Fällt der Name von Tom Chambers, erinnern sich die meisten vor allem an seine grandiosen Dunk-Künste Ende der 80er-Jahre. Dabei war der Power Forward viel mehr. Der Mann mit den Sprungfedern war die Antithese des bulligen Vierers und ging als erster echter Free Agent in die Geschichte ein. Die Krönung seiner Karriere blieb ihm aber verwehrt.
Am 1. Juli beginnt traditionell (wenn nicht gerade eine Pandemie vorherrscht) die große Pokerrunde der Liga, wenn die Free Agency startet und Teams vertragslose Spieler umgarnen, das Blaue vom Himmel versprechen, um die Gunst der Superstars oder Rollenspieler zu erlangen. Doch dies war nicht immer so. Erst in den vergangenen 30 Jahren verschob sich das Machtgefüge.
Eine NBA-Franchise besaß das Recht auf einen Spieler mit dem Moment, in dem ein College-Absolvent gedraftet wurde. Lief der Vertrag aus, hatte der bisherige Geldgeber immer das letzte Wort. "So etwas wie Free Agency gab es damals gar nicht. Alle waren Restricted. Wenn ein Klub die Rechte an dir hatte, musstest du dort auch wieder unterschreiben", beschrieb Tom Chambers die Verhältnisse bis in die späten 80er-Jahre.
Kevin Durant zu den Warriors? In der Ära von Kareem Abdul-Jabbar oder etwas später Larry Bird nicht vorstellbar. Erfüllte die Franchise nicht den Wunsch eines Trades, konnte ein Spieler auf Lebenszeit an ein Team gebunden sein. Dass damals viele Spieler nur für ein Team spielten, hatte nicht immer etwas mit Loyalität zu tun. Es war nahezu alternativlos.
gettyTom Chambers: Die Blaupause für Nowitzki und Co.
Entsprechend wenig Hoffnung auf Besserung hatte auch Chambers im Jahr 1988 bei den Seattle SuperSonics. Chambers war auch in einer Zeit, als die Liga mit Legenden wie Bird, Magic Johnson, Michael Jordan, Isiah Thomas oder Dominique Wilkins gespickt und so tief wie vielleicht nie wieder war, ein herausragender Spieler mit diversen Alleinstellungsmerkmalen.
Trotz 2,08 Meter war Chambers alles andere als ein Spielertyp wie Karl Malone, Kevin McHale oder der typische Power Forward seiner Zeit. "Ich habe mehr auf Finesse gebaut, mich auf meinen Wurf und meine Schnelligkeit verlassen", berichtet Chambers über seine frühere Spielweise, die das Spiel revolutionierte und auch die Tür für spätere Schützen auf der Vier wie Dirk Nowitzki öffnete.
Dass Chambers kein echter "Müllmann" wurde, wie Charles Oakley die Position des Power Forwards einmal definierte, ging zurück auf seine Zeit als Teenager. Der junge Chambers spielte mit knapp 1,90 Meter auf den Guardpositionen. Ähnlich wie später Anthony Davis bekam Chambers aber einen späten Wachstumsschub und fand sich plötzlich auf den großen Positionen wieder. Am College bei den Utah Utes spielte er gar auf Center.
Tom Chambers: Zu soft?
Doch während viele Menschen bei enormen Wachstum Probleme bei der Koordination haben, behielt Chambers seine Skills. Die zuvor schon starke Athletik war noch mehr ausgeprägt, das Ballhandling und die Sprungkraft waren außergewöhnlich für einen Big Man. Kurz gesagt: Tom Chambers wurde innerhalb kürzester Zeit von einem durchschnittlichen Guard zu einem spektakulären Big Man.
Dennoch bestanden Zweifel bei den Scouts der NBA. Hatte Chambers am College nur von seiner körperlichen Überlegenheit profitiert? Das Prädikat "soft" klebte an ihm wie ein zäher Kaugummi. Die Clippers waren aber überzeugt und schlugen 1981 mit dem achten Pick zu.
Die Clips waren zu dieser Zeit noch in San Diego beheimatet, hatten aber unter Eigentümer Donald Sterling die gleichen Probleme, die sie für die nächsten 30 Jahre hatten. Ein Umbruch folgte auf den nächsten und so wurde Chambers trotz vielversprechender Leistungen nach Seattle abgegeben.
Tom Chambers: All-Star-MVP dank Magic
Dort blühte Chambers endgültig auf und entwickelte sich zum Franchise Player. 1987 legte der schlaksige Forward über 23 Punkte pro Partie auf und wurde erstmals zum All-Star gewählt. Im wohl besten All-Star-Game (damals zählte dieses Spiel noch etwas) der Geschichte lief er mit Magic ein Pick-and-Roll nach dem anderen, scorte 34 Punkte und wurde mit dem MVP-Award ausgezeichnet.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Chambers in der Riege der Stars angekommen. Mit den Sonics um Xavier McDaniel und Nate McMillan stießen die Mannen aus dem Bundesstaat Washington bis in die Conference Finals vor. Dort war Magic Johnson aber nicht mehr Mit-, sondern Gegenspieler und die wohl beste Ausgabe der Showtime-Lakers fegte über Seattle hinweg.
Tom Chambers: Unverhofft Revoluzzer
Ein Jahr später folgte die Enttäuschung bereits in der ersten Runde, als die Run-and-Gun-Nuggets von Coach Doug Moe Chambers und Co. aus der Halle schossen. In Seattle stand anschließend ein Umbruch bevor, dennoch legten die Sonics ihm das Qualifying Offer vor. Doch hinter den Kulissen der NBA tat sich etwas.
Der Chef der Spielergewerkschaft Larry Fleisher bekam vom unterschriftsreifen Vertrag Wind und nahm sofort Kontakt auf. "Fleisher rief meinen Agenten an und sagte: 'Warte noch, bevor du bei den Sonics unterschreibst, weil wir denken, dass uns eine kleine Revolution bevorsteht.' Das taten wir dann", erinnerte sich Chambers.
Und nur wenig später war es offiziell: Ein neuer Tarifvertrag war ausgearbeitet, der bestimmten Spielern erlaubte, bei einem auslaufenden Vertrag Unrestricted Free Agent zu werden. Ein Akteur musste mindestens die Dauer von zwei Verträgen und sieben Jahren in der Liga gewesen sein. Chambers erfüllte diese Bedingungen und konnte urplötzlich als erster Spieler der NBA die Vorzüge des Kapitalismus auskosten.
Tom Chambers und die neuen Phoenix Suns
"Es war eine tolle Gelegenheit für mich. Ich konnte mir das Team aussuchen, welches am besten zu mir passte, und konnte gleichzeitig mehr Geld verdienen", so Chambers. Eine Franchise schaltete am schnellsten: Die Phoenix Suns um den damaligen General Manager Jerry Colangelo.
Die Suns waren gerade mitten im Umbruch, um ihr negatives Image zu retten. Gleich 13 aktuelle und ehemalige Spieler wurden des Kokain-Gebrauchs beschuldigt, dazu gab es Gerüchte um Wettmanipulationen. Mit einem Trade von unter anderem Larry Nance für Kevin Johnson und Mark West wurden die Weichen gestellt. Dazu kam von den Cleveland Cavaliers ein Pick, der im Sommer Dan Majerle in die Wüste Arizonas brachte.
Phoenix sah in Chambers den perfekten Fit für ihre neue Ausrichtung und warb entsprechend aggressiv um den Forward, pokerte aber hoch. "Du hast 20 Minuten, um dir eine Meinung zu bilden", soll Colangelo gesagt haben. "Es hieß im Prinzip: 'Hier ist das Geld. Wenn du es nicht nimmst, bekommt es ein anderer.' Ich unterschrieb so schnell ich konnte", so Chambers.
Tom Chambers: Dynamic Duo mit Kevin Johnson
Es sollte sich auszahlen. Mit einem Arbeitspapier über fünf Jahre mit einem Wert von neun Millionen Dollar stieg der einstige Sonic zu einem der Topverdiener der Liga auf (zum Vergleich: Jordan kassierte rund zwei Millionen jährlich). "Es war mein Recht, aber es fühlte sich schlecht an. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich es dem Besitzer mitteilte. Ich hatte eine gute Beziehung mit ihm und meinen Mitspielern, aber wenn ein anderes Team mehr bietet, musst du dich um deine Karriere kümmern."
In Zeiten von Social Media hätten solche Sätze wahrscheinlich für einen Sturm der Entrüstung gesorgt, doch dieser blieb weitgehend aus. Stattdessen wurden die Suns zu einer der Attraktionen der Liga. Das Duo KJ und TC machte gewaltig Laune, Phoenix sorgte wieder für positive Schlagzeilen auf dem Feld.
Zweimal in Folge ging es in die Conference Finals, dort waren die abgezockten Lakers und die Portland Trail Blazers zu stark. Chambers stand in seiner Blüte und legte 26,5 Punkte pro Spiel auf. Unvergessen dabei auch seine berüchtigten Dunks. Wohl kein weißer Spieler stopfte so elitär wie Chambers. Sein Dunk über den bemitleidenswerten Mark Jackson zählt zu den besten Throwdowns in der Geschichte.
Tom Chambers muss Charles Barkley weichen
Vier Jahre am Stück gab es unter der brütenden Sonne Arizonas mindestens 53 Siege zu bejubeln. Doch bei Chambers traten Verschleißerscheinungen in den Vordergrund. Das Scoring ging nach unten und auch der wohldosiert eingesetzte Dreier wollte kaum mehr fallen (nur noch 27 Prozent).
Und so reagierten die Verantwortlichen in Phoenix. In einem Blockbuster-Trade wurde ein gewisser Charles Barkley in die Wüste geholt. Mit dem streitbaren Superstar spielten die Suns die beste Saison ihrer Franchise-Geschichte (62-20) und scheiterten erst in den Finals an Jordans Bulls.
Der Mann mit der Vokuhila-Frisur war da schon ins zweite Glied gerückt. Nach den epischen sechs Finals-Spielen wurde Chambers entlassen. In der Folge ließ er im hohen Alter noch seine Karriere bei den Utah Jazz, Charlotte Hornets, Philadelphia 76ers und auch in Israel bei Maccabi Tel Aviv ausklingen.
Tom Chambers: Nicht gewürdigtes Monster
In 16 Jahren standen unter dem Strich 1.107 Partien, 20.049 Punkte, vier All-Star-Teilnahmen und zwei All-NBA-Berufungen für den Mormonen in den Geschichtsbüchern. Damit ist er neben Antawn Jamison der einzige Spieler, der für die Wahl in die Hall of Fame in Frage kommt und trotz mindestens 20.000 Punkten bislang nicht berücksichtigt wurde.
In Phoenix wird man TC dagegen nicht vergessen. Als einziger Spieler - bis Devin Booker kam - der Franchise-Geschichte gelang Chambers ein 60-Punkte-Spiel (22/32 FG, 16/18 FT, 1990 gegen die Sonics). Sein Coach, Cotton Fitzsimmons schwärmte im Anschluss: "Eine unglaubliche Show im Angriff. Er ist ein Monster."
Auf nationaler Ebene wird Chambers dagegen noch heute alljährlich mit etwas anderem in Verbindung gebracht - der Free Agency. Er machte den Anfang in der Verschiebung der Machtverhältnisse der NBA und war so indirekt an der Erschaffung eines eigenen Monsters beteiligt.