"Er muss es ein bisschen ruhiger angehen lassen. Wir wollen ihn ja schließlich behalten", sagte Tony Parker mit einem verschmitzten Lächeln, seines Zeichens Spielmacher bei den San Antonio Spurs, nach dem Sieg seiner Farben bei den Detroit Pistons. Die Aussage war an Dewayne Dedmon gerichtet, der mit einem bärenstarken Double-Double (17 Punkte, 17 Rebounds, beides Career Highs) den Frontcourt von Motor City um Andre Drummond (5/17 FG) dominiert hatte.
Und dies war kein Zufall. Seit dem Spiel gegen die Oklahoma City Thunder Ende Januar startet der Center für die Spurs, weil Pau Gasol weiter an der Hand verletzt ist. Die Defense San Antonios hat in dieser (zugegeben) kleinen Stichprobe mit dem mutmaßlichen Notnagel sichtlich angezogen. War die Spurs-Verteidigung schon mit Gasol elitär (Platz drei im Defensiv-Rating), hat die Defense in den vergangenen sechs Spielen mit Dedmon noch einmal angezogen.
Lediglich 92,7 Punkte bei 100 Ballbesitzen genehmigten die Texaner ihrem Gegner. Einsame Spitze in der NBA in diesem Zeitraum. Dedmon gibt seinem Team dabei eine Facette im Spiel, dem es bereits seit Jahren mangelt. "Er attackiert die Bretter, er läuft das Feld hoch und runter", lobte Coach Gregg Popovich seinen Aushilfs-Center. "Seine Energie, seine Aggressivität, seine Defense. Er war fantastisch."
Das Schnäppchen des überhitzten Sommers
Große Worte für einen Spieler, der in diesem Jahr für einen schmalen Taler in San Antonio spielt. Auf einem völlig überhitzten Center-Markt, siehe zum Beispiel die Unterschriften von Timofey Mozgov oder Ian Mahinmi (jeweils 64 Millionen Dollar für 4 Jahre), unterschrieb Dedmon als Free Agent für zwei Jahre und knapp sechs Millionen. Wie die bisherige Saison zeigt: Ein echter Glücksgriff.
Auch Pop hatte vor der Saison schon eine Ahnung, welche Rolle der ehemalige Big Man der Orlando Magic am Alamo River spielen könnte: "Er ist wie Bruce Bowen, nur dass er den Körper eines Big Man steckt", verglich Popovich Dedmon mit dem legendären Verteidigungs-Spezialisten früherer Spurs-Championship-Teams. "Wir wollen, dass er Defense spielt, Würfe blockt und die Dinge zusammenhält. Wir werden keine 14 Plays für ihn laufen."
Dass überhaupt jemals ein Play für Dedmon gelaufen wird, war vor knapp zehn Jahren noch unvorstellbar. So unglaublich es klingt: Mit 18 Jahren fasste Dedmon zum ersten Mal einen Basketball an. Seine Mutter erlaubte es ihm in der Jugend schlicht und einfach nicht. Der Grund dafür lag im Glauben der Familie.
Kindheit mit den Zeugen
Dedmon wuchs knapp 100 Kilometer nördlich von Los Angeles in einer ländlichen Gegend auf. Der Vater beging Selbstmord, als der kleine Dewayne drei Jahre alt war. Die Mutter suchte bei den Zeugen Jehovas Halt. Die Familie verschrieb sich der Heiligen Bibel. Dedmon versuchte sich zwischenzeitlich beim Volleyball, doch als ihn einmal ein Coach anschrie und er sich wehrte, beendete die Mutter das Experiment umgehend.
Es sollte bis zu seinem 19. Lebensjahr dauern, bis der große, drahtige Dewayne einen neuen Versuch wagte. Erst dann sprach er 2008 einen Coach der örtlichen High School an und fragte, ob er denn nicht mal zum Training kommen könnte. Das Problem war nur, dass der 2,00 m große Schlacks keinerlei Drills kannte. Der Teenager musste das Spiel von der Pike auf lernen.
Seine Mutter war selbstverständlich nicht begeistert von dieser Idee. Nach dem Glauben der Zeugen Jehovas kann man nicht zwei Meistern dienen, argumentierte sie. Dedmon war noch immer gläubig, traute sich den Spagat aus Kirche und Sport aber zu. Sie mobilisierte die Gemeinde der Zeugen und so versuchten gleich mehrere Mitglieder, Dedmon von seinem Vorhaben abzubringen.
Von "Verfremdung" war die Rede, ein schwerer Konflikt mit der Gemeinde, doch Dedmon war von seiner Idee überzeugt und setzte sich schließlich durch. Die Gemeindemitglieder waren der Meinung, dass der Abtrünnige früher oder später schon aufgeben würde.
Lernen des ABC
Doch Dedmon kämpfte eisern, trotz spärlicher Spielzeit. Der Anfänger verstand schnell. In seinem ersten Jahr am Community College spielte er zwar überhaupt nicht, doch sein Eifer blieb nicht unbemerkt. Ein Assistenz-Trainer gab zu Protokoll: "Ich habe noch nie einen Spieler mit einer solchen Lernkurve gesehen. Man konnte sofort seine Verbesserung in allen Facetten des Spiels sehen."
Dedmon setzte sich durch und stellte gleich einen Schulrekord in Blocks auf. Der Junge, der einst eher einer Bohnenstange glich, war zwar noch einmal zehn Zentimeter gewachsen, doch seine ersten Besuche des Kraftraums zeigten Wirkung. Auch größeren Unis blieb das nicht verborgen. Die USC Spartans holten sich den athletischen Big 2010 ins Team und nahmen dafür auch in Kauf, dass Dedmon aufgrund der Regularien der NCAA ein Jahr aussetzen musste.
Der NBA-Traum lebt
Zwei Jahre später, mit inzwischen 24 Lenzen, meldete sich der Spätstarter im Draft an. Zwar wurde Dedmon nicht gezogen, aber er erhielt gleich mehrere Einladungen für die Summer League, unter anderem von den Heat und den Mavericks. Letztlich kam der Center kurzfristig bei den Warriors unter, die Magic nahmen Dedmon 2014 fest unter Vertrag.
Der Big Man verrichtete solide sein Handwerk (4,4 Punkte, 3,9 Rebounds in 12 Minuten Einsatzzeit), große Aufmerksamkeit bekam er aber nach seiner Saison 2015/16 nicht. So schlugen die Schnäppchenjäger aus San Antonio zu. Nach dem Rücktritt von Tim Duncan wurde ein Rosterspot frei. Hinter Pau Gasol war eine Backup-Rolle für den Ungedrafteten angedacht.
Eine neue Religion
In Texas hatte man auf einmal Verwendung für den Center. Die Athletik Dedmons war eine der Komponenten, die den Spurs in den vergangenen Jahren abgegangen war. Mit LaMarcus Aldridge und Pau Gasol bilden versierte Offensiv-Spieler in dieser Saison den Frontcourt, Dedmon bringt Ringschutz und elitäre Defense von der Bank.
Der Center weiß dabei um seine Rolle und ordnet sich ihr unter. Von Coach Pop schwärmte Dedmon entsprechend: "Er ist sehr intelligent, ein toller Coach. Er hat mehrere Ringe, deswegen kann man ihn nicht infrage stellen." Es scheint beinahe so, als hätte der Basketball-Spätzünder seine neue Religion gefunden.
"Du musst auf jeden Fall mental sehr stark sein", erklärt Dedmon, was es braucht, um unter Popovich in San Antonio zu spielen. Und genau dies ist der Big Man, nicht zuletzt durch die Erfahrungen seiner Jugend. 5,3 Punkte, 6,3 Rebounds und fast einen Block legt Dedmon im Schnitt auf. In seinen neun Spielen als Starter gar fast ein Double-Double.
Ein Zahltag winkt
Sollte sich Dedmon nicht schwerer verletzen, winkt so im Sommer der große Zahltag. Seine Spieleroption für ein weiteres Jahr in San Antonio wird er wohl verfallen lassen. "Ich glaube, ich habe alles richtig gemacht, indem ich auf mich selbst gesetzt habe", bilanziert Dedmon. Es ist ein märchenhafter Aufstieg des inzwischen 27-Jährigen.
Noch vor wenigen Jahren vermutete dessen Mutter, dass sie mit ihrem Sprössling und der Gemeinde der Zeugen Jehovas Samstag für Samstag von Haustür zu Haustür marschieren würde. Inzwischen hat auch sie ihren Frieden mit dem Weg ihres Sohnes gefunden. 2014 besuchte sie ihr erstes Spiel. "Sie hat sich damit abgefunden", erklärte Dedmon bereits zu Magic-Zeiten.
Vorbei die Zeiten, als ranghohe Mitglieder ihm den Basketball verbieten wollten, Dedmon ist ein fester Bestandteil der besten Liga der Welt. Doch auch im Sommer werden wieder einige um ihn werben, diesmal natürlich auf eine andere Art und Weise, wenn die Free Agency ansteht. Mitspieler Parker traf mit seinem Kommentar bereits den Nagel auf den Kopf.