Es sind noch gut zwei Minuten zu spielen im zweiten Viertel, als sich LeBron James einen seiner acht Ballverluste erlaubt, indem er den Ball in die Hände Klay Thompsons schmeißt. Dieser sucht das schnelle Dribbling nach vorne und passt das Leder anschließend zu Kevin Durant auf Höhe der Mittellinie.
Die Fastbreak-Maschine läuft auch Hochtouren. Dabei könnten die Cavs, die zu diesem Zeitraum noch im Spiel waren, zumindest diesen einen verhindern: Zwei Spieler - Iman Shumpert und J.R. Smith - befinden sich noch vor Durant. Doch Sekunden später scheppert es zum wiederholten Male, nachdem KD unbedrängt zum Dunk hochsteigen durfte. Was war schief gelaufen?
Das Problem war Stephen Curry, der noch vor Durant vorne war und sich für einen Dreier bereit machte. Von KD reichte nur ein Augenkontakt mit Steph - und schon sprang Smith nahezu panisch in den Passweg, um ein Anspiel zu verhindern. Die Bahn war frei, die Durantula sagte artig danke.
Lues Plan geht nach hinten los
Es war einer von vielen freien Dunks, die Cleveland dem Gegner an diesem Abend erlaubte. In den Serien zuvor war es Coach Tyronn Lue noch gelungen, jedes Auftaktspiel mit einem nahezu perfekten Defensiv-Plan anzugehen. Diesmal ging alles nach hinten los: Die Prämisse war offenbar, um jeden Preis freie Dreier zu verhindern, damit die Schützen nicht heiß laufen.
Das Blöde an der Sache: Dadurch, dass die Cavs diese Vorgabe (die Lue anschließend auf der Pressekonferenz halbherzig bestritt) umsetzten, war die Zone derart offen, dass ein Bus darin hätte wenden können. 42 Punkte erzielten die Warriors allein in der ersten Halbzeit am Brett, am Ende waren es 56 (gegenüber 30).
Die Anzahl der Fastbreak-Punkte (27:9) sprach ebenfalls eine deutliche Sprache. Es schien, als wären die Cavs überrascht von der hohen Pace der Dubs und der Vehemenz, mit der Durant - und auch Stephen Curry - zum Ring penetrierten. "Man kann ihr Tempo und ihre Art zu spielen, im Training nicht simulieren", erklärte Lue anschließend und hegte die Hoffnung: "Nun haben wir einen Eindruck gewonnen und können daraus Schlüsse ziehen."
LeBron braucht Unterstützung
Einer dieser Schlüsse ist, dass es nicht mehr reicht, den Dubs den Dreier wegzunehmen. Sie trafen in Spiel 1 nur einen Long Ball mehr als die Cavs und feierten trotzdem diesen Blowout - während sich Klay Thompson noch die Zeit nehmen durfte, um sich warmzuschießen (3/16 FG).
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Auch die in der ersten Halbzeit in fast allen Pick-and-Rolls umgesetzte "Switch everything"-Strategie sollte schleunigst überdacht werden. Denn von den Big Men war niemand in der Lage, Curry oder KD vor sich zu halten. Und, noch verheerender: Eine Helpside bei den zahlreichen Drives war praktisch nicht existent. Auch hier galt wohl, in erster Linie den Kickout-Pass und den einfachen Dreier zu verhindern.
Eine weitere Erkenntnis für den Coaching-Stab ist, dass LeBron deutlich mehr Unterstützung braucht. In der zweiten Halbzeit wirkte er erschöpft - was in den Serien zuvor ein nahezu undenkbares Szenario war. Das Problem: Niemand außer er selbst ist in der Lage, Durant zu verteidigen. Das raubt ihm Energie, worunter seine Offense leidet. Auch dadurch ist sein unrühmlicher Rekord von acht Turnovers in einem Finals-Spiel zu erklären. Zwar versuchte Lue phasenweise noch, die Situation zu retten, indem er LeBron Pachulia verteidigen ließ, aber das kann beim besten Willen ja auch nicht die Lösung sein.
Tristan Thompson war ein Totalausfall
In den wenigen Momenten, in denen James auf der Bank saß, geriet auch die Offense arg ins Stottern. Das war besonders im zweiten Viertel sehr bitter für das Team, das zu diesem Zeitpunkt noch in Schlagdistanz war. Doch Kyrie Irving als primärer Ballhandler war nicht zur Stelle: Ein wilder Iso-Dreier, ein Lob-Pass ins Aus und ein verfehlter Pullup-Jumper waren seine "Ausbeute" in drei aufeinanderfolgenden Possessions. So musste James schnell zurück aufs Parkett kommen.
Und als hätte er nicht schon Arbeit genug, musste er sich auch noch in den teilweise sehr hart geführten Kampf um die Rebounds stürzen. Zusammen mit Kevin Love (21 Boards) holte er weit über 50 Prozent aller Team-Rebounds. Das war nötig, weil Tristan Thompson ein Totalausfall war (0 Punkte, 4 Rebounds).
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Vor der Serie galt TT als X-Faktor für die Cavs, ist er doch berüchtigt dafür, gegnerische Defenses mit Offensiv-Rebounds zu demoralisieren. Davon war mal absolut nichts zu sehen - im Gegenteil. Auch er war von den zahlreichen Drives und dem aggressiven Nachsetzen der Dubs für zweite Punkte überrascht, wovon Golden State ebenfalls mehr erzielte als Cleveland (18:13).
Gepaart mit den 20 Ballverlusten ergab das viel zu viele Chancen für die Warriors, was auch Lue erkannte: "Wenn man gegen so ein Team spielt, kann man sich nicht erlauben, dass es 20 Abschlüsse im Spiel mehr hat als wir."
Der gleiche Verlauf wie 2016?
Was Hoffnung macht, ist freilich der Finals-Verlauf aus dem Vorjahr. Damals wurden die Cavs in den ersten beiden Spielen ebenfalls kräftig vermöbelt, konnten daraus aber die richtigen Schlüsse ziehen. Nur: Damals trafen die Dubs - gerade in Spiel 2 - wie verrückt von draußen und von einem Shooting Slump Thompsons war nichts zu sehen.
In diesem Jahr sind die Warriors praktisch gar nicht mehr vom langen Wurf abhängig, was die Lage für Cleveland prekär macht. Auch das hängt natürlich mit Kevin Durant zusammen, der bei Lue und Co. die Köpfe rauchen lässt. Sein Drive kann nur im Kollektiv verhindert werden, was allerdings zwangsläufig zu mehr Dreiern für Curry, Thompson und Co. führen würde. Nicht gerade rosige Aussichten.
"Sie sind das beste Team, das ich je gesehen habe", sagte Lue nach dem Spiel auf der Pressekonferenz. "Sie stehen bei 13-0 in den Playoffs. Das hat noch nie jemand geschafft, richtig? Sie brechen einen Rekord nach dem anderen. Aber das Gute ist: Wir können besser spielen als heute."
Wir sind gespannt.