Loyalität ist in der Sportwelt ein seltenes Gut. Je schnelllebiger das Geschäft, umso seltener kommt es vor, dass ein Spieler tatsächlich seine gesamte Karriere bei ein und demselben Team verbringt. Was natürlich mindestens zum gleichen Anteil an den Franchises selbst liegt. Spieler geraten zwar leichter für Wechsel in die Kritik, die Organisationen wiederum betreiben ebenfalls einen ständigen Handel mit "Assets".
Umso stärker fällt es daher positiv auf, wenn eine Beziehung zwischen Team und Spieler einen anderen Charakter annimmt. So wie bei Dirk Nowitzki und den Dallas Mavericks beziehungsweise deren Besitzer Mark Cuban. Während über 21 Jahre um Dirk herum nahezu alles ausgetauscht wurde - mehrfach - stand zumindest diese eine Personalie nie zur Debatte.
Offiziell zumindest. Inoffiziell gab es wenigstens einen Sommer, in dem ein gegnerisches Team die Mavs und Cuban zum Grübeln brachte; wenigstens eine kurze Zeit, in der ein Tandem von Dirk und einem gewissen Kobe Bryant in Los Angeles realistisch erschien. Oder aber ein Duo mit dessen Partner in Dallas ...
2004: Über 20 von 30 Teams wollten Shaquille O'Neal
Im Jahr 2004 erreichten die Lakers um Kobe und Shaquille O'Neal zwar zum letzten Mal gemeinsam die Finals, konnten sich zu diesem Zeitpunkt aber schon länger nicht mehr ausstehen. Es zeichnete sich ab, dass einer von beiden würde gehen müssen, und die Lakers entschieden sich auf Geheiß von Besitzer Jerry Buss für den deutlich jüngeren Kobe.
Damit entschied er sich auch gegen Head Coach Phil Jackson, den Bryant ebenfalls nicht mehr sehen wollte, und eben gegen Shaq. Folglich war der dominanteste Center seiner Zeit auf einmal auf dem Markt.
Obwohl O'Neal mittlerweile 32 Jahre alt war, rief das mehr als die Hälfte der Liga auf den Plan - damaligen Berichten zufolge meldeten sich mehr als 20 von 30 NBA-Teams bei den Lakers mit mehr oder weniger hochkarätigen Trade-Angeboten. Die Mavs hatten jedoch die Trumpfkarte, dass der "Big Diesel" am liebsten nach Dallas wollte.
Mark Cuban wollte Dirk Nowitzki nicht abgeben
O'Neal hatte seit Jahren eine freundschaftliche Verbindung zu Cuban, dazu besaß er mehrere Grundstücke in der Gegend. Seine Ehefrau sagte in einem Fernseh-Interview, dass sie es lieben würde, mit ihm nach Dallas zu gehen. Und auch der ambitionierte Cuban hatte selbstverständlich großes Interesse daran, sein junges Team mit dem dreimaligen Finals-MVP auf einen Schlag zum Titelkandidaten zu machen. Dallas schien die besten Karten zu haben.
Doch es gab einen Haken: Die Lakers wollten als Gegenwert Nowitzki, den damals 26-jährigen Scorer und dreimaligen All-Star, der mit seinem Team allerdings gerade in der ersten Playoff-Runde ausgeschieden war. Entsprechend wurde Cuban dafür kritisiert, als er sich weigerte und sagte, Dirk sei "so nah an untouchable, wie es bei uns wird". Dennoch blieb er dabei beständig.
"Ich habe Dirk Nowitzkis Spiel immer respektiert", beschrieb Shaq die Situation später selbst in seinem Buch "Shaq Uncut". "2004 fiel die Entscheidung zwischen zwei Teams: Miami und Dallas. Mark Cuban sprach mit uns und ging dann zu den Lakers, und hat ihnen gesagt, dass sie alles haben können, nur eben nicht Dirk Nowitzki. Dirk war sein Junge."
Miami Heat bekamen Shaq dank einer Panne
"Alles" reichte den Lakers jedoch nicht, also bekamen die Heat den Vorzug: Am 14. Juli wurde Shaq für Caron Butler, Brian Grant, Lamar Odom und zwei Draft-Picks nach Florida getradet. Pikanterweise hatten die Heat Odom überhaupt nur deshalb "anzubieten", weil sich im Jahr zuvor eine Panne ereignet hatte.
Der (eigentlich sehr renommierte) Spieleragent Bill Duffy hatte vergessen, Miami fristgerecht darüber zu informieren, dass sein Klient Anthony Carter dessen Spieler-Option wahrnehmen wollte. Dadurch hatten die Heat auf einmal unverhofft 4 Millionen Dollar mehr zur Verfügung und konnten den umworbenen Free Agent Odom verpflichten.
Selbiger war dann das Kernstück des Heat-Angebots für O'Neal - hätte Miami ohne ihn genug bieten können, um Shaq zu kriegen? Oder hätten ansonsten die Mavs den Vorzug bekommen? "Ich habe keine Ahnung, ob wir ihn bekommen hätten. Aber ich weiß, dass er zu uns kommen wollte", sagte Cuban Jahre später zu Bill Simmons.
Die Zeit gab Mark Cuban Recht
In jedem Fall kam es nicht dazu. Die Mavs wirbelten ihren Kader fortan trotzdem ordentlich durcheinander und fanden 2006 scheinbar die perfekte Kombination - um dann an O'Neal und den Heat in den Finals zu scheitern. Fünf Jahre später wiederum revanchierte sich Dallas, als Shaq schon lange nicht mehr bei den Heat spielte.
Letztlich behielt Cuban Recht, auch wenn es den Schlagzeilen-liebenden Besitzer sicherlich Kraft gekostet hat, dem Shaq-Trade zu widerstehen; dieser hatte zwar noch ein paar gute Jahre, war aber nie wieder der dominante Superstar seiner besten Lakers-Jahre. 2006 war er in den Finals bereits der "Beifahrer" von Finals-MVP Dwyane Wade, nicht mehr die zentrale Figur.
Nowitzki hingegen hatte seine beste Zeit noch vor sich und zahlte das Vertrauen, das Cuban in ihn gesteckt hatte, mehr als nur einmal zurück - sportlich ohnehin, aber auch finanziell durch etliche Gehaltsverzichte. Bis im April 2019 prägte er die Franchise, wie nur wenige Figuren in der Geschichte der Liga eine Franchise geprägt haben.
Die Karrierestatistiken von Nowitzki, Shaq und Kobe
Name | Saisons | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
Dirk Nowitzki | 21 | 1522 / 33,8 | 20,7 | 7,5 | 2,4 | 47,1 | 38,0 |
Shaquille O'Neal | 19 | 1207 / 34,7 | 23,7 | 10,9 | 2,5 | 58,2 | 4,5 |
Kobe Bryant | 20 | 1346 / 36,1 | 25,0 | 5,2 | 4,7 | 44,7 | 32,9 |
Dirk Nowitzki und Kobe Bryant im gleichen Team?
Der geplatzte Shaq-Trade ist dennoch eine gute Erinnerung daran, dass das gesamte Geschehen in der NBA von "what if ..."-Szenarien geprägt ist: Was wäre, wenn Miami Odom nicht bekommen und deswegen nicht genug für Shaq geboten hätte? Hätten O'Neal und Dirk dann die fieseste Power Forward/Center-Kombination der Geschichte gebildet? Oder: Was wäre, wenn Cuban doch schwach geworden wäre? Wie viele Titel hätten Kobe und Dirk bei den Lakers gewinnen können?
Dieses Duo wäre übrigens zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal fast Realität geworden. Als Kobe etwa drei Jahre später selbst die Lakers verlassen wollte, bot Cuban Josh Howard, Jason Terry und Picks für die Black Mamba. Diesmal lag der Ball bei Lakers-Besitzer Jerry Buss. Dieser behielt sich vor, ein letztes Mal mit Bryant zu sprechen, und konnte ihn doch noch einmal von den Lakers überzeugen.
Wiederum Jahre später versuchte Kobe, Nowitzki in dessen Free Agency zu den Lakers zu lotsen, wie er später zugab. Er habe die Antwort schon vorher gekannt, wollte es jedoch trotzdem ausprobieren, den großen Blonden zu rekrutieren. Es ist eine faszinierende Vorstellung, die beiden Legenden im gleichen Team zu sehen.
In diesem Fall hat es die Loyalität Nowitzkis verhindert. Im Idealfall ist diese eben keine Einbahnstraße.