Die Boston Celtics gewannen in den Sechzigern fast immer und sind noch immer die größte Dynastie der NBA-Geschichte. Bill Russell gilt zusammen mit Coach Red Auerbach als Architekt, in deren Schatten entwickelte sich aber Sam Jones zu einer der prägenden Figuren der Celtics. Der Shooting Guard war notorisch unterschätzt und geriet mit den Jahren in Vergessenheit - woran er selbst einen gewissen Anteil hatte. Am 30. Dezember 2021 verstarb Jones im Alter von 88 Jahren.
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Die Dynastie der Boston Celtics in den 60er-Jahren ist beispiellos für alle großen US-amerikanischen Sportliegen. Elf Titel in 13 Jahren werden wir wohl nie wiedersehen. Die Umstände waren auch andere: Die Liga befand sich noch immer in den Kinderschuhen, erst nach und nach kamen mehr afro-amerikanische Spieler in die NBA.
Der erste schwarze Superstar war freilich Wilt Chamberlain, der, was individuelle Rekorde, die Geschichtsbücher umschrieb und sogar bis heute dominiert. Die Titel gewannen aber meist die Boston Celtics um Wilt-Kryptonite Bill Russell, Fan-Liebling Bob Cousy und Coaching-Legende Red Auerbach.
Einzig Russell war als Spieler bei allen elf Championships zwischen 1957 und 1969 dabei, nach ihm war Sam Jones mit zehn Ringen der fleißigste Titelhamster. Der Shooting Guard wird gerne vergessen, wenn es um die große Celtics-Dynastie geht, selbst in Boston ist keine Straße nach ihm benannt, von einer möglichen Statue ganz zu schweigen.
Sam Jones: Der Mann für die wichtigen Würfe
Auerbach, Cousy, Russell und später auch John Havlicek gelten als Aushängeschilder dieser Ära, dabei dürfen sich die Celtics auch bei Jones bedanken, dass Boston in dieser Zeit fast alles abräumte.
"Wir haben zwischenzeitlich acht Titel am Stück gewonnen und in sechs Jahren davon waren wir von Sam abhängig. Er hat die Würfe genommen, die über das Schicksal unserer Saison entschieden haben", erinnerte sich Russell später. "Wenn er die Dinger nicht getroffen hätte, wären wir leer ausgegangen, aber er hat nie verfehlt."
Jones war die Antwort auf Lakers-Legende Jerry West, der während seiner Karriere ebenfalls als Mr. Clutch geadelt wurde. Gegnerische Teams sprachen vom Celtics-Guard lediglich als The Shooter.
gettyRed Auerbach bekam einen Tipp
Dass in Jones tatsächlich so ein Killer stecken würde, hatte sich Auerbach wohl in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Der Hall-of-Fame-Coach war damals neben seiner Funktion als Trainer auch Scout und steckte 1957 in einem Dilemma. Keiner der College-Spieler konnte den Mann mit der Zigarre überzeugen.
In Retrospektive behielt Auerbach auch recht, nur ein Spieler aus diesem Draft wurde später in die Hall of Fame aufgenommen, nur zwei weitere wurden überhaupt zum All-Star Game eingeladen. Auerbach zog mit dem achten Pick das große Los, auch wenn seine Entscheidung viele überraschte.
Normalerweise wollte der Coach einen Draft-Pick zumindest zweimal sehen, nun wählte er in Jones einen völlig unbekannten Guard von der winzigen Universität North Carolina Central. Ein College-Coach gab Auerbach den Tipp und die Celtics-Legende vertraute der Expertise. Er sollte es nicht bereuen.
Sam Jones: Lehrer oder Boston Celtics?
Für Jones brach dagegen zunächst eine Welt zusammen. "Ich habe mich so schlecht wie noch nie in meinem Leben gefühlt", erinnerte sich Jones an den Draft-Tag. "Ich dachte, dass dies das Ende meiner Basketball-Karriere ist. Natürlich habe ich mich geehrt gefühlt, aber ich hätte nie gedacht, dass ich es ins Team schaffe."
Eine Basketball-Karriere wollte Jones ohnehin eigentlich nicht anstreben. Als er von den Celtics gedraftet wurde, lag dem damals 23-Jährigen ein Angebot für einen Job als Lehrer vor. Jones war hin- und hergerissen und traf eine Entscheidung. Würde die Schule eine Gehaltserhöhung um 500 Dollar akzeptieren, würde er nicht bei den Celtics erscheinen und auf eine NBA-Karriere pfeifen.
Die Schule lehnte ab, also verließ Jones doch seine Heimat, um es in der Liga zu versuchen. Viel sprach nicht für Jones, dessen Konkurrenz im überladenen Backcourt der Celtics hieß Cousy oder Bill Sherman, die in der Vorsaison zusammen mit Russell die Celtics zum ersten Titel geführt hatten.
Der Bank Shot als Markenzeichen
Jones stach zu Beginn nicht heraus, doch der Junge aus North Carolina war ein harter Arbeiter, der sich stetig verbesserte. Das Markenzeichen von Jones war schon zu Beginn seiner Karriere der Bank Shot, also der präzise Sprungwurf mit Brett. In seiner Jugend war Jones oft frustriert, weil er zu viele Korbleger vergab, also überlegte er sich eine Alternative.
Stundenlang arbeitete Jones also an seinem Wurf und visierte immer wieder die Markierung am Brett an, um über jenes den Ball im Korb unterzubringen. Heutzutage sieht man diesen Wurf eher selten, mit Tim Duncan oder auch Dirk Nowitzki haben zwei der letzten Verfechter dieses Wurfs ihre Karrieren beendet.
Damals fand dieser Wurf häufiger Verwendung - nur war keiner darin besser als Jones. Der kam zwar in seinen ersten Jahren in Boston nur von der Bank, doch von Beginn an zählte der Guard zu den besten Werfern in seinem Team.
Der beste Schütze seiner Zeit
Hier sollte man sich auch nicht von den vergleichsweise schwachen Quoten aus dem Feld täuschen lassen. Der Liga-Schnitt betrug damals lediglich rund 45 Prozent aus dem Feld, Jones lag mit Ausnahme einer Spielzeit immer darüber.
Der Shooting Guard war der designierte Vollstrecker in der bestens geölten Maschine der Celtics. Russell holte die Rebounds und leitete zumeist mit einem schnellen Pass den Fastbreak über Cousy ein. Jones schaltete ebenfalls schnell um und besetzte die Ecken. Dazu war er auch im Halbfeld eine stetige Gefahr, vor allem nach den zahlreichen Offensiv-Rebounds von Russell.
Hier profitierte Jones einerseits von der herausragenden Übersicht seines Centers, andererseits bewegte sich der Guard so geschickt, dass er immer wieder seine Gegenspieler abschütteln konnte. "Du kannst nicht rumstehen", erklärte Jones seine Strategie. "Wenn jemand den Ball wirft, muss der Verteidiger schauen, wohin der Rebound geht. Wenn ich sehe, dass wir den Rebound haben, wechsele ich die Position."
Jones führte die Celtics so in gleich drei Saisons im Scoring an, dreimal reichte es für das All-NBA Second Team, immer hinter West und Oscar Robertson. "Er besitzt nicht ganz die Klasse von West oder Robertson, die einfach mehr Dinge können", befand auch Auerbach, der aber hinzufügte: "Als Schützen kann ihm aber keiner das Wasser reichen."
In diesen Jahren brauchten die Celtics auch diesen Jones, der gleichzeitig immer wieder betonte, dass er nicht der Fixpunkt der Offensive sein wollte. Als er 1965 über eine komplette Saison 2.000 Punkte erzielte, gab er bescheiden zu Protokoll: "Jeder in diesem Team könnte 2.000 Punkte machen, wenn man es von ihnen verlangen würde. Die anderen opfern viel, damit ich diese 2.000 Punkte scoren kann." Verantwortung übernahm Jones aber meist in engen Spielen.
Sam Jones: Der Lakers-Killer
Und genau diese Qualität brauchten die Celtics von Jones, welcher über seine Karriere achtmal einen Gamewinner traf. Auch in den Playoffs hatte der Guard seine Momente. In Spiel 7 der Division Finals gegen Wilts Warriors traf Jones über die ausgestreckten Arme von Chamberlain den Wurf zum Serien-Sieg, in den folgenden Finals machte er 5 der 10 Celtics-Punkte in der Verlängerung von Spiel 7 gegen die Lakers, die Boston einen weiteren Titel brachten.
In der Folge wurde Jones zu einer der Konstanten der Celtics, in seiner Hochzeit legte er durchschnittlich 28,6 Punkte in den Playoffs auf. Neben Russell wurde Jones mit der Zeit zum Fixstern, auch weil alternde Celtics-Stars wie Cousy ihre Karrieren beendeten.
Jones blieb dagegen bis 1969, dem letzten Hurra der Dynastie. Russell war inzwischen Spieler-Coach, das Team langsam in die Jahre gekommen. Trotzdem reichte es für die Finals, wo mal wieder Wilt, zusammen mit West und Elgin Baylor wartete.
Viele Experten favorisierten die jüngeren Lakers und nach drei Spielen hatten die Kalifornier tatsächlich eine 2-1-Serienführung. Spiel 4 wurde so zu einem Must-Win-Spiel für Boston, um nicht mit einem 1-3 nach L.A. zu reisen. Es wurde ein hart umkämpftes Spiel, beide Seiten waren fahrig, es gab über 50 Turnover und kein Team traf über 40 Prozent aus dem Feld.
Sam Jones: Seine Statistiken in der NBA
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | FG% | Assists |
57/58 | 56 | 10,6 | 4,6 | 42,9 | 0,7 |
58/59 | 71 | 20,6 | 10,7 | 43,4 | 1,4 |
59/60 | 74 | 20,4 | 11,9 | 45,4 | 1,7 |
60/61 | 78 | 26,0 | 15,0 | 44,9 | 2,8 |
61/62 | 78 | 30,6 | 18,4 | 46,4 | 3,0 |
62/63 | 76 | 30,6 | 19,7 | 47,6 | 3,2 |
63/64 | 76 | 31,3 | 19,4 | 45,0 | 2,7 |
64/65 | 80 | 36,1 | 25,9 | 45,2 | 2,8 |
65/66 | 67 | 32,2 | 23,5 | 46,9 | 3,2 |
66/67 | 72 | 32,3 | 22,1 | 45,4 | 3,0 |
67/68 | 73 | 33,0 | 21,3 | 46,1 | 3,0 |
68/69 | 70 | 26,0 | 16,3 | 45,0 | 2,6 |
Zehn Titel mit Bill Russell
Bei den Lakers hatte West die heiße Hand, der Shooting Guard witterte nach zahlreichen Niederlagen gegen die Celtics seine große Chance. 40 Punkte erzielte The Logo, während Chamberlain (3/8 FG, 2/11 FT) und Baylor (2/14 FG) offensiv fast nichts auf die Reihe brachten. Trotzdem führten die Lakers wenige Sekunden vor dem Ende mit 88:87, doch Baylor gab den Ball noch einmal her, weil er mit dem Fuß im Aus stand.
Aus Celtics-Sicht war klar, wer nun den Ball bekommen sollte. Es wurde ein Play für Jones gelaufen, die Lakers reagierten jedoch und so stand Wilt dem kleinen Guard gegenüber. Jones musste mit dem falschen Fuß hochspringen, um den Wurf loszubekommen, doch es war egal. Der Ball sprang an die Vorderseite des Rings, nach oben und dann tatsächlich durch die Reuse. Die Celtics und Jones hatten es mal wieder geschafft.
Statt die Serie zu beenden, mussten die Lakers mit 2-2 zurückfliegen, am Ende triumphierten wieder die Celtics - in Spiel 7 in Los Angeles und auch dank 24 Punkten von Jones. Es sollte der letzte Streich von Russells Celtics sein, der Center beendete im Anschluss seine Spieler-Karriere und auch Jones tat es seinem Anführer gleich.
getty"Der ultimative Winner"
Danach verließ Jones Boston, wie auch Russell, umgehend, auch ein Grund, warum Jones selbst bei Celtics-Fans in Vergessenheit geriet. Laut eigener Aussage im Jahr 2010 kehrte der Shooting Guard nur noch zweimal zurück, betonte aber auch, dass weiterhin grünes Blut durch seine Adern fließe. Ins Rampenlicht drängte er jedoch wie schon während seiner aktiven Karriere nie.
Die Celtics zogen immerhin seine 24 zurück, Jones wurde zudem in die Jubiläumsteams der NBA zum 25., 50. und 75. Geburtstag der Liga aufgenommen, gleiches galt für die Hall of Fame. Und doch sprechen heute nur noch die wenigsten über Russells Sidekick. Der fasste Jones' unterschätzte Qualitäten in seinem Buch "Second Wind" treffend zusammen.
"Wenn der Druck stieg, wollte Sam den Ball. Das ist für mich die Eigenschaft eines Champions. (...) In Los Angeles nannten sie Jerry West Mr. Clutch - und das war er tatsächlich. In einem siebten Spiel einer Finals-Serie würde ich aber immer Sam Jones über alle Spieler, die je ein Feld betreten haben, auswählen."
Ein größeres Kompliment kann man vom ultimativen Winner, dem Herr der Ringe der NBA, nicht bekommen.