Team-Stats: Bill Russell hat (fast) immer Recht

Simon Haux
03. Oktober 201715:18
LeBron James und seine Cavaliers unterlagen in den NBA-Finals 2017 den Golden State Warriorsgetty
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Im Rahmen der NBA-Themenwoche "Analytics" blickt SPOX heute auf Team-Stats jenseits von Siegen und Niederlagen. Wie misst man die Qualität der Offensive und Defensive? Welche Daten beschreiben die unterschiedlichen Stärken, Schwächen und Spielideen? Und welche Statistik sagt mehr über die Leistungsfähigkeit eines Teams aus als dessen Bilanz?

"Die einzig wichtige Statistik ist das Endergebnis des Spiels", gab der elffache Champion Bill Russell einst zu Protokoll. Wenn es am Ende der Saison um den Einzug in die Playoffs und einige Wochen später um den Titel geht, schert sich wohl wirklich niemand darum, wie und warum eine Mannschaft an diesen Punkt gelangt ist.

Dennoch bieten die Datenberge, die jedes Jahr in über 1200 NBA-Spielen erhoben werden, zahlreiche wertvolle Einblicke in das Innenleben der Teams.

Der Trend zu immer mehr Distanzwürfen eroberte die Liga in den vergangenen Jahren im Sturm. Seit 2012 stieg die Anzahl der genommenen Dreier um mehr als 80 Prozent. Das Moreyball-System, das vor allem wenig ertragreiche Mitteldistanzwürfe zu eliminieren versucht, wird inzwischen beinahe als Synonym für modernen Basketball angesehen.

Moreyball? Wurfauswahl, Ball-Movement und Spielgeschwindigkeit

In welchem Ausmaß Teams auf diese Strategie setzen, lässt sich zuallererst anhand ihrer Dreier-Rate (3PAr) erkennen. Sie misst den Anteil der Distanzwürfe an allen Wurfversuchen einer Mannschaft. Seit General Manager Daryl Morey vor fünf Jahren den Trade für James Harden einfädelte, dominieren die Houston Rockets die NBA in dieser Kategorie und erreichten in der abgelaufenen Saison einen historischen Höchstwert: Mehr als 46 Prozent ihrer Würfe feuerten Harden, Trevor Ariza, Eric Gordon und Co. von jenseits der Dreierlinie ab.

Aber auch beim Rest der Liga zeigt der Trend in die gleiche Richtung. Lag die durchschnittliche 3PAr in der Saison 2011/12 noch bei gut 22 Prozent, kommt inzwischen fast jeder dritte Feldwurf aus der Distanz. Der Vorteil ist offensichtlich: Macht ein Spieler aus der Mitteldistanz den Schritt hinter die Dreierlinie, bringt jeder Treffer einen zusätzlichen Punkt.

Ein weiterer Weg, die Punktausbeute pro Angriff zu erhöhen, sind "leichtere" Würfe in direkter Korbnähe. Obwohl die Rockets auch darauf großen Wert legen, machte ihnen in der abgelaufenen Saison ein anderes Team den Spitzenplatz streitig. Angeführt von MVP Russell Westbrook zogen die Oklahoma City Thunder häufiger als jedes andere Team für Dunks und Layups zum Korb und nahmen rund 38 Prozent ihrer Würfe innerhalb der Restricted Area direkt am Ring.

Free Throw Rate (FTr) und Pace

Neben der durchschnittlich höheren Trefferquote dieser Würfe ergibt sich noch ein weiterer Vorteil. Teams, die wie die Rockets und Thunder besonders oft den Korb attackieren, provozieren dabei meist auch mehr Fouls und kommen häufiger zu Freiwürfen, den mit Abstand "besten" Würfen im Basketball.

Das Verhältnis von Frei- zu Feldwürfen misst die sogenannte Free Throw Rate (FTr). Nimmt eine Mannschaft in einem Spiel 100 Würfe und marschiert zudem 25 Mal an die Linie, ergibt sich eine Freiwurf-Rate von 25 Prozent.

Einen weiteren Hinweis auf die Strategie eines Coaches gibt der Blick auf die Geschwindigkeit (Pace), mit der sein Team spielt. Diese gibt die Anzahl der Ballbesitze an, die eine Mannschaft durchschnittlich pro Spiel hat. Unter den Schnellsten der Saison 2016/17 waren neben den Rockets oder Warriors auch die Suns und Nets - junge Teams, die (aktuell noch ohne zählbaren Erfolg) versuchen, "moderne" Spielsysteme zu etablieren.

Übrigens: Die für ihre Geschwindigkeit berüchtigten "7 Seconds or Less"-Suns des heutigen Rockets-Coaches Mike D'Antoni hatten in dessen fünfjähriger Amtszeit (2003-2008) nur zweimal die höchste Pace der NBA.

Assists, Pässe und Ball-Movement

Neben ihrer Pace stach im Spiel der Suns in dieser Ära noch ein zweites Merkmal hervor: die Uneigennützigkeit ihres Franchise Players. Insbesondere dank Point Guard Steve Nash gehörte die Truppe aus Arizona über Jahre zu den Teams mit der höchsten Assist Percentage (AST%). Diese gibt Auskunft, wie viele getroffene Würfe eines Teams direkt von einem Mitspieler vorbereitet wurden.

Nash hievte die Suns innerhalb von zwei Jahren nach seiner Ankunft aus Dallas vom letzten Platz in die Spitzengruppe der Liga. Inzwischen ist das selbstlose Spiel der Warriors das Maß aller Dinge. In der Saison 2016/17 lag die AST% des Champions bei 70 Prozent, mehr als zwei Dritteln ihrer getroffenen Würfe ging also ein Assist voraus.

Den Gegenpol stellen Teams dar, die sich wie die Raptors (47 Prozent) und Thunder (53 Prozent) stärker auf die Qualität herausragender individueller Scorer wie DeMar DeRozan oder Russell Westbrook verlassen.

Zahlreiche Assists sind natürlich noch kein Beleg für ausgeprägtes Ball-Movement. Seit die NBA im Jahr 2013 in den Arenen aller 30 Teams Kameras installierte, um jede Bewegung von Ball und Spielern zu verfolgen, wird dazu auch die Anzahl der gespielten Pässe erhoben. Erneut liefern dabei die Rockets ein extremes Beispiel: Trotz der ligaweit vierthöchsten AST% belegten sie mit 272 Pässen pro Spiel in der letzten Saison nur Platz 27.

Dies deutet vor allem auf die besondere Rolle von Superstar James Harden hin. Der Guard dominiert den Ball wie kaum ein Zweiter, während seine Mitspieler das Feld breit machen oder die von Harden eingeleiteten Angriffe abschließen sollen. Auch die Cavaliers, Raptors, Thunder und Wizards bewegen den Ball nur wenig durch die eigenen Reihen, während die Warriors, Spurs und Celtics besonders passfreudig sind. Ball-Movement ist also weniger eine Frage des Erfolges als des Stils - und natürlich des zu diesem Stil passenden Personals.

Defense: Der umgekehrte Morey?

Geht man davon aus, dass das Ziel jeder Offensive ist, möglichst effiziente Würfe zu kreieren, sollte jede Defense versuchen, genau dies zu verhindern. So lassen sich einige der bereits angesprochenen Statistiken auch aus der Perspektive der Verteidigung betrachten. Dabei ist es für den Erfolg eines Teams natürlich von Bedeutung, welche Trefferquoten man dem Gegner gestattet.

Gerade bei Distanzwürfen haben zahlreiche Analysen jedoch gezeigt, dass die Dreierquote von der Defense nur in geringem Maße beeinflusst werden kann. Daher ist es besonders wichtig, diese Würfe möglichst gar nicht zuzulassen. Es lohnt sich also, auf die Opponent 3PAr zu blicken, die eine Verteidigung der gegnerischen Offense "erlaubt". Den besten Wert der regulären Saison 2016/17 weisen dabei die Miami Heat auf, gefolgt von weiteren defensivstarken Teams wie Utah und San Antonio.

Natürlich gibt es daneben noch unzählige weitere Details, anhand derer man die Defense eines Teams analysieren kann. Auf stats.nba.com finden sich unter anderem die zugelassenen Feldwurfquoten am Ring, aus der Mitteldistanz und von jenseits der Dreierlinie, die gegnerische Freiwurf-Rate, gezogene Offensivfouls, erzwungene Turnover, die Eroberung von "Loose Balls" und vieles mehr. Hier soll aber zumindest noch auf einen defensiven "Klassiker" eingegangen werden: das Einsammeln von Rebounds.

Die Defensive Rebound Percentage (DRB%) bezeichnet den Anteil gegnerischer Fehlwürfe, den eine Mannschaft am defensiven Brett einsammelt. Dabei hilft es natürlich, dominante Big Men auf dem Platz zu haben. Andre Drummond und die Pistons sicherten sich in der abgelaufenen Saison über 81 Prozent der möglichen Defensivrebounds. Die Celtics und Warriors spüren dagegen die Folgen ihrer oft kleinen Aufstellungen, gehören mit einer DRB% von rund 75 Prozent zu den Schlusslichtern der Liga und erlauben ihren Gegnern so deutlich mehr Chancen, nach Offensivrebounds zu Punkten zu kommen.

ORtg und DRtg: Was zählt, ist die Effizienz

Geht es nach Bill Russell, ist das beste Team der Liga das Team mit den meisten Siegen - und natürlich ist das normalerweise auch korrekt. Dennoch lohnt sich ein etwas genauerer Blick in die Statistiken. Die wohl entscheidende Zahl bei der Bewertung der offensiven Qualität beziehungsweise Effizienz ist das Offensiv-Rating (ORtg), das die erzielten Punkte pro 100 Ballbesitze erfasst.

In der vergangenen Saison waren - wenig überraschend - die Warriors das offensivstärkste Team. Mit ihrem ORtg von 115,6 erzielten sie auf 100 Ballbesitze gerechnet stolze 6,8 Punkte mehr als der Liga-Durchschnitt (108,8). Die "schlechteste", genauer gesagt ineffizienteste Offensive stellten die Philadelphia 76ers mit 103,2 Punkten pro 100 Angriffen.

Das Defensiv-Rating (DRtg) ist das genaue Spiegelbild seines offensiven Gegenparts. Die San Antonio Spurs ließen 2016/17 pro 100 gegnerischen Ballbesitzen nur 103,5 Punkte zu und stellten damit die effizienteste Defensive der NBA, Schlusslicht waren die Los Angeles Lakes mit einem DRtg von 113.

NetRtg: Aussagekräftiger als die Bilanz?

Vereint man die offensive und defensive Effizienz, erhält man das sogenannte Net-Rating (NetRtg), also die Punktedifferenz eines Teams und seiner Gegner über 100 Ballbesitze. Gegenüber dem einfachen Blick auf die Bilanz soll dieser Wert eine etwas genauere und aussagekräftigere Beurteilung von Teams ermöglichen, da es neben der gespielten Pace auch die Höhe ihrer Siege einbezieht.

So zogen beispielsweise die Spurs 2010 mit einer Bilanz von 50-32 Siegen als Siebter in die Western Conference Playoffs ein. Dort trafen sie in Runde eins auf Dirk Nowitzkis Mavericks, die sich mit 55 Siegen den Heimvorteil gesichert hatten. Der Blick auf die offensive und defensive Effizienz zeigte jedoch ein anderes Bild. Die Spurs wiesen ein um 1,2 Punkte besseres NetRtg auf als der Rivale aus Dallas - der gleiche Unterschied trennte in der vergangenen Saison beispielsweise die Cleveland Cavaliers und die Washington Wizards - und zogen letztlich mit 4-2 in die zweite Runde ein.

Natürlich gibt es zahllose Beispiele, in denen sich statistisch "schlechtere" Mannschaften durchsetzen, Favoriten einbrechen und Überraschungsteams ihre prognostizierten Leistungen übertreffen. Gerade in einzelnen Spielen oder Playoff-Serien kann keine Zahl der Welt das Ergebnis zuverlässig vorhersagen. Aber zumindest ermöglicht das NetRtg eine etwas genauere Einschätzung vergangener Leistungen, auch wenn die wichtigste Statistik letztlich doch das Endergebnis bleibt.