"Keine Rebounds, keine Ringe." (Coaching-Legende Pat Riley)
"Alle guten Teams haben zwei Dinge gemeinsam: Verteidigung und Rebounding." (Coaching-Legende Larry Brown)
Daryl Morey, General Manager der Houston Rockets, hält anscheinend wenig von den Weisheiten dieser Coaching-Legenden. Die Rockets haben seit Donnerstag im Prinzip keinen Center mehr, der höheren NBA-Ansprüchen genügt, nachdem Clint Capela nach Atlanta getradet wurde. Ganz im Gegenteil: die Rockets setzen fast ausschließlich auf Spieler, die maximal an den 2,00 Meter kratzen.
Es ist ein faszinierendes Experiment, eine Denkweise, die gegen alle gängigen Methoden der Team-Zusammenstellung verstößt, letztlich aber nur die radikale Fortführung des Skill-Ball-Trends in der NBA ist.
"Es ist wichtig, es immer weiter zu versuchen, wenn du denkst, dass es richtig ist. Dabei ist es völlig egal, wie hart du es versuchst und wie oft du scheiterst. Man darf niemals aufgeben." (Coaching-Legende John Wooden)
Houston hat seine Identität gefunden, teilweise notgedrungen. Durch die Verletzungen von Capela probierten die Rockets immer mal wieder die Variante mit P.J. Tucker (Größe: 1,96 Meter) als Center aus, ein Winkelzug, welchen Coach Mike D'Antoni zuvor meist nur in Dosen anwandte. Es war die texanische Antwort auf die Golden State Warriors, welche mit ihrem Death-Lineup (Curry, Thompson, Barnes bzw. Durant, Iguodala und Green) für Furore sorgten.
Die Rotationsspieler der Houston Rockets und ihre Größen
Spieler | Position | Größe |
Bruno Caboclo | Forward | 2,06 Meter |
Robert Covington | Forward | 2,01 Meter |
Eric Gordon | Shooting Guard | 1,91 Meter |
James Harden | Shooting Guard | 1,96 Meter |
Danuel House | Forward | 1,98 Meter |
Ben McLemore | Shooting Guard | 1,91 Meter |
Austin Rivers | Guard | 1,91 Meter |
Thabo Sefolosha | Forward | 1,96 Meter |
P.J. Tucker | Forward | 1,96 Meter |
Russell Westbrook | Point Guard | 1,91 Meter |
Houston Rockets verzichten auf echte Center
Es muss erwähnt werden, dass Golden State mit dieser Aufstellung auch immer vier elitäre Verteidiger auf dem Feld stehen hatte, die darüber hinaus mit ihren langen Armen eine nicht zu unterschätzende Qualität des Ringschutzes aufbieten konnten. Die Warriors gewannen ihre Spiele mit Defense (und im Zweifel individueller Qualität im Angriff), trotz scheinbar fehlender Länge waren die Kalifornier zwischen 2014 und 2019 immer unter den ersten Drei in der Kategorie Blocks.
Das kam auch zustande, weil die Warriors meist auch noch eine Armada an Centern im Kader hatten, damit Green nur in wichtigen Situationen und eben in den Playoffs die kräftezehrende Aufgabe des Centers bekleiden musste, die Rockets haben diese Option mit ihrer Kaderzusammenstellung nicht mehr.
"Gute Defense ist ein Resultat des Einsatzes und des eigenen Stolzes." (Triangle-Erfinder Tex Winter)
Stattdessen setzen die Rockets auf ein anderes Konzept, eine Spielweise, die enorm viel Einsatz benötigt. Durch das viele Switchen erlauben die Rockets nur wenig Penetration zum Korb. Switching bedeutet aber auch, dass oft kleinere Spieler mit Big Men unter dem Korb um Rebounds kämpfen müssen.
Houston Rockets: Ballgewinne als beste Verteidigung
Durch das neue Lineup spielt das keine Rolle, es muss ohnehin immer ein kleinerer Spieler gegen die Kanten der NBA ausboxen. Darum haben die Rockets in der Defense ein anderes Ziel. Es soll nicht der Fehlwurf erzwungen werden, stattdessen sind Ballgewinne die erste Prämisse. Seit Beginn des neuen Kalenderjahres sind die Texaner bei Steals Spitze, 10,2 pro Partie sind es.
Hierfür ist der Kader prädestiniert, mit Russell Westbrook, James Harden, Robert Covington oder P.J. Tucker gibt es zahlreiche Spieler, welche immer wieder in den Passwegen lauern und sofort auf Angriff umschalten können. Dazu zählt auch die Verteidigung des Posts. Hier unterbinden die Rockets oft sehr erfolgreich den Pass in den Post.
Dafür braucht es gutes Timing und klare Ansagen, im Moment funktioniert das noch sehr gut. Einen größeren Gegner als die Los Angeles Lakers mit LeBron James, Anthony Davis oder Dwight Howard werden die Rockets nicht mehr spielen, beim Sieg im Staples Center ließen die Texaner in den letzten sechs Minuten des Spiels nur noch drei Punkte zu, auch weil die Lakers keine Ideen gegen die unkonventionelle Verteidigung der Rockets hatten.
Mehrfach positionierten sich die verteidigenden kleineren Spieler vor dem aufpostenden Spieler und unterbanden so Lobanspiele. Wenn der Pass doch erfolgreich war, erfolgte die sofortige Rotation von der Help Side, um keinen offenen Dunk zu kassieren.
Houston Rockets: Das Gesetz des Morey-Balls
Das klingt nach gewolltem Chaos und das ist es gewissermaßen auch. Houston will das Spiel auf beiden Seiten des Feldes schnell machen, den Gegner mental auslaugen und nimmt es in Kauf, dass die Gegner mehr Rebounds holen und in der Zone häufiger zu leichten Punkten kommen. Immerhin besitzen die Rockets auf den kleineren Positionen viele überdurchschnittliche Rebounder, was dieses Manko etwas abschwächt.
"Rebounds zu holen heißt, dass man sich anstrengt, bei der Sache ist und physisch agiert." (Nuggets-Coach Mike Malone)
Seit Beginn des Jahres 2020 schnappen sich die Rockets lediglich 69,0 Prozent der gegnerischen Abpraller (Platz 25), mit Capela auf dem Feld stand das Team von D'Antoni auf Platz neun (73,4 Prozent). Allerdings erzielten die Rockets mit dem Schweizer nur 2,3 Zähler mehr als der Gegner, wenn man dies auf 100 Ballbesitze hochrechnet, ohne ihn sind es aber fast sieben Punkte.
Das Konzept der Rockets fußt nicht auf Defense oder Rebounds, seit Jahresbeginn sind die Rockets immerhin 14. in der Defense. General Manager Daryl Morey weiß, dass Houston kein Team wie zum Beispiel Philadelphia ist, welches mit Länge und Defense gewinnen kann. Stattdessen ist Morey-Ball Gesetz, volle Offensive und das Spiel gegen die Zahlen Dreier, Korbleger und Freiwürfe in der Offense und das Erzwingen von Ballverlusten in der Defense. Wer schließlich nicht auf den Korb wirft, kann auch keine Punkte machen.
Ein Trade für Russell Westbrook
Andererseits müssen sich auch die Gegner auf diese kleine Aufstellung in der Defense einstellen. Vor allem Russell Westbrook profitiert von dieser Umstellung, seine Zahlen sind in die Höhe geschossen. Die Utah Jazz waren nicht das erste Team, welches den MVP von 2017 mit dem Center verteidigte, in diesem Falle mit Rudy Gobert.
Die Logik dahinter ist einfach. Westbrook ist kein guter Schütze, man kann ihm Platz lassen. Jeder Russ-Dreier ist ein Gewinn für die gegnerische Defense, das weiß auch der Spielmacher selbst. Seit 1. Januar nimmt Westbrook nur noch zwei Triples pro Spiel, trotzdem ist er mit durchschnittlich 32,9 Punkten (52 Prozent FG) der zweitbeste Scorer in diesem Zeitraum nach Damian Lillard.
Der Trade von Capela war in erster Linie ein Trade für Westbrook, ihm soll die Zone geöffnet und seine Stärken hervorgehoben werden. Und genau dies ist es auch, was D'Antoni von vielen Coaches abhebt. MDA ist immer auf der Suche, sein Team so einzustellen, dass gerade offensiv die Stärken der Spieler maximiert werden.
Mike D'Antoni hat Erfahrung mit extremem Small Ball
Zwar hat der frühere Wahl-Italiener den Small Ball nicht erfunden, dafür war er einer der ersten, der damit auch wirklich Erfolg hatte. Als in den Playoffs 2006 den Phoenix Suns mit Amar'e Stoudamire und Kurt Thomas gleich zwei Center fehlten, setzte MDA auf einen Frontcourt mit Shawn Marion (2,01 Meter) und Boris Diaw (2,03 Meter).
Erst in den Conference Finals war gegen die Dallas Mavericks Schluss (2-4), wobei man in Phoenix noch heute davon überzeugt ist, dass auch diese Serie gewinnbar war, erst recht, weil mit Raja Bell der beste Verteidiger zwei Spiele in dieser Serie verpasste.
Es ist aber auch nicht so, dass D'Antoni immer so spielen will, eher wurde aus der Not eine Tugend geboren. "Im Moment ist es wie in der Schule, wenn man sich nicht auf einen Test vorbereitet hat", verglich der Coach. "Wir müssen damit jetzt experimentieren und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt."
Houston Rockets: Revolution oder Rohrkrepierer?
Die Frage wird sein, ob gegnerische Teams dieses faszinierende Puzzle zusammensetzen können. Es ist eine Sache, in der Regular Season mit einem einzigartigen Stil Gegner zu überraschen, es ist eine andere, dies über potenziell sieben Spiele in den Playoffs zu schaffen.
Utah traf nun als erstes Team zum zweiten Mal auf diese kleinen hyperaktiven Rockets. Im ersten Vergleich wurden sie auch ohne Westbrook und Harden überrascht, Eric Gordon machte 50 Punkte. Im zweiten Vergleich in Houston waren sie besser vorbereitet, gewannen dennoch nur knapp. Immerhin: Gobert ließ sich nicht vom Feld spielen.
Die andere Frage aus Sicht der Rockets ist aber auch, ob sie diesen extrem intensiven Stil aufrechterhalten können, vor allem mit dem Hintergrund, dass D'Antoni eher auf eine 8- anstatt einer 10-Mann-Rotation setzt.
So oder so, das Experiment in Houston könnte richtungsweisend für die komplette NBA werden. Denn wenn diese Rockets tatsächlich damit Erfolg haben, dürften in den kommenden Jahren einige Big Men arbeitslos sein und die einstigen Gesetze der NBA müssten angepasst werden.