Am Ende einer turbulenten Woche bei den Dallas Mavericks steht die Franchise vor einem enormen Umbruch, sowohl im Front Office als auch an der Seitenlinie. Sowohl General Manager Donnie Nelson als auch Head Coach Rick Carlisle haben das Team verlassen. Wie kam es zu dem Mavs-Beben und wie geht es in Dallas nun weiter?
Wie kam es zum Beben bei den Dallas Mavericks?
Nicht einmal 48 Stunden hat es gebraucht, um zwei Dekaden der Stabilität bei den Mavs einzureißen. Donnie Nelson, langjähriger General Manager und President of Basketball Operations, muss nach fast 24 Jahren als Teil der Franchise seinen Schreibtisch räumen. Head Coach Rick Carlisle hatte 13 Jahre lang die Zügel an der Seitenlinie der Mavs in der Hand. Beide waren die Köpfe hinter der ersten und bisher einzigen Championship der Texaner 2011. Nun endete diese Ära mit einem Knall.
Die Gründe für das Mavs-Beben sind vielschichtig und nicht leicht zu fassen. Anfang der Woche kursierte ein Bericht, der eine angebliche Dysfunktion im Front Office aufdeckte. Es ging in erster Linie um einen Machtkampf zwischen Nelson und Haralabos Voulgaris, einem ehemaligen professionellen Glücksspieler, der mit Sportwetten reich geworden ist und in den vergangenen Jahren als sogenannter Director of Quantitative Research and Development bei den Mavs an Einfluss gewann. Kurzum: Sein Aufgabenfeld ist die Datenanalyse.
Das soll so weit gegangen sein, dass Voulgaris angeblich sogar bei den Lineups und Rotationen von Carlisle seine Finger im Spiel gehabt haben soll. Zudem soll er laut The Athletic hinter dem Rücken von Nelson Gespräche mit rivalisierenden Teams um potenzielle Trades geführt haben. Der langjährige Mavs-Boss habe daher um seine Glaubwürdigkeit und Entscheidungsgewalt gefürchtet.
Letztendlich liegt diese bei den Mavs aber ohnehin bei Mark Cuban, wie aus einem Bericht von Tim MacMahon (ESPN) hervorgeht. Demnach treffe Cuban alle relevanten Basketball-Entscheidungen, die Frage sei nur, auf welche Ratschläge er höre. Voulgaris wurde zuletzt als eine Art "Schatten-GM" bezeichnet, was darauf hindeutet, dass Nelson immer weniger gehört wurde.
Angeblich habe er seine Sorgen über den wachsenden Einfluss von Voulgaris Cuban in einem Gespräch nach Saisonende mitgeteilt, nun ist klar, dass er den Machtkampf verloren hat. Obwohl in der offiziellen Pressemitteilung der Mavs von einer einvernehmlichen Trennung die Rede war, wollen mehrere Medien übereinstimmend erfahren haben, dass Nelson bereits am vergangenen Sonntag entlassen wurde.
Gleichzeitig ist aber auch offen, wie es mit Voulgaris weitergeht. Hier sind sich die Insider nicht einig, an manchen Stellen ist zu hören, dass sein im Sommer auslaufender Vertrag nicht verlängert werden soll, andere Berichte gehen davon aus, dass er in gleicher Position den Mavs erhalten bleiben wird.
Überall ist allerdings zu hören, dass sich Voulgaris mit seiner angeblich arroganten Art und seiner schwierigen Persönlichkeit keine Freunde im Front Office gemacht haben soll. Auch seine Beziehung zu Luka Doncic soll angeknackst sein. Gleiches gilt wohl auch für das Verhältnis zwischen Franchise-Star und mittlerweile Ex-Coach Carlisle.
Welche Rolle spielt Luka Doncic beim Mavs-Beben?
Der 22-Jährige ist der Eckpfeiler der Mavs-Zukunft, man könnte meinen, dass er bei so weitreichenden Entscheidungen wie Personalfragen im Front Office zumindest nach seiner Meinung gefragt wird. Das war bei der Causa Nelson ganz offensichtlich nicht der Fall. Obwohl dessen Entlassung angeblich schon am Sonntag feststand, erfuhr Doncic laut Dallas Morning News erst am Mittwoch kurz vor der Öffentlichkeit davon.
Doncic und Nelson standen sich sehr nahe, schon im Alter von 14 Jahren wurde der Slowene von Nelson beobachtet. Nelson war es, der Doncic im Draft 2018 nach Dallas holte. "Es war hart für mich, ich mag Donnie sehr", sagte Doncic am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Vorbereitung der slowenischen Nationalmannschaft auf die Qualifikation zu den Olympischen Spielen. Angeblich soll er über die Trennung mit Nelson verärgert gewesen sein, allerdings betonte Doncic offiziell, dass er nicht derjenige sei, "der Entscheidungen trifft".
Nelson im SPOX-Interview: "Ich habe gehofft, dass Luka keinen Wurf trifft"
Als weniger gut wird derweil das Verhältnis zwischen Doncic und Carlisle beschrieben, was Spekulationen über dessen Rücktritt auslöste. Obwohl der zweimalige All-NBA First Teamer in der Offense des Erfolgscoaches aufblühte und enorm viele Freiheiten genoss, soll es gewisse Reibungen gegeben haben, die auch in verbalen Auseinandersetzungen während Timeouts resultiert haben sollen. Die Beziehung zwischen den beiden wurde innerhalb der Organisation offenbar mit Sorge beobachtet.
Auffällig ist, dass Carlisle in seinem Rücktritts-Statement unter anderem "Dirk [Nowitzki], JKidd [Jason Kidd] und jedem Spieler und Assistant Coach, den ich hier hatte" dankt - Doncic erwähnt er dabei nicht ausdrücklich. Klar, das Duo arbeitet erst seit drei Jahren miteinander, doch aufgrund der herausragenden Stellung von Doncic innerhalb der Franchise verwundert es schon ein wenig.
gettyOb das offenbar angekratzte Verhältnis zwischen Doncic und Carlisle oder das Chaos in der Führungsebene beim Head Coach eine Rolle dabei gespielt haben, vorzeitig aus seinem noch zwei Jahre laufenden Vertrag auszusteigen, - oder ob er tatsächlich nur eine neue Herausforderung sucht - ist aber Spekulation. Cuban selbst hatte kurz nach dem Playoff-Aus noch betont, dass Carlisle auch in der kommenden Saison an der Mavs-Seitenlinie stehen solle.
Immerhin in einer Hinsicht können die Mavs-Fans aufatmen: Das Mavs-Beben hat wohl keinen Einfluss auf Doncic' Entscheidung, im Sommer seinen Vertrag in Dallas vorzeitig zu verlängern. Auch das geht aus übereinstimmenden Medienberichten hervor.
Der Slowene wird sich den neuen Kontrakt über fünf Jahre und 201,5 Millionen Dollar wohl nicht entgehen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass er automatisch als zweiter Dirk Nowitzki seine komplette Karriere in Dallas verbringen wird. Die Mavs stehen jetzt noch mehr unter Druck, Doncic glücklich zu machen. Das fängt bei den Personalentscheidungen im Sommer an.
Wer könnte bei den Mavs auf Nelson und Carlisle folgen?
Als aussichtsreicher Kandidat auf die Nachfolge von Carlisle wird Jamahl Mosley gehandelt. Der 42-Jährige stand Carlisle sieben Jahre als Assistant Coach bei den Mavs zur Seite und arbeitete in den vergangenen Jahren eng mit Doncic zusammen. Der hatte sich zuletzt immer wieder lobend über Mosley geäußert, das könnte für ihn sprechen.
Als Mosley Anfang April in einer Partie als Head Coach für Carlisle nach einem falsch-positiven Corona-Test einsprang, schwärmte Doncic im Anschluss in den höchsten Tönen: "Er hat einen großartigen Job gemacht. Er hat das Spiel perfekt gemanagt. Er kann definitiv ein Head Coach werden. Er hat alles, was man für den Job braucht."
In den vergangenen Jahren war Mosley immer wieder bei anderen Teams als Head-Coaching-Kandidat im Gespräch, die Übernahme des Postens bei den Mavs in diesem Sommer wäre die offensichtlichste Lösung. Allerdings werden zum Beispiel auch Jason Kidd, der 2011 mit den Mavs die Championship gewann und aktuell als Assistant Coach bei den Lakers tätig ist, Terry Stotts oder Becky Hammon als potenzielle Kandidaten gehandelt.
Bevor eine Entscheidung über den neuen Head Coach getroffen wird, sollen aber erst die Führungsfragen im Front Office geklärt werden. Auf der Suche nach einem neuen Chef für Basketball-Angelegenheiten haben die Mavs bereits eine externe Beraterfirma engagiert, die in dem Prozess helfen soll.
Doch auch hier ist eine interne Lösung denkbar. So gilt Michael Finley als aussichtsreicher Kandidat. Der ehemalige Mitspieler von Nowitzki, der neun Jahre im Mavs-Trikot auflief, ist bereits seit sieben Jahren im Front Office der Franchise tätig, aktuell hat er die Rolle als Vice President of Basketball Operations inne. Angeblich soll er in den vergangenen Monaten bereits eine größere Rolle eingenommen haben, nachdem sich eine Trennung von Nelson offenbar immer mehr angedeutet hatte.
Welche Aufgaben kommen auf den neuen Mavs-Boss zu?
Auf den neuen starken Mann im Front Office wartet in jedem Fall ein äußerst wichtiger Sommer. Doncic ist mit seinen 22 Jahren und trotz erst drei Spielzeiten in der Association schon jetzt einer der besten Spieler der Liga, was die Mavs unter Druck setzt. Es muss möglichst bald ein echter Titelanwärter um ihn herum aufgebaut werden.
Mit Nelson und Carlisle verliert Dallas ein Duo, das die Geschicke der Texaner über Jahre erfolgreich geleitet hat, der eine abseits, der andere auf dem Court. Nelson hat sich mit dem Draft von Nowitzki und Doncic in Texas unsterblich gemacht, allerdings haben es die Mavs nach dem Titel 2011 verpasst, Nowitzki einen zweiten Championship-Run zu ermöglichen. In der Free Agency ging Dallas trotz Cap Space einige Male leer aus, letztlich reichte es seit 2011 nur sechsmal für die Playoffs - jeweils war in der ersten Runde Schluss.
Das soll sich natürlich möglichst bald ändern, auch um Doncic nicht zu vergraulen. Die größte Frage ist die nach dem zweiten Star neben dem Slowenen. Kristaps Porzingis konnte diese Rolle in den Playoffs gegen die Clippers nicht ausfüllen. Hoffen die neuen Verantwortlichen darauf, dass der Lette in der kommenden Saison unter einem neuen Coach aufblüht oder suchen sie womöglich einen Trade? Letzteres wird durch das enorme Gehalt von Porzingis (nächste Saison 31,65 Mio. Dollar) nicht gerade vereinfacht.
Zudem muss Dallas eine Entscheidung bei den eigenen Free Agents treffen, insbesondere bei Tim Hardaway Jr., der in der Serie gegen die Clippers der zweitbeste Mavs-Akteur war. Ganz davon abgesehen würde Dallas aber auch ein weiterer Playmaker guttun, der Würfe für sich und die Teamkollegen kreieren und damit Last von Doncic' Schulter nehmen kann. Es gibt also viel zu tun.
Die Tumulte vor der vielleicht wichtigsten Offseason der Franchise-Geschichte kommen da zur Unzeit. Das Chaos im Front Office gibt sicherlich auch bei potenziellen Free-Agent-Zielen kein besonders gutes Bild ab. Sobald die Wogen geglättet sind, hofft man in Dallas sicherlich, das mit frischem Wind auch neue Impulse kommen, die das Team auf die nächste Stufe hieven können.
Wohin zieht es Ex-Mavs-Coach Rick Carlisle als Nächstes?
In seinem Abschieds-Statement stellte Carlisle klar, dass er nach 13 Jahren bei den Mavs seine Taktiktafel noch lange nicht verstauben lassen möchte. "Ich freue mich auf das nächste Kapitel meiner Coaching-Karriere", erklärte der 61-Jährige gegenüber ESPN. Optionen werden ihm genügend auf dem Tisch liegen.
Carlisle genießt ligaweit einen exzellenten Ruf, in taktischer Hinsicht macht ihm kaum jemand etwas vor. In seiner Karriere als Head Coach in der NBA sammelte er 836 Siege bei 689 Niederlagen (Siegquote von 54,8 Prozent) für die Mavs (555-478), die Indiana Pacers (181-147) und die Detroit Pistons (100-64). Dallas verliert also einen Top-Coach, der bei den aktuell sechs vakanten Posten in der NBA bei vielen Teams weit oben auf der Liste stehen wird.
Unter anderem bei den Boston Celtics, die mit Jaylen Brown und Jayson Taum schon zwei Eckpfeiler für die Zukunft im Team haben. Carlisle gewann mit den Celtics als Spieler 1986 den Titel, eine gewisse Verbindung zur Franchise besteht also bereits. Wohl eher nicht in Frage kommen dürften Jobs, wo der Fokus auf der Entwicklung junger Spieler liegt, das ist nicht unbedingt das Steckenpferd des Ex-Mavs-Coaches.
Womöglich öffnen sich in naher Zukunft aber noch ganz andere Möglichkeiten bei potenziellen Titelanwärtern. Marc Stein von der New York Times brachte Carlisle mit den Milwaukee Bucks in Verbindung. Dort steht Head Coach Mike Budenholzer unter Druck, sollten Milwaukee in Spiel 7 gegen die Brooklyn Nets scheitern, könnten die Bucks das nächste Team auf der Suche nach einem neuen Coach werden.