Die Erde ist eine Scheibe

Ole Frerks
23. August 201712:59
Kyrie Irving und Isaiah Thomas haben die Teams getauscht SPOX
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Mitten in der Saure-Gurken-Zeit des Sommers haben die Cleveland Cavaliers und die Boston Celtics den wohl größten Trade der Offseason eingefädelt. Doch was bedeutet der Deal für Kyrie Irving, Isaiah Thomas und alle anderen Beteiligten? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Vor etwas mehr als einem Monat war durchgesickert, dass Kyrie Irving die Cavaliers um einen Trade gebeten hatte, nun wurde ihm sein Wunsch erfüllt: Der Point Guard wurde nach Boston getradet und damit zum wohl ärgsten "Verfolger" der Cavaliers in der Eastern Conference.

Als Gegenwert schickte Boston seinen eigenen All-Star Point Guard Isaiah Thomas nach Cleveland, gemeinsam mit Swingman Jae Crowder, Rookie-Center Ante Zizic und einem ungeschützten Draft-Pick der Brooklyn Nets im Draft 2018.

Von einem "heftigen Preis" sprach Celtics-Präsident Danny Ainge noch in der Nacht auf Mittwoch - richtigerweise: Thomas legte letztes Jahr eine der besten Offensiv-Saisons der Guard-Geschichte hin (28,9 Punkte, 5,9 Assists, 54,6 Prozent eFG) und wurde bei der MVP-Wahl Fünfter.

In Boston erreichte er zudem spätestens in den Playoffs einen gewissen Heldenstatus, als seine kleine Schwester bei einem Autounfall starb und er die Celtics trotzdem bis in die Conference Finals trug.

Kyrie Irving und Isaiah Thomas haben die Teams getauscht SPOX

Dort traf Boston auf Cleveland - insofern wurde gewissermaßen ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen, indem der wechselwillige Irving zu einem direkten Rivalen getradet wurde.

Nun wird Irving direkt am ersten Tag der Regular Season - beim allerersten Spiel - auf sein altes Team und auf Thomas treffen. Am 17. Oktober gastieren die Celtics in Cleveland, ein Spiel, das nun umso mehr an Brisanz dazugewonnen hat.

Viele Augenpaare dürften sich dann auf die Interaktion zwischen Irving und LeBron James richten - schließlich bat Irving ja explizit deshalb um den Trade, weil er aus dem Schatten des viermaligen MVPs heraus treten wollte. Bei Twitter zeigte James in der Nacht auf Mittwoch jedoch Klasse und bedankte sich bei Irving für den "gemeinsamen Ritt" der letzten drei Jahre.

Was bedeutet der Deal für die Cleveland Cavaliers?

Cleveland hat aus einer relativ unmöglichen Situation wohl das Maximum rausgeholt - den ersten größeren Deal des neuen General Managers Koby Altman kann man für den 2016er Champion nur positiv bewerten. Die Liga wusste, dass die Cavs durch Irvings Wechselwunsch unter Druck waren, angesichts dessen ist dieses Paket mehr als nur ordentlich.

Thomas erholt sich zwar noch von einer schweren Hüftverletzung, erreicht er aber wieder die alte Stärke, kann er Irvings Offense ziemlich gut ersetzen, auch wenn er nicht ganz so virtuos im Eins-gegen-Eins agiert.

Defensiv gehört IT4 zu den wenigen Point Guards, die noch schlechter sind als Irving, umso wertvoller ist die Hereingabe von Crowder für Cleveland. Ein Swingman seines Kalibers hat den Cavs in den Finals merklich gefehlt, da Cleveland abgesehen von James kaum Spieler im Roster hatte, die sowohl defensiv als auch offensiv ihren Beitrag leisten konnten.

Wie gut Zizic sich in der NBA zurechtfinden wird, muss sich erst zeigen, der Kroate gilt aber als großes Talent und könnte sich mittelfristig als Backup von Tristan Thompson etablieren - oder eben langfristig ein Baustein der Cavs-Zukunft werden. Denn auch dafür war dieser Trade wertvoll, nicht nur aufgrund des wertvollen Brooklyn-Picks 2018, mit dem sich die Cavs eine Chance auf Spieler wie Michael Porter, Luka Doncic und Marvin Bagley gesichert haben.

Sollte James, wie berichtet, im nächsten Sommer wirklich wechseln, wäre das ein netter Kickstarter für den Rebuild des Teams, zumal Cleveland im Jahr darauf nicht über seinen eigenen Pick verfügt. Und: Sollte LeBron gehen, müsste auch Thomas nicht bezahlt werden, denn auch sein Vertrag läuft im kommenden Sommer bekanntlich aus.

Das bedeutet kurz und knapp: Die Cavs sind kurzfristig leicht besser geworden und haben langfristig mehr Optionen als vorher. Man kann Altman zu diesem Trade wirklich nur gratulieren. Einen besseren Gegenwert für einen wechselwilligen Star hat in den letzten Jahren niemand bekommen - wenngleich die Pacers und Bulls die Messlatte natürlich auch nicht besonders hoch gelegt haben.

Was bedeutet der Deal für Isaiah Thomas?

"Stay paranoid" - das alte Mantra von IT4 hat sich mal wieder bewahrheitet. Es schien, als hätte Thomas in Boston endlich ein NBA-Zuhause gefunden, nachdem er als No.60-Pick erst in Sacramento und dann in Phoenix nur bedingt akzeptiert wurde. Thomas passte perfekt nach Boston und trug einen großen Teil dazu bei, dass die Celtics letzten Sommer Al Horford und in diesem Sommer Gordon Hayward rekrutieren konnten. Jetzt muss er sich wieder neu beweisen und zurechtfinden.

Gleichzeitig ist es aber natürlich auch nicht so, als wäre er nach Brooklyn getradet worden - im Gegenteil. Mit Cleveland hat Thomas beste Aussichten, zumindest einmal die Finals zu erreichen. Mit seinem Spiel sollte er zudem gut zu LeBron passen, auch in Boston wurde er ja bereits viel abseits des Balles eingesetzt.

Paranoid bleiben muss er dennoch - denn seine Zukunft in Cleveland ist nun unmittelbar mit der von LeBron verbunden. Sollten beide perfekt harmonieren, sodass James von einem Verbleib in Cleveland überzeugt werden kann, hätte auch Thomas beste Aussichten auf einen neuen Deal. Wenn James aber geht, wird IT4 kaum einen Maximalvertrag von einem dann neu aufbauenden Cavs-Team erhalten.

Zur Erinnerung: Mit 6,2 Millionen Dollar Jahresgehalt ist Thomas der "unterbezahlteste" Spieler der Liga (Rookie-Deals ausgenommen), seitdem Stephen Curry in diesem Sommer einen neuen Vertrag erhalten hat. Nächsten Sommer soll sich das ändern, Thomas sprach noch Anfang August davon, dass die Celtics nächstes Jahr einen Geldtransporter vorfahren müssten, um ihn zu halten.

Er will bezahlt werden - aber er ist dann im kommenden Sommer eben auch ein 29-jähriger "Winzling" auf der bestbesetzten Position der NBA. In Boston hatte er aufgrund seines Status als Volksheld ein gewisses Druckmittel, das ist nun jedoch Geschichte.

Der Trade und damit das Zusammenspiel mit James ist für Thomas eine Riesenchance. Beides setzt ihn allerdings auch extrem unter Druck und es ist völlig ungewiss, wie seine Zukunft über die kommende Saison hinaus aussehen wird. Stay paranoid, indeed.

Was bedeutet der Deal für die Boston Celtics?

Danny Ainge hat seit Jahren den Ruf, dass er für das richtige Angebot sogar seine Großmutter traden würde. Wenn man bedenkt, wie beliebt Thomas in Boston war und ist, hat er das jetzt tatsächlich getan. Der Trade zeigt eindrucksvoll, wie dieses Geschäft abläuft und wie paradox es ist, dass die Fans von Spielern (Kevin Durant, Hayward, LeBron) bedingungslose Loyalität erwarten, während diese von den Teams nur in absoluten Ausnahmefällen gewährleistet ist.

Die Celtics haben in dieser Offseason vier der fünf Starter ihres letztjährigen Teams ausgetauscht - Thomas ist weg, Crowder ist weg, Avery Bradley ist weg, Amir Johnson ist weg. Al Horford ist als einziger noch da, aber wie lange eigentlich noch? Mit seinen 31 Jahren passt der Big Man an sich kaum ins Konzept. Denn Boston plant langfristig, das hat dieser Trade eindeutig gezeigt.

Irving ist 25 Jahre alt und hat seine beste Zeit noch vor sich, zudem hat er noch Vertrag bis 2019. Es ist natürlich möglich, dass er dann wechseln wird, allerdings deutete Ainge im Conference Call nach dem Trade an, dass er lange bleiben möchte. Dafür spricht auch, dass Irving auf seinen Trade-Kicker (rund 5,8 Millionen Dollar) verzichtete, um diesen Trade zu ermöglichen.

In der kommenden Saison ändert sich wohl nichts daran, dass die Celtics in der Ost-Hackordnung hinter den Cavs angesiedelt sind, aber das könnte sich schon im Jahr darauf ändern. Durch den Abgang von Crowder wird Spielzeit für Jayson Tatum und Jaylen Brown freigeschaufelt, die langfristig die Zukunft der Franchise bestimmen sollen - gemeinsam mit Irving, Hayward und einigen anderen.

Vor der Offseason winkte den Celtics noch das Dilemma, dass sie im kommenden Sommer theoretisch Thomas, Bradley und Marcus Smart bezahlen müssten, was aber nie realistisch war. Nun hat Ainge zwei der drei Guards weggeschickt. Und bei aller Sentimentalität: Es wäre auch einfach nicht ratsam gewesen, Thomas nächstes Jahr einen Maximalvertrag über fünf Jahre zu geben.

Angesichts von Hüftverletzung und Alter ist Irving rational der wertvollere Spieler für die Celtics, auch wenn Thomas letzte Saison individuell besser war. Dass man dazu noch einen Brooklyn-Pick abgeben musste, tut weh, aber dafür hat man sich ja im Deal mit den Sixers einen Extra-Pick gesichert - und es ist nicht klar, ob Brooklyn wieder so schlecht sein wird.

Nicht, weil die Nets ein tolles Team hätten, aber sie haben keinen Grund zum Tanken - im Gegensatz zu vielen anderen Teams in der Eastern Conference, die nächstes Jahr mehr Goldfischbecken dann Haifischbecken sein wird. Vielleicht verliert man so also eher den No.12-Pick und nicht den No.1-Pick - immer noch ärgerlich, aber Boston kann das wohl verkraften.

Eine Frage stellt sich jedoch. Die ganze Welt hat mitbekommen, wie Thomas in den Playoffs seine Schwester verlor, Zähne verlor, sich dann verletzte und sich trotzdem aufopferte, bis es nicht mehr ging. Dieser Typ, der sich nicht nur auf dem Court aufopferte, sondern auch abseits davon als Recruiter arbeitete und seinen Anteil an den Zusagen von Horford und Hayward hatte, der die Celtics in den letzten Jahren relevant hielt, wurde nun weggeschickt.

Das stößt nicht nur Fans sauer auf - das wird auch von Spielern und Agenten rund um die Liga registriert. Vielleicht rächt sich das, wenn der nächste Free Agent über einen Wechsel nach Boston nachdenkt?

Was bedeutet der Deal für Kyrie Irving?

Sein Wunsch wurde erfüllt. Kyrie wollte raus aus dem größten Schatten, der in der NBA rumläuft - bei den Celtics ist er nun tatsächlich der größte Name und spielt in Hayward und Horford mit zwei Co-Stars zusammen, die weder spielerisch noch neben dem Court ins Rampenlicht drängen. Gerade Horford ist deshalb so wertvoll, weil er in jedem System ein perfekter "Ergänzungsstar" sein kann.

Die Celtics sind ein starkes Team und werden in Zukunft eher noch besser, trotzdem ist klar, wer in Zukunft hauptsächlich vermarktet wird - und das scheint Uncle Drew wichtig zu sein. Eigentlich hätte er kaum um eine bessere Situation bitten können. Dementsprechend happy war er auch über den Trade: Adrian Wojnarowski zufolge werden die Celtics eine sehr gute Chance haben, Uncle Drew langfristig zu halten.

Natürlich wird sich nun erstmal zeigen müssen, ob Irving wirklich diese "primäre" Rolle ausfüllen kann, nach der er sich so gesehnt hat. Seine ersten Versuche in Cleveland verliefen dafür relativ erbärmlich, allerdings muss man dazu natürlich sagen, dass er kein gutes Team um sich herum hatte und sich in den letzten drei Jahren logischerweise weiterentwickelt hat.

Dennoch: Sein Spiel ist berühmt für leicht egoistische Tendenzen, bisher definierte er sich an erster, zweiter und dritter Stelle als Scorer. Nicht, dass das schlimm wäre - er ist eben ein sensationeller Scorer. Aber das machte ihn gleichzeitig auch zum idealen Sidekick für LeBron, da dieser sich problemlos um alles andere kümmern konnte.

Weder Hayward noch Horford sind Passer a la James, sie gehören auf ihren Positionen aber jeweils zu den besten Playmakern. Auch Irving will aber wohl mehr in diese Rolle hineindrängen, wie The Vertical schreibt. Anscheinend will er zeigen, dass auch er ein kompletter Spieler sein kann und nicht ausschließlich scoren muss, um das Spiel zu beeinflussen. Wie gut ihm das gelingt, wird sich zeigen müssen.

Celtics-Coach Brad Stevens dürfte in jedem Fall seit Dienstagabend am Tüfteln sein, wie er sein neues Team am besten einstellt und wie er die Stärken seiner Stars und Talente am besten maximiert. Das Potenzial ist in jedem Fall riesig - und wir alle dürften schon bald erfahren, ob Irving wirklich das sein kann, für das er sich schon länger hält: Einen echten Franchise Player.