"Wir werden niemals nach Ausreden suchen", erklärte Celtics-Center Al Horford nach der Auftakt-Niederlage seines Teams gegen die Chicago Bulls. "Aber das war heute sehr hart für uns alle."
Nachdem am Samstag die kleine Schwester von Isaiah Thomas bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, stand Spiel 1 der Erstrundenserie zwischen dem Top Seed und dem Achtplatzierten im Zeichen der Trauer. Der ganze TD Garden fühlte mit seinem Liebling, der sich dafür entschieden hatte, trotz der schlimmen Umstände für sein Team da zu sein und es anzuführen.
Dass es kein normales Basketball-Spiel werden würde, zeigte schon der Ablauf der Pregame Show. Normalerweise hebt IT4 seine Hände in Richtung der Fans, wenn der Hallensprecher seinen Namen durch das weite Rund schreit, um sich für die Unterstützung zu bedanken. Doch an diesem Abend stand er nur da - verwundbar und mit feuchten Augen.
Sein Team kümmerte sich um ihn. Beim intensiven Huddle nahm es den 1,75-Meter-Mann in seine Mitte, um ihm zu zeigen: Wir sind für dich da, was auch immer du durchmachst. "Isaiah ist Familie für mich", erklärte später Avery Bradley. Das Foto, wie er beim Shootaround vor der Partie den auf der Bank sitzenden Thomas in den Arm nimmt, ging um die Welt. Bradley, der vor vier Jahren seine erst 46-jährige Mutter verlor, ist vielleicht der einzige Spieler im Celtics-Team, der sich halbwegs vorstellen kann, was Thomas durchmacht.
"We got you, Isaiah"
Auch die Fans im emotionalen Garden stellten sich hinter ihn. "We got you Isaiah", war die klare Botschaft, die hinter der Cetlics-Bank verkündet wurde. Als es dann losging, dauerte es knapp vier Minuten, bis es zum ersten Mal ohrenbetäubend laut wurde: Thomas versenkte ins Gesicht von Rajon Rondo seinen ersten Dreier des Abends.
Die anschließende Stimmung war Finals-würdig - und als IT4 kurze Zeit später aus der Ecke seinen nächsten Triple über Nikola Mirotic traf, brauchte Chicago die erste Auszeit. Denn es war klar: Bei aller Trauer dachte Thomas nicht daran, auf dem Court auch nur einen Gang zurück zu schalten.
"Er hat heute für seine Schwester und für seine Familie gespielt", erklärte Bradley, nachdem Thomas das Spiel mit 33 Punkten (10/18 FG) und 6 Assists beendet hatte. Dieser entschied sich derweil mit gutem Recht dazu, den Medien nicht zur Verfügung zu stehen.
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"IT ist unglaublich", staunte auch Teamkollege Gerald Green. "Ich habe keine Ahnung, wie man so gut mit einer solchen Situation umgehen kann. Aber es gibt bei ihm wohl nichts mehr, was mich noch überraschen würde."
Sportlich im Stich gelassen
Doch so sehr die Celtics auch als Mannschaft zusammenrückten: Sportlich ließen sie Thomas im Stich. Besonders am Brett ließen sich die Hausherren den Schneid abkaufen und verloren das Rebound-Duell überdeutlich mit 36:53. Noch verheerender: Aus 20 Offensivrebounds durften die Bulls 23 Punkte generieren. Dazu hatten sie in Jimmy Butler einen Clutch-Spieler, der am Ende den Unterschied machte: Der All-Star erzielte 15 seiner insgesamt 30 Punkte im vierten Viertel.
Hinzu kam eine bärenstarke Leistung von Bobby Portis. Coach Fred Hoiberg setzte auf den 22-Jährigen, nachdem Nikola Mirotic überhaupt nicht ins Spiel gefunden hatte (1/9 FG). Mit ganz großem Selbstvertrauen versenkte er Jumper um Jumper. Allerdings, so schien es, hatte ihn die Celtics-Defense nicht als potentielle Gefahr auf dem Zettel und ignorierte ihn immer wieder nahezu komplett.
"Er hatte noch überhaupt keine Playoff-Erfahrung", sagte Hoiberg hinterher. "Aber ich habe mir bei ihm überhaupt keine Sorgen gemacht. Er spielt immer mit unglaublichem Selbstvertrauen und großem Einsatz."
Die neuen Bulls
Damit steht er quasi sinnbildlich für die Bulls der letzten Wochen: Von der hanebüchenen Offense, den teaminternen Streitigkeiten und der Arbeitsverweigerung in der Defense war plötzlich nichts mehr zu sehen. Das Team hat das Momentum aus dem starken Ende der Regular Season mit in die Postseason genommen und tritt endlich mal geschlossen auf.
"Wir waren so fokussiert, die ganze Woche schon. Wir kennen ihre Plays in und auswendig - wie sie unsere. Aber wir haben unseren Teil sehr gut ausgeführt. Das ist uns in der Saison nicht wirklich gut gelungen, aber die Playoffs sind die richtige Zeit, um das zu tun", brachte es Butler auf den Punkt.
Dass es kein normales Spiel und der Gegner emotional angeschlagen war, wusste aber auch er. Für Thomas fand er folgende Worte: "Seine Leistung hat gezeigt, was für ein großartiger Spieler und Mensch er ist. Was auch kommen mag - er geht da raus und kämpft für die Franchise und das Team."
Läuft Thomas weiter auf?
Ob Thomas das in den kommenden Spielen auch tun wird, ist noch nicht klar. Es würde wohl jeder Mensch auf der Welt verstehen, wenn er sich eine Auszeit nehmen möchte, um bei seiner Familie zu sein.
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"Wie auch immer er sich entscheidet - wir unterstützen ihn auf jedem erdenklichen Weg", versprach Head Coach Brad Stevens, der sich von Thomas' Charakter "inspiriert" fühle. Sportlich gesehen wird es jedoch eine Herkulesaufgabe für Boston werden, die Serie wieder auf ihre Seite zu ziehen, sollte IT in den kommenden Spielen fehlen. "Wir sind es ihm schuldig, dass wir uns für ihn da durchkämpfen", so Bradley.
Ob dies nun gelingt oder nicht, Tragödien wie die um Thomas' Schwester zeigen, dass es so viel wichtigere Dinge als Siege oder Niederlagen im Sport gibt. Auch ein möglicher Upset mit dem Aus des Top Seeds ist da keine Ausnahme - auch, wenn IT selber wohl keine Ausrede gelten lässt.