt - wie erhofft - Ihre Rookie-Saison in der NBA zu absolvieren, entschieden Sie sich im Jahr 2002 für den Sprung ins Ausland. Genauer gesagt nach Frankreich zu Chalon-sur-Saone. Wie wichtig war dieser Schritt letztlich für Ihre weitere Laufbahn?
Haslem: Im Nachhinein betrachtet, war es die beste Entscheidung, die ich damals treffen konnte. Ich bin in ein neues Land gegangen, dessen Sprache ich nicht konnte und dessen Kultur ich auch nicht kannte. Ich musste mich daher sowohl auf dem Basketball-Court als auch im normalen täglichen Leben richtig durchkämpfen. Das Ganze hat mir enorm geholfen, mich als Spieler und Mensch weiterzuentwickeln. Ich habe mir in diesem Jahr sehr viel Selbstvertrauen geholt, mich körperlich in eine deutlich bessere Verfassung gebracht und bin dadurch als echter Mann in die USA zurückgekommen.
SPOX: Sie haben sich dann ja direkt nach Ihrer Rückkehr über starke Leistungen in der NBA-Summer League 2003 tatsächlich Ihren NBA-Traum erfüllt - und das auch noch in Ihrer Geburts- und Heimatstadt Miami bei den Heat! Wenn man Ihre gesamte sportliche Vita hernimmt: Sehen Sie sich als eine Art Vorbild beziehungsweise erstklassiges Beispiel gerade für Spieler, die nicht gedraftet wurden? Getreu dem Motto: Wer hart arbeitet, wird auch belohnt...
Haslem: Ja, das denke ich schon! Natürlich hat man nicht die Garantie, dass man am Ende tatsächlich sein großes Ziel erreicht und den Sprung in die NBA schafft. Aber mit ehrlicher harter Arbeit und dem absoluten Glauben in das, was man tut, hat man auf alle Fälle die Chance dazu. Bei mir war es so, dass ich den Fokus und mein Ziel niemals aus den Augen verloren habe. Sicherlich spielen dann auch noch mehrere Dinge eine Rolle. So hatte ich beispielsweise immer das Glück, mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, die ebenfalls an mich geglaubt haben. Aber klar, der wichtigste Schritt muss immer von dir selbst kommen.