Wenn die Charlotte Hornets in den letzten Jahren große mediale Beachtung bekamen, war das meistens auf einen von zwei Umständen zurückzuführen: Besitzer Michael Jordan war unzufrieden oder Star-Player Kemba Walker hatte mal wieder das Team im Alleingang getragen.
Mit dem Abgang von besagtem Walker in der Offseason befürchtete man in North Carolina schon das Schlimmste und nicht wenige Experten hatten die Hornets vor der Saison als Top-Kandidaten für den ersten Pick im kommenden Draft auf der Rechnung.
Mit P.J. Washington fand zwar ein verheißungsvoller Rookie den Weg in die Queen City, vor allem der dicke Vertrag für Terry Rozier wurde aber von vielen Seiten als Panikverpflichtung angesehen. Niemand traute dem 25-jährigen Backup Point Guard der Boston Celtics zu, die große Lücke im Alleingang zu schließen, die Walkers Abgang hinterließ - auf und neben dem Court. Dank Devonte' Graham ist das aber auch gar nicht nötig.
Devonte' Graham: Die bisherige Karriere
Graham war einer der klassischen Kandidaten, die im Draft tief fielen, weil sie von vielen Teams schon von vornherein abgestempelt wurden. Zwar wurde Graham in seinem Draft-Jahr einstimmig zum Big 12 Player of the Year und ins First-Team All-American gewählt, sein "fortgeschrittenes Alter" (23) und die vermeintlich geringe Upside schreckten aber viele Franchises ab, weshalb ihn erst die Hawks in der zweiten Runde an 34. Stelle zogen und direkt in seinen Heimatstaat zu den Hornets verfrachteten.
Dass ihn dort nicht besonders viel Spielzeit erwarten würde, war keine große Überraschung. Hinter Walker und dem neuverpflichteten Tony Parker war Graham nur die dritte Option auf der Eins und durfte zumeist nur in der Garbage Time NBA-Luft schnuppern. Da er aber weder aus dem Feld (34,3 Prozent) noch aus dem Dreierland (28,1 Prozent) besonders gute Zahlen auflegte, war sein Bewerbungsportfolio für mehr Spielzeit dementsprechend dünn.
Seine Spielpraxis durfte/musste er daher vor allem in der G League sammeln, wo er seine enormen Anlagen regelmäßig unter Beweis stellte. 23,3 Punkte legte er in seinen 13 Einsätzen im Schnitt auf und zeigte, dass vor allem sein gefährlicher Dreier aus College-Tagen auch in der NBA zu seinem Arsenal gehören kann (38,3 Prozent bei 9,8 Versuchen pro Spiel) - und wie sich bald herausstellen sollte, auch bald sein würde.
Devonte' Graham: Die Veränderungen in dieser Saison
"Ich mache fast jeden Tag ein Nickerchen. Zumindest versuche ich es. Ich will sicherzustellen, dass ich mich ausruhe. Ich trinke auch viel mehr Wasser", gab Graham zuletzt zu Protokoll, als er nach seinen veränderten Routinen im Gegensatz zu seiner Rookie-Saison befragt wurde. "Ich will sicher gehen, dass ich bereit für das Spiel bin." Bereit für die große Bühne scheint der Zweitrundenpick ohne Frage zu sein.
Während die gesamte Stadt noch um den verlorenen Sohn trauerte, hätte die Situation für Graham gar nicht besser sein können. Mit Walker, Parker und Jeremy Lamb verließen auf einmal seine drei ärgsten Konkurrenten auf den kleinen Positionen das Team, während mit Rozier nur ein vernünftiger Ersatz nachkam - eine einmalige Chance.
Am Anfang noch von der Bank kommend, ließ der 24-Jährige Coach James Borrego gar keine andere Wahl, als ihn nach zehn Spielen und zwei Double-Doubles in Folge an die Seite von Rozier in die Starting Five zu stellen. Seither dreht Graham noch mehr auf, hat sich zur Scoring-Option Nummer eins gemausert und führt sein Team in Minuten (35,2), Punkten (18) und Assists (7,7) an.
"Ich habe mich selbst und viele andere Leute überrascht", gab Graham im Gespräch mit SPOX und DAZN zu. Seiner Meinung nach läge das vor allem daran, dass er sich darin verbessert hat, "gegnerische Defensiven zu lesen, wie sie mich verteidigen und wie sie zum Beispiel im Pick'n'Roll positioniert sind. Es ist wie eine Partie Schach, in jedem Spiel rauszufinden, wie ich die Defense am besten attackieren kann."
Dies lässt sich auch in Zahlen belegen. Der ehemals als zu klein und schmächtig für die NBA angesehene Point Guard ist heute einer der gefährlichsten Shotcreator der Liga - für sich selbst und für seine Teamkollegen. 9,4 Mal pro Spiel drückt Graham von Downtown ab, womit er ligaweit auf Rang fünf rangiert, und trifft davon starke 37,7 Prozent. Dabei ist auffällig, wie facettenreich Grahams Spiel ist.
Er trifft über 40 Prozent seiner Dreier aus dem Catch-and-Shoot, hat mit 34,7 Prozent die achtbeste Quote was Pull-Up-Dreier angeht (min. vier Versuche pro Spiel) und belegt Platz fünf in Sachen Punkte durch unassistierte Dreier (234) hinter Harden, Lillard, Young und Doncic - keine allzu schlechte Gesellschaft.
Auch als Assistgeber brilliert Graham und stellt dadurch Backcourt-Partner Rozier (dem diese Rolle eigentlich angedacht war) zunehmend in den Schatten. 7,7 Dimes verteilt er pro Spiel (Platz 7 der Liga), spielt die drittmeisten Pässe der Association (mehr als LeBon!) und ist auch in Pick-and-Roll-Situationen immer gefährlich. 0,90 Punkte pro Possession bei 9,3 Versuchen pro Spiel ist ein stabiler wert - vor allem in Anbetracht seiner oft "limitierten" P&R-Partner.