Daniel Theis im Interview vor dem NBA-Start: "Wir haben die Zielscheibe auf dem Rücken"

Ole Frerks
16. Oktober 201809:53
Daniel Theis hat in seiner zweiten Saison mit den Boston Celtics Großes vor. getty
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Daniel Theis steht bei den Boston Celtics vor seiner zweiten NBA-Saison. Im Interview spricht der Big Man über gestiegene Ansprüche und den Favoritenstatus seines Teams in der Eastern Conference.

Außerdem: Warum Celtics-Coach Brad Stevens jede Anerkennung verdient und die Aussagen von Kyrie Irving Balsam für Bostons Seele sind. Die Celtics eröffnen in der Nacht auf Mittwoch die neue Saison im Heimspiel gegen die Philadelphia 76ers (ab 2 Uhr live auf DAZN).

SPOX: Daniel, das Team ist komplett und wieder fit, die Saison steht kurz bevor: Wie ist die Stimmung in Boston?

Daniel Theis: Sagen wir mal so: Wir sind sehr, sehr froh, dass die Preseason vorbei ist. (lacht) Da lief es jetzt für uns mit drei Niederlagen in vier Spielen natürlich alles andere als gut. Trotzdem ist die Stimmung im Team super, alle sind froh, dass jetzt das komplette Team beisammen ist und alle fit sind - das ist ja genau das Gegenteil vom letzten Jahr. Dazu haben wir Kontinuität: Letztes Jahr waren elf Spieler neu im Team, diesmal ist fast das ganze Team gleichgeblieben und wir können darauf aufbauen. Dass die Preseason so schlecht gelaufen ist, war dann vielleicht auch ein kleiner Hallo-Wach-Moment für uns, den wir gebraucht haben, um zu sehen, dass es kein Selbstläufer wird. Die Liga ist zu stark, als dass man denken dürfte, dass Talent oder Tiefe im Kader ausreichen, um Spiele zu gewinnen. Die Arbeit und Intensität darf man nicht vernachlässigen, auch nicht in der Preseason.

SPOX: Hat das Team die Preseason zu locker genommen oder lag es einfach an mangelnder Abstimmung?

Theis: Beides spielte sicherlich eine Rolle. Wir haben im Camp härter trainiert als wir dann gespielt haben, so komisch das klingt. Die Umsetzung aufs Spiel hat nicht funktioniert. Warum das so war, weiß aktuell keiner bei uns. Natürlich ist es aber ein Faktor, dass Kyrie [Irving], Gordon [Hayward] und auch ich ja alle nach langen Verletzungspausen wieder zurück sind. Gordon hat ein ganzes Jahr lang nicht wirklich Basketball gespielt. Dass sich die Abläufe und Rollen dadurch für einige ein wenig verändern, ist auch klar. Im Endeffekt braucht es einfach noch ein bisschen Zeit, dass alles etwas harmonischer funktioniert und wir dann auch erfolgreicher spielen.

Daniel Theis über Bostons Favoritenrolle: "Kein Spiel wird ein Selbstläufer"

SPOX: Die letzte Saison verlief trotz der Verletzungen sehr erfolgreich, nun ist über den Sommer LeBron James in den Westen gewechselt - dadurch gilt Boston als Top-Favorit in der Eastern Conference. Ist das auch team-intern der Anspruch?

Theis: Ja, wobei wir uns da nicht auf Rankings, Favoriten-Rollen oder irgendetwas konzentrieren wollen. Der Hype ist natürlich groß nach dem Einzug in die Conference Finals bei so vielen Ausfällen und wir realisieren, dass wir jetzt das Team sind, das jeder schlagen will. Das kenne ich aus Bamberg - wenn du viel Erfolg hattest, ist jedes Team gegen dich besonders motiviert und will seine beste Partie abliefern. Wir haben diese Zielscheibe auf dem Rücken, zumindest in der Eastern Conference. In der Preseason haben wir ein Stück weit wirklich gemerkt, dass wir uns nicht auf Hype oder dergleichen ausruhen dürfen - nur, weil uns viele Leute am Ende der Saison in den Finals sehen wollen, wird kein einziges Spiel für uns zum Selbstläufer. Vor dem ersten Preseason-Spiel hatten wir erst zwei Tage trainiert und ich denke, dass diese vier Spiele uns gezeigt haben, dass wir auf jeden Fall alle noch Arbeit vor uns haben. Die Details, die Energie, die Intensität sind wichtig, ob man jetzt einen Favoritenstatus hat oder nicht.

SPOX: Apropos Details. Brad Stevens ist im Laufe der letzten Playoffs (noch) berühmter geworden, weil seine ATOs, also Plays nach der Timeout, so sensationell funktioniert haben. Er hat teilweise sehr ungewöhnliche Ideen. Schütteln da im Huddle eigentlich gelegentlich Spieler den Kopf?

Theis: Mittlerweile nicht mehr, weil wir gemerkt haben, wie gut er darin ist. (lacht) Auch am Ende vom Spiel, ob das Halbfeld-Offense ist oder beim Einwurf. Diese Kreativität ist enorm und da kommt es ihm zugute, dass er so viele andere Spiele schaut und immer unkonventionelle Ideen hat. Dass das jetzt auch in den Playoffs so gut funktioniert hat, hat ihm natürlich nochmal mehr Respekt verschafft. Den hat er auf jeden Fall auch verdient.

SPOX: Irving hat vor kurzem öffentlich geäußert, dass er langfristig in Boston bleiben will, auch um die wilden Spekulationen zu seiner Zukunft im Keim zu ersticken. Ist es wichtig für das Team, diese Sicherheit zu haben?

Theis: Wir hatten natürlich alle diese Gerüchte mit New York gehört, dass er dort mit Jimmy Butler ein neues Team aufbauen will und so weiter, was vor allem deshalb entstanden ist, weil er eben aus New Jersey kommt. Daher war es für das Team und für die Fans auf jeden Fall sehr gut, dass er sich jetzt so offen zu der Organisation bekannt hat. Das bringt etwas Ruhe ins Team. Man kennt ja das Gegenteil: Dann wird bei jedem Spiel spekuliert, wenn er mal nicht so gut drauf ist, dass er schon mit dem Team abgeschlossen hat, er geht sowieso nach New York, und so weiter. Es ist gut für das Team und auch für ihn, hier Ruhe zu haben. Kyrie weiß, wie er seine Zukunft gestalten will und dass er hier bleiben möchte. Das hat uns intern natürlich alle gefreut und zeigt ja auch, dass hier gerade etwas wirklich Gutes entsteht.

SPOX: Auch Ihr Vertrag läuft nach der Saison aus - ist das für Sie schon ein Thema?

Theis: Ehrlich gesagt nicht, auch wegen der Verletzung. Mir geht es aktuell nur darum, Basketball zu spielen, Spaß dabei zu haben und mich wieder ins Team zu arbeiten, einen Rhythmus zu finden. Das sind die Gedanken, die ich mir im Moment mache. Ich hoffe natürlich, dass wir Mitte Juni immer noch spielen und dass es bis dahin dabei bleibt, dass ich mir nicht viele Gedanken machen kann oder muss, wie es nach der Saison weitergehen wird.

SPOX: Mitte Juni sind nur noch zwei Teams aktiv ...

Theis: Das ist unser Ziel! Wir wollen in die Finals, auch wenn wir wissen, wie lange der Weg dahin noch ist. Alles andere ergibt sich dann schon. Anders als in Europa darf hier sowieso erst ab dem 1. Juli verhandelt werden - das ist deswegen bis dahin überhaupt kein Stress.

Daniel Theis über Rookie-Saison: "Am Ende überwog die Freude"

SPOX: Haben Sie individuell besondere Ziele oder Erwartungen an die kommende Saison?

Theis: Ich möchte einfach auf der vergangenen Saison aufbauen und eine ähnliche Rolle spielen. Gerne will ich natürlich auch noch ein bisschen mehr auf dem Court stehen. Ich denke aber, dass jeder im Team eine gewisse Opferbereitschaft aufbringen muss. Wir haben ein so tiefes Team, haben elf, zwölf Leute, die ein verdammt hohes Niveau haben. Viele Spieler, die bei uns von der Bank kommen, würden bei anderen NBA-Teams starten. Deswegen muss jeder einfach das große Ziel sehen und nicht irgendwelche individuellen Ziele über das Team stellen. Das gilt für mich auch. Ich will erstmal fit sein, es einfach genießen, wann immer ich auf dem Court stehe, und alles dafür tun, dass die zweite Saison in der NBA sogar noch besser wird als die erste.

SPOX: Haben Sie den Schock nach der Verletzung mittlerweile hinter sich lassen können?

Theis: Ja, auf jeden Fall. Die ersten Tage waren schon heftig und es ist mir am Anfang auch nicht leichtgefallen, mir die Spiele von den anderen anzusehen. Aber mit der Zeit überwog trotzdem die Freude und auch der Stolz darüber, dass mein erstes Jahr insgesamt so positiv verlaufen ist. Ich hatte extrem großen Spaß, immer wenn ich auf dem Court stand, und darauf kann man aufbauen. Und auch trotz der Verletzung war ich ja noch Teil des Teams und habe die Jungs bei unserem Playoff-Run so gut unterstützt wie möglich.

SPOX: Sicher war es trotzdem hart, in Spiel 7 der Conference Finals nur zuzusehen, als wenige Plays den Unterschied machten.

Theis: Das war die ganzen Playoffs über sehr schwer. Die erste Serie gegen Milwaukee war sehr knapp, danach ging es gegen Philly, gegen die wir als Team ja eine gewisse Rivalität haben. Das zu verpassen, war scheiße. Aber ich habe mir da schon gedacht, dass ich so schnell wie möglich fit werden will, um in der kommenden Saison dabei zu sein, auch in den Playoffs, damit nächstes Mal nicht in den Conference Finals Schluss ist.