Die Miami Heat sind mit großen Schwierigkeiten in die neue Saison gestartet. Einige Probleme sind dabei erklärbar, andere geben jedoch etwas mehr Grund zur Sorge. Was läuft falsch beim Vorjahres-Finalisten?
Den Start in die Saison hatte Miami sich sicherlich anders vorgestellt. Nach fünf Pleiten am Stück gewann der amtierende Champion der Eastern Conference am Wochenende gegen Sacramento zwar mal wieder ein Spiel, gleich im nächsten Spiel gegen Division-Rivale Charlotte gab es dann aber wieder eine Pleite.
Mehrfach hat Miami schon mit mehr als 20 Punkten Unterschied verloren, aktuell stehen die Heat bei einer 7-12-Bilanz und damit auf Rang 13 in der Eastern Conference. Ihr Net-Rating (-5,7 laut Cleaning the Glass) ist sogar das zweitschlechteste im Osten, einzig Orlando steht noch dahinter. Zu Beginn der Saison laufen die Heat ihren massiven Erwartungen also mit einigem Abstand hinterher.
Trotzdem ist es verhältnismäßig ruhig am South Beach. Woran liegt das - und müssten die Alarmglocken eigentlich langsam nicht schrillen?
Miami Heat: Kontinuität ist Mangelware
Bei der Beantwortung dieser Frage kommt man am Hauptthema der bisherigen Spielzeit nicht vorbei: Die Verfügbarkeit der Spieler. Nur wenige Teams wurden in den ersten Saisonwochen stärker durcheinandergewirbelt als die Heat, deren bester Spieler Jimmy Butler bisher lediglich in neun Spielen zur Verfügung stand.
Butler war zeitweise im Corona-Protokoll, verpasste aber auch aufgrund einer Fußverletzung mehrere Spiele - und damit ist er bei den Heat nicht allein. Nur Duncan Robinson und Precious Achiuwa standen bisher in allen Spielen zur Verfügung, ansonsten fehlten alle schon mindestens einmal und viele wesentlich häufiger, darunter auch der wohl wichtigste Neuzugang Avery Bradley, der erst achtmal spielte.
Die Frage, wer an einem jeweiligen Tag für Miami startet, ist insofern derzeit ein reines Würfelspiel: In 20 Spielen hat Coach Erik Spoelstra bisher 14 unterschiedliche Starting Lineups aufgeboten. Natürlich ist es da schwierig bis unmöglich, so etwas wie Kontinuität auf den Court zu bekommen - für ein normales Team zumindest.
Die Kultur stößt an ihre Grenzen
Wir erinnern uns: Miami brüstet sich nicht erst seit den vergangenen Playoffs, eine besondere Arbeitsethik zu haben, die legendäre "Heat Culture". Gerade offensiv hat sich diese Kultur bisher aber nicht bezahlt gemacht - die Heat rangieren beim Rating nur auf Platz 24, haben Automatismen verloren, die sie in der Bubble noch ausgezeichnet hatten.
Die 47-Punkte-Rutsche, die Milwaukee den Heat verpasst hat, schadet deren Rating noch immer, allerdings wurde unter anderem auch mit 20 Punkten zuhause gegen Detroit verloren, ein reiner Einzelfall war das also nicht. Spoelstra wird nicht müde zu betonen, dass er ohnehin keine Entschuldigungen akzeptiert, bisher zeigt sich bei den Heat allerdings, dass auch sie darauf angewiesen sind, ihre besten Spieler auf dem Court zu haben.
Ginge es nur darum, wäre die Eingangsfrage leicht zu beantworten - der Panik-Modus ist nicht angesagt, früher oder später werden sich die Ausfälle normalisieren und Miami spielt wieder öfter mit der vollen Kapelle. Doch gehen einige Probleme womöglich ein wenig darüber hinaus für ein Team, das selbst die sensationelle Finals-Teilnahme 2020 noch als "Enttäuschung" definiert.
Punkt 1: Tyler Herro ist nicht mehr im Bubble-Modus
Eines der Gesichter der überragenden Heat-Playoffs war Herro, der sich als Rookie von der normalen bis zur "Bubble-Saison" massiv steigerte, unter anderem in den Conference Finals gegen Boston 37 Punkte auflegte und dann zum jüngsten Finals-Starter der Geschichte avancierte. Momentan kann der selbstbewusste Combo-Guard diese Leistungen nicht komplett bestätigen.
Auch (aber nicht nur) aufgrund der vielen Ausfälle hat Spoelstra ihm mehr Verantwortung übertragen, Herro verbringt derzeit laut basketball-reference.com fast genauso viel Zeit auf der Eins wie auf der Zwei und ist häufig der Initiator seines Teams. Das geht oft nicht gut - nicht aus Zufall macht Miamis Offense gern einen Sprung, wenn Goran Dragic stattdessen diese Rolle übernimmt.
Miami Heat: Die On/Off-Werte der Guards
Spieler | Minuten | Differenz On/Off Court |
Tyler Herro | 421 | -3,9 |
Goran Dragic | 377 | +9,6 |
Kendrick Nunn | 311 | -10,1 |
Gabe Vincent | 235 | +5,6 |
Herro hat das Potenzial gezeigt, sich auch als Playmaker durch das Pick'n'Roll zu navigieren, zum jetzigen Zeitpunkt sind seine Qualitäten als Scorer aber weitaus mehr ausgeprägt. Für Miami stellt sich nun die Frage, ob das "Learning by doing"-Prinzip Herro langfristig so viel nützt, dass man kurzfristige Wachstumsschmerzen aushalten kann. Die Lösung ist vielleicht ein Kompromiss.
Wenn Butler und Bam Adebayo beide mit auf dem Court stehen, ist die Rolle des Point Guards eher nominell, denn Miami lebt dann von exzellenter Bewegung und Playmaking auf diversen Positionen.
Butler und Adebayo könnten dann ein Sicherheitsnetz für Herro sein und diesem mehr leichte Abschlüsse verschaffen, die auch seine Effizienz wieder nach oben treibt. Das war in der vergangenen Saison auch bei Nunn der Schlüssel zum Erfolg, der aktuell allerdings noch weiter von der letztjährigen Form entfernt ist als Herro.
Die beiden Joker, um wirklich das Maximum aus der Offense herauszuholen, dürfte sich Spoelstra trotzdem wieder aufheben wie in der vergangenen Saison: Miamis besten Pick'n'Roll-Spieler Dragic in die Starting Five stellen und Adebayo dauerhaft Center spielen lassen. Auch dafür müsste aber womöglich noch etwas passieren.
Punkt 2: Es gibt keinen Ersatz für Jae Crowder
Dass Adebayo sich nicht die ganze Zeit über an schweren Bigs aufreiben soll, ist nämlich nicht der einzige Grund dafür, dass er oft als Power Forward startet; Miami hat auch noch nicht die ideale Lösung für eine Stretch-4 neben ihm gefunden.
Crowder erfüllte diese Rolle in den Playoffs sehr stark, sein "Ersatz" Mo Harkless wiederum verlor seinen festen Platz in der Rotation schon vor der aktuellen Hüftverletzung (1,3 Punkte in 9 Spielen).
Das sorgte dafür, dass Spoelstra illustre Namen wie K.Z. Okpala als Starter ausprobierte, selbst Two-Way-Player Max Strus kam schon elfmal zum Einsatz und lieferte mehr Zählbares als Harkless. Ideale Lösungen sind sie aber ebenso wenig wie Rookie Achiuwa, der aufgrund seines fehlenden Wurfs (noch) nicht neben Bam passt und bisher kaum eine Minute gemeinsam mit Adebayo auf dem Court stand.
Es galt schon vor der Saison als wahrscheinlich, dass die Heat hier nachbessern könnten - dieser Eindruck hat sich eher noch verstärkt. Für die bestmögliche Version dieses Teams muss vermutlich noch ein wurf- und defensivstarker Flügel her.
Nicht unerheblich: Seit dem 2. Februar kann der lukrative Meyers-Leonard-Vertrag aus der Offseason in Trades eingesetzt werden. Dieser wird jedoch wegen einer Schulterverletzung in dieser Saison kein Spiel mehr machen. Angeblich will sich Miami deswegen auch um eine sogenannte Disabled Player Exception bewerben, um einen Free Agent zu verpflichten, allerdings wird es auf dem Buyout-Markt jede Menge Konkurrenz geben.
Punkt 3: Viel zu viele (gegnerische) Dreier
Auch defensiv werden die Heat dem eigenen Anspruch bisher keineswegs gerecht, aktuell rangiert Miami hier auf Rang 21. Auch hier spielt die Kontinuität sicherlich eine große Rolle, ein Stück weit können die Heat allerdings auch auf eine Regression hoffen.
Die Heat erlauben gegnerischen Teams extrem viele Dreier - das war allerdings auch schon in der vergangenen Saison der Fall. Was derzeit anders ist: Aktuell treffen die Gegner 38,6 Prozent dieser Dreier, nachdem es vergangene Saison noch knapp 35 Prozent waren. Die Heat sind hier von einem der besten zu einem unterdurchschnittlichen Team geworden.
Der prozentuale Unterschied mag dabei gar nicht so massiv klingen. Bedenkt man jedoch, dass fast 44 Prozent der gegnerischen Abschlüsse laut Cleaning the Glass Dreier sind (nur bei den Pelicans ist der Anteil höher), ist diese Differenz sehr signifikant und kann die allgemeine Defensiv-Performance stark beeinflussen.
Fragt sich nun: War die schwache gegnerische Wurfquote in der Vorsaison aussagekräftiger, oder ist es der derzeitige Wert? In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass gegnerische Dreierquoten oft einer starken Streuung unterliegen, nur selten sind Teams in der Dreier-Defense über mehrere Jahre am Stück richtig gut, selbst wenn sie strukturell nicht allzu viel verändern.
Ein so großer Unterschied von einem Jahr zum nächsten wie aktuell ist jedoch auch ungewöhnlich, der Faktor Zufall kann dabei also auch eine Rolle spielen.
Die Zeit wird es zeigen
Wie bei vielen anderen Problemen der Heat gilt es hier aktuell vor allem deshalb, das Ganze im Auge zu behalten. Es gibt gute, verständliche Gründe, warum der Saisonstart enttäuschend verlief, und es gibt gleichzeitig auch Positives zu vermelden: Achiuwa wirkt als "Bam light" wie ein weiterer guter Pick, Robinsons Wurf ist immer noch absurd und Adebayo ist noch viel besser als in der Vorsaison.
Es sind nicht nur (aufgerundet) 20 Punkte, 9 Rebounds und 5 Assists im Schnitt, Bam ist auch wieder ein ganzes Stück kompletter geworden: Adebayo nimmt mehr Abschlüsse von außerhalb der Zone denn je und produziert trotzdem die besten Quoten seiner Karriere (65,8 Prozent True Shooting)!
Aus der Mitteldistanz ist er bereits tödlich, es wirkt wie eine Frage der Zeit, dass auch der Dreier regelmäßig folgt. Der 23-Jährige bewegt sich weiter schnurstracks auf den Superstar-Status zu. Nun geht es darum, dass sein Team ihm folgt und so schnell wie möglich den Kurs korrigiert.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Miami aus dem Playoff-Rennen herausfallen könnte, ist wohl nicht existent - dafür ist das Team zu gut und das Teilnehmerfeld aufgrund des Play-In-Turniers mit zehn statt acht Plätzen schlichtweg zu groß. Aber die Heat haben bekanntlich ganz andere Ansprüche. Um ihre Ziele zu erreichen, müssen sie noch einige Baustellen bearbeiten.