Kyrie Irving hat die Cleveland Cavaliers mit einer Trade-Anfrage geschockt. Warum will Uncle Drew die Cavs verlassen? Was hat LeBron James damit zu tun? Welche Optionen hat die Franchise - und wer kommt als Abnehmer in Frage? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum will Kyrie Irving weg?
Diese Nachricht versetzte die NBA-Welt in Schockstarre: Kyrie Irving will die Cleveland Cavaliers verlassen. Laut ESPN-Mann Brian Windhorst hat er die Franchise in einem Gespräch darum gebeten, ihn zu traden. Daran, dass die Gerüchte stimmen, sollte besser niemand zweifeln - denn die Agenten des Spielers hätten sie längst viel vehementer dementiert, wenn da nichts dran wäre. Schließlich schadet die Trade-Anfrage dem Ruf des Klienten enorm, da ihn das Adjektiv "illoyal" (nett ausgedrückt) in Zukunft immer begleiten wird.
Der Grund für die Anfrage ist überraschend und simpel zugleich: Irving will aus dem Schatten von LeBron James heraustreten. An der Seite des Kings spielte Uncle Drew immer die zweite Geige, die Lorbeeren für drei Finals-Teilnahmen in Folge strich stets James ein. Selbst auf dem Höhepunkt seines Schaffens, als Irving in Spiel 7 der Finals 2016 den entscheidenden Wurf versenkte, stand LeBron im Mittelpunkt, wurde er doch Finals MVP mit einem Triple-Double und "dem Block" im besagten Spiel.
gettyDer Teamerfolg und das Finals-"Abo" an der Seite LeBrons reichen dem No.1-Pick von 2011 also nicht mehr. Im Jahre 2014 hatte er als designierter Franchise-Player und Superstar einen Fünfjahresvertrag unterschrieben, ehe James seine Rückkehr nach Ohio bekannt gab. Wie das für ihn war, beschrieb Irving in den abgelaufenen Finals: "Wenn ein so großartiger Spieler in dein Team kommt, musst du einen Schritt zurück machen. Das ist das schwierigste, weil du so sehr von dir selbst überzeugt bist. Eigentlich wollte ich, ganz eigennützig, jedem in der Welt zeigen, wie gut ich bin."
Der Welt zeigen, wie gut er ist - das ist Irving offenbar wichtiger als alles andere. Deshalb will er zu einem Team getradet werden, in dem er der unangefochtene Star ist und sich die Offensive um ihn dreht. Dafür will er nicht nur teamsportliche, sondern auch finanzielle Rückschritte hinnehmen: Das Recht, einen Super-Max unterzeichnen zu können, würde mit einem Trade verstreichen.
Welche Optionen haben die Cavaliers?
Vorweg: Die Cavs haben zunächst alles selber in der Hand. Irvings Vertrag läuft noch mindestens bis 2019, ehe der Spieler die Option hat, Unrestricted Free Agent zu werden und sich seinen Arbeitgeber auszusuchen. In einer blöden Situation ist das Front Office trotzdem, da die Trade-Anfrage zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt kam. Hochkarätige Free Agents sind genauso vom Markt wie die prominenten Trade-Kandidaten vom Formate Jimmy Butlers oder Paul Georges, hinter denen auch die Cavs her waren. Nun gibt es - grob zusammengefasst - drei Optionen.
Option 1: Die Cavs halten die Füße still und machen gar nichts. Als Vorbild kann hier die Situation von Kobe Bryant aus dem Jahre 2007 dienen, als er die Lakers um einen Trade gebeten hatte. Diese lehnten in der Hoffnung ab, dass sich die Unzufriedenheit des Superstars schon legen würde - und hatten damit Recht. Die Mamba führte ihr Team zu drei Finals-Teilnahmen in Folge, wobei zwei Titel heraussprangen.
Das dürfte für die Cavs aber ungleich schwieriger werden, da Irving nun einmal kein Top-Fünf-Spieler der Liga ist beziehungsweise nicht mal der beste Spieler des Teams. Geht die Taktik nicht auf und ist die Chemie der Mannschaft erst einmal im Eimer, könnte die jüngste Erfolgs-Ära schnell vorbei sein, zumal auch James nächstes Jahr gehen könnte. In diesem Fall befänden sich die Cavs im kommenden Sommer in der gleichen Situation wie 2014. Sie haben ein Team um Kyrie Irving herum, das Spaß macht, aber keinen Erfolg haben wird. Der Unterschied zu damals: Uncle Drew könnte sauer auf die Franchise sein und seine Zukunft nach wie vor woanders sehen.
Option 2: Die Cavs gehen auf den Wunsch des Spielers ein und involvieren ihn in einen Trade, der das Team nicht signifikant verschlechtert. Gerade im Osten ist es möglich, den Contender-Status aufrecht zu erhalten, schließlich braucht es neben James nicht zwingend einen zweiten Ballhandler.
Das Problem an der Sache ist, dass es kaum Teams gibt, die entsprechendes Material anbieten können beziehungsweise dies gar nicht wollen. Durch die Anfrage Irvings ist dessen Wert nicht gerade gestiegen. Ein weiteres Risiko an dieser Variante ist zudem auch hier, dass LeBron nächsten Sommer geht und die akquirierten Spieler einen Rebuild blockieren.
Option 3: Auch hier gehen die Cavs auf den Wunsch des Spielers ein. In diesem Fall versuchen sie aber nicht, den Contender-Status zu erhalten. Stattdessen nehmen sie ein Angebot an, dass möglichst viele junge Spieler und Draft-Picks einbringt, um einen direkten Rebuild einzuleiten. Dies wäre gleichzeitig ein Eingeständnis dafür, dass man davon ausgeht, James im nächsten Sommer zum zweiten Mal zu verlieren.
Um zu verhindern, dass dies erneut ohne Gegenwert geschieht, wäre auch ein Trade LeBrons in diesem Sommer denkbar, was die radikalste aller Rebuild-Varianten wäre. Komplett ausgeschlossen ist dieses Szenario nicht.
Wer käme als Abnehmer für Irving in Frage?
Irving selber soll den Cavs laut ESPN-Experte Chris Haynes vier Teams als Wunsch-Destination genannt haben: Die Timberwolves, Spurs, Knicks und Heat.
Fangen wir mit den Wolves an: Diese haben gerade Point Guard Jeff Teague verpflichtet, der kaum das Feld mit Irving teilen kann. Als brauchbarer Gegenwert käme Andrew Wiggins in Frage. Doch mit dem verhandeln die Wolves derzeit bezüglich einer Vertragsverlängerung. Zudem besitzt er besonders als Scorer ähnliches Potential wie Irving und ist drei Jahre jünger. Pikant ist diese Personalie auch dadurch, dass die Cavs ihn 2014 an erster Stelle gedraftet und später verschmäht hatten. Fazit: Sehr unwahrscheinlich.
Weiter geht's mit den Spurs. Hier können wir es kurz machen: Pop wird sicherlich nicht Leonard für Irving abgeben. Rebuild-Material gibt es auch nicht abzustauben. Zudem passt Irving mit seinem offenbar vorhandenen Wunsch nach Aufmerksamkeit nicht ins Teambasketball-Gefüge von San Antonio. Fazit: Sehr, sehr unwahrscheinlich.
Bei den Heat sieht es schon besser aus. Ein Paket aus Goran Dragic, der ebenfalls noch zwei Jahre Vertrag hat und weniger Asche verdient als Irving, könnte die Cavs zufrieden stellen. Dragic könnte die Lücke von Irving als Point Guard schließen und als brauchbarer Shooter für Spacing sorgen. Allerdings ist er schon 31. Irving hingegen könnte am South Beach ein dynamisches Duo mit seinem alten Kumpel Dion Waiters bilden und wäre dabei zweifelsfrei der große Star. Fazit: Möglich.
Und die Knicks? Die haben angeblich das größte Interesse an einer Akquirierung und sollen sogar schon mit den Cavs gesprochen haben. Allerdings hätten sie zunächst nur Carmelo Anthony anzubieten, was den Cavs - sofern diese weiterhin Titel gewinnen wollen - nicht reichen wird.
Aus diesem Grund bringt unter anderem ABC Arizona die Suns als mögliches drittes Team ins Spiel. Das Szenario würde in etwa so aussehen: Die Cavs bekommen Melo und Eric Bledsoe, die Knicks Kyrie Irving. Die Suns würden derweil ihre Rebuild-Pläne mit Draft-Hoffnung und Point Guard Frank Ntilikina, einigen Veteranen als Mentoren (und mit auslaufenden Verträgen!) und zumindest einem zukünftigen Firstrounder vorantreiben. Fazit: Denkbar.
Was bedeutet die Anfrage für LeBron James?
Weiteren Informationen von ESPN zufolge war LeBron James genauso überrascht von der Anfrage Irvings wie der Rest der Welt auch. Zudem sei er ziemlich enttäuscht von Irving und hätte wohl erwartet, dass dieser auch mit ihm über seine Pläne spricht.
Gleichwohl habe er direkt bei den Verantwortlichen vorgesprochen und ihnen versichert, dass er pünktlich zum Trainingsstart bereit sein und das Team erneut anführen werde - egal, mit welchen Mitspielern. Sein Ziel, eine zweite Championship nach The Land zu bringen, habe sich nicht geändert.
Dieses Vorgehen passt zu LeBron. Zwar hat er immer mal wieder Wünsche zu Spielern, Coaches und ähnlichem geäußert. Direkt eingemischt hat er sich in die Geschäfte des Front Offices aber nie und war auf dem Parkett immer ein vorbildlicher Anführer.
Darüber, was ein möglicher Irving-Trade für James' Zukunft über 2018 hinaus bedeuten würde, kann nur spekuliert werden. Gerüchte, dass es ihn nach L.A. zieht, halten sich hartnäckig und erscheinen alles andere als aus der Luft gegriffen. Sollte er das Gefühl haben, in Cleveland auf der Stelle zu treten und keine weitere Chance mehr auf einen weiteren Titel zu haben, ist ein Abschied sogar wahrscheinlich. Ein Verlust Irvings ohne adäquaten Gegenwert würde dies verstärken.
Sollten sich die Cavs für einen radikalen Umbruch in diesem Sommer entscheiden, der einen James-Trade beinhaltet, dann bräuchte die Franchise seine Zustimmung: James gehört zu einer kleinen Schar vor Spielern, die eine No-Trade-Klausel besitzt. Diese müsste er fallen lassen.
Überschätzt sich Kyrie Irving?
Der Wert von Kyrie Irving für sein Team ist nicht unumstritten. Die Fähigkeit, sich jederzeit einen eigenen Wurf zu kreieren und auch zu treffen, ist ungeheuer wertvoll, in der heutigen NBA aber nichts Besonderes mehr. Seine Playmaking-Skills sind nur durchschnittlich, seine Defense (zumindest in der Regular Season) nicht mal das.
In den drei Saisons vor LeBron gelangen ihm zwar spektakuläre Spiele und starke Zahlen, was aber keinen Team-Erfolg brachte. Mehr als 33 Siege pro Saison waren mit Uncle Drew als Anführer nicht drin. Und auch in der LeBron-Ära gelang es ihm selten, sein Team anzuführen, wenn der King mal eine Pause brauchte.
Das belegen folgende Zahlenspiele: In den 568 Minuten, die die Cavs in der vergangenen Saison ohne LeBron spielten, verloren sie mit Irving auf 100 Ballbesitze hochgerechnet mit deutlichen 8 Punkten Differenz. Insgesamt gab es in den vergangenen drei Saisons 16 Spiele, die mit Kyrie und ohne James gespielt wurden. Die vernichtende Bilanz: 3-13.
Diese Fakten führen dazu, dass sich mögliche Teams zweimal überlegen, ob sich ein erfolgreiches Team um den Point Guard herum aufbauen lässt. Zumal dessen Wahrnehmung seiner Rolle auch etwas fragwürdig daherkommt. Es war nämlich keinesfalls so, dass Irving immer Platz für den großen Star machen musste: In der abgelaufenen Saison nahm er 19,7 Würfe pro Spiel, LeBron nahm 18,2. Die Usage-Rate Irvings war auch minimal höher als die LeBrons.
Ein ähnliches Bild gab es auch in den Finals 2017. Irving stand insgesamt nur 10 Minuten weniger auf dem Parkett, nahm aber 6 Würfe mehr. Er war nur nicht so effizient wie die Nummer 23. Da bleibt die Frage: Ist er überhaupt in der Lage, in einem guten Team die erste Geige zu spielen oder reichen seine Fähigkeiten dafür schlichtweg nicht aus? Im Falle eines Trades liegt es bei ihm, der ganzen Welt eine Antwort zu liefern. Er hat es so gewollt.