Der Big Apple atmet auf

Thorben Rybarczik
29. Juni 201709:37
Carmelo Anthony ist in Phil Jackson einen Widersacher losgewordengetty
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Die New York Knicks haben Teampräsident Phil Jackson entlassen. Wie kam es dazu? Was sind die Gründe? Wie geht es bei den Knicks und Jackson weiter - und was geschieht nun mit Carmelo Anthony und Kristaps Porzingis? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Die New York Knicks um Besitzer James Dolan haben ihren Team-Präsidenten Phil Jackson entlassen. Bereits am Mittwochmorgen deutscher Zeit berichteten verschiedene Medien, dass ein entsprechendes Statement der Knicks nur noch eine Frage der Zeit sei. Dieses hat die Franchise dann tatsächlich veröffentlicht.

Darin wird Dolan wie folgt zitiert: "Nach reiflichen Überlegungen sind wir zu der Entscheidung gelangt, dass wir uns voneinander trennen. Phil ist eine der größten Persönlichkeiten in der Geschichte der NBA. Wir wünschen ihm alles Gute und danken ihm für seinen Einsatz."

Auch Jackson nahm Stellung: "Die Knicks werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Ich danke Mr. Dolan für die Möglichkeit, noch einmal hier gearbeitet haben zu dürfen."

Unter anderem ESPN schreibt indes, dass Besitzer Dolan schon während der abgelaufenen Saison von seinem Umfeld dahingehend beraten worden sei, Jackson zu entlassen. Nach einem langen Gespräch, das bis in den späten Dienstagabend hinein gedauert haben soll, kam es dann zu dieser Entscheidung.

Carmelo Anthony ist in Phil Jackson einen Widersacher losgewordengetty

Jackson war im März 2014 als Teampräsident geholt worden. "Es gibt keinen besseren Ort als New York City, wenn man gewinnen will", hatte er bei seiner Vorstellung gesagt. Seinen Vertrag hatte er damals für fünf Jahre, also bis 2019, unterschrieben. Angeblich soll sein Gehalt zwölf Millionen Dollar jährlich betragen haben. Vermutlich kassiert Jackson eine stattliche Abfindung.

Der Zeitpunkt der Entlassung ist wahrlich ungewöhnlich, beginnt doch am Samstag die Free Agency. Die Geschicke währenddessen soll Steve Mills leiten, der derzeitige General Manager der Knicks. Diesen Posten besetzt Mills schon seit 2013 - hatte faktisch aber kaum eigenen Handlungsspielraum, da Jackson bei allen Entscheidungen wohl das letzte Wort hatte. Mills arbeitete auch schon von 2003 bis 2009 im Front Office der Knickerbockers, ehe er einen Abstecher zu Magic Johnson Enterprises unternahm

Allerdings ist Mills Dolan zufolge nur eine Übergangslösung, bis ein Nachfolger für Jackson gefunden ist.

Warum wurde Phil Jackson entlassen?

Zunächst sind hier natürlich die in der Öffentlichkeit ausgetragenen Fehden mit Carmelo Anthony und Kristaps Porzingis zu nennen. Melo hat bekanntlich eine No-Trade-Klausel und will in New York bleiben, während Jax keinen Hehl daraus gemacht hat, ihn loswerden zu wollen. Mehrfach hatte er Anthony in Interviews für seine Spielweise kritisiert und gesagt, dass er "woanders besser aufgehoben" wäre. Für dieses respektlose Verhalten kassierte er später eine Rüge von der Spielergewerkschaft NBPA.

Was im Hinblick auf die Zukunft noch schwerwiegender sein dürfte, ist die Personalie Kristaps Porzingis. Der hatte nach seiner zweiten Saison offenbar so sehr die Schnauze voll vom Verhalten der Franchise, dass er in seine Heimat nach Lettland "floh" und die Exit-Interviews und andere Aktivitäten schwänzte. Dass Jax ihn dann offensiv - und wieder öffentlich - auf dem Trade-Markt anbot, dürfte dem Einhorn sicherlich auch nicht gefallen haben. Und davon, dass ein Trade von einem der talentiertesten Big Men der Liga mehr als fragwürdig wäre, sollte man erst gar nicht anfangen. Letztendlich könnte sich Besitzer Dolan unter anderem die Frage gestellt haben: Jackson oder Porzingis? Die Antwort ist nun bekannt.

Der erhoffte positive Einfluss von Jacksons Aura auf Free Agents blieb auch aus. Starspieler machten einen großen Bogen um New York. Und der Umgang Jacksons mit Melo und Porzingis sowie die sinnbefreiten Attacken Richtung LeBron James werden diesbezüglich auch zu keinem Umdenken führen, solange Jax im Büro sitzt. Der dickste Fisch aus dem Free-Agent-Teich, den Jackson an Land ziehen konnte, war fast schon Joakim Noah im vergangenen Sommer - und dessen abenteuerlicher Vertrag über 72 Millionen Dollar für vier Jahre bedarf keiner Erklärung.

Apropos vergangener Sommer: Durch den Trade für Derrick Rose und die Verpflichtung von Rollenspielern wie Courtney Lee sollte eigentlich wieder vorne angegriffen werden. Doch Roses Verletzungsanfälligkeit hielt auch in New York an, zudem leistete sich der MVP von 2011 einen Eklat im Januar, als er aus noch immer nicht ganz aufgeklärten Gründen nicht zu einem Spiel erschien. Rose Vertrag läuft nun aus, seine Zukunft ist ungewiss. Fakt ist jedoch, dass der Trade auch in der Nachbetrachtung keinen Erfolg gebracht hat.

Ohnehin scheint es Jackson an Visionen zu fehlen. Ein Plan, wie die Franchise langfristig wieder in die richtige Bahn gelenkt werden könnte, scheint nicht zu existieren. Selbst für den kommenden Sommer ist der Spielraum für signifikante Änderungen äußerst gering. Und da es bei Jackson ESPN zufolge keine Anzeichen dafür gab, dass er über 2019 hinaus weitermacht, musste sich Dolan die Frage stellen, ob Jackson überhaupt eine einzige langfristige Idee in petto hat oder nur von Deal zu Deal denkt. Auch heißt es von Seiten Yahoo Sports, dass Jacksons körperliche Verfassung zu Zweifeln bei Dolan geführt habe.

Zuletzt gibt es noch das kleine, aber feine Problem mit der Triangle-Offense, auf die Jackson bekanntlich großen Wert legt. Zunächst hatte er Derek Fisher - dem er ja damals als Lakers-Coach die Triangle eingetrichtert hatte, als Fisher dort Point Guard war - als Coach verpflichtet, was aber nach hinten losging. Fishers Nachfolger Jeff Hornacek sollte dann eigentlich freie Hand haben. Doch Jax kreuzte wohl immer wieder beim Training auf, um zu kontrollieren, ob nicht doch etwas gemacht werden könne. Somit untergrub er die Autorität der Coaches, zumal die Spieler kollektiv offenbar keine Lust auf die Triangle hatten und sich mehrfach über sie beschwerten.

Wie geht es für die New York Knicks weiter?

Wie wird der Part des Teampräsidenten neu besetzt - und welche Befugnisse soll er haben? Diese Fragen sind noch ungeklärt, was sich möglichst schnell ändern sollte. Mills wird die Franchise zwar durch die Free Agency führen, doch es ist unwahrscheinlich, dass er halbwegs umworbene Spieler überzeugen kann, wenn gar nicht feststeht, was im Front Office überhaupt Phase ist. Zumal Mills ja nur temporär die Macht hat.

Laut Woj von The Vertical (beziehungsweise bald ESPN) hat Dolan Raptors-Teampräsident Masai Ujiri als möglichen Nachfolger für Jackson ins Auge gefasst. Dieses Gerücht ist aber noch sehr vage - denn welcher Besitzer würde Ujiri nicht zumindest versuchen zu kontaktieren? Er gilt als einer der besten Strippenzieher der Liga (erst in Denver, nun in Toronto) und hat die Raptors zu einem Top-Team im Osten geformt. Ob er seinen Job in Kanada aber als "erledigt" sieht, ist mehr als fraglich. Auch der kürzlich von den Cavs entlassene David Griffin wird als mögliche Option genannt.

Es sollte neben einer möglichst zügigen Entscheidung auch alles darangesetzt werden, dass die Franchise nach außen hin Einigkeit vermittelt. Das gelang zuletzt überhaupt nicht. Eher schien es, als gebe es drei Parteien, die alle nicht so recht wissen, was sie voneinander halten sollen: Die Spieler samt Head Coach, Besitzer Dolan (der allerdings hin und wieder bekräftigte, Jackson zu vertrauen) und eben Phil Jackson selber.

Jede Partei vertrat öffentlich die eigene Meinung, was niemals der Fall sein sollte. Meinungsverschiedenheiten mag es überall - selbst bei den Warriors - geben, aber diese sollten bitteschön nicht via Twitter, Interview und Co. ausgetragen werden. Schon gar nicht vom Präsidenten.

Auch sportlich gibt es einige Fragezeichen. Zunächst wäre da Rose, der Unrestricted Free Agent wird. Er selber hatte betont, in New York bleiben zu wollen, auch für weniger Geld. Jax hätte sich das vorstellen können, was nun aber nicht mehr relevant ist. Vielmehr stellt sich die Frage, was Frank Ntilikina zugetraut wird, der an achter Stelle von den Knicks gepickt wurde. Soll er direkt ins kalte Wasser geworfen werden und starten? Oder doch lieber von der Bank kommen - hinter einem Veteranen wie Rose?

Insgesamt stehen für 2017/18 nach aktuellem Stand knapp 80 Millionen Dollar in den Büchern (Ntilikinas Vertrag noch nicht eingerechnet), was zumindest finanziellen Spielraum für Free Agents lässt. Hochkaräter werden aber zunächst keine kommen - auch wenn bei zwei anderen Schlüsselpersonalien jetzt Klarheit herrschen dürfte...

Was passiert mit Anthony und Porzingis?

Wie in Frage 2 schon erläutert hat sich Dolan für seine Stars und gegen Jackson entschieden. Zunächst passiert also gar nichts. Anthony hat nicht nur einmal betont, dass er gerne in New York bleiben würde und hat noch einen Vertrag bis 2019 (26 Millionen Dollar für nächste Saison, 27,9 für die darauf), wobei das letzte Vertragsjahr eine Spieleroption ist. Zieht er diese nicht, wird er 2018 Free Agent.

Im Normalfall könnte man nun sagen, dass die Knicks ihn traden sollten, um noch Gegenwert zu erhalten. Die im Vertrag verankerte No-Trade-Klausel macht das allerdings ohne Melos Zustimmung unmöglich. Auch ein Buyout von Anthony würde nur mit beiderseitigem Einverständnis funktionieren, ist also sehr unwahrscheinlich. Also: Melo bleibt mindestens bis 2018 im Big Apple beziehungsweise hat auch für ein weiteres Jahr alles selbst in der Hand.

Bei Porzingis verhält sich das ähnlich. Der Lette steckt noch in seinem Rookie-Vertrag, der noch mindestens bis 2018 läuft. Dann können die Knicks entscheiden, ob sie die Spieleroption für ein weiteres Jahr ziehen oder ob sie ihm direkt einen langfristigen Kontrakt anbieten sollen.

Trotz des Clinchs mit Jackson hatte Porz stets betont, in New York bleiben zu wollen. Das dürfte nun auch eintreffen: Denn Jacksons Nachfolger, wer auch immer es sein wird, kommt sicher nicht auf die Idee, einen Trade einzufädeln. Auch, wenn ein großer Leistungssprung gegenüber der Rookie-Saison beim 21-Jährigen ausblieb.

Was bedeutet die Entlassung für Phil Jackson?

Wie es in Dolans Statement richtig heißt, ist der Zen-Meister eine der größten Figuren des Basketball-Universums - zumindest als Coach. Als solcher hat er elf Titel in der Vita stehen, sechs mit den Bulls und fünf mit den Lakers. Den Job als Lakers-Coach hatte er 2011 niedergelegt - auch aus gesundheitlichen Gründen.

Als Funktionär im Front Office hatte der inzwischen 71-Jährige vor seinem Engagement bei den Knicks keinerlei Erfahrung und es bleibt die Frage im Raum hängen, ob er die Aufgabe unterschätzt hat. Sein Auftreten in der Öffentlichkeit war nicht professionell und auch seine Moves alles andere als erfolgreich. Letztendlich bleibt nur die Entscheidung, im Draft 2015 Porzingis zu picken, in positiver Erinnerung - und selbst das hätte er vermutlich wieder kaputt gemacht, wenn er geblieben wäre.

Jax kassiert eine ordentliche Abfindung. Einen Job als Entscheidungsträger in einer Franchise wird er nun nicht mehr bekommen - alles andere wäre quasi sensationell. Ein Comeback als Coach gilt aufgrund seiner Gesundheit ebenfalls als ausgeschlossen.

Gut möglich also, dass sich Jackson endgültig zur Ruhe setzt. Leisten könnte er es sich allemal - denn an seinem Status als einer der besten Head Coaches aller Zeiten werden die drei Jahre bei den Knicks nichts ändern.