Manche Sportler lassen sich nicht greifen, nicht adäquat mit Zahlen, Erfolgen oder sonstig Profanem beschreiben. Kobe Bryant war so jemand. Kein Platz auf der ewigen Bestenliste der NBA, keine Anzahl von Titeln oder Teilnahmen an All-Star Games, keine Punkterekorde und keine GOAT-Debatten oder dergleichen genügen, um diesen Sportler zu fassen.
Sie nannten ihn den Michael Jordan seiner Generation - vielleicht passt das am besten. Denn ähnlich wie bei seinem Vorbild Jordan ging Bryants Strahlkraft weit über das Sportliche hinaus: Kobe war Popkultur, Kobe war globale Ikone, Kobe gehörte zu den wenigen NBA-Namen, die auch Nicht-Basketball-Fans überall auf der Welt zuordnen konnten. Eine transzendente Figur.
Entsprechend lässt sich verstehen, warum am späten Sonntagabend nicht nur die NBA, sondern die gesamte Sportwelt in Schockstarre geriet. Entsprechend krude erscheint es, dass die Spiele am Sonntag überhaupt ausgetragen wurden. Dabei gab es doch eigentlich nur ein Thema. Der Sport hat einen Giganten verloren.
Kobe Bryant wuchs im Scheinwerferlicht auf
Bryant durchlief in seinem nur 41 Jahre dauernden Leben unheimlich viele Phasen: Unter anderem war er aufgrund der Karriere seines Vaters Joe Bryant als Kind ein Amerikaner in Italien, später ein "Europäer" in Philadelphia. Ein Highschool-Phänomen. MJ-Nachfolger. Der jüngste NBA-Spieler der Geschichte. All-Star, bevor er Starter war. Co-Star. Superstar. MVP. Egomane, Reizfigur, Champion.
Sein Werdegang war auch deshalb so interessant, weil er komplett als öffentliche Figur aufwuchs. Schon mit 17 stand Bryant im Scheinwerferlicht, seine charakterliche Entwicklung vom "blauäugigen" Teenie, der R&B-Star Brandy zu ihrem Abschlussball begleitete, zum Elder Statesman, der seinen Nachfolgern wie LeBron James noch nicht das Feld überlassen wollte, ließ sich für jeden nachverfolgen.
Man erlebte Kobe in schlimmen Situationen, wie dem Prozess nach Vorwurf der Vergewaltigung im Jahr 2003, der außergerichtlich geklärt wurde, sowie in Momenten des Triumphs, wie den Final-Serien oder seinem Abschiedsspiel. Ohne Unterbrechung. Man gelangte auch aus zigtausend Kilometern Entfernung zu dem Eindruck, ihn zu kennen.
Er wurde verehrt, dann verachtet, dann noch mehr verehrt. Selten konnte man jemanden finden, der nicht irgendeine Meinung zu Kobe Bryant hatte. Längst nicht alle waren positiv, doch Bryants unheimlicher Siegeswille, sein Perfektionismus und sein Glaube an sich selbst wurden universell respektiert.
Der Traum eines jeden Kindes
Über sein Erbe wurde dabei schon während seiner Karriere viel diskutiert - ob er denn nun wirklich so gut war, wie sein Ruf es reflektierte. Woran es jedoch nichts zu rütteln gibt: Kein Spieler wurde in Kobes Blütezeit mehr gefürchtet als er, und keiner diente in dieser Zeit als Inspiration für so viele, die nach ihm kamen. Dass er nicht perfekt war, dass er Ecken und Kanten hatte, machte ihn gleichzeitig nahbar.
Kobe war der Lieblingsspieler etlicher aktueller Sportstars, wohl auch deshalb, weil er so spielte, wie es sich jedes Kind erträumt: Wenn die Uhr ablief und es Punkte brauchte, war er der personifizierte Retter, der auch gegen drei oder vier Verteidiger noch seinen Wurf loswurde. Wer nicht schonmal beispielsweise eine Papierkugel aus unmöglicher Position Richtung Mülleimer geworfen hat, ohne dabei "KOBE!" zu brüllen, hat definitiv etwas verpasst.
Ein Wahnsinniger
Der Unterschied war wiederum, dass Bryant diese Würfe mit unmöglichem Schwierigkeitsgrad tatsächlich regelmäßig traf. Mit unheimlichem Eifer trainierte er schon als Kind und im Lauf seiner Karriere jede Situation und jeden Wurf, um zur perfekten Basketballmaschine zu werden. Er zapfte jede Quelle an, kontaktierte Jordan, Hakeem Olajuwon, Larry Bird, Bill Russell und etliche weitere, um spielerisch und mental jeden noch so geringen Vorteil auszureizen. Und wie es sich unter Legenden gehört, gab auch er sein Wissen an die jüngeren Generationen weiter.
Bis zu seinem Achillessehnenriss im Jahr 2013 schaffte es Bryant, sein Spiel in jedem Jahr zu erweitern. Er ordnete alles dem Spiel unter, personifizierte Ehrgeiz und Kompromisslosigkeit. Er war in dieser Hinsicht - positiv gemeint - ein Wahnsinniger. Dieser singuläre Fokus auf Basketball machte die kurze Zeit nach seiner Karriere noch beeindruckender.
Kobe wirkte nahezu prädestiniert dafür, am Spiel hängen zu bleiben, wie es beispielsweise bei Jordan, aber auch bei vielen anderen Superstars zunächst der Fall war. Stattdessen verdingte er sich seit 2016 mit Erfolg in etlichen anderen Unternehmungen und gewann 2018 sogar einen Oscar für seinen Kurzfilm "Dear Basketball", wirkte in seinem "Ruhestand" zufriedener als über weite Strecken seiner Laufbahn. Er schien den Absprung gemeistert zu haben.
Kobe Bryant hinterlässt drei Töchter
Einen riesigen Anteil hatten daran sicherlich seine vier Töchter. Gianna, die am Sonntag beim Hubschrauberunfall ebenfalls verstarb, wurde nur 13 Jahre alt - erst vor wenigen Wochen wurde ein Clip von Vater und Tochter zum Meme, auf dem Kobe ihr am Rande eines NBA-Spiels mit großem Eifer Spielsituationen erklärte. Sie wollte als Basketballspielerin in seine Fußstapfen treten. Mehr als alles andere ist der Vorfall eine familiäre Tragödie.
Keine 24 Stunden zuvor gratulierte Bryant noch via Twitter James, als dieser ihn von Platz 3 auf der All-Time Scoringliste verdrängte, beide bekundeten gegenseitige Bewunderung und Respekt. Zwei dieser Typen, ohne die man die Geschichte dieses Sports einfach nicht erzählen kann.
Es ist vollkommen surreal, dass es diese überlebensgroße Figur, diese Ikone nicht mehr geben soll. Seine Geschichte war noch lange nicht zu Ende erzählt.
Kobe Bryant: Die Statistiken seiner Karriere
Kategorie | Anzahl |
Absolvierte Spiele | 1.346 |
Punkte | 33.643 |
Punkte im Schnitt | 25,0 |
Assists | 6.306 |
Rebounds | 7.047 |