Udonis Haslem spielt seit 14 Jahren für die Miami Heat, ging mit Dwyane Wade, Shaquille O'Neal und LeBron James durch Höhen und Tiefen. Ein Gespräch über das Erlebnis Finals, Recruiter Dirk Nowitzki und die eigene NBA-Zukunft.
SPOX: Udonis, im Jahr 2006 konnten Sie dann mit den Miami Heat den ersten Meistertitel feiern. In den Finals gegen die Dallas Mavericks (4:2) hatten Sie sogar eines der absoluten Schlüssel-Duelle gegen Dirk Nowitzki. Wie bereitet man sich auf ein solch entscheidendes und - gelinde ausgedrückt - nicht unbedingt einfaches Mann-gegen-Mann-Duell vor?
Udonis Haslem: Nun, Dirk war damals schon und ist nach wie vor ein unglaublicher Spieler und zukünftiger Hall-of-Famer! Es war natürlich allen klar, dass wir in diesen Finals nur dann eine Möglichkeit haben, wenn es uns gelingt, seine Kreise irgendwie einzuengen. Ihn komplett aus dem Spiel zu nehmen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Unser damaliger Coach Pat Riley hat mir versucht, etwas den Druck zu nehmen, indem er meinte, dass ich mir im Duell mit Dirk keine allzu großen Sorgen machen bräuchte. Schließlich stünden mir ja immer vier Teamkollegen zur Seite, die mich in der Verteidigung entsprechend unterstützen würden. (lacht) Im Grunde konnte ich nur versuchen, jede Partie mit voller Energie anzugehen, jede Defense mit 100-prozentigem Einsatz zu spielen und es Dirk so schwer wie möglich zu machen. Allein und ohne Hilfe hast du freilich kaum eine Chance gegen ihn.
SPOX: TV-Star-Kommentator Mike Breen sagte kürzlich im SPOX-Interview, dass Nowitzki das Spiel beziehungsweise seine Position komplett revolutioniert hätte. Heutzutage würden daher viele Big Men dementsprechend Dreier werfen. Sehen Sie das auch so?
Haslem: Ja, das hat Mike sehr gut gesagt! Bevor Dirk in die Liga gekommen beziehungsweise seine Spielweise eingebracht hat, waren vor allem die Zone selbst sowie der unmittelbare Raum drumherum das Haupt-Betätigungsfeld der Big Men. Ansonsten waren sie in der Offensive vor allem für Double- oder Staggered Screens zuständig, um einem guten Schützen im Team das Catch-and-Shoot zu ermöglichen. Durch Dirk wurde diese Position plötzlich wesentlich aktiver, sprich eine deutlich größere Option im Angriffsspiel. Für einen Verteidiger machte es das Ganze natürlich nicht wirklich einfacher, wenn dein Gegenspieler auf einmal anfängt, von der Dreierlinie zu werfen und auch noch zu treffen. (lacht) Was das betrifft, hat Dirk das Spiel ganz sicher verändert.
SPOX: Lassen Sie uns ein wenig zurückblicken. Während Ihrer Zeit an der University of Miami hatten Sie als Hauptfach "Leisure Service Management", was man im Deutschen mit einer Art "Jugendhelfer" übersetzen würde. Warum haben Sie sich ausgerechnet für diesen Zweig entschieden und wie sehr hat diese Erfahrung Ihr weiteres Leben beeinflusst?
gettyHaslem: Nun, für mich war eigentlich recht früh klar, dass ich etwas in diese Richtung machen möchte. Diesbezüglich wurde ich sicherlich von meiner eigenen Kindheit geprägt. Im Alter von drei Jahren bin ich neben meinem Vater bei meiner Stiefmutter aufgewachsen, die sich derart liebevoll um mich gekümmert hat, als wäre ich ihr eigener Sohn. Zudem hatte ich auch noch zwei Brüder und drei Schwestern. Wie sie unsere gesamte Familie damals - auch in nicht ganz einfachen Zeiten - "gemanagt" hat, war schon sehr beeindruckend. Im Grunde war sie mein großes Vorbild. Daher wollte ich etwas in diese Richtung machen. Es war jedenfalls eine Entscheidung, die ich bis heute keine Sekunde bereut habe. Ich bin in Miami geboren, aufgewachsen und habe der Region sowie den Menschen hier alles zu verdanken, was letztlich aus mir geworden ist. Auf diese Weise habe ich nun die Möglichkeit, gerade den Kindern, denen es nicht so gut geht, etwas zurückzugeben. Man muss sich mit diesen Kids beschäftigen und ihnen aufzeigen, dass es sich lohnt, für ein bestimmtes Ziel zu arbeiten, zu kämpfen und immer daran zu glauben. Um Ihre Frage zu beantworten: Es hat mein Leben definitiv stark beeinflusst.Erlebe die NBA Live auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
SPOX: 2002 haben Sie sich zum Draft angemeldet, doch bis zum Schluss wurde Ihr Name nicht genannt. Wie groß war damals Ihre Enttäuschung?
Haslem: Sie war riesengroß. Ich würde sogar von einem regelrechten Schock sprechen, denn damit hatte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gerechnet.
SPOX: War der große Traum von der NBA in diesem Moment für Sie komplett ausgeträumt?
Haslem: An diesem Tag auf alle Fälle, ja. So etwas steckt man nicht so einfach weg. Als ich dann eine Nacht mehr oder weniger darüber geschlafen hatte und wieder bei klarem Gedanken war, hat jedoch eine Trotzreaktion bei mir eingesetzt. Ich konnte und wollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen und ihnen die Schuld geben, dass mich kein NBA-Team genommen hatte. Im Gegenteil, ich musste selbst in den Spiegel schauen und mich fragen, ob ich wirklich alles dafür getan habe. Mein Plan war, künftig noch härter und konzentrierter an mir zu arbeiten, um doch noch den Sprung in die NBA zu schaffen. Das war für mich nach wie vor das große Ziel.
SPOX: Anstatt - wie erhofft - Ihre Rookie-Saison in der NBA zu absolvieren, entschieden Sie sich im Jahr 2002 für den Sprung ins Ausland. Genauer gesagt nach Frankreich zu Chalon-sur-Saone. Wie wichtig war dieser Schritt letztlich für Ihre weitere Laufbahn?
Haslem: Im Nachhinein betrachtet, war es die beste Entscheidung, die ich damals treffen konnte. Ich bin in ein neues Land gegangen, dessen Sprache ich nicht konnte und dessen Kultur ich auch nicht kannte. Ich musste mich daher sowohl auf dem Basketball-Court als auch im normalen täglichen Leben richtig durchkämpfen. Das Ganze hat mir enorm geholfen, mich als Spieler und Mensch weiterzuentwickeln. Ich habe mir in diesem Jahr sehr viel Selbstvertrauen geholt, mich körperlich in eine deutlich bessere Verfassung gebracht und bin dadurch als echter Mann in die USA zurückgekommen.
SPOX: Sie haben sich dann ja direkt nach Ihrer Rückkehr über starke Leistungen in der NBA-Summer League 2003 tatsächlich Ihren NBA-Traum erfüllt - und das auch noch in Ihrer Geburts- und Heimatstadt Miami bei den Heat! Wenn man Ihre gesamte sportliche Vita hernimmt: Sehen Sie sich als eine Art Vorbild beziehungsweise erstklassiges Beispiel gerade für Spieler, die nicht gedraftet wurden? Getreu dem Motto: Wer hart arbeitet, wird auch belohnt...
Haslem: Ja, das denke ich schon! Natürlich hat man nicht die Garantie, dass man am Ende tatsächlich sein großes Ziel erreicht und den Sprung in die NBA schafft. Aber mit ehrlicher harter Arbeit und dem absoluten Glauben in das, was man tut, hat man auf alle Fälle die Chance dazu. Bei mir war es so, dass ich den Fokus und mein Ziel niemals aus den Augen verloren habe. Sicherlich spielen dann auch noch mehrere Dinge eine Rolle. So hatte ich beispielsweise immer das Glück, mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, die ebenfalls an mich geglaubt haben. Aber klar, der wichtigste Schritt muss immer von dir selbst kommen.
SPOX: Ist es eigentlich richtig, dass Nowitzki vor der Saison 2010/11 versucht hat, Sie zu einem Wechsel zu den Dallas Mavericks zu überreden?
Haslem: Jaja, das stimmt schon. (grinst) Dirk wollte mich nach Dallas holen. Und es hat am Ende auch wirklich nicht viel gefehlt, dass ich tatsächlich in Dallas gelandet wäre. Es ist sicherlich ein tolles Gefühl, wenn eine Franchise wie die Mavericks sowie einer der besten Spieler der Welt, eben Dirk, mit aller Vehemenz um deine Dienste kämpfen. Ich denke, dass ich diesen Schritt wohl auch gemacht hätte, wäre nicht plötzlich bei den Heat eine völlig neue Situation mit den Verpflichtungen von LeBron James und Chris Bosh eingetreten. Letztlich habe ich mich dann für einen Verbleib in Miami entschieden, was sicher die richtige Entscheidung war.
SPOX: Wie es der Zufall wollte, standen sich die Miami Heat und Dallas Mavericks 2011 erneut in den Finals gegenüber - diesmal mit dem besseren Ausgang für Nowitzki und sein Team. Viele Beobachter waren hinterher der Meinung, dass gerade die bittere Niederlage nach 2-1 Führung entscheidend dafür war, dass die Heat in den darauffolgenden beiden Jahren den Titel holen konnten. Würden Sie das bestätigen?
Haslem: Zunächst einmal war es für uns natürlich eine riesengroße Enttäuschung, diese Serie gegen Dallas zu verlieren. Es gibt eigentlich nichts Schlimmeres, als wenn dein Gegner in deiner eigenen Halle, in deinem eigenen Wohnzimmer die Meisterschaft feiert. Das hat unglaublich wehgetan. An einer solchen Erfahrung kannst du als Team kaputtgehen oder daran wachsen. Bei uns war Letzteres der Fall. Jeder einzelne Spieler hat daraus seine Lehren gezogen und wollte so etwas schlichtweg nicht mehr erleben. Wir haben uns ab dem Trainingscamp voll auf unser großes Ziel fokussiert und es nicht mehr aus den Augen gelassen. So enttäuschend diese Final-Niederlage 2011 auch war - sie hat uns definitiv auf das nächste Level gehoben.
SPOX: Wenn Sie den Meisterkader 2006 der Heat mit dem aus den Jahren 2012 und 2013 miteinander vergleichen: Angenommen, beide Teams würden auf dem Zenit ihrer Leistungsfähigkeit eine Final-Serie gegeneinander austragen - wer würde gewinnen?
Haslem: Das ist eine sehr gute Frage, über die ich bislang noch nie nachgedacht habe. (Überlegt lange) Nun, 2006 hatten wir den jungen Dwyane Wade, eine menschliche Center-Maschine Shaquille O'Neal, die unter dem Korb schlichtweg nicht zu stoppen war sowie mit Jason Williams und Gary Payton zwei außergewöhnliche Point Guards. Sechs Jahre später war unser Team dann vor allem von den "Big Three" LeBron, Wade und Bosh dominiert. Wer da in einer Best-of-Seven-Serie am Ende die Nase vorne haben würde? Das ist ganz schwer zu sagen. Ich denke, dass dieses Duell über die volle Distanz von sieben Partien gehen und letztlich - wie so oft- die Verteidigung die entscheidende Rolle spielen würde. (lacht)
SPOX: Sie gehen aktuell in Ihre nunmehr 14. NBA-Saison. Was würden Sie sagen, wer in diesem Zeitraum Ihr wichtigster sowie bester Mitspieler bei den Miami Heat war?
Haslem: Wade und Shaq - wobei ich beide jetzt unabhängig von den Bezeichnungen wichtigster und bester Teamkollege nenne. Mit Dwyane habe ich nicht nur die meiste Zeit bei den Heat verbracht, sondern wir haben auch unzählige Dinge zusammen erlebt. Wir haben Niederlagen eingesteckt, Siege und insgesamt drei Meisterschaften gefeiert. So etwas verbindet einen das ganze Leben lang - ebenso wie unsere Freundschaft. Was Shaq betrifft: Ihm habe ich es letztlich zu verdanken, dass ich mich damals in der NBA durchgesetzt habe und dementsprechend auch heute noch dort spiele. Wissen Sie, Shaq hat von Anfang an mich geglaubt und mir dadurch das Gefühl gegeben, dass ich es in dieser Liga tatsächlich schaffen kann. Er hat sich sehr um mich gekümmert, mir immer wieder Tipps und Selbstvertrauen gegeben. So etwas vergisst man einfach nicht.
SPOX: Wade läuft seit dieser Saison für die Chicago Bulls auf. Mit welchen Gefühlen haben Sie seinen ersten Auftritt in Miami am 10. November 2016 im neuen Trikot verfolgt?
Haslem: Naja, zu Beginn war es schon etwas komisch, ihn im gegnerischen Team spielen zu sehen. (lacht) Aber ich weiß, dass es auch für D-Wade eine ganz besondere Begegnung war, vor seinem Heimpublikum und seinen Fans das erste Mal mit einem anderen Dress aufzulaufen. Man hat deutlich gesehen, dass er dieses Match und die ganzen Emotionen, die damit verbunden waren, sichtlich genossen hat. Das hat mich für ihn riesig gefreut - und das habe ich ihm nach der Partie, als wir noch längere Zeit miteinander geredet haben, auch so gesagt.
SPOX: Waren Sie eigentlich sehr überrascht, als er im Sommer seinen Wechsel nach Chicago bekanntgegeben hat?
Haslem: Schwer zu sagen. In diesem Geschäft wird über Dinge wie Free Agency oder Verletzungen untereinander sehr selten gesprochen. Jeder versucht letztendlich, für sich persönlich die beste Entscheidung zu treffen beziehungsweise die bestmögliche Option zu schaffen. Daher musst du in diesem Business immer mit allem rechnen. Das habe ich im Laufe meiner langen Karriere gelernt.
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SPOX: Sie hatten während dieser Zeit bei den Heat zumeist sehr wichtige Rolle sowohl auf als auch außerhalb des Feldes inne. Könnte man Ihre jetzige Rolle mit einer Art "Playing Assistant Coach" beschreiben?
Haslem: (lacht) Ja, das klingt gar nicht schlecht. Im Grunde mache ich das, was gerade von mir verlangt wird. Wenn die Coaches zu mir sagen, dass ich rausgehen und auf hohem Niveau gegen andere Teams spielen soll, versuche ich das bestmöglich umzusetzen. Genauso arbeite ich aber im Training individuell mit meinen Teamkollegen, kümmere mich um unsere jungen Spieler oder sage auch einmal unserem Headcoach Erik Spoelstra während einer Partie meine Meinung, wenn er danach fragt. Letztlich tue ich alles, um meine Mannschaft zu unterstützen, damit sie erfolgreich ist. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.
SPOX: Können Sie sich vorstellen, nach Ihrer aktiven Karriere als Assistant- oder Headcoach zu arbeiten? Immerhin sind Sie ja derzeit zumindest schon ein bisschen am Üben...
Haslem: (lacht) Nein, nein. Ich glaube eher nicht, dass das etwas für mich ist. Wenn ich einmal als Trainer arbeite, dann wohl nur für meine Kinder.
SPOX: Wie lange müssen Ihre Kids darauf noch warten? Sprich: Wie lange wird Papa Udonis noch als NBA-Profi auf dem Court stehen?
Haslem: Das ist eine Entscheidung, die ich Jahr für Jahr treffen werde und die an mehreren Faktoren hängt. Das Wichtigste ist dabei freilich, was die Gesundheit macht. Ansonsten muss man abwägen, ob man nach wie vor in der Lage ist, sich mit den Teamkollegen und Gegenspielern sowohl im Training als auch in den Spielen auf höchstem Niveau zu messen. Wäre das nicht mehr der Fall, würde man seiner Mannschaft nur schaden und müsste die Konsequenzen ziehen. Aber so weit fühle ich mich derzeit noch nicht. Ich werde jetzt erst einmal diese Saison mit den Jungs zu Ende spielen und dann in aller Ruhe entscheiden, wie es weitergeht. Eines steht aber fest: Ich werde mein Team so oder so nicht untergehen lassen.