Vor dem Restart der NBA-Saison haben die Spieler in der "Bubble" namens Disney World erstmal vor allem eines: Zeit. Viel Zeit, um sich über das Essen zu beschweren oder neue Hobbies zu erlernen. Besonders beliebt ist das Angeln, da in Florida "exzellente Konditionen" dafür vorliegen, wie Ben Simmons vor rund einer Woche sagte. Es gebe "viele Forellenbarsche" in den Gewässern des Resorts.
Simmons angelt derzeit täglich, ein Video davon ging kürzlich viral, weil er einen gefangenen Fisch zurück ins Wasser werfen wollte und dabei gewissermaßen nur den Ring traf - das Internet lachte darüber, weil es sich eben um Simmons handelte, den NBA-Star ohne Wurf, bei dem grundsätzlich alles noch ein wenig stärker seziert wird als bei anderen Spielern.
Kurz nach seinem 24. Geburtstag steht der Australier jedoch primär aus einem anderen Grund im Fokus. Bevor es wieder losgeht, ist er der vielleicht interessante Spieler der Liga und die Sixers sind die größte Wundertüte - wieder einmal. Das liegt vor allem an einer neuen Rolle für den Nr.1-Pick von 2016.
Ben Simmons wird zum Power Forward
Vergangenen Montag verkündete Sixers-Coach Brett Brown, dass Simmons im bisherigen Training Camp "exklusiv" als Power Forward gespielt habe. Später ruderte er ein wenig zurück, es blieb jedoch dabei, dass Simmons zumindest als solcher starten solle, im Lauf des Spiels könnte er natürlich auch noch andere Rollen übernehmen. Das ist der Luxus bei einem Spieler, der von Eins bis Fünf eigentlich jede Position übernehmen kann.
Nun soll es aber primär die Vier sein, nicht mehr die Position des Point Guards. Hier beginnt Brown nun mit Shake Milton, einem unerfahrenen Spieler, der allerdings im Gegensatz zu Simmons gerne (und in dieser Saison gut: 45 Prozent Dreierquote!) von draußen wirft und den Sixers damit eine etwas natürlichere Dynamik verschaffen soll.
Simmons wurde damit sozusagen ein Titel entzogen - trotzdem soll die neue Starting Five vor allem ihm zugutekommen. Brown unternimmt einen Versuch, aus einem nicht ideal zusammengestellten Kader mehr herauszuholen, als es im Lauf der bisherigen Saison möglich war. Dafür soll der dynamischste Spieler des Teams besser akzentuiert werden.
Transition vs. Halbfeld
Simmons litt bisher an einem Dilemma: Im Schnellangriff gehörte er zu den besten und gefährlichsten Spielern der Liga, im Halbfeld hatte er aufgrund seines fehlenden Wurfes stets Probleme und erlaubte es gegnerischen Verteidigern, von ihm abzusinken, weshalb auch alle anderen Sixers (allen voran Joel Embiid) weniger Platz hatten. Schon öfter experimentierte Brown daher damit, Simmons abseits des Balles zu positionieren.
Vergangenes Jahr in den Playoffs etwa übernahm Jimmy Butler das Playmaking, Simmons parkte im Dunker Spot unterhalb des Korbes. Im Jahr zuvor sollte T.J. McConnell in der Postseason für mehr Spielfluss sorgen, der allerdings ebenso wenig werfen konnte wie Simmons.
Beide Lösungen funktionierten nicht ideal, sie gingen aber von der Idee her in die richtige Richtung, auch wenn McConnell damals offiziell als "Shooting Guard" bezeichnet wurde.
Den Philadelphia 76ers fehlt das Shooting
Simmons litt einerseits unter dem eigenen Wurfproblem und andererseits darunter, dass auch seine Teammates keine guten Schützen waren. In dieser Saison war das besonders eklatant. In Phillys Starting Five dienten eigentlich nur Tobias Harris und Josh Richardson als Floor-Spacer, beide blieben jedoch unter ihren Möglichkeiten.
Al Horford ist ein ordentlicher, aber zögerlicher Schütze, Embiid unter dem Korb viel besser aufgehoben. Kein Wunder, dass diese Starting Five nur ein Offensiv-Rating von 105,6 verzeichnete, was über die Saison Platz 29 bedeutet hätte.
Die Schützen der 76ers und ihre Quoten
Spieler | Getroffene Dreier | Versuchte Dreier | Quote in % |
Furkan Korkmaz | 2 | 5 | 40 |
Tobias Harris | 1,8 | 5 | 36,2 |
Al Horford | 1,5 | 4,4 | 33,7 |
Josh Richardson | 1,5 | 4,5 | 32,7 |
Alec Burks | 1,5 | 4,5 | 32,7 |
Shake Milton | 1,5 | 3,3 | 45,3 |
Joel Embiid | 1,3 | 3,7 | 34,8 |
Mike Scott | 1,2 | 3,2 | 35,8 |
Matisse Thybulle | 0,9 | 2,5 | 35,2 |
Horford war keine gute Verpflichtung für Philadelphia, zu diesem Preis zumindest - er gehört zu den bestbezahlten Bigs der Liga (für vier Jahre), ist fortan aber nur noch als Backup eingeplant. Denn Brown scheint erkannt zu haben, dass seine vier teuersten Spieler (Horford, Harris, Embiid und Simmons) viel zu sehr überschneiden, um gleichzeitig zu starten.
Ben Simmons soll Dynamik zeigen
In der neuen Rolle sollte man Simmons vor allem aggressiver erwarten. Er wird den Ball noch immer viel in der Hand halten, ihn aber häufiger in Bewegung bekommen, etwa nach dem Pick'n'Roll mit Milton oder Richardson. Davon erhofft sich Brown eine neue Komponente in der Sixers-Offense.
"Er ist so dynamisch", sagte Brown vergangene Woche. "Es gibt keinen schnelleren Spieler in der NBA. Wenn er ständig den Ball hat und ihn gegen fünf Jungs nach vorne dribbeln muss, beraubt ihn das einigen seiner Waffen." Simmons schien das bereits im Januar ähnlich zu sehen, als Embiid verletzt war, er vermehrt im Frontcourt auflief und gegen die Nets mit 34 Punkten, 12 Rebounds und 12 Assists sein vielleicht bestes NBA-Spiel machte.
"Es ist schwer für jeden Big Man, vor mir zu bleiben, wenn ich ihn direkt attackiere", sagte Simmons damals. "Das soll niemanden diskreditieren, aber ich bin ziemlich schnell und komme gut zum Ring." Seine Schnelligkeit und Athletik bei einer Größe von 2,08 Metern machen ihn tatsächlich ziemlich einzigartig und zum Matchup-Albtraum.
Simmons und die Sixers: Einige Probleme bleiben
Simmons wird durch diese neue Rolle nicht auf einen Schlag zum perfekten NBA-Spieler und die Sixers nicht zu einem perfekt zusammengestellten Team. Er braucht den Wurf nach wie vor, weitere Trainingsvideos zeigen zumindest den Ansatz von Fortschritt, auch wenn die Trainingssituation keine Spielsituation darstellt. Im Kalenderjahr 2020 versuchte Simmons bisher einen NBA-Dreier.
Die Sixers derweil haben nach wie vor eine unbewiesene Flügelrotation, auch wenn Alec Burks, Furkan Korkmaz, Richardson und eben Milton nun zumindest für etwas mehr Gefahr von draußen sorgen sollten. Brown hat nun nicht allzu viel Zeit, diese Teile zu einem starken Kollektiv zu formen.
Ein Stück weit ist das selbstverschuldet, nicht wenige Experten hatten eine solche Veränderung der Starting Five schon länger gefordert. Gleichzeitig ist es natürlich nicht einfach für einen Coach, einen 109-Mio.-Dollar-Neuzugang wie Horford gleich wieder auf die Bank zu setzen, weil er nicht mit der Achse Simmons-Embiid harmoniert.
Philadelphia 76ers: (Fast) alles unklar
Nun sind die Sixers daher wieder einmal an einem Punkt, an dem man sie kaum einschätzen kann. Klar ist, dass wohl kein Team individuell eine größere defensive Klasse mitbringt, gerade in den Minuten mit Embiid auf dem Court rühren die Sixers regelmäßig Beton an und sind von allen Teams im Osten eigentlich am besten dazu geeignet, die Bucks vor massive Probleme zu stellen.
Unklar ist dagegen, ob Simmons und Milton sich innerhalb von acht Spielen an ihre neuen Rollen gewöhnen, wie Philly offensiv harmoniert, wie die Minuten ohne Embiid aussehen werden, ob Horford seine neue Rolle als Backup akzeptiert, wie sich Burks einfügt, ob Korkmaz und Milton auch in den Playoffs on fire bleiben ... also eigentlich fast alles.
Langweilig wird es mit den Sixers nie. Das macht sie vor dem Restart so faszinierend. Sogar beim Angeln!