"LeBron fehlt noch ein Schritt zu Jordan"

Thorben RybarczikOle Frerks
30. Mai 201712:07
Es kann nur einen geben! Wer gewinnt die NBA Finals 2017?SPOX
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Werden die Finals für langweilige Playoffs entschädigen - oder ist das gar nicht nötig? Wie sehr brauchen die Warriors ihren Head Coach Steve Kerr? Kann LeBron James mit einem weiteren Titel zu MJ aufschließen, ist die Defense der Cavaliers gut genug - und wer wird Finals-MVP? Die SPOX-Redakteure diskutieren mit DAZN-Kommentator Alex Schlüter und FIVE-Chefredakteur Andre Voigt.

Die Finals werden für langweilige Playoffs entschädigen

Andre Voigt: Jein. Es kommt darauf an, was man als Entschädigung ansieht. Wenn der Maßstab "spannende Spiele" herangezogen wird, kann es gut sein, dass man nicht entschädigt wird. Wenn man aber darauf schaut, wie die Teams versuchen werden, das jeweils andere zu schlagen, welche Änderungen es von Spiel zu Spiel geben wird - dann wird man auf jeden Fall entschädigt. Die Finals werden von der ersten Minute an ein Schachduell sein, denn beide Teams kennen sich sehr gut, auch, wenn bei den Warriors inzwischen Kevin Durant dabei ist. Tyronn Lue bei den Cavs und das "Coach-Konglomerat" bei den Warriors werden mit vielen verschiedenen Taktiken daherkommen und ihre Strategien immer wieder verschieben. Und genau darauf freue ich mich am meisten - auch dann, wenn es in fünf Spielen schnell vorbei sein sollte.

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Thorben Rybarczik: Es bleibt natürlich erstmal die Frage, ob die Playoffs tatsächlich langweilig waren. Wenn man die Dominanz der Warriors und Cavs ausklammert - schließlich waren wir uns alle sicher, dass es zum Finals-Rematch kommt - gab es abseits davon doch viele spannende Geschichten und Serien. Zu nennen wäre da allen voran die Serie Wizards gegen Celtics, bei der ja auch schon diese Anpassungen in der Ausrichtung von Spiel zu Spiel zu sehen waren. Auch die Personalie Isaiah Thomas hat genügend Stoff geliefert. Wie er mit der Tragödie um seine Schwester umgegangen ist - Wahnsinn. Oder nehmen wir die Serie der Rockets gegen die Spurs unter dem Gesichtspunkt, wie James Harden von der Defense kaltgestellt wurde. Und was war bitte mit Spiel 1 zwischen den Warriors und Spurs? Klar, es wurde von der Verletzung Kawhi Leonards überschattet. Trotzdem war es an Dramatik kaum zu überbieten. Die Finals müssen also gar nicht - auch, wenn sie hoffentlich episch werden - für die vorherigen Playoffs entschädigen.

Alex Schlüter: Ich bin da zwiegespalten. Es gab tatsächlich Spiele und ganze Serien, die mich gefesselt haben, beispielsweise die der Spurs gegen die Rockets. Auch Boston gegen Washington hat doch das Maximum an Spannung geboten, auch, wenn ich die Serie taktisch nicht auf dem ganz großen Niveau gesehen habe. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Serien und Teams, die mich enttäuscht haben. Es gab im Osten zu wenig Gegenwehr für die Cavs, gerade von den Raptors habe ich mir mehr erhofft. Auch die Warriors sind ungeprüft durchmarschiert. Das war aber nur wegen eben dieser Verletzung Leonards möglich - ich bin der Meinung, dass dies die beste Serie war, die es nie gab. Die Spurs hätten Spiel 1 ohne Frage gewonnen und wir hätten sieben epische Spiele erlebt. Also: Ein paar Teams kann man schon den Vorwurf machen, dass der Weg in die Finals zu einfach war, bei wiederum anderen haben Verletzungen Spannung einfach nicht zugelassen. Nun dürfen wir uns Hoffnung auf eine klasse Serie machen: Die Warriors haben die Erwartungen komplett erfüllt, während die Cavs sogar deutlich besser unterwegs waren, als es nach der Regular Season viele für möglich gehalten hatten.

Thorben Rybarczik: Wie kann man es überhaupt langweilig finden, den Warriors zuzuschauen? Wie sie es schaffen, aus dieser nie dagewesenen Konstellation mit vier Stars heraus einen solch selbstlosen Stil aufzuziehen? Und das ohne den eigentlichen Head Coach. Ich rede jetzt nicht von der Garbage Time, von der es ja jede Menge gab, sondern davon, wie schnell dieses Team einen Run hinlegen kann, der das Spiel aus dem Nichts entscheidet. Auch im Osten macht es einfach Spaß, LeBron dabei zuzuschauen, wie er wieder in der Lage ist, den Playoff-Schalter so konsequent umzulegen und alles und jeden auf unterschiedlichste Art und Weise zu dominieren.

Andre Voigt: Mir wird das Thema "Langeweile" zu sehr auf die Ergebnisse bezogen. Zudem läuft mir die Kritik an den sogenannten "Superteams" zu sehr ins Leere - besonders im Hinblick auf den historischen Kontext. Teilweise entlarvt das die Leute auch und zeigt, dass sie sich nicht viel mit der Vergangenheit der Liga auseinandergesetzt haben. Denn: Es gab schon immer Superteams und es wird auch immer welche geben. Egal, wie groß die Liga ist oder war, es gab immer nur einige wenige Teams, die Meister werden konnten. Das ist dieses Jahr mit den Cavs und Warriors plus vielleicht den Spurs auch nicht anders. Parität gab es in der Liga noch nie, ganz egal, wie man am CBA herumschraubt. Die Superstars haben einen viel größeren Einfluss auf das Spiel und ihre Zukunft, anders als es beispielsweise in der NFL der Fall ist. Wenn sie also ein Superteam bilden wollen, werden sie es tun. Und das schadet der Liga nicht! In allen Hochzeiten der NBA gab es diese Teams, ob es die Celtics um Bird, die Lakers um Magic oder die Bulls um Jordan waren. Von daher ist das Thema "Langeweile" für mich künstlich erzeugt, auch durch die sozialen Medien und dadurch, dass jeder immer alles gucken kann und sich aufgrund weniger Eindrücke eine Meinung des großen Ganzen bildet.

Ole Frerks: Im Großen und Ganzen wurde das Meiste gesagt und ich stimme dir im Wesentlichen auch zu, Dre, dass wir hier keine neue Entwicklung sehen. Wobei es bisher eben nicht den Fall gab, dass in beiden Conferences ein Team so weit über allen anderen schwebte. Das nimmt mir, wenn ich in der Nacht vorm Rechner hänge und das Spiel teilweise schon im zweiten Viertel entschieden ist, dann doch den Spaß und das ist auch keine künstlich erzeugte Langeweile. Und es ging dabei nicht nur um den Spielstand, sondern auch um das Thema Dramaturgie im Hinblick auf eine Serie. Die gab es weder bei den Cavs noch bei den Warriors, zumindest nicht aus meiner Sicht (auch nicht gegen die Spurs). Ich habe mich als Celtics-Fan über den Sieg in der Lottery fast genauso sehr gefreut wie über Spiel 7 gegen Washington - das sollte meiner Meinung nach nicht so sein, aber es ist für die "kleineren" Teams derzeit einfach kaum möglich, gegen Golden State oder Cleveland so etwas Ähnliches wie Hoffnung zu erzeugen. Von daher sage ich als Basketball-Fan: Ich hoffe, dass wenigstens die Finals spannend werden. Einige Highlights ändern für mich wenig daran, dass die Post-Game-PK in diesen Playoffs bisher häufig spannender war als das eigentliche Spielgeschehen.

Erst jetzt zeigt sich der wahre Wert von Steve Kerr

Alex Schlüter: Die Warriors waren bis jetzt so stark, dass es gar nicht entscheidend war, wer da an der Seitenlinie steht. Da hat Kerr mit seinem Coaching-Stab also schon im Vorhinein ganze Arbeit geleistet. Der Ball wird geteilt, alle spielen selbstlos und gönnen dem Nebenmann den freien Schuss. In der Regular Season war allerhöchstens mal bei Stephen Curry so etwas wie ein Ego-Modus zu sehen, der dann aber sofort wieder von Kerr eingestellt wurde. In den Finals kann all das aber anders werden: Es wird engere Spieler geben, womit es für die Coaches der Warriors mehr Herausforderungen gibt. Denn die Cavs haben gezeigt, dass sie taktisch mutig agieren. Lue hat gegen Boston oder Toronto eine Menge getan, ist hohes Risiko eingegangen und war innovativ. Das aggressive Doppeln beispielsweise zeugt von einem strategischen Plan, und einen solchen wird es auch gegen die Warriors geben. Diese müssen deshalb von Spiel 1 an auf so etwas reagieren - und dann ist es sehr wertvoll, wenn ein Steve Kerr in jeder Auszeit und in jeder Pause Einfluss neben kann und nicht nur vor dem Spiel oder in der Halbzeit.

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Ole Frerks: Fans der Lakers oder ironischerweise auch der Cavaliers (damals!) dürften der These wohl beipflichten - ob fair oder nicht. Mike Brown ist ein extrem sympathischer Typ und meiner Meinung nach macht er es bisher auch genau richtig, indem er die Warriors einfach machen lässt. Das ist so ein intelligentes und (selbst-)motiviertes Team, dass man eben nicht ständig rumschreien oder von draußen Plays ansagen muss. Für das Gebrüll hat man ohnehin Draymond und die Offense ist dann am besten, wenn sie im Flow ist und Steph als Ballhandler auf das reagiert, was die Defense ihm gibt. Da mache ich mir also keine Sorgen. Was jedoch ein Punkt ist, in dem Brown auch in den bisherigen Spielen teilweise ziemlich chaotisch agierte, sind die Rotationen. Bei der enormen Klasse der Warriors kann man sich einige Fehler natürlich erlauben, aber ich will in den Finals als Warriors-Fan keine Minuten sehen, in denen Steph und KD beide auf der Bank sitzen. Brown ist nicht unbedingt der reaktionsschnellste Typ, wenn mal ein Matchup nicht funktioniert, da sehe ich den etwas mutigeren Lue im Vorteil. Wobei man gestehen muss: Auch Kerr hielt in den Finals letztes Jahr etwas zu lange an einigen Spielern fest, die nichts mehr auf die Kette bekamen. Von daher: Nominell ist der Wechsel von Kerr zu Brown ein "Downgrade", aber im Endeffekt wird es wahrscheinlich keinen riesigen Unterschied machen, zumal Kerr ja nicht aus der Welt ist.

Andre Voigt: Ich sehe das auch nicht so kritisch. Die Warriors-Offense ist sehr von Automatismen geprägt und agiert auch ohne Ansagen von außen auf unglaublich hohem Niveau. Und in den Finals wird es eher auf den Defensiv-Plan ankommen: Wie reagieren die Warriors auf das 4-1- oder 1-4-Pick-and-Roll der Cavs? Und umgekehrt: Was machen die Cavs gegen ein Pick-and-Roll mit Durant als Ballführer und Curry als Blocksteller - oder generell gegen das kleine Lineup? In dieser Hinsicht sind die Warriors gut aufgestellt. Defensiv-Koordinator Ron Adams ist ja da und auch Brown ist jemand, der sich über die Defense definiert. Außerdem: Die Gameplan-Änderungen von Spiel zu Spiel, auf die es in engen Serien ankommt, kann Kerr ja vornehmen. Und mir kann auch niemand erzählen, dass er nicht auch während des Spiels Einfluss nimmt und mal einen Waterboy mit Anweisungen aus der Kabine zur Bank schickt. Von daher sehe ich es als keine entscheidende Schwächung an, wenn er während der Spiele nicht an der Seitenlinie agiert.

Thorben Rybarczik: Ich bin da eher bei dir, Dre. Ich halte den offensiven Gameplan auch nicht für entscheidend, zumal die Anführer des Teams in Abwesenheit von Kerr noch eine Schippe draufgelegt haben und keinerlei Attitüden erkennen lassen. Alle wissen einfach, wann sie welches Play in welcher Situation laufen sollten. Vorkommnisse wie die während der Regular Season, als es mal so etwas wie einen Mini-Streit um eine ungeliebte Isolation von Durant gabt, kommen praktisch nicht mehr vor. Wertvoll könnte Kerr dann werden, wenn es mal nicht so läuft - wie zum Beispiel gegen die Spurs in der ersten Halbzeit. Dann gab es aber die Halbzeit-Ansprache von ihm. Und anschließend hatte man das Gefühl, dass die Warriors mit einer ganz anderen Körpersprache aufgetreten sind, trotz des hohen Rückstands. Das hat mich an die etlichen Runs aus der Vorsaison erinnert, während derer man immer das Gefühl hatte, dass die Warriors gewinnen werden, egal mit wie vielen Punkten sie hinten liegen. Soweit man das von außen beurteilen kann, zeichnet Kerr genau das aus: Er vermittelt Vertrauen und weiß, in welchen Situationen er was sagen muss, um seine Jungs aufzurichten. Dass er das nicht über die vollen 48 Minuten machen kann, ist zwar bitter, aber nicht entscheidend, solange er anderweitig auf das Team einwirkt.

Mit einem weiteren Ring schließt LeBron zu MJ auf

Thorben Rybarczik: Ich finde es unheimlich schwer für Leute, die in den 2000ern mit Basketball sozialisiert wurden, die GOAT-Diskussion zu führen oder zu beurteilen. Ich kenne von MJ nun einmal nur Bücher, Reportagen, Highlights, Stats, Re-Lives von bestimmten Playoff-Spielen oder Herausforderungsreihen bei NBA 2k. Auf der anderen Seite erlebe ich LeBron in der Blüte seiner Zeit und kann seine Entwicklung mitverfolgen. Dabei frage ich mich: Wird man in 20 Jahren über LeBron so sprechen, wie man heutzutage über MJ spricht? Ich denke nicht. Denn das Phänomen "globaler Basketball-Superstar" gab es nun einmal schon vor ihm. Auch in Sachen Marketing ist ja MJ noch das Maß aller Dinge. Sportlich betrachtet finde ich die Art und Weise, wie LeBron das Spiel beeinflusst und dominiert, absolut beeindruckend. Er hat ja selber zuletzt wieder gesagt, dass er sich fragt: 'Was kann ich tun, um meinem Team zu helfen, wenn ich nicht score?' Diese Vielseitigkeit mit diesem Körper hat es noch nie gegeben. Und er wird von Jahr zu Jahr besser. Vergleicht man beispielsweise die Finals von 2011 mit den Playoffs heute, liegen Welten dazwischen. Kurz: Ich halte LeBron für den komplettesten und wohl auch besten Basketballer des neuen Jahrtausends. Aber ob er mit ein paar Ringen mehr zum GOAT aufschließt, vermag ich nicht zu beurteilen.

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Alex Schlüter: Ich habe Jordan in seiner Prime erleben dürfen. Was ihn meiner Meinung nach von James unterscheidet: Nach der Anfangsphase seiner Karriere - in der er ja individuell schon herausragend war, aber man ihm die Championship-Mentalität noch nicht so angeheftet hatte - hat er in seinen Titeljahren immer das Gefühl vermittelt, dass er Spiele, Serien und Meisterschaften auf jeden Fall gewinnt. Es gab einfach dieses Selbstverständnis, wenn Jordan nicht gerade Baseball gespielt hat: Steht er auf dem Parkett, gewinnen diese Bulls alles. Das ist bei LeBron nicht so. Nun kann man natürlich streiten: Was wäre gewesen, wenn es in der Jordan-Ära einen Gegner vom Warriors-Format gegeben hätte? Was, wenn es diese Warriors zurzeit nicht gäbe - wie viele Titel hätte LeBron? Wobei er natürlich auch gegen die Spurs oder gegen Dirks Mavs Finals verloren hat. Aber nochmal: Dieses Gefühl, dass er auf jeden Fall den Titel gewinnt, habe ich bei James noch nicht gehabt. Und das, obwohl er schon gute Teams um sich herum hatte, damals in Miami und auch heute in Cleveland. Deswegen sage ich: LeBron fehlt noch ein Schritt zu Jordan.

Thorben Rybarczik: Genau dieses Gefühl habe ich inzwischen bei LeBron, und zwar seit Game 7 in den letztjährigen Finals. Er hat einfach alles schon gesehen und erlebt und auf alles eine Antwort. Steht er auf dem Feld und übernimmt ein Spiel, gehe ich von einem Sieg aus. Das war beispielsweise auch beim legendären Christmas Game so, obwohl Irving wieder den entscheidenden Wurf getroffen hat. Erweitert man dieses Gefühl auf eine ganze Serie oder auf eine ganze Saison, traue ich LeBron aufgrund seines Auftretens und seiner Dominanz alles zu - auch einen erneuten Sieg in den Finals gegen diese Warriors.

Andre Voigt: Das Thema ist und bleibt extrem schwierig, weil es keine Parameter gibt, anhand derer man das messen kann. Jordan hat keine Finals verloren? Schön - aber Bill Russell hat mehr Titel. Und so weiter. Geht es jedoch "nur" darum, über den besten Basketballer aller Zeiten zu sprechen, muss man die beiden auf jeden Fall in einem Satz nennen! Ich stelle mir folgende Frage: Welchen Spieler würde ich wählen, wenn ich eine Finalserie gewinnen will - rein vom basketballerischen Standpunkt aus? Doch auch das ist aufgrund der unterschiedlichen Zeiten schwer, in denen beide gespielt haben. Bei Jordan war Handchecking noch erlaubt, dafür war die Zonenverteidigung verboten. Trotzdem sollte man sich darauf einigen können, dass Jordan der bessere Scorer war, da er unaufhaltsamer und unberechenbarer als LeBron agierte. Und das, obwohl LeBron inzwischen den Dreier hat und körperlich stärker einzustufen ist. Aber Jordan hatte mehr Waffen, man bedenke nur den Fadeaway aus seiner späteren Zeit. Dieses Attribut, immer punkten zu können, spreche ich LeBron ab. Wenn man aber alles zusammenrechnet und den Effekt auf die eigene Mannschaft mit einbezieht, hat LeBron tatsächlich den größeren Einfluss. Das zeigt sich schon daran, dass er in absolut jedem Spiel ein Triple-Double auflegen kann, und zwar mit Leichtigkeit. Auch ist er der bessere Passgeber als Jordan, obwohl dieser ja schon jede Menge Assists gespielt hat. Also: Geht es darum, einen Spieler für den Gewinn einer Serie zu wählen, geht der Zuschlag von mir an James.

Alex Schlüter: Da du die Entwicklung von Jordan ansprichst hinsichtlich des Fadeaways: Dann sollte man LeBron zugutehalten, dass er dieses zweite Element - das Post-up-Spiel - in sein Repertoire mit aufgenommen hat. Im Prinzip ist die Cavs-Offense nur auf zwei Dinge fixiert. Entweder auf James im Post, wo er seine Physis einsetzt oder den freien Mann findet, oder auf James als Ballhandler an der Dreierlinie, der das Pick-and-Roll läuft. Nebenbei glaube ich, dass die zweite Variante gegen die Warriors zum Tragen kommt. Es ist ja zu beobachten, dass die Cavs komplette Serien auf das eine oder andere ausrichten. Um auf den Vergleich MJ/LeBron zurückzukommen: Ein Unterschied ist, dass es gegen LeBron die Defensiv-Waffe gibt, ihm den Jumper zu lassen. Wenn der nicht fällt oder er ihm nicht vertraut, kann er aus dem Spiel genommen werden. Nun war Jordan auch nicht der beste Dreierschütze - doch er hatte mehr Wege, um das zu kompensieren. Es gibt einfach keinen Spieler aus der Jordan-Ära, der eine Idee hatte, was man ihm anbieten soll, ohne dafür von ihm bestraft zu werden.

Ole Frerks: Um es klipp und klar zu sagen: Ich hasse die GOAT-Diskussion. Keiner von uns hat Bill Russell live erlebt, nicht alle Jordan. Schon bald wird es eine Generation geben, die mit LaMelo Ball aufgewachsen ist. Na gut, vielleicht nicht. Aber der Punkt ist: Obwohl niemand alle gesehen hat, hat jeder eine Meinung - auch der 13-Jährige, der Crying Jordan besser kennt als MJ. Es kursiert da so viel unqualifiziertes Gelaber, dass es nicht wirklich Spaß macht, über Nuancen zu diskutieren, zumal es immer noch eine riesige verkalkte "Jordan wäre das nie passiert!"-Fraktion gibt. Ich würde auch angesichts der verschiedenen Regeln vorschlagen, dass wir uns darauf einigen, dass Jordan nicht der GOAT, sondern der GOHT ist - the Greatest of his Time. So wie LeBron heute, so wie Russell in den 60er Jahren. Ich weiß aber, dass das utopisch ist, daher noch kurz meine Meinung: LeBron ist der beste Basketballer, den ich jemals gesehen habe. Das kompletteste Paket, die (mittlerweile) brutale mentale Stärke, diese unfassbare Langlebigkeit. Er ist gleichzeitig der stärkste und intelligenteste Spieler der Liga und das seit zehn Jahren. Und bisher macht er keine Anzeichen, dass er demnächst nachlässt, obwohl er jetzt schon mehr Meilen auf dem Tacho hat als Jordan. Das wird etwas häufig vergessen, wenn man die beiden vergleicht. Ich muss aber gleichzeitig auch gestehen, dass ich LeBron von Anfang an verfolgt habe, während ich bei Jordan eben erst am Ende eingestiegen bin. Vielleicht würde ich sonst genau so über MJ denken, wobei mir das passlastige Spiel LeBrons vom Typ her stärker zusagt als der Iso-Ball der 90er Jahre. Wie auch immer: Die Frage ist zu subjektiv, als dass es jemals einen echten Konsens geben könnte.

Die Cavs-Defense ist zu schwach für die Finals

Andre Voigt: Ganz so hart würde ich es nicht formulieren - trotzdem halte ich die Defense der Cavs für arg überbewertet. Zumal sie bis dato noch nicht wirklich auf die Probe gestellt wurde. Betrachtet man die Serien gegen Boston oder gegen Toronto, sollte man sich fragen: Wie viele offene Würfe hatten die Gegner eigentlich? Jede Menge! Sie haben sie nur nicht getroffen. Die Cavs haben das natürlich clever gemacht, indem sie Leute wie Isaiah Thomas oder DeMar DeRozan gedoppelt haben, weil sie wussten, dass der "Rest" das nicht bestrafen kann. Trotzdem waren die Fehler, die Cleveland gemacht hat, klar zu sehen, auch wenn sie etwas konzentrierter agiert haben als in der Regular Season. Nun geht es gegen die Warriors, die sehr gut von draußen treffen. Zudem haben sie Spieler, die es verstehen, im richtigen Moment zu cutten. Dann siehst du plötzlich schlecht aus, wenn die Zuordnung nicht mehr da ist und es keinen "Notfallplan" gibt. Was den Cavs helfen könnte, wäre eine großzügige Regelauslegung der Referees, ohne dass ich hier jetzt Verschwörungstheorien lostreten will. Das war auch letztes Jahr in den Finals zu sehen, dass da sehr viel abseits des Balles passiert ist. Hier mal ein Rempler, da mal ein Halten gegen einen Shooter, der um einen Screen läuft - das ging alles durch. Auch dadurch wurde die Defense der Cavs besser und die Warriors verloren ihren Rhythmus. Wenn das allerdings alles kleinlich abgepfiffen wird, haben die Cavs ein Problem, da sie einfach nicht dauerhaft mehr als drei gute Verteidiger auf einmal aufbieten können. Zudem können sie nirgends Doppeln gegen diese Dubs, weshalb ich glaube, dass ihre Defense ein Riesenproblem wird.

Thorben Rybarczik: Defensiv-technisch sehe ich es ähnlich wie du. Die Taktik, die für die Cavs bis dato zum Erfolg geführt hat, muss komplett über den Haufen geschmissen werden. Aber das wissen natürlich auch die Cavs. Und es ist ja nicht so, dass sie 2016 nicht schon gezeigt hätten, dass sie sich anpassen können. Nach den ersten beiden Spielen hat auch niemand damit gerechnet, dass die Cavs darauf eine Antwort haben. Doch sie haben daraus, dass ab Spiel 3 offensiv plötzlich alles lief, defensive Energie generiert und jeder einzelne Spieler ist über sich hinausgewachsen. So kam es, dass nicht mehr zwei oder drei Spieler versteckt werden mussten, sondern nur einer - und die anderen waren in der Lage, den Gegenspieler vor sich zu halten. So konnten sie erzwingen, dass die letzten Würfe der Warriors nicht den Shootern gehörten, sondern den Rollenspielern. Das wird durch Durant dieses Jahr ungleich schwieriger, das ist klar - aber ich traue jedem einzelnen Cavs-Spieler zu, dass er in entscheidenden Momenten mehr Leistung bringt als in den Serien zuvor. Man erinnere sich nur an Game 7, als in der Crunchtime plötzlich jeder einzelne auf Bruce-Bowen-Niveau verteidigt hat.

Ole Frerks: In den letzten drei Spielen der Finals 2016 haben die Cavs kollektiv auf einem Niveau verteidigt, das ich ihnen nicht zugetraut hätte. Das war wirklich extrem stark. Ich glaube, dass sie dieses Niveau auch jetzt noch für einzelne Possessions erreichen können, aber bisher lässt mich wenig daran glauben, dass sie es auch über ganze Spiele schaffen können. Zumal sie ab jetzt eben nicht mehr gegen eindimensionale Ost-Teams antreten, die massive Probleme kriegen, wenn man ihnen den besten Scorer nimmt. Bei den Dubs weiß man ja nicht mal, ob nun Curry oder Durant der beste Scorer ist! Und dann rennt da immer noch ein Thompson rum. Schon mit den nicht gerade elitären Shootern der Celtics hatten die Cavaliers Probleme, das beste Beispiel war wohl ihre verpennte Rotation vor dem Gamewinner von Bradley in Spiel 3. Und ich glaube, man muss das wirklich noch mal betonen, wie groß der qualitative Unterschied zwischen den Celtics und den Warriors ist. Oder zwischen den Warriors und den Warriors im letzten Jahr - jetzt hat man einen gesunden Curry und Durant statt Barnes. Abgesehen von (vielleicht) Green und (vielleicht) Iggy gibt es in den besten Lineups der Warriors schlichtweg keine Spieler, die man mal stehen lassen kann. Das ist für Clevelands Defense eine viel größere Herausforderung als letztes Jahr, zumal sie mit Dellavedova einen wirklich ordentlichen Verteidiger verloren haben.

Alex Schlüter: Man sollte die Cavs aber auch nicht unterschätzen in dem, was sie bis jetzt defensiv geleistet haben in den Playoffs. Sie sind in jede Serie mit einem klaren Plan gegangen und haben ihn durchgezogen. Nun lässt sich mit dem Argument dagegenhalten, dass es bitter ist, dass die Teams darauf keine Antwort gefunden haben. Aber das Lob für die Cavs und Lue sollte im Vordergrund stehen. Sie haben in jeder Serie Spiele auch durch die Verteidigung gewonnen. Wir sollten also schon davon ausgehen, dass auch in der vierten Serie für die Cavs Adjustmens vorgenommen werden, die dem Gegner das Leben schwer machen. Genug Zeit haben sie dafür. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass sie das Werfen bei den Warriors Draymond Green überlassen mit der Prämisse: 'Nimm den Dreier - und wenn du ihn triffst, kann eh kein Team der Welt gegen euch gewinnen. Aber wenn du ihn verfehlst, dann lassen wir dich da draußen verhungern und ziehen die Helpside von dir weg.'

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Andre Voigt: Das war ja ein Stück weit schon der Plan aus dem Vorjahr, als man Green, einem strauchelnden Harrison Barnes oder Iguodala Würfe gegeben hat. Aber die Warriors und gerade Green sind inzwischen schau genug zu erkennen, dass es für sie viel mehr Optionen gibt als den Dreier. Wenn es dazu kommt, dass Green offen gelassen wird, wird er von der Vier aus den Playmaker geben, Drives initiieren und dadurch die Defense zur nächsten Aktion zwingen. Geschieht dies, sehe ich einfach nicht, wie die Cavs auch das beantworten sollen. Es sei denn, die Linie der Refs hilft etwas mit - wie ich es schon erwähnt habe. Dann können die Cavs extrem physisch werden. Darauf waren de Warriors schon letztes Jahr nicht eingestellt. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie denselben Fehler wieder machen.

Ole Frerks: Ich frage mich ja zudem auch, ob die Warriors nun endlich mehr das Pick-and-Roll mit Durant und Curry laufen werden, vielleicht auch mal vermehrt mit KD als Blocksteller. Nominell ist das das gefährlichste Play in der gesamten NBA, die Warriors haben es in der Saison aber kaum mal aus der Mottenkiste geholt. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Play die Serie entscheiden könnte.

Finals MVP 2017 wird...

Alex Schlüter: Kevin Durant. Ich habe ja tatsächlich Hoffnung, dass es eine enge Serie wird, und in dieser wird KD am Ende das Zünglein an der Waage. Er ist bei den Warriors die Komponente, die den geringsten "Zufalls-Faktor" hat, was für Superschützen wie Curry und Thompson natürlich etwas beleidigend klingt. Aber bei den Beiden sieht man halt - auch in Playoff-Serien - dass es vorkommt, dass sie ihren Wurf nicht finden. Durant kann Shooting Droughts kompensieren, indem er den Weg an die Freiwurflinie findet und anders punktet. Seine Wurfquoten momentan sind der Wahnsinn. Auch in der Verteidigung sollte sein Wert nicht unterschätzt werden - dort gibt er dem Team völlig neue Lineup-Möglichkeiten. Ich freue mich einfach auf das Duell der Serie: KD gegen LeBron. Wer da in Spiel 7 die Oberhand behält, wird die MVP-Trophäe abräumen und ich glaube knapp an Durant.

Durant vor den Finals: Der große Verlierer kann nur gewinnen

Andre Voigt: Durant ist bei den Warriors natürlich der Pick, den man wählen muss. Als Nummer zwei hätte ich da Green auf dem Zettel, der ständig am Triple-Double kratzen wird. Andererseits gehe ich davon aus, dass LeBron eine monströse Serie spielt und mit Abstand der wichtigste Akteur sein wird. Darüber, dass der MVP vom Siegerteam kommen muss, lässt sich nach wie vor munter streiten. 2015 hätte er das Ding ja auch locker verdient gehabt, auch wenn er vom Verliererteam kam.

Thorben Rybarczik: Absolut. Auch mein Pick heißt LeBron - ganz egal, wie die Serie ausgeht. Ich habe ja schon angedeutet, dass ich es ihm ohne weiteres zutraue, Titel Nummer vier perfekt zu machen. Ich glaube an die Cavs in sieben Spielen. Denn sobald es Elimination Games gibt, wird das Vorjahresfinale in vielen Köpfen der Warriors-Spieler eine Rolle spielen, was letztendlich tödlich ist.

Ole Frerks: Wenn es wirklich nach der Wichtigkeit eines Spielers ginge, hätte LeBron womöglich schon genau so viele Finals-MVPs gesammelt wie Jordan (und beide hätten sieben oder acht Regular Season MVP-Awards). Aber das tut es eben nicht. Wenn es 2015 nicht für ihn gereicht hat, wird es das auch heute nicht tun, wenn sein Team verliert. Und das wird es meiner Meinung nach. Mein Pick ist aber nicht Durant, sondern Curry - ich erwarte eine bockstarke Serie von ihm. Die ist Steph uns noch schuldig nach den letzten beiden Jahren, wenngleich er 2015 abgesehen von einem Spiel absolut solide war. Im Gegensatz zum letzten Jahr ist er jetzt gesund und in einem guten Rhythmus - und ich glaube, dass niemand von den ganzen 3-1-Witzen genervter war als er. Daher tippe ich auf ihn. In einem perfekten Universum wäre natürlich JaVale an der Reihe.

Andre Voigt: Um nochmal kurz auf 2015 zurückzukommen: Damals hat sich bei den Warriors niemand wirklich aufgedrängt, weshalb es letztendlich Iguodala wurde, auch aufgrund seiner Defense. Das fand ich persönlich stark - ich glaube aber nicht, dass es nochmal passiert, dass ein Außenseiter den Award gewinnt. Dafür ist die individuelle Qualität eines Durants zu groß.

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Alex Schlüter: Ein Stück weit haben die Cavs Iguodala damals zum MVP gemacht, indem sie ihn frei ließen. Er wurde ja über weite Strecken von Mozgov verteidigt. Das hat er effizient ausgenutzt. Komplett ausschließen, dass sich so ein Szenario wiederholt, würde ich es auch in diesem Jahr nicht. Bei Thompson glaube ich, dass er sich nicht aus seinem Loch befreit und auch Curry bekommen die Cavs gut verteidigt. Ein MVP á la Iggy wäre also denkbar - allerdings nicht mit einem KD in der aktuellen Form.

Das Playoff-Bracket im Überblick