NBA Legenden-Serie: Ray Allen - Ein Wurf wie aus einem Guss

Robert Arndt
20. Juli 201911:04
Ray Allen hat die meisten Dreier aller Zeiten versenkt.getty
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Ray Allen war einer der besten Schützen aller Zeiten. Unvergessen bleibt sein Dreier in den Finals von 2013 gegen die San Antonio Spurs. Der Shooting Guard war einer der härtesten Arbeiter der Liga, dem Zufall überließ er nichts. Zusammen mit Steve Nash, Grant Hill und Jason Kidd wurde er im vergangenen Jahr in die Hall of Fame aufgenommen. Heute wird er 44 Jahre alt.

"Der Wurf ist eine Sache. Um ihn fliegen zu lassen, muss man erst in Position kommen. Das passiert im Training und dies bedeutet mir mehr als alles andere."

Demütig gibt sich Ray Allen in den Tagen vor seiner Aufnahme in die Hall of Fame. Unzählige Male bekommt er die Frage über seinen berühmten Wurf in Spiel 6 der Finals 2013 gestellt, als die Miami Heat dank eines Allen-Dreiers die Verlängerung erzwangen und den sicher geglaubten Titel der San Antonio Spurs verhinderten.

Es ist der wahrscheinlich wichtigste Wurf der Neuzeit - fast schon folgerichtig verwandelt von einem der besten Schützen aller Zeiten, der gleichzeitig solch einen perfekten, reinen Jumper besaß, wie ihn die Liga selten zuvor gesehen hatte. Auch in dieser Drucksituation kurz vor Ablauf der Uhr war die Ausführung perfekt, beinahe mechanisch. Ein wenig im Fallen, der Spalding hoch über dem Kopf, ein schnelles, weiches Abdrücken - und Swish!

Allen war da bereits 37 Jahre alt, im Spätherbst seiner Karriere und neben der Big Three um LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh nur noch ein Rollenspieler. Ein Spezialist, ein verdammt guter allerdings. Zufall war sein Erfolg nicht, wie Allen immer wieder betonte. "Die Fans sehen nur die Spiele, aber es waren die Trainingseinheiten, die mich zu diesem Spieler gemacht haben."

Ray Allen: Der hart arbeitende Vater als Vorbild

Harte Arbeit lernte Allen bereits in seiner frühen Kindheit kennen. Der Vater verschrieb sich dem Militär, die Familie Allen folgte dem Familienoberhaupt auf Schritt und Tritt. Der kleine Ray verbrachte so in seinen jungen Jahren Zeit in Kalifornien, England, Deutschland und später in South Carolina, wo er auch die High School besuchte.

"Mein Dad ging jeden Tag pflichtbewusst zur Arbeit, er hatte keine andere Wahl", erinnerte sich Allen gegenüber nba.com. Daraus speiste sich auch die Einstellung des Shooters zu seinem späteren Beruf, der Wille, sich stets verbessern zu wollen, trieb Allen zu Höchstleistungen.

Im nur so vor Talent triefenden Draft von 1996 mit insgesamt vier (kommenden) Hall of Famern wurde Allen an Nummer fünf von den Minnesota Timberwolves gezogen, aber sofort zu den Milwaukee Bucks im Austausch mit Stephon Marbury weitergereicht.

Den Bucks war damals aber gar nicht klar, dass sie den späteren All-Time Leader bei den Dreipunktwürfen bekommen hatten. "Zu Beginn meiner Karriere sagten mir die Coaches, dass ich nicht von draußen werfen und lieber den Korb attackieren sollte", berichtete Allen.

Ray Allen: Mehr als nur ein Schütze

Denn was in Retrospektive ein wenig untergeht, ist, dass Allen viel mehr als ein Schütze war. 24.505 Karriere-Punkte (Platz 24 All-Time) hat noch niemand nur mit Jumpern erzielt. Vor allem in den frühen Jahren war Allen ein herausragender Athlet, der auch zum Slam Dunk Contest eingeladen wurde und die Zone mit seinen Drives immer wieder attackieren konnte. Endgültig zum Star wurde Allen allerdings 1998 durch seine Rolle als Jesus Shuttlesworth an der Seite von Denzel Washington im Film "He Got Game" von Spike Lee.

Nur mit dem Team wollte sich zunächst wenig Erfolg einstellen. Die Bucks waren damals ein Kellerkind und es dauerte bis ins Jahr 1999, bevor Milwaukee wieder zu respektieren war. Mit George Karl kam ein Offensiv-Guru als Coach, dazu tradeten die Bucks für Point Guard Sam Cassell, der mit Allen und dem einstigen Nr.1-Pick Glenn Robinson eine kleine Big Three formte.

"Als George Karl kam, spielten wir sofort schneller. Wenn ein guter Wurf möglich war, dann durften wir ihn immer nehmen." Allens Stärken kamen so besser zum Tragen, in der Saison 2001/02 drückte er fast achtmal pro Partie aus der Distanz ab - bei Quoten von über 40 Prozent.

Allen und die Bucks scheitern an den Sixers

Im dezimierten Osten mauserten die Bucks sich so zu einem Spitzenteam, welches letztlich nur knapp die Finals verpasste. Die Conference Finals im Jahr 2001 gegen die Philadelphia 76ers um Allen Iverson waren hart umkämpft und auch umstritten. Milwaukee fühlte sich mehrfach stark benachteiligt von den Referees, sodass Karl und Allen im Lauf der Serie zusammen 85.000 Dollar für Schiedsrichterkritik blechen mussten.

So geriet dieses Bucks-Team zu Unrecht schnell in Vergessenheit, ebenso wie die vielleicht beste Serie, die Allen in seiner Karriere spielte. In sieben Spielen legte der Shooting Guard 190 Punkte auf und stellte in Spiel 6, einem Do-or-die-Spiel, mit neun verwandelten Dreiern (41 Punkte) einen neuen Playoff-Rekord auf.

Auch in seinem Buch From the Outside: My Journey through Life and the Game I Love zeigte sich Allen noch 17 Jahre später verbittert über diesen Ausgang. "Sie hatten den besten Sixth Man (Aaron McKie), den besten Verteidiger (Dikembe Mutombo) und den MVP (Iverson). Wir waren die kleinen Milwaukee Bucks. Jeder sprach damals von Ratings und wir waren als Small-Market-Team einfach nicht interessant genug."

Allen: Differenzen mit Coach George Karl

In der Folge zerfielen die Bucks schnell. Die Verpflichtung von Anthony Mason zerstörte die Team-Chemie, während der enigmatische Allen für Karl zum Sündenbock wurde. Der Coach soll Allen vor seinem Trade eine "Barbie-Puppe, die immer nur hübsch sein will" genannt haben.

Bei all seinen Qualitäten war Allen eben auch ein schwieriger Charakter, der auch später in seiner Karriere mehr Eigenbrötler als bester Freund war. Der Guard verschrieb sich dem Basketball, Beziehungen blieben so manchmal auf der Strecke, was sich auch später bei seinem Abgang von den Boston Celtics zeigte.

2003 wurde Allen gegen Gary Payton nach Seattle getradet, wo Ray Ray unter Coach Nate McMillan der unumstrittene Star war, dem es jedoch an Unterstützung mangelte. 2006 stellte er dabei mit 269 Dreiern in einer Spielzeit einen neuen Rekord auf, für die Postseason reichte es dennoch nicht. In gut vier Jahren sprang nur eine Playoff-Teilnahme heraus, auch wenn Allen die Zeit bei den Sonics als die beste seiner Karriere einstufte. "In Seattle hatte ich den meisten Spaß, wir waren ein junges Team und lernten, wie man gewinnt."

Allen: Trade nach Boston verändert das Kräfteverhältnis

Konsequentes Miss-Management war in Seattle aber an der Tagesordnung, durch schlechte Trades und Signings schwächte man sich immer wieder selbst. Im Sommer 2007 profitierte Allen wiederum selbst davon und wurde für Jeff Green, Wally Szczerbiak und Delonte West zusammen mit Glen Davis nach Boston geschickt. Einen Monat später kam auch noch Kevin Garnett aus Minnesota und die neue Big Three zusammen mit Paul Pierce war entstanden.

Es war ein hohes Risiko, welches Boston mit diesem Experiment einging, doch es funktionierte, weil alle drei Veteranen (alle bereits über 30) Opfer brachten und mit Rajon Rondo als Spielmacher ein junges, erfrischendes Element hinzukam. Auch Allen passte sich an und wurde mehr und mehr zum überqualifizierten Rollenspieler und Schützen.

Im Halbfeld-Basketball der Celtics flitzte Allen um massenweise Screens und ließ den Spalding bevorzugt aus den Ecken oder im Fastbreak mit seinem schnellen Release fliegen. In seinen fünf Jahren in Beantown versenkte Allen über 40 Prozent aus der Distanz und knackte später auch noch den Dreierrekord von Reggie Miller, der die Laudatio für Allens Hall-of-Fame-Einzug hielt.

Ray Allen: Vorbild Reggie Miller

Killer Miller war stets eine Inspiration für den jungen Allen, ein Spieler, der wie er hart arbeitete, mental unglaublich stark war und ebenfalls einen tödlichen Jumper besaß. Doch während Millers Würfe, zumeist mit dem ausgestreckten Bein, nach harter Arbeit aussahen, war der Wurf von Allen wie am Reißbrett entworfen. Auch wenn Allen nicht müde wurde zu betonen, wie viel Arbeit dahintersteckte.

Ähnlich viel Arbeit mussten auch die Celtics für ihren Titel investieren und quälten sich mit gleich zwei Serien über die volle Distanz durch den Osten und später zum Titel, doch am Ende stand nur das Ergebnis und ein Finals-Erfolg über den Erzrivalen aus L.A. Allen stellte dabei mit sieben verwandelten Dreiern einen neuen Finals-Rekord im Clincher in Spiel 6 auf, den er zwei Jahre später noch einmal übertraf. Damals nahmen die Lakers jedoch Revanche und gewannen nach sieben Partien.

Ray Allen: Differenzen mit Rondo und ein unrühmlicher Abgang

Doch an der Big Three nagte der Zahn der Zeit, auch intern gab es erste Probleme, vor allem zwischen Allen und dem aufstrebenden Rondo. In seinem Buch schilderte der Hall of Famer, dass Rondo mehr Einfluss haben wollte und mit Absicht nicht mehr zu Allen passte. Erschwerend kam hinzu, dass 2010 in Miami eine neue Macht erwachte, als sich LeBron James und Chris Bosh den Heat um Dwyane Wade anschlossen.

Die Celtics scheiterten in der Folge gleich zweimal am neuen Rivalen in den Playoffs und es kamen Gerüchte über das Aufbrechen der Big Three auf. Coach Doc Rivers wollte Allen zum neuen Sixth Man machen, gleichzeitig kamen auch Tradegerüchte auf, auch wenn der alternde Guard bis zu seinem Vertragsende blieb.

Im folgenden Sommer ließ er aber die Bombe platzen und ging als Free Agent tatsächlich nach Miami. Allen verzichtete dabei auf jede Menge Geld und akzeptierte auch die Bankrolle, die er bei den Celtics noch ablehnte. Über seine Entscheidung informierte er niemandem in Boston, die stolzen Celtics spuckten Gift und Galle. Selbst heute haben sich lediglich Pierce und Coach Rivers mit Allen versöhnt, mit KG und Rondo herrscht dagegen weiterhin Eiszeit.

"Alle Celtics-Spieler waren vertraglich gebunden, nur ich nicht", erinnerte sich Allen später. "Mir wurde nur das angeboten, was übrig blieb. Es gab keinerlei Verhandlungsspielraum für mich."

Allen, der Trainings-Weltmeister

Die Heat freute es, sie bekamen einen weiteren Veteranen, der mit seinem Trainingseifer auch in Miami Standards setzte. Seine Rituale vor den Spielen blieben immer gleich und streng durchgetaktet. Ein Nickerchen von 12 bis 13 Uhr, danach Mittagessen (Hühnchen mit Reis) um 14.30 Uhr. Danach fuhr Allen zur Halle, begann das Stretching um 15.45 Uhr und rasierte sich anschließend den Kopf. Genau drei Stunden vor Tip-Off betrat er das Feld und nahm methodisch von allen Stellen des Courts seine Jumper.

Eine Rolle spielte dabei auch eine Zwangsstörung, die zwar nie diagnostiziert wurde, von der Allen jedoch wusste, wie er 2008 zu ESPN sagte. Er kann kein Stück Papier auf dem Boden liegen lassen, er braucht alles sauber, ordentlich und symmetrisch - auch beim Basketball, was seine fast manischen, immer gleichen Routinen vor Spielen begründete.

Das hinterließ natürlich Eindruck, besonders bei Coach Erik Spoelstra. "Wir nannten ihn 'Everyday Ray'. Er arbeitete einfach jeden Tag, wirklich jeden Tag. Seine Arbeitsmoral und Disziplin suchte seinesgleichen in der Liga", adelte Spo den Hall of Famer.

Selbst einen Wurf wie in den Finals gegen die Spurs trainierte Allen laut Spoelstra tausendfach mit einem selbst erfundenen Drill, den der Coach so nie zuvor gesehen hatte. "Er lag unter dem Korb, sprang hoch und lief rückwärts in die Ecke, um dann den Pass zu fangen und sofort zu werfen. Er sagte mir, dass dies für Situationen nach Offensiv-Rebounds nützlich sei. Es werde Momente geben, in denen man zur Dreierlinie muss, ohne die Zeit zu haben, nach unten zu schauen." Wie recht er behalten sollte.

Allen: Der (noch) beste Dreierschütze aller Zeiten

Keine Episode könnte wohl die Karriere von Allen besser zusammenfassen als diese. Der noch beste Dreierschütze aller Zeiten (Steph is coming!) hatte sicher ein gewisses Talent zum Werfen, doch veredelt wurde dies durch knallharte Arbeit, die nur wenige Menschen in dieser Form investieren würden. Zwei Titel, zehn All-Star-Nominierungen, ein All-NBA Second- (2005) sowie ein All-NBA Third Team (2001) sprangen dabei heraus, hinzu kommen zahlreiche Wurfrekorde, die teilweise noch immer Bestand haben.

"Das Geheimnis ist, dass es kein Geheimnis gibt. Es sind einfach nur langweilige Angewohnheiten", beschrieb Allen nüchtern seine Wurfstärke. Als 2014 die Heat wieder zerbrachen, jagten einige Teams den Edel-Schützen, nur war Allen zu stolz, lediglich den Mentor zu geben. Über Jahre gab es Gerüchte um ein neues Engagement, erst zwei Jahre nach seinem letzten Spiel zog Allen endgültig einen Schlussstrich, auch wenn er selbst jetzt noch auf Knopfdruck Dreier in den Korb nageln könnte.

An der Verfassung von Allen gab es sowieso keine Zweifel. Auch fernab des Spielbetriebs hielt er sein Trainingsprogramm aufrecht und war stets bereit. Diese Bereitschaft, mehr zu opfern als andere, war der Garant dafür, dass der 43-Jährige nun in die Ruhmeshalle in Springfield, Massachusettes aufgenommen wird.

Auch dass Allen in seiner Karriere unzählige Clutchshots netzte, war kein Zufall. "Ich werde als Clutch-Spieler gesehen, weil ich so viele Würfe im vierten Viertel getroffen habe. Dazu muss man topfit sein, um sein Niveau im vierten Viertel zu halten. Andere Spieler ließen nach, ich wurde nicht müde", hatte Jesus Shuttlesworth auch dafür eine einfache Erklärung. Allen war der lebende Beweis dafür, dass Talent alleine nicht reicht.