Rund acht Stunden lang hielt die Basketball-Fraktion in der Bay Area den Atem an. Acht Stunden lang herrschte Ungewissheit darüber, was im linken Knie von Kevin Durant passiert war, nachdem dessen Teamkollege Zaza Pachulia im Spiel gegen die Wizards erst taumelte und dann in das Gelenk von KD stürzte.
Der MVP von 2014 humpelte sofort und mit Stützhilfe in die Katakomben. Vorläufige Diagnose: Knie verdreht. Doch die Befürchtungen gingen weit darüber hinaus, sogar von einem Saison-Aus (inklusive Playoffs!) war die Rede. Es wäre der Super-GAU gewesen.
Als dann nach besagten acht Stunden eine MRT-Röhre in Washington die Bilder ausspuckte, durfte durchgeatmet werden. Zumindest ein bisschen: Es handelt sich um eine Zerrung des Innenbands im Knie (zweien Grades) sowie eine Knochenprellung des oberen Schienbeins. In vier Wochen folgt die nächste Evaluierung, ehe mögliche Termine für ein Comeback genannt werden.
Knochenprellung das Problem
Wem das bekannt vorkommt: In den Playoffs 2016 rutschte Stephen Curry in Runde eins gegen die Rockets aus und verletzte sich ebenfalls am Innenband. Allerdings handelte es sich um eine Zerrung ersten Grades, eine Knochenprellung hatte er nicht erlitten. Und genau die ist das Tückische.
Das verriet Dr. Nick Grosso, seines Zeichens Chirurg und Sportmediziner in Maryland, der Mercury News: "Eine Zerrung zweiten Grades des Innenbandes heilt in der Regel innerhalb von vier Wochen aus." Die Prellung hingegen, die auch eine Schwellung des betroffenen Knochens verursacht, braucht länger: "Das dauert normalerweise vier bis sechs Wochen - mit anschließender Reha."
Vier bis sechs Wochen mit anschließender Reha? Das würde die Playoffs tatsächlich mehr als betreffen, die am 15. April beginnen. Die Karten, die im Westen zuvor klar verteilt schienen, werden neu gemischt, sollten sich auch nur kleine Verzögerung beim Heilungsprozess einschleichen. "Ich denke nicht, dass sie ohne Durant die Championship holen können", erläuterte beispielsweise Warriors-Legende Rick Barry.
Matt soll es richten
Hetzen wird man bei den Dubs trotzdem nicht. "Es wird solange dauern, wie es der Knochen vorgibt. Wir werden ihn erst wieder spielen lassen, wenn eine 100-prozentige Sicherheit besteht. Wann das ist, kann man absolut noch nicht sagen", erläuterte General Manager Bob Myers die Situation.
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Nun ist es natürlich nicht so, dass die Dubs ohne KD nur ein Trümmerhaufen wären. Sie haben immer noch drei fitte All-Stars und immer noch eine tiefe Bank. Höchstwahrscheinlich wird Andre Iguodala ins Starting Lineup und Draymond Green auf die Vier rücken. Personell nachgerüstet wurde auch schon: Kurz nach dem Spiel in der Hauptstadt wurde Ex-Warrior und Free Agent Matt Barnes ins Boot geholt.
Der ist mittlerweile 36 Jahre alt, hat zuletzt bei den Kings aber bewiesen, dass er noch ein Faktor ist. Als Eckenschütze kann er das Spacing aufrechterhalten, zudem bringt er neben seiner defensiven Qualität seine berüchtigte Bad Boy- und Beißer-Attitüde mit.
Mit Barnes und Green zusammen auf dem Feld wird es aggressiver zur Sache gehen denn je. Das hilft den Dubs enorm, denn in der Verteidigung kommt der Ausfall von Durant besonders schwer zu tragen. KD war und ist der beste Rebounder und Shotblocker des Teams und dank seiner astronomischen Armspannweite zusammen mit Green der wichtigste Baustein in der Help-Defense.
Curry im offensiven Fokus
Offensiv dürfte nun Stephen Curry in den Fokus rücken. Dass er nach wie vor in der Lage ist, an seine Leistungen aus der überragenden Vorsaison anzuknüpfen, bewies er jüngst gegen die Clippers, denen er 35 Punkte und 6/10 Dreier einschenkte. Allerdings: Da stand auch Durant an seiner Seite und verschaffte dem Chefkoch Platz.
Mit der neuen Situation werden gegnerische Defenses Curry höchstwahrscheinlich immer wieder blitzen, um den Ball aus den Fingern der Nummer 30 zu locken. Die Hilfsverteidiger haben nun keinen ganz so unmöglichen Job mehr, da bei den Dubs viel seltener vier Spieler auf dem Hartholz umherlaufen werden, die von draußen brandgefährlich sind.
Schließlich brauchen auch die anderen Stars mal eine Pause. Die Dubs befinden sich inmitten eines "höllischen Roadtrips" (Steve Kerr). Fünf Auswärtsspiele stehen während diesem noch an, eins davon steigt bei den Spurs. Und genau die könnten plötzlich wieder zum Problem werden.
Kerr vor schwerer Entscheidung
Denn auch, wenn es eigentlich nicht das Ding von Coach Gregg Popovich ist, dürften sie im Kampf um den Top Seed eine Schippe mehr drauflegen, als es für die Texaner in der Regular Season üblich ist. Sie liegen derzeit nur 3,5 Spiele hinter den Warriors - und dürfen noch zweimal zu Hause das direkte Duell bestreiten. Ein Roadtrip steht bei ihnen nicht mehr auf dem Programm.
Dubs-Coach Kerr steckt also in einem Dilemma. Was tun, wenn es ohne KD plötzlich nicht mehr läuft und der Heimvorteil in möglichen Conference Finals in Gefahr gerät? Soll er alles für den Top Seed riskieren und auf Pausen der anderen Stars verzichten, oder in Kauf nehmen, dass sie nur als Zweiter in die Playoffs starten?
Das wäre gefährlich. Mal angenommen, Durant braucht die erste Playoff-Runde, um wieder auf den Damm zu kommen. Gegen die Nuggets, Pelicans, Mavericks oder Wolves, die um Platz acht kämpfen, wäre das kein Problem. Doch auf Rang sieben werden mit den Thunder, Jazz, Grizzlies oder Clippers ganz andere Kaliber warten. Und: Als Tabellenzweiter wäre ein Duell mit den Rockets schon in der zweiten Runde möglich, mit deren Dauerfeuer die Warriors in dieser Saison schon einmal Problemen hatten.
Ein drittes Szenario ist auch noch denkbar: Ohne KD erwachen die "alten" Warriors aus der legendären letztjährigen Regular Season zum Leben, legen das Hauptaugenmerk auf Ball Movement und Defense und spielen jeden Gegner rund.
Neue Dynamik im Westen
Besonders wahrscheinlich ist das allerdings nicht: Von zehn der effizientesten 5-Mann-Lineups (ausschlaggebend: Das Net-Rating) der Warriors ist Durant in neun vertreten. Gegenbeispiel: Curry ist nur bei fünf von ihnen dabei.
Der Kampf um die West-Krone erhält unter dem Strich eine völlig neue Dynamik und kann durchaus signifikante Auswirkungen auf das Playoff-Bild haben. Unverwundbar war der Topfavorit schon vor der Friendly-Fire-Attacke von Pachulia auf Durant nicht. Sollte der Topscorer des Teams arg eingeschränkt zurückkommen und im härtesten Fall überhaupt nicht mehr in der laufenden Saison aufs Feld marschieren, wären die Dubs nur noch ein Contender unter anderen und kein Überteam mehr.
So wird sich die Basketball-Fraktion in der Bay Area täglich die Frage stellen: Was macht eigentlich die Schwellung am Knochen von KD?