NBA - Legenden-Serie zu Julius "Dr. J" Erving: Der Playground-Pionier

Ole Frerks
22. Februar 202113:15
Julius Erving revolutionierte den Basketball - zunächst in der ABA. getty
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Nur sehr wenige Figuren haben die Geschichte des Basketballs so geprägt wie Julius Erving. Dr. J genießt bis heute den allerhöchsten Respekt - obwohl seine allerbeste Zeit wohl fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Heute feiert Erving seinen 71. Geburtstag!

Dieser Artikel erschien erstmals am 22. Februar 2018. Hier findet Ihr alle weiteren Geschichten zu den Legenden der NBA.

Es gibt Tausende und Abertausende von Spielern, die seit der Gründung der NBA im Jahr 1949 ein offizielles Jersey übergestreift haben. Darunter gibt es mittlerweile auch jede Menge Legenden, allein in der Hall of Fame finden sich derzeit 183 Spieler.

Es gibt darin aber auch einen deutlich kleineren, elitären Kreis.

Hier finden sich die Pioniere, die den Sport verändert haben; die Flair in einen vorher trockenen Sport brachten (wie Bob Cousy), die Athletik und Hangtime etablierten (Bill Russell, Elgin Baylor), die Regeländerungen hervorriefen (Wilt Chamberlain, Kareem Abdul-Jabbar), oder die so populär waren, dass sie den Sport kommerziell auf ein komplett neues Level hievten (Larry Bird, Magic Johnson, später Michael Jordan).

In diesem Kreis findet sich auch Julius Erving - und das aus einer Vielzahl von Gründen. Er revolutionierte das Spiel, weil er gewissermaßen den Jazz vom Freiplatz auf den Profisport übertrug und das Spiel "cool" machte wie niemand vor ihm. Er veränderte aber auch das Bild des Profisportlers an sich, weil er in einer mehr als wilden Zeit ein stets würdevoller Vertreter war, der überall respektiert und gemocht wurde - auch von weißen Zuschauern, die mit dem "zu schwarzen" Sport ansonsten gar nicht so viel anfangen konnten.

Zu guter Letzt findet sich Erving in dieser Liste, weil er all diese Eigenschaften vereinte und damit der Hauptgrund dafür war, dass die NBA 1976 mit der bisherigen Konkurrenzliga ABA fusionierte, nachdem er diese vorher über Jahre fast alleine getragen hatte. Dieses Zugpferd konnte und wollte die NBA sich nicht länger entgehen lassen.

Schließlich hatte sie ihre Chance schon einmal verpasst.

Julius Erving revolutionierte den Basketball - zunächst in der ABA. getty

Dr. J: Style und Substanz in Personalunion

Ervings Weg in die Liga war ein keineswegs gewöhnlicher und reflektierte gewissermaßen auch die Ära, in der er groß wurde. Als junger Spieler machte Erving zwar auch an der High School eine gute Figur, dort allerdings mit angezogener Handbremse - seine wirklich einzigartigen Moves hob er sich für die Freiplätze New Yorks auf, unter anderem für den legendären Rucker Park.

Dort testete er die Grenzen der Schwerkraft, dort etablierte sich der Name "Doctor", den ihm ein Schulfreund verliehen hatte, dort wurde er schon vor seiner Profizeit zum Phänomen, ja zum Mythos. Dort entwickelte er auch seinen einzigartigen Style: "Ich habe im Rucker Park zum ersten Mal erlebt, dass 2 Punkte nicht immer gleich 2 Punkte bedeuten. Für die Zuschauer spielte der Style auch immer eine große Rolle", erklärt Erving später.

Julius Erving: Abgeworben von der ABA

Diese Erkenntnis war damals noch nicht in der NBA angekommen - in der ABA aber umso mehr. Insofern überraschte es nicht, dass es die "Show-Liga" war, die 1971 mit einem Profivertrag an Erving herantrat, als dieser noch ein "Undergraduate" war, sein Studium also noch nicht abgeschlossen hatte. Die NBA-Regeln verboten dies damals, die ABA hingegen hatte solche Bedenken nie.

Die ABA-Teams gingen Risiken ein, wenn sie diese als sinnvoll erachteten - und sie lagen längst nicht immer richtig damit, was letztendlich auch ihren Untergang bedeutete. Aber die Entscheidung, sich um diesen dürren Studenten von der University of Massachusetts zu bemühen, sollten sie nicht bereuen.

Wechsel zu Pete Maravich wird geblockt

Erving schlug bei den Virginia Squires sofort ein. Seine Rookie-Statistiken lasen sich fast schon absurd (31,9 Punkte, 15,7 Rebounds, 4 Assists), vor allem wenn man bedenkt, dass Doc damit nur zweiter beim Rookie-of-the-Year-Race hinter Artis Gilmore (23,8 Punkte, 17,8 Rebounds, 5 Blocks) wurde. In den Playoffs setzte Erving dann aber sogar noch einen drauf - der damals 22-Jährige lieferte in seiner ersten Postseason über elf Spiele 33,3 Punkte, 20,4 Rebounds und 6,5 Assists!

Nicht auszudenken, was für ein Hype entstanden wäre, wenn die ABA vernünftige Zuschauerzahlen oder gar einen richtigen Fernsehvertrag gehabt hätte. Dennoch sprach sich natürlich herum, dass hier ein ziemlich besonderer junger Spieler sein Unwesen getrieben hatte - auch bis in die NBA. Da Ervings College-Jahrgang nun im Sommer 1972 auch "fertig" war, wurde Dr. J. automatisch auch im NBA-Draft aufgeführt, obwohl er ja bereits einen Profivertrag in einer anderen Liga hatte.

Gepickt wurde Erving auch - von den Bucks, an Nr. 12. Dort spielten zu diesem Zeitpunkt bereits Kareem Abdul-Jabbar und Oscar Robertson und man möchte sich kaum ausmalen, wie dominant dieses Team mit Dr. J gewesen wäre. Dieser hatte allerdings keine allzu große Lust auf Milwaukee. Stattdessen wollte er einen Wechsel zu den Atlanta Hawks und Pete Maravich forcieren, den Virginia allerdings via Gerichtsbeschluss blockierte. Ervings Wechsel in die NBA wurde also bis auf weiteres vertagt.

Dr. J: Das Aushängeschild der ABA

Nicht, dass er deswegen geschmollt hätte, wie es nicht wenige Stars zu dieser Zeit taten (Chamberlain und Rick Barry beispielsweise) - das war nicht Ervings Stil. Vielmehr schwang er sich in den kommenden vier ABA-Jahren, die er noch hatte, zum absoluten Aushängeschild der Liga auf.

Von 1974 bis 1976 wurde er dreimal in Serie MVP, zudem war er dreimal Topscorer der Liga. 1974 und 1976 gewann er, dann im Trikot der New York Nets, zwei Titel und zwei Auszeichnungen als "Playoff-MVP". Seine Performance in den 76er Playoffs (35 Punkte, 13 Rebounds, 5 Assists über 13 Spiele) gilt bis heute als eine der besten der Basketball-Geschichte.

Dabei ging Ervings Wert weit über Titel, Punkte oder Awards hinaus, weil er eben nicht nur herausragend gut, sondern auch spektakulär und einzigartig spielte. Sein Spiel verschaffte der ganze Liga Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekommen hätte. Das beste Beispiel dafür war womöglich der Dunk Contest 1976 - der erste überhaupt -, bei dem Dr. J von der Freiwurflinie abhob und die ganze Basketball-Welt in Ekstase versetzte.

Julius Erving: Erzwungener Wechsel in die NBA

Im Sommer 1976 fühlte sich Erving gewissermaßen wie der König der Welt - und vor allem New Yorks, was ihm vielleicht sogar wichtiger war. "Wir waren zum ersten Mal überall, in der Sports Illustrated, Sport Magazine und so weiter ... es war eine großartige Zeit in meinem Leben. Mit 26 Jahren hatte ich das Gefühl, dass mir die Basketball-Welt zu Füßen lag", erinnerte sich Erving später bei Fox Sports.

Nur ließ sich dies über die ABA nicht sagen. Nach Jahren der erbitterten Verhandlungen war die Liga dem Untergang geweiht. Um diesen abzuwenden, stimmten vier der nur noch sieben verbliebenen Teams einer Fusion mit der NBA zu - allerdings zu einem heftigen Preis. Die vier Teams mussten Aufnahmegebühren zahlen, im Falle der Nets waren es 3 Millionen Dollar, die als "Territorialgebühr" an die Knicks entrichtet werden mussten.

Besitzer Roy Boe hatte dieses Geld allerdings nicht - und die einzige Lösung, um den Bankrott zu verhindern, involvierte daher den Superstar. Erving wurde im Rahmen des Mergers 1976 an die Philadelphia 76ers verkauft, wo er auf ein Team traf, das vor Talent nur so strotzte, das aber zu Beginn auch von einer klassischen "zu viele Köche"-Situation geprägt war.

MVP-Award in der NBA als Erleichterung

George McGinnis wollte werfen. Doug Collins wollte werfen. World B. Free wollte werfen, Henry Bibby und Darryl Dawkins auch. Erving, der zu diesem Zeitpunkt vielleicht beste Spieler der Welt, wollte das zwar auch, er nahm sich bei den Sixers aber zunächst so sehr zurück, dass NBA-Fans schon zweifelten, ob dieser jahrelange Hype um den sagenumwobenen Doc überhaupt gerechtfertigt war.

Die alles zerstörende Dominanz aus seinen ABA-Tagen erreichte Erving in der NBA tatsächlich nicht mehr - aber nicht falsch verstehen: Allein seine NBA-Jahre hätten den Doktor ohne jeden Zweifel in die Hall of Fame gebracht. Innerhalb seiner ersten sieben Jahre in der "großen" Liga erreichte er allein viermal die Finals und wurde stets All-Star (insgesamt 16x).

Auch den MVP-Award sicherte er sich 1981 und wurde damit der einzige Spieler, der in beiden Ligen zum wertvollsten Spieler ausgezeichnet wurde. "Das war eine Erleichterung", gab Erving später zu. "Ich wurde kritisiert und Leute sagten, ich sei nicht mehr der Spieler, der ich in der anderen Liga war. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich noch einmal beweisen musste."

Julius Erving: Momente für die Ewigkeit

Das gelang Erving. Die ultimative Krönung blieb ihm allerdings lange verwehrt. Einmal verlor Philly in den Finals gegen die Portland Trail Blazers, zwei weitere Male gegen die Lakers mit Magic Johnson und Abdul-Jabbar. 1981 verlor Philly zudem in einer epischen Schlacht in Spiel 7 der Eastern Conference Finals gegen die erbitterten Rivalen aus Boston um Larry Bird.

Erving lieferte immer wieder legendäre Momente, darunter seinen Dunk über Bill Walton in Spiel 6 der 77er Finals, seinen Baseline-Move gegen die Lakers in den 80er Finals - ein modernes Kunstwerk! - und seinen "Rock the Baby"-Dunk über Michael Cooper in der Regular Season 83. Aber es schien, als könne er seine Magie aus der ABA mit nunmehr über 30 Jahren nicht mehr dauerhaft replizieren.

Rettung durch Moses Malone

Die Erlösung brachte letztendlich ein Trade, den die Sixers vor der Saison 1982/83 einfädelten und der so einseitig war, dass man schon damals nur den Kopf schütteln konnte. Für Caldwell Jones und einen Erstrundenpick kam mit Moses Malone der amtierende NBA-MVP aus Houston. Erstmals in seiner Karriere war Erving nun nicht mehr der beste Spieler seines Teams - aber damit konnte er sich arrangieren.

Denn die Sixers legten mit Malone, der zum dritten Mal MVP wurde, fortan eine der dominanteren Saisons der NBA-Geschichte hin, an deren Ende der Center ankündigte, sein Team werde in den Playoffs "Fo-Fo-Fo" gehen, also kein einziges Spiel verlieren. Letztendlich wurde zwar eins verloren - aber dabei blieb es. Per Sweep vermöbelten Malone (26 Punkte, 15,8 Rebounds), Andrew Toney (18,8 Punkte) und Erving (18,4) die Lakers in den Finals. Die Karriere des Dr. J war endgültig komplett.

Farewell-Tour wie bei Kobe Bryant

Bis 1987 setzte Erving seine beeindruckende Karriere noch fort. Selbst im Alter von 37 Jahren legte er dann noch 18,2 Punkte in den Playoffs auf, bevor er endgültig die Sneaker an den Nagel hängte. Die NBA verlor damit eine ihrer großen Ikonen, auch wenn mit Michael Jordan in mancherlei Hinsicht Ervings Nachfolger bereits dabei war, seine Flügel auszubreiten. Bereits während der Regular Season hatte es eine Farewell-Tour gegeben, ähnlich wie Jahrzehnte später für Kobe Bryant.

Seither ist viel Zeit vergangen und wie bei vielen anderen Legenden wurden rückwirkend auch bereits Lücken in Ervings Spiel ausgemacht: ein nur rudimentär ausgeprägter Jump-Shot, fehlende Defense in der ABA, und so weiter. All dies geht aber völlig an dem vorbei, was Erving zu einer prägenden Figur der Basketball-Geschichte machte. Nur wenige Spieler waren jemals so fesselnd - sogar für die, die neben ihm auf dem Court standen.

"Just another move"

"Da war ich, spielte für eine Championship, und mir fiel einfach nur die Kinnlade herunter", sagte Magic Johnson, als er Ervings "Baseline Move" 1980 beschreiben sollte. "Er hat das wirklich gemacht. Ich dachte mir nur: 'Was machen wir jetzt? Sollen wir weitermachen oder ihn einfach fragen, ob er das nochmal machen kann?'"

Der Doktor selbst nannte seinen berühmtesten Wurf lediglich "just another move" - und das sagte viel über ihn aus. Er hatte vermutlich wirklich hunderte Moves dieser Art. Auf dem Freiplatz. In der ABA. Bevor Basketball ein Massenphänomen wurde. Nicht zuletzt dank ihm.