NBA Legenden-Serie: Grant Hill - Der verhinderte 'Next Michael Jordan'

Robert Arndt
05. Oktober 202210:33
Grant Hill galt als der legitime Nachfolger von Michael Jordan.getty
Werbung

Grant Hill galt in den Neunzigern als der Spieler, der die Lücke nach Michael Jordan in der NBA schließen sollte. Bei den Detroit Pistons deutete Hill dies auch an, er kämpfte in seiner Prime aber mit zahlreichen Knöchel-Verletzungen und konnte so sein Potenzial nie voll ausschöpfen. In Phoenix fand er immerhin spät seinen Frieden. Am 5. Oktober feiert Hill seinen 50. Geburtstag.

Dieser Artikel erschien erstmals im September 2018. Alle weiteren Porträts zu den Legenden der NBA gibt es in unserem Archiv.

Was wäre, wenn ...? Diese Frage hat sich sicher jeder schon einmal in seinem Leben gestellt und auch im Sport kommen solche Gedankenspiele immer wieder auf. Was wäre passiert, wenn die Portland Trail Blazers Michael Jordan mit dem zweiten Pick 1984 genommen hätten und nicht den verletzungsanfälligen Sam Bowie?

Was wäre passiert, wenn George Hill nicht den Freiwurf in Spiel 1 der Finals 2018 an den Ring gesetzt hätte oder J.R. Smith nicht die Uhr hätte runterlaufen lassen? Hätten die Cavs vielleicht doch eine Chance gehabt? Wir werden es nie erfahren.

Ähnlich verhält es sich mit der Karriere von Grant Hill, der Ende der 90er Jahre als der neue Michael Jordan gehandelt wurde. Er sollte nie die Chance bekommen, dies zu zeigen. Der Vergleich war zwar schon damals ein wenig weit hergeholt, doch Hill war tatsächlich einer der vielversprechendsten Spieler seiner Zeit - solange der Körper mitmachte.

Grant Hill: All-Star und Rookie of the Year

Der Forward kam, dekoriert mit zwei College-Titeln an der Duke University unter Trainer-Legende Mike Krzyzewski, 1994 als große Hoffnung in die Liga. Der GOAT versuchte sich gerade im Baseball und die NBA war auf der Suche nach dem nächsten großen Star, der diese riesige Lücke irgendwie schließen könnte. Die großen Jungs wie Hakeem Olajuwon, Patrick Ewing oder auch der junge Shaq waren die Gesichter der Liga und der Basketball nicht immer schön, auch wenn diese Ära heutzutage gerne glorifiziert wird.

Hill, der nach Glenn Robinson und Jason Kidd an Nummer drei von den Detroit Pistons gewählt wurde, galt als der Auserwählte, der noch am ehesten für die Revitalisierung der NBA in Frage kam - und er enttäuschte nicht.

Schon in seiner ersten Spielzeit legte Hill 20 Punkte, 6 Rebounds und 5 Assists im Schnitt auf, was ihm die seltene Ehre der All-Star-Nominierung (mit den meisten Stimmen!) als Rookie einbrachte. Nach ihm schafften dies nur noch Tim Duncan, Yao Ming und Blake Griffin. Folgerichtig wurde Hill auch zum Rookie of the Year gewählt, wenngleich er sich diese Auszeichnung mit Kidd teilen musste.

"Grant spielte bereits als Rookie wie ein Veteran", erinnerte sich Penny Hardaway später. "Er war wie gemacht für den Moment. Ich hatte bereits an der High School mit ihm gespielt und wusste daher, was man erwarten konnte. Ich wusste auch, dass er es der ganzen Welt zeigen würde."

Grant Hill: Der erste Point Forward

Dabei war Hill weniger der nächste Jordan, sondern mehr der nächste Pippen. Als Forward war Hill mit einem grandiosen Ballhandling, elitärer Athletik sowie der Court Vision eines Maestros gesegnet, sodass er in Detroit mehr oder weniger den Spielmacher gab. Jahre später gab Hill an, dass ihn am ehesten LeBron James an sich selbst erinnern würde.

"Er war ein Point Forward, bevor man überhaupt über Point Forwards sprach", lobte der ehemalige Beatwriter der Detroit Pistons, Chris McCosky. Allerdings war es auch ein kleiner Bruch mit der Identität der Pistons, die immer noch von Joe Dumars repräsentiert wurde, der als letzter Teil der Bad Boy übrig geblieben war. Salopp gesagt gab es nun statt harter Defense die Killer-Crossover inklusive schnellem ersten Schritt von Hill zu sehen.

"Er hatte seine Momente, in denen er zeigte, dass er tough sein kann", erklärte Pistons-Kommentatoren-Legende George Blacha. "So wollte er aber nicht immer spielen, nur wenn es notwendig war."

Die Statistiken von Grant Hill bei den Detroit Pistons

SaisonSpieleMinutenPunkteFG%ReboundsAssists
1994/957038,319,947,76,45,0
1995/968040,820,246,29,86,9
1996/978039,321,449,69,07,3
1997/988140,721,145,27,76,8
1998/995037,021,147,97,16,0
1999/007437,525,848,96,65,2

Hill und die Pistons: Eine One-Man-Show

Die Pistons waren ohnehin nicht mehr das Schwergewicht der späten 80er und frühen 90er Jahre und befanden sich in einer kleinen Identitätskrise. Mit der Vergangenheit sollte abgeschlossen werden und das alte Pistons-Logo (das 2017 sein Comeback feierte) wurde mit einem Pferd und neuen Farben ersetzt. Hill sollte für die neue Ära stehen, allerdings war diese nur bedingt von Erfolg gekrönt.

In sechs Jahren in Motown verpasste Hill zweimal die Playoffs und scheiterte gleich viermal in der ersten Runde, 54 Siege im Jahr 1997 waren da schon das Höchste der Gefühle. Kein Wunder, wenn man auf Hills beste Mitspieler in dieser Zeit blickt. Dumars, Lindsey Hunter, Allan Houston, Otis Thorpe oder Jerry Stackhouse trugen alle irgendwann mal das Pferde-Trikot, eine wirklich starke, sinnvoll zusammengestellte Truppe hatte Hill jedoch nie um sich herum.

So erreichten die Pistons vor allem wegen Hill immerhin die Playoffs, der fleißig persönliche Auszeichnungen einsammelte, darunter zahlreiche All-Star-Nominierungen, ein All-NBA First Team (1997) und mehrere Second Teams. Hill war das Gesicht der Pistons und wurde auch von der NBA als kommender Superstar dargestellt. Das Etikett 'Nächster MJ' haftete an ihm, nicht zuletzt unterschrieb Hill einen Mega-Sponsoren-Deal mit Fila, der für jede Menge Aufsehen sorgte. Der Druck, dem Team endlich Erfolg zu bringen, stieg aber stetig an.

Grant Hill: Die Knöchelprobleme beginnen

In der Saison 1999/00 begannen die Probleme von Hill. Der Knöchel schmerzte immer wieder. "Ich habe gut gespielt, musste aber ständig behandelt werden", erinnerte sich Hill. "Je länger die Saison dauerte, desto schlimmer wurde es. Die Ärzte sagten aber, dass es nur eine Knochenprellung sei. Ich fand heraus, dass einige Teamärzte sogar bezweifelten, dass ich überhaupt verletzt sei."

So begann Hill die Playoffs unter Schmerzen, auch wenn er beteuerte, dass er dies nicht tat, um sich seinen Kritikern zu beweisen. In Spiel 2 der ersten Playoff-Runde gegen Miami passierte es dann. "Ich hörte ein Knacken und nach dem Spiel stellten wir fest, dass der Knöchel gebrochen war. Ich war erleichtert, denn nun wusste ich tatsächlich, dass ich richtig verletzt war." Detroit unterlag derweil mit 0-3.

Hill sollte nie wieder für die Pistons auflaufen, stattdessen unterschrieb er bei den Orlando Magic und bildete mit Tracy McGrady ein neues Star-Duo. Die Pistons gingen aber nicht leer aus, fädelten einen Sign-and-Trade-Deal mit den Magic ein und bekamen dafür Ben Wallace, der später essentiell für die neue Version der Bad Boy-Pistons wurde.

Grant Hill: Verletzungen prägen Zeit in Orlando

Das neue Traum-Duo im Rentner-Paradies existierte aber nur auf dem Papier. Mit dem Knöchelbruch begannen erst die Leiden des jungen Grant. In seinen ersten vier Jahren in Orlando sollte Hill gerade einmal 47 Spiele absolvieren. Die einstigen harten Drives und spektakulären Dunks, die er in Michigan am Fließband geliefert hatte, blieben aus.

Hill war bei seinem Wechsel nach Orlando 27 Jahre alt und klopfte ans Tor seiner Prime, doch wurde von seinem Körper verraten. Aus der Erleichterung über das Wissen der Verletzung wurde schnell Frustration. "Ich dachte, dass nun meine Zeit ist, in der ich der Liga meinen Stempel aufdrücken könnte", blickte Hill zurück. So stand der neue Magic-Star auch zu Beginn der neuen Saison wieder auf dem Feld - trotz Schmerzen, lediglich drei Monate nach einer OP, die eigentlich mehr als ein halbes Jahr Reha benötigt hätte.

"Es war verrückt. Sie hatten 92 Millionen Dollar in mich investiert und ließen mich spielen. Das war großes Miss-Management", analysierte Hill seine Situation in Orlando später. Und es hatte den Preis, dass sich Hill weiteren Operationen unterziehen musste. Dazu schluckte er auf Anraten der Ärzte jede Menge Opioide, worauf Hills Körper auch noch allergisch reagierte.

Bei einer weiteren Operation am Knöchel im März 2003 kam es zu Komplikationen. Hill hatte plötzlich über 40 Grad Fieber und wurde in die Notaufnahme gebracht. Wie sich herausstellte, litt Hill durch die OP an einer MRSA-Infektion, bei der Bakterien ins Immunsystem gelangten, in einigen Fällen verläuft dies sogar tödlich. Hill musste sechs Monate Antibiotika schlucken und verpasste die kommende Saison komplett.

Grant Hill: Phoenix rettet die Karriere

2004/05 kehrte Hill wieder zurück - McGrady war inzwischen in Houston - und erinnerte tatsächlich in einigen Phasen an den Pistons-Hill, doch die Knöchelprobleme begleiteten ihn weiter und erforderten weitere Operationen. Im Sommer 2007 schloss sich Hill darum den Phoenix Suns an, einer Organisation, die damals den Ruf der besten medizinischen Abteilung der Liga genoss, nicht zuletzt weil sie die Rückenprobleme von Steve Nash einigermaßen in den Griff bekommen hatte.

Seine Zeit als Star war zu diesem Zeitpunkt aber vorbei. Es begann die zweite Karriere von Hill, die als guter Rollenspieler, der als alternativer Playmaker und Ballhandler benutzt werden konnte. Und noch viel wichtiger: Hill war endlich schmerzfrei und spielte mit inzwischen 36 Jahren erstmals die 82 Spiele durch.

"Die Zeit in Phoenix war toll. Endlich konnte ich schmerzfrei spielen. Es ist schwer zu erklären, aber sie behandelten meinen Körper ganz anders als jedes andere Team", schwärmte Hill von der Suns-Organisation.

Die Seven-Seconds-or-less-Suns waren nach dem Abgang von Coach Mike D'Antoni zwar mehr oder weniger Geschichte, doch 2010 gewann Hill erstmals eine Playoff-Serie, auch wenn die Lakers in den Conference Finals eine Nummer zu groß waren. Ein Ring sollte auch bei den Clippers nicht herausspringen, als Hill 2012 noch ein Jahr dranhängte.

Grant Hill: Bestimmt für die Krone

Mit knapp 41 Jahren war dann endgültig Schluss. Mit 41 Jahren! Wer hätte das zu Magic-Zeiten für möglich gehalten. "Die Ärzte sagten mir, dass ich sicher nicht mehr zehn Jahre spielen würde, ich habe es widerlegt. Dafür bin ich sehr dankbar." Insgesamt musste Hill elfmal unters Messer, zwischen 2000 und 2004 allein hatte er fünf Knöchel-OPs, wie er später bei GQ verriet.

Inzwischen ist Hill fester Bestandteil bei NBA TV, fungiert als Managing Director von Team USA und gehört der Investorengruppe an, die die Atlanta Hawks besitzt. Der nächste MJ ist aus Hill nie geworden, auch kein absoluter Superstar. Es waren die Verletzungen, Fehleinschätzungen von Ärzten und mangelnde Geduld des Spielers, die dies verhinderten.

"Nicht viele Spieler kommen in die Liga und sind bestimmt dafür, die Krone zu tragen. Grant Hill hätte dies sein sollen. Er war von der Liga, den Spielern und jedem anderem dazu bestimmt, die Krone zu tragen", fasste Isiah Thomas die Erwartungshaltung an Hill zusammen. "Viele wollen heute wie LeBron oder Durant sein. Wenn Hill sich nicht verletzt hätte, hätten alle Kids gerne wie Grant gespielt."

Grant Hill ist der erste Duke-Spieler in der Hall of Fame

In Vergessenheit wird Hill dennoch nicht geraten, alleine schon deswegen nicht, weil er inzwischen in die Hall of Fame aufgenommen wurde, übrigens als erster Duke-Spieler aller Zeiten. Gehört Hill nun in die heiligen Hallen von Springfield? Dafür kann man in beide Richtungen argumentieren. Fakt ist, dass die ersten sechs Jahre von Hill wohl besser waren als das, was einige Hall of Famer in ihrer Karriere erreicht haben.

Ähnlich wie bei T-Mac bleibt an Hill der Status des Unvollendeten kleben, ein Spieler, der sein Potenzial, seine Prime nie vollständig ausschöpfen konnte. Wer weiß, vielleicht hätte dieses Duo über Jahre den Osten in Orlando komplett dominiert, vielleicht hätten die beiden aber auch nie wirklich zusammengepasst.

Wir werden es nie erfahren und müssen uns mit Was wäre, wenn ... -Theorien zufriedengeben. Genau eine solche stellt die Causa Hill dar, der als der verhinderte "Next MJ" in die Annalen eingehen wird.