Der nächste Schritt der Reanimation

Thorben Rybarczik
03. August 201711:25
D'Angelo Russell ist der neue Hoffnungsträger der Brooklyn Netsgetty
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Die Brooklyn Nets wollen wieder ernst genommen werden. Trotz begrenzter Möglichkeiten haben sie in diesem Sommer einen Schritt in die richtige Richtung gemacht - es gibt zweifelsohne ein Konzept. Die Offseason-Analyse.

Die Transaktionen der Brooklyn Nets

Vor dem Draft kursierten Gerüchte, dass die Nets versuchen würden, sich hochzutraden. Dies blieb aus. So zogen sie an 22. Stelle Jarrett Allen, ein Big Man mit viel Potential. Dass er nicht schon früher über die Ladentheke ging, überraschte. Allerdings konnte man noch keinen wirklichen Eindruck von ihm gewinnen, da er die Summer League mit einer Hüft-Verletzung verpasste.

In der Free Agency versuchte GM Sean Marks sein Glück bei Restricted Free Agent Otto Porter und bot ihm einen Maximalvertrag an, den die Wizards jedoch matchten - Pech gehabt. Vollendete Tatsachen gab es anderswo: Brooklyn sicherte sich per Trade D'Angelo Russell und Timofey Mozgov von den Lakers und gab dafür Brook Lopez sowie den 27. Pick des Draft 2017 ab (Kyle Kuzma).

Darüber hinaus fädelten sie einen Deal mit den Raptors ein, der Kettenhund DeMarre Carroll sowie einen lottery-geschützten Erstrundenpick 2018 einbrachte. Als Gegenwert reichte lediglich Justin Hamilton aus.

Einige Tage später schickte Brooklyn Andrew Nicholson im Tausch für Allen Crabbe nach Portland. Dem Flügelspieler hatten die Nets schon in der Free Agency 2016 ein Offer Sheet vorgelegt, das die Blazers damals matchen.

Die Zukunft von Zweitrundenpick Alexander Vezenkov ist noch nicht geklärt. Der bulgarische Power Forward spielt seit 2015 für den FC Barcelona. K.J. McDaniels, an dem die Nets eine Option hielten, wird künftig woanders sein Geld verdienen.

D'Angelo Russell ist der neue Hoffnungsträger der Brooklyn Netsgetty

Die Strategie der Brooklyn Nets

Auch, wenn es mittlerweile langweilig klingt: Es geht für die Nets immer noch darum, sich von dem verheerenden Trade 2013 zu erholen, bei dem ein temporär attraktiv erscheinender Gegenwart in Form der alternden Paul Pierce, Kevin Garnett und Jason Terry gegen die komplette Zukunft eingetauscht wurde.

Seit 2016 Sean Marks, der sein Handwerk bei den Spurs gelernt hat, die Fäden als GM zieht, ist aber wieder ein Konzept zu erkennen. Es sollen junge Spieler mit Entwicklungspotential geholt werden, mangels Picks per Trade oder in der Free Agency.

Letzteres gelang zuletzt nicht, Ersteres schon. Mit Russell schlägt ein junger Point Guard seine Zelte in Brooklyn auf, der im wilden L.A. arg von seiner Entwicklung abgelenkt wurde und der sich nun wieder aufs Wesentliche konzentrieren soll. Dass Russell den katastrophalen Vertrag von Mozgov (rund 47 Millionen Dollar bis 2020) praktisch mitgebracht hat, ist zwar blöd, aber nicht weiter schlimm. Denn wenn die Nets von einer Sache genug haben, dann ist es Cap Space.

Der Abgang vom letztjährigen Topscorer Brook Lopez ist nicht überraschend. Er ist derzeit in seiner Prime, während der Fokus auf der Zukunft liegt. Der Center selbst dürfte den Trade ohnehin als Gefallen ansehen.

Der ebenfalls verpflichtete Carroll passt mit seinen 30 Jahren zwar nicht in das Bild der jungen Wilden, verkörpert aber ein anderes Attribut, das in Brooklyn benötigt wird: harten, ehrlichen Basketball. Er ist ein Spieler, der unbedingt gewinnen will und den Sport in den Fokus stellt, womit er einen Teil dazu beiträgt, der Franchise wieder mehr Seriosität zu verleihen. Er kann Vorbild und Leader sein.

Trotz der durchwachsenen Saison von Allen Crabbe (17 Starts) scheinen die Nets-Verantwortlichen noch immer so viel von ihm zu halten wie vor einem Jahr. Damals boten sie dem damaligen Restricted Free Agent 75 Millionen Dollar für vier Jahre - ein klarer Fall von Overpay, wie er im vergangenen Sommer mehrfach in der Liga geschah.

Mit Verspätung hat sich Brooklyn nun drei dieser vier Vertragsjahre gesichert, wobei Crabbe die mit dem üppigen Gehalt in ihn gesetzten Erwartungen bisher nicht erfüllen konnte (10,7 Punkte, 2,9 Rebounds).

Dass bei der Beihilfe zum Salary Dump der Blazers nicht noch ein Pick rausgesprungen ist, zeugt von schwacher Verhandlung - und der scheinbar immer noch existierenden Begeisterung für Crabbe.

Die Devise bei den Nets wird weiterhin lauten, schnell und attraktiv zu spielen - ohne dabei Rücksicht auf Ergebnisse zu nehmen. Auf diese Weise soll das Barclays Center wieder besser gefüllt werden. Coach Kenny Atkinson hat dabei alle Freiheiten und zudem ein Händchen dafür, junge Spieler nach vorne zu bringen.

Das Augenmerk der Zukunft dürfte sich auf den Sommer 2019 richten. Dann hat man endlich wieder die "normale" Anzahl an Picks, die durch den einen oder anderen Trade noch erhöht werden dürfte. Bis dahin wird man es sicherlich hin und wieder mit hohen Angeboten an Restricted Free Agents versuchen.

Die Schwachstellen der Brooklyn Nets

Die sind bei einem Team, das quasi sicher um die goldene Ananas mitspielt, ziemlich zahlreich. Es geht schon im Backcourt los: Geht man davon aus, dass Russell und Jeremy Lin zusammen starten, dann klingt das offensiv vielversprechend. Zumal Lin nach einer verletzungsgeplagten Saison darauf brennt, zurückzuschlagen.

Defensiv sieht das ganz anders aus: Keiner der beiden ist auch nur halbwegs in der Lage, einen Guard mit Zug zum Korb vor sich zu halten. Man stelle sich nur vor, einer von ihnen wird zusammen mit Mozgov in ein Pick-and-Roll involviert...

Ebenfalls ein Problem: Der Dreier. Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich an der schwachen Quote aus der Vorsaison (33,8 Prozent, Rang 26) etwas ändern sollte. Immerhin konnte mit Crabbe ein bisschen Gefahr von Downtown ins Team geholt werden (44 Prozent). Der beste Dreierschütze ist aber weg - es war Center Brook Lopez.

Bis auf Russell kann sich niemand konstant einen eigenen Wurf kreieren. Letztes Jahr war das nicht so tragisch, da Lopez eine sichere Option im Post oder Pick-and-Roll war. Da der Ersatz Mozgov heißt und Rookie Allen auch noch Zeit braucht, fällt das komplett weg. Weitere Baustellen sind die Rim Protection und die nicht vorhandene Tiefe von der Bank.

Der Hoffnungsträger der Brooklyn Nets

D'Angelo Russell kann - so hofft die Franchise - zum neuen Gesicht der Nets reifen. Er hat sich in seinem Sophomore-Jahr bei den Lakers bereits gesteigert (15,6 Punkte, 4,8 Assists), wenngleich die Turnover-Anfälligkeit hoch blieb.

Dem Spieler selbst dürfte ein Neuanfang auch nicht ungelegen kommen, da in L.A. schon lange vor dem Draft 2017 von einer Zukunft mit Lonzo Ball gesprochen wurde. Seit seinem Spionage-Vorfall rund um Nick Youngs Frauengeschichten war er ohnehin nicht der beliebteste Akteur. Bei seinem ersten Auftritt in Brooklyn wurde er zwar ausgebuht, aber das dürfte sich bei passender Leistung schnell legen. Gerade im Osten hat er das Zeug, zu einem Top-Einser heranzureifen.

Das Fazit

Bei den Nets geht es darum, aus wenig Möglichkeiten viel herauszuholen. Durch den Russell-Trade ist dies gelungen und auch Carroll hilft der Franchise weiter. Crabbe stärkt das Team aktuell, bringt aber einen deftigen Vertrag mit. Mit D-Lo und Spielern wie Caris LeVert, Rondae-Hollis Jefferson oder Isiah Whitehead steht eine Horde junger Spieler bereit, die siegeshungrig ist und Entwicklungspotenzial hat.

Unter dem Strich sind die Nets erstmals wieder im positiven Sinne interessant und das Roster - bis auf Mozgov - passt zum Coach und der Ausrichtung der Franchise. Daran, dass die Nets wenig Spiele gewinnen, wird sich aber noch nichts ändern.

Die Note: 3+