Es ist mittlerweile über eine Woche her, dass die Cleveland Cavaliers nach Strich und Faden von den San Antonio Spurs verprügelt wurden. Schon zur Halbzeit lag der Titelverteidiger hoffnungslos hinten, sodass alles Nachfolgende nur noch ein riesiger Haufen Garbage Time war.
Den wohl übelsten Abend erwischte Kyrie Irving (8 Punkte, 4/13 FG). Er selbst befand seine Leistung für so verheerend, dass er spätabends noch einmal aufs Parkett zurückkehrte, um ein paar Jumper zu nehmen, während die Hallencrew des AT&T Centers darauf wartete, endlich Feierabend machen zu können. Als es so weit war, saß Uncle Drew minutenlang im Locker Room. Mit einem Handtuch über dem Kopf und den Füßen in einer Eistonne war er nicht mehr in der Lage, passende Worte für das Spiel zu finden.
"Sie sahen einfach so viel schneller aus als wir. Sie waren besser aus dem Dribbling und in Transition. Sie waren einfach überall schneller", versuchte sich stattdessen Head Coach Tyronn Lue an einer Erklärung. In der Tat wirkte sein Team müde und behäbig: Zum Pausentee (40:64) standen exakt null Ballgewinne oder Blocks auf der Habenseite. Und die Spurs durften mit einem Offensiv-Rating von 136,2 (!) machen, was sie wollten.
Schlechtestes LeBron-Team seit 14 Jahren
Dieses Spiel war der traurige Höhepunkt eines traurigen Monats für den Champion. Zugegeben, der Spielplan war mit zwölf Auswärtsspielen inklusive vier Back-to-Backs happig. Am Ende standen eine 7-10-Bilanz und der (vorläufige) Verlust des Top Seeds an die Boston Celtics. Das letzte Mal, dass ein Team mit LeBron James im Kader zehn Spiele in einem Monat verloren hatte, war 2003 - das ist 14 Jahre her.
Power Ranking im März: Ich steh' erst wieder auf, wenn wir besser sind!
Dass die Probleme des Teams am defensiven Ende zu finden sind, ist nicht erst seit der Kritik vom König offensichtlich, der seinen Untertanen mangelnde Härte vorwarf. Über die ganze Saison gesehen verteidigen nur acht Teams der Association ineffizienter, im Monat März stellte Cleveland gar die mieseste Verteidigung der ganzen Liga. Besonders auf Auswärtstouren gab es regelmäßig Kloppe: Nur beim Gastspiel in Chicago (das trotzdem verloren ging) wurde der Gegner unter 100 Punkten gehalten. Bei allen anderen 24 Auswärtsspielen im Jahre 2017 gelang das nicht.
"Wir befinden uns gerade in einer schlechten Phase", erklärte LeBron vor wenigen Tagen. "Man kann nicht sagen, dass der Einsatz nicht stimmt. Die Jungs geben sich Mühe. Wir müssen herausfinden, woran es stattdessen liegt. Vielleicht sind wir nicht in der Lage, unsere Konzentration über 48 Minuten aufrecht zu erhalten."
Tage der offenen Tür in der Cavs-Zone
Fest steht, dass es komplett untertrieben wäre, die Zone der Cavs nur als "löchrig" zu bezeichnen. 44,4 Punkte dürfen die Gegner dort erzielen, von den potentiellen Playoff-Teams im Osten ist nur Miami schlechter. Im März war mit 48,4 Punkten alles noch schlimmer, das ist in etwa Lakers-Niveau.
Wie gereizt die Stimmung wegen dieses Defizits ist, zeigte auch der Vorfall während der OT-Schlacht gegen die Pacers. Indiana lief ein Play für Paul George, dass die Cavs zwang, dessen Verteidiger zu switchen, von LeBron auf Tristan Thompson. Das allerdings ging völlig in die Hose, woraufhin sich die beiden während einer Auszeit ein lautes Wortgefecht lieferten. Coach Lue gelang es nicht, zwischen den beiden Streithähne Frieden zu stiften.
"Ich muss ein besserer Anführer sein", zeigte sich James anschließend selbstkritisch. "Ich hatte den richtigen Gedanken, habe aber die falschen Worte gewählt." Zwischen den beiden war also alles wieder in Butter, wie auch TT selber versicherte: "Wir sind eine Familie. Ein paar Missverständnisse gibt es immer. "
Kein Ringbeschützer in Sicht
Das Problem ist allerdings, dass sich das Defizit nicht so einfach lösen lässt. Um offensiv schlagkräftig zu bleiben, greift Coach Lue häufig auf kleine Aufstellungen zurück mit Kevin Love oder gar James auf der Fünf. Beide sind hinten keine Ringbeschützer - genauso wenig wie Thompson. Der ist zwar immer mal für einen Highlight-Block gut, aber eben nur 2,06 Meter groß.
Eigentlich hätte die Verpflichtung von Andrew Bogut diesbezüglich für Entlastung sorgen sollen, doch dessen unfassbar bittere Verletzung durchkreuzte diesen Plan. Der als Ersatz verpflichtete Larry Sanders stand insgesamt erst zwei Minuten für die Cavaliers auf dem Parkett und Channing Frye hat seine Stärken in der Offensive.
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Heißt: Sobald dem Gegner ein erfolgreicher Drive oder ein erfolgreiches Pick-and-Roll gelingt, fällt die Cavaliers-Defense praktisch in sich zusammen. Auf den Backcourt-Verteidigern lastet deshalb hoher Druck, dem nicht immer standgehalten werden kann. Kyries Energie wird offensiv benötigt, J.R. Smith ist J.R. Smith, Kyle Korver ist langsam, Deron Williams alt. Da ist es wenig hilfreich, dass sich Iman Shumpert - wie eigentlich immer - mit Verletzungsproblemen durch die Saison schleppt.
Showdown in Boston
Überhaupt zieht sich das Verletzungspech des Meisters wie ein roter Faden durch die Saison. Love ist gerade erst von einer Knie-OP zurück, Korver laboriert an Fußproblemen, Smith (Daumen) hat erst 35 Spiele absolviert und findet überhaupt nicht zu seiner Form. "Seine Saison ist schwierig. Er hat das Training Camp wegen der Vertragssache verpasst. Er musste sich in der Saison fit bekommen, dann hat er sich verletzt...", kratzt sich Lue am Kopf. Seit seiner Rückkehr am 8. März trifft der 31-Jährige nur 35 Prozent aus dem Feld für 8,5 Punkte.
Seit die Trade Deadline verstrichen ist, lohnt es sich für James nicht mehr, Playmaker zu fordern oder sich anderweitig über den Kader zu beschweren. Dieser ist sowieso nach wie vor der talentierteste im Osten, daran hat sich nichts geändert im Vergleich zum Vorjahr.
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Was sich dafür ändern könnte, sind die Voraussetzungen in den Playoffs, denn der Top Seed ist bekanntlich in akuter Gefahr. Doch es gibt gute Nachrichten: In der Nacht auf Donnerstag wartet der Showdown bei den Boston Celtics (2 Uhr live auf DAZN). Bei einem Sieg wären die Cavs wieder auf dem Platz an der Sonne, zumal der Tiebreaker in diesem Fall nach Ohio ginge.
So einfach wie im letzten Jahr?
Was den Cavs im direkten Duell in die Karten spielen dürfte: Die Celtics ziehen ein durchschnittliches Tempo auf und sind auch nicht berüchtigt dafür, nach Strich und Faden die Zone zu attackieren. Auch den Dreier verteidigt die defensiv ansonsten top aufgestellte Kobold-Armee nicht überragend - und trotz der Krise sind die Cavs immer noch in der Lage, von Downtown heiß zu laufen. Zumal Korver dann wieder zurück sein sollte.
Doch es scheint, als würden sie ihre Attitüde, in den Playoffs den Schalter ohnehin jederzeit umlegen zu können, in diesem Jahr mehr denn je ausreizen. Die Celtics haben die schlagkräftigste Truppe seit dem Ende der Big-Three-Ära beisammen, zudem sollte man auch Toronto nicht vergessen. Wenn das Handgelenk von Kyle Lowry mitspielt, sehen wir in den Playoffs vielleicht das beste Raptors-Team aller Zeiten, auf das die Cavs - bleibt es bei Rang zwei - höchstwahrscheinlich schon in der zweiten Runde treffen würden. Dann wären die Zeiten vorbei, in denen sich die Teams um LeBron bis zu den Conference Finals in Ruhe einspielen dürfen.
Seit 2011 fanden keine Finals mehr ohne den Auserwählten statt, obwohl die Heat oder Cavaliers unzählige Krisen während der Regular Seasons bewältigen mussten. Das war auch letztes Jahr so, als im Januar Coach David Blatt entlassen und durch Lue, zunächst als LeBron-Handlanger abgestempelt, ersetzt wurde. Am Ende gelang - auch dank der Leadership von James - trotzdem der große Wurf. In sensationellen Schlachten gegen die Warriors bewiesen die Cavs das Herz eines Champions.
Im gefährlich gewordenen Osten sollten sie dieses in den nächsten elf Tagen wiederfinden.