Nach dem Sweep durch die Cleveland Cavaliers stehen für die ausgeschiedenen Toronto Raptors einige zukunftsweisende Entscheidungen an. Was passiert in der Offseason? Bleibt Kyle Lowry? Wird DeMar DeRozan getradet? Und lohnt es sich aktuell überhaupt, gut zu sein? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie ist die Saison der Raptors zu bewerten?
"Sie haben LeBron James. Und niemand kommt an sie heran." Der Frust von Kyle Lowry war schon vor dem endgültigen Aus in den Conference Semifinals deutlich zu hören. Ohne ihren Spielmacher, der mit einer Knöchelverletzung aussetzen musste, beendeten die Cavs die Saison der Raptors. Also James beendete sie - with a little help from his friends.
"Ich weiß nicht, wann seine Prime zu Ende ist, wahrscheinlich aber nicht in nächster Zeit", sagte Lowry und malte damit dunkle Wolken an den Himmel der Eastern Conference. "Wenn LeBron in unserem Team wäre, hätten wir gewonnen", ließ auch DeMar DeRozan nach der vierten Pleite im vierten Spiel verlauten. Es wirkte wie eine Mischung aus Enttäuschung und Kindergarten.
Der Sweep gegen die Cleveland Cavaliers ist nicht so verheerend für die Franchise wie von manchen Beobachtern behauptet. Das ist schon anderen Mannschaften gegen LBJ passiert. Vor allem, wenn dessen Team fantastischen Basketball spielt.
Die Regular Season war nach einem starken Start (22-8) allerdings nur mittelmäßig zu Ende gegangen. Aufgrund der Handgelenks-Operation von Kyle Lowry, die ihn 21 Spiele kostete, beendete Toronto die Spielzeit mit einer Bilanz von 52-31 auf Rang drei im Osten.
Dass es dieses Jahr für Toronto nicht für den Einzug in die Conference Finals gereicht hat, lag auch am Bracket. Gegen die Boston Celtics oder Washington Wizards wäre deutlich mehr drin gewesen. Aber seien wir ehrlich: Am Ende hätten sich die Raptors dem Champ nur eine Runde später beugen müssen.
Dennoch hing die Saison schon zuvor am seidenen Faden, da sich Torontos Offensive in der Erstrundenserie gegen die Milwaukee Bucks schwertat. Trotz all der Schwierigkeiten muss festgehalten werden: Dieses Toronto-Team ist das tiefste der vergangenen Jahre. Es wurde extra zusammengestellt und zur Trade-Deadline noch einmal verstärkt, um LeBron und Cleveland Paroli zu bieten.
Doch auch die Akquisitionen von Serge Ibaka und P.J. Tucker waren nicht genug. "Sie haben sich redlich bemüht", könnte im Abschluss-Zeugnis der Raptors stehen. So wie DeRozan, der wirklich versuchte, den Traps und Double-Teams mit klugen Pässen zu überwinden. Oder so wie Tucker, der gerade in Spiel 4 der Cavs-Serie seine Klasse als Verteidiger zeigte und James so bei NUR 35 Punkten hielt.
So wie jetzt kann und wird die Mannschaft aus finanziellen Gesichtspunkten aber nicht zusammenbleiben. Gleich vier der ersten acht Rotationsspieler werden Unrestricted Free Agents.
Was bedeutet das Aus für die Offseason-Pläne?
"Dieser Sommer ist gewaltig für uns." Masai Ujiri weiß, dass die Stunde geschlagen hat. "Wir versuchen, mit den großen Jungs mitzuhalten", erläutert der President of Basketball Operations, der in der Offseason einige weitreichende Entscheidungen treffen muss.
Im Gegensatz zu vielen anderen Teams, bei denen die Entwicklung meist eine grobe Richtung vorgibt, haben die Raptors in diesem Sommer wirklich alle Optionen. Sie könnten für teures Geld weiter ihrem Contender-Status hinterherlaufen, annähernd den Status Quo halten und um 50 Siege spielen oder einen kompletten Neuaufbau einleiten. Für alle drei Szenarien gibt es gute Argumente.
Dabei steht und fällt vieles mit der Personalie Kyle Lowry. Der All-Star Point Guard kann vor seinem letzten, mit 12 Mio. Dollar dotierten Vertragsjahr aussteigen - eine Formsache. Denn nach einer Karriere-Saison strebt Lowry einen Max-Vertrag (209 Mio. Dollar für fünf Jahre) an, weniger brauchen ihm die Raptors gar nicht erst anzubieten.
Allerdings ist Lowry schon 31 Jahre alt und hat hier und da Wehwehchen. Die letzten beiden Vertragsjahre, in denen er 35 bzw. 36 ist, werden wehtun. Dafür, dass Lowry ein Angebot der Raptors annehmen würde, spricht die deutlich schlechtere Vertragssituation, die ihn bei einem Wechsel zu einem anderen Team erwarten würde (Vier Jahre, 140 Mio. Dollar).
Serge Ibaka, P.J. Tucker und Patrick Patterson sind - nach Wichtigkeit geordnet - die weiteren Free Agents. Aufgrund des Vertrags, den DeMar DeRozan 2016 unterschrieben hat (139 Mio. für fünf Jahre), gibt es für den Supporting Cast der beiden Star-Guards wenig finanziellen Spielraum.
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Eine Verlängerung mit Lowry würde es quasi unmöglich machen, einen Deal mit Ibaka auszuhandeln. Die Gehälter lägen dann nämlich schon deutlich über dem zu erwartenden Salary Cap von 102 Mio. Dollar. Und dabei haben die Raptors für Ibaka, dessen Prime vorüber ist, erst vor zweieinhalb Monaten Terrence Ross und einen Erstrundenpick abgegeben.
Ibaka verlangt rund 20 Mio. pro Jahr, die Toronto weit über die Luxussteuer-Grenze (ca. 125 Mio.) bringen würde - und dann wären noch nicht einmal alle Kaderplätze gefüllt. Für die Eigentümer eines Pseudo-Contenders ist das eindeutig zu viel Kohle.
DeMarre Carrolls Vertrag wäre eigentlich gut geeignet, um den Cap zu drücken, doch aufgrund der jüngsten Schwächephase des Flügelspielers müsste Ujiri aktuell wohl eher einen Pick dazugeben, um ihn und seinen Gehaltsscheck über 15 Mio. Dollar loszuwerden. Und den ähnlich verdienenden und zuletzt mehr unter- als durchschnittlichen Jonas Valanciunas traden? Auch mit dem Angebot sorgt Ujiri bei seinen Kollegen nicht gerade für feuchte Höschen.
Schnelle Abhilfe könnte ein Trade von Cory Joseph schaffen (Gehalt: 8 Mio.), nach dem sich gleich mehrere Teams die Finger lecken würden. Angesichts seiner starken Leistungen als Lowry-Ersatz, des Status als Howntown Hero und seiner Wichtigkeit für die Bank ist das aber vielleicht nicht die beste Idee.
Mit 8 Mio. Cap Space wären zudem keine großen Sprünge möglich. Damit könnten maximal Tucker über dessen Bird-Rechte gehalten werden, wenn der sich mit einem einstelligen Gehalt zufrieden gäbe. Patrick Patterson hat sich zwar einen Ruf als Plus/Minus-Monster erarbeitet, ist grundsätzlich aber ein Spieler, der zu ersetzen ist.
Ist ein Trade von DeRozan eine Option?
In den vergangenen drei Jahren scorte Toronto in der Postseason im Schnitt lediglich 99,2 Punkte und befand sich damit stets am unteren Ende der Liste aller Playoff-Teams. Zudem lagen die Werte jeweils deutlich unter dem, was die Raptors in der Regular Season auflegten.
Es scheint, als wären die Schwächen des Teams im Playmaking und Ball Movement in der Postseason eine noch größere Sache als ohnehin schon. Cleveland (und phasenweise auch Milwaukee) haben eindrucksvoll gezeigt, wie man Aktionen von Lowry und DeRozan verhindert.
Sie zwangen den Rest des Teams, zu kreieren und ihre Würfe zu versenken - etwas, das den Raptors nicht gut genug gelang. Und selbst als Torontos Supporting Cast in Spiel 4 endlich anfing zu treffen, war Cleveland immer noch den entscheidenden Tick besser.
Ist es vielleicht einfach der Spielstil von Torontos Star DeRozan, der es den Kanadiern so schwer macht? Ein schlechter Schütze, der den Ball in seinen Händen braucht - nicht gerade der bevorzugte Eckpfeiler für ein Championship Team.
Mit Sicherheit wird Ujiri auch daran denken, DD abzugeben. Aber es könnte schwierig werden, adäquaten Gegenwert für ihn zu bekommen. Die Los Angeles Lakers wollen endlich wieder einen Star in ihren Reihen und wurden bereits mit DeRozan in Verbindung gebracht. Allerdings passt er nicht in Luke Waltons teamorientiertes System.
Sollten die Knicks Carmelo Anthony loswerden können, wäre ein Anruf in New York nicht verkehrt. Auch Charlotte könnte eine Option sein. Oder Ujiri versucht einfach wieder, mit den Sacramento Kings einen einseitigen Deal auszuhandeln. Das hat ja schon mehr als einmal funktioniert.
Sollte Lowry Toronto verlassen, würde ein Trade von DeRozan deutlich wahrscheinlicher werden. Denn ohne ihren Point Guard wäre es für die Raptors nicht möglich, das aktuelle Niveau zu halten. Den Vertrag von DD auszusitzen, wäre daher keine sinnvolle Option.
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Ein Trade des Publikums-Lieblings, der als einer der wenigen Toronto-Stars überhaupt trotz vorhandenen Markts in Kanada geblieben war, würde die Fanbase zwar nicht gerade begeistern, könnte aber der richtige Schritt sein. Die Eier dafür hat Ujiri. Die nahe Zukunft sähe dann aber eher grau aus.
Was bedeutet der Sweep für die Verantwortlichen?
Masai Ujiri hat einen guten Ruf und genießt als President of Basketball Operations das uneingeschränkte Vertrauen der Eigentümergesellschaft MLSE. Das Ausscheiden ist weder Ujiris Politik noch seiner Planung anzulasten. Es wäre ja nicht so, als hätten die Trades für Tucker und Ibaka ihre Wirkung verfehlt. Sie war nur nicht groß genug.
Eigentlich sollten die Raptors zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin ganz anders aussehen, das aktuelle Team war eher ein Unfall. Mit dem Trade von Rudy Gay zu den Kings im Dezember 2013 wollte Ujiri den Rebuild einleiten. Der anschließende Trade von Lowry nach New York kam aber nicht zustande, weshalb er mit einem mittelmäßigen Team da stand.
Dank sinnvoller Verstärkungen und einem sicheren Händchen beim Draft entwickelte er daraus ein gutes Team. Doch für Ujiri ist gut nicht gut genug.
Er hat schon öfter bewiesen, dass er vor keinem Wagnis zurückschreckt. Und egal was er tut, er besitzt komplette Narrenfreiheit in all seinen Entscheidungen. Spätestens nachdem er es geschafft hatte, den Knicks Andrea Bargnani anzudrehen.
Etwas anders verhält sich die Lage bei Head Coach Dwane Casey. Der ehemalige Assistant Coach der Dallas Mavericks, der das Team nach dem Titel 2011 verließ, hat in Kanada richtig gute Arbeit geleistet. Aus einer Franchise mit 23 Siegen formte er ein zweifaches 50-Siege-Team.
Allerdings scheinen ihm bei allen defensiven Qualitäten die Möglichkeiten zu fehlen, ein funktionierendes offensives System für sein vorhandenes Spielermaterial zu finden. Damit schlägt sich Toronto seit Jahren herum.
Sollten Lowry oder DeRozan das Team verlassen, dürfte Ujiri an Casey festhalten. Gibt es aber keine gravierenden Veränderungen in Toronto, wäre ein Wechsel an der Seitenlinie durchaus eine Option.
Casey hat zwar erst im Sommer 2016 eine Vertragsverlängerung über drei Jahre unterschrieben (für je 6 Mio. Dollar), doch das stellt bekanntlich kein großes Hindernis dar, wenn ein Team auf der Suche nach frischem Wind ist.
Ist es überhaupt sinnvoll, in der LeBron-Ära im Osten gut zu sein?
Paul George, Jimmy Butler, Carmelo Anthony, Derrick Rose, Al Horford, Paul Millsap, Brook Lopez, Joe Johnson - DeRozan und Lowry sind in guter Gesellschaft. Sie alle sind oder waren Allstars und sie alle haben es in ihrer Karriere noch nie in die Finals geschafft. Der Grund: die Dominanz von LeBron James.
Eine unwahrscheinliche Überraschung einmal ausgenommen, wird der King in diesem Jahr zum sechsten Mal in Serie den Finals-Teilnehmer der Eastern Conference anführen. 2011 bis 2014 waren das die Miami Heat, 2015 und 2016 waren es die Cavs.
Niemand zweifelt an der Richtigkeit von Lowrys Aussagen zum Thema LeBron - auch, wenn der Zeitpunkt seiner Äußerungen zweifelhaft war. Doch es stellt sich die Frage: Lohnt sich überhaupt der Versuch, gegen die Cavs in die Schlacht zu ziehen?
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Unter der Prämisse, dass die Cavs auch in den nächsten zwei Jahren im Osten nicht zu schlagen sein werden, könnte es sinnvoll sein, neue Wege zu gehen. Lowry ziehen lassen, DeRozan traden und den Rebuild jetzt einzuleiten könnte langfristig ertragreicher sein, als damit erst zu beginnen, wenn der King seinen Zenit überschritten hat.
Dafür spricht, dass mit Boston, Washington und Milwaukee drei Ost-Teams auf dem aufsteigenden Ast sind und den Contender-Status spätestens nächste Saison erreicht haben. Torontos Upside ist dagegen gering, weiter nach oben wird es nicht gehen.
Mit Norman Powell, Pascal Siakam, Jakob Pöltl und Delon Wright verfügen die Raptors zudem über einen vielversprechenden Talent-Pool, der bei entsprechenden Spielminuten den ein oder anderen wichtigen Spieler hervorbringen könnte.
Diese Jungs spielen zu lassen, würde den Raptors einen hohen Lottery-Pick in 2018 bescheren - vor allem da es kaum noch "Konkurrenz" um die unteren Plätze gibt.
Die Philadelphia 76ers leiten mit Ben Simmons, Joel Embiid und Dario Saric Phase zwei ein. Die Brooklyn Nets suchen nach Veteranen und die Los Angeles Lakers werden einige junge Spieler für Paul George tauschen. Die Minnesota Timberwolves machen den nächsten Schritt, lediglich die Phoenix Suns und die Sacramento Kings wären ernsthafte Konkurrenten um die Rote Liga-Laterne.
Eine leere Arena, lustlose Fans und die Rückkehr in die Bedeutungslosigkeit sind die allgemein gefürchteten Schattenseiten. Doch so schnell, wie die Generation um Lowry und DeRozan mit ihren Playoff-Runs in ganz Kanada eine Basketball-Hysterie ausgelöst hat, könnte man das Feuer der Fans im Erfolgsfall auch recht zügig wieder entfachen.
Auch, wenn man LeBron aus dem Weg gehen würde - am Ende bleibt die große Problematik des Tankings: Es ist nicht garantiert, dass es danach besser läuft. Manchmal bekommt man im Draft einen Tim Duncan - manchmal aber auch einen Andrea Bargnani.