NBA: Wie die Milwaukee Bucks ihr Finals-Team zusammengebaut haben - Unverhofft aus der Mittelmäßigkeit

Robert Arndt
20. Juli 202108:05
Giannis Antetokounmpo und Khris Middleton spielen seit 2013 für die Milwaukee Bucks.getty
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Die Milwaukee Bucks sind nur noch einen Sieg vom Titel entfernt. Das war vor nicht allzu langer Zeit kaum denkbar - noch vor zwei Jahren wartete Milwaukee auf den ersten Seriengewinn seit der Jahrtausendwende. Wie schafften die Bucks ihren rasanten Aufstieg? SPOX blickt zurück.

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Jede große Heldengeschichte muss irgendwo anfangen. Arnold Schwarzenegger stieg in "Terminator" nackt aus einem gigantischen Spannungsfeld, Nicolas Cage wollte in "Con Air" einfach nur auf dem schnellsten Weg nach Hause fliegen und bei Giannis Antetokounmpo war es vor allem ein ominöses YouTube-Video, das ihm den Weg nach Milwaukee ebnete.

Den Grundstein für ihren heutigen Erfolg legten die Bucks 2013, als sie den mysteriösen Griechen an Position 15 im Draft auswählten - es war jedoch nicht der einzige Volltreffer, den sie in diesem schicksalsreichen Sommer landeten. Wenige Wochen später brachte ein Trade auch den zweiten Eckpfeiler des heutigen Titelkandidaten in die Bierstadt.

Der damalige General Manager John Hammond hatte es dabei gar nicht primär auf diesen Spieler abgesehen. Als der Vorjahres-Topscorer Brandon Jennings nach Detroit getradet wurde, kam als Gegenwert in erster Linie Brandon Knight zurück, zusammen mit Viacheslav Kravtsov. Und mit einem eher unscheinbaren Swingman namens Khris Middleton.

Milwaukee Bucks: Khris Middleton war nur ein Anhängsel

Es ist nicht bekannt, inwieweit die Bucks Middleton wirklich haben wollten. Fakt ist aber, dass Knight, ein Top-10-Pick aus dem Jahr 2011, der Headliner dieses Trades war. Middleton war dagegen das benötigte Puzzlestück, um die Transaktion auch wirklich durchzuführen. Der damals 22-Jährige hatte in seiner Rookie-Saison gerade einmal 27 Partien absolviert, nicht ungewöhnlich für einen Zweitrundenpick (#39), der Middleton 2012 für Detroit war.

Milwaukee war damals nicht wirklich ein fortschrittlich denkendes Team. Besitzer war Herb Kohl, ein anerkannter früherer Senator in Wisconsin, der wenig von Tanking hielt und stattdessen Jahr für Jahr die Playoffs als Ziel ausgab. "Bei uns herrscht ein Wettbewerbsgedanke vor, wir wollen jede Saison so gut wie möglich sein", erklärte Kohl 2013 die Marschroute seiner Franchise.

Gut ist dabei ein relativer Begriff. 1985 erwarb Kohl die Franchise, welche unter dem legendären Coach Don Nelson mit Spielern wie Sidney Moncrief, Terry Cummings oder Rickey Pierce am Contender-Status kratzte. In einer Eastern Conference mit Boston, Philadelphia und später Detroit sowie Chicago gerieten diese guten Bucks-Teams jedoch in Vergessenheit.

Das galt auch für die Franchise, seit 1990 dümpelten die Bucks nur noch im unteren Mittelfeld der NBA herum - abgesehen vom Ausreißer 2001, als Milwaukee in den Conference Finals höchst umstritten Allen Iversons Sixers in sieben Spielen unterlag. Stattdessen hagelte es bis 2018 satte zwölf Erstrunden-Niederlagen.

Herb Kohl war fast 30 Jahre der Besitzer der Milwaukee Bucks.getty

Milwaukee Bucks: Zufrieden im Mittelmaß

"Es ist wichtig, ein gutes Produkt für die Fans anzubieten", verteidigte Kohl die Marschroute seiner Franchise. Das war jedoch ein Teufelskreis. Die Bucks pickten zwischen 2000 und 2013 mit einer Ausnahme immer zwischen Position sechs und 15, kommende Superstars sind da kaum verfügbar. Kurzum: Die Bucks waren über Jahrzehnte dort, wo keiner sein wollte - im tristen Mittelmaß.

Kohl wusste um diesen Umstand, verwies aber auch auf das Beispiel Chicago. Die Bulls hatten 2008 mit einer Chance von 1,7 Prozent den Jackpot gezogen und den ersten Pick erhalten, mit welchem sie Derrick Rose zogen: "Das war pures Glück und hatte nichts mit Planung zu tun. Ohne ihn wären sie kein Contender geworden."

Milwaukee hatte zwar kein Glück mit den Pingpong-Bällen, bewies aber bei Antetokounmpo das richtige Näschen und bekam so an Position 15 ihre eigene Version von Rose. All das, was seither aufgebaut wurde, basiert auf der märchenhaften Entwicklung des nun zweifachen MVPs.

Abzusehen war das nicht, stattdessen glaubte man in Milwaukee, 2014 den Retter der Franchise gefunden zu haben. All die mittelmäßigen Sommer-Signings von O.J. Mayo über Zaza Pachulia oder Luke Ridnour fruchteten nicht und nach Jahren im Mittelmaß waren die Bucks plötzlich doch da, wo sie unter Kohl nie sein wollten - im Keller der NBA.

Bucks: Die Kultur verändert sich mit einem Besitzerwechsel

Der Draft 2014 galt als vergleichbar stark. Es entstand ein Hype um Spieler wie Andrew Wiggins, Joel Embiid, Julius Randle oder Dante Exum, im Nachhinein entpuppten sich aber nur Embiid und mit Abstrichen Zach LaVine als Franchise-Stars. Die Bucks wählten letztlich mit dem zweiten Pick Jabari Parker, den damals viele als eine gute Wahl ansahen.

Der Forward aus Chicago war auch in Milwaukee bereits ein Begriff und hatte kein Problem damit, für eine kleinere Franchise zu spielen. Anders als Embiid, der wegen seiner Rückenverletzung das ganze Jahr verpassen würde, aber auch kein Interesse an Milwaukee hatte. Als "corny" soll der Center die Stadt bezeichnet haben, wenn man dem Buch "Tanking to the Top" von New-York-Times-Autor Yaron Weitzman Glauben schenken darf.

Parker war jedoch nicht der gewünschte Heilsbringer, dennoch tat sich etwas in Wisconsin. Kohl verkaufte das Team an das Unternehmer-Trio Wes Edens, Jamie Dinan und Marc Lasry, die versprechen mussten, dass die Franchise in Milwaukee verbleiben müsse. Mit Jason Kidd wurde ein junger, ambitionierter Coach geholt, der die jungen Spieler wie Antetokounmpo, Middleton oder Parker anleiten sollte.

Die Bucks wurden zur Überraschung der Saison, stellten plötzlich eine Top-5-Defense und zogen mit einer ausgeglichenen Bilanz in die Playoffs ein. Der Kern kristallisierte sich heraus, mit einem Trade für den früheren Rookie of the Year Michael Carter-Williams sollte auch das Vakuum auf der Spielmacher-Position gefüllt werden.

Milwaukee Bucks: Jason Kidd verdient sich als Giannis-Förderer

2015/16 folgte ein Rückschlag, die Defense verselbstständigte sich wieder, weil das große Free-Agent-Signing Greg Monroe (3 Jahre, 50 Millionen) so gar nicht zum Stil von Kidd passen wollte. Später sollte sich der Vertrag dennoch als nützlich herausstellen, da man für Monroe Eric Bledsoe aus Phoenix loseisen konnte.

In der Zwischenzeit nahm aber vor allem die Entwicklung von Antetokounmpo Fahrt auf. Kevin Arnovitz von ESPN machte zuletzt ein Spiel der Bucks im November 2016 gegen LeBron James' Cleveland Cavaliers als endgültige Coming-Out-Party des Griechen aus. Die Cavs, damals amtierender Champion, fanden gegen den Youngster keine Lösung, Antetokounmpo legte mit 21 Jahren 34 Punkte, 12 Rebounds, 5 Assists und 5 Steals auf und sollte am Ende der Saison den Award des Most Improved Player gewinnen.

Als Förderer wird gerne Kidd genannt, der als eine seiner ersten Amtshandlungen Giannis den Ball vermehrt in die Hände gab. "Wir sehen ihn im Training und sehen, dass er sich mit dem Ball in der Hand wohl fühlt", sagte Kidd 2014 während der Summer League, als Antetokounmpo erstmals mehr Verantwortung übernehmen durfte.

"Wir werden ihm mehr und mehr den Ball geben", kündigte Kidd an und stellte Vergleiche zu Grant Hill und Magic Johnson an. Stück für Stück bekam der Youngster mehr Verantwortung, bevor er 2016/17 endgültig explodierte. Bucks-GM Hammond hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits die Weichen gestellt, indem er sich mit dem Antetokounmpo-Camp schon 2016 auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung über vier Jahre und 100 Millionen Dollar verständigt hatte.

Milwaukee Bucks: Der Sommer 2018 stellt die Weichen

Rückblickend betrachtet war es ein Schnäppchen, was auch für Middleton galt, der als Restricted Free Agent ein Jahr zuvor einen Fünfjahresvertrag über 70 Millionen unterschrieb, bei welchem das Gehalt mit den Jahren rückläufig war. Es waren Glücksgriffe für Hammond, der ansonsten bei seiner Kaderplanung speziell bei den Free Agents nicht immer das beste Händchen hatte.

Verträge wie die von Monroe, John Henson (4 Jahre/44 Millionen), Matthew Dellavedova (4/39), Tony Snell (4/44) oder Miles Plumlee (4/52) waren wenig hilfreich, erst mit dem Regime-Wechsel zu Jon Horst im Sommer 2017 wurden die Puzzleteile Stück für Stück an den richtigen Platz gebracht.

2016 hatten die Bucks in Malcolm Brogdon in der zweiten Runde noch einmal den richtigen Riecher bewiesen, während das Experiment mit Thon Maker (10. Pick) gnadenlos scheiterte. Die Erwartungen stiegen jedoch in Wisconsin, im Februar 2018 trennte sich die Franchise schließlich von Kidd.

Mit Interim-Coach Joe Prunty schieden die Bucks in Runde eins knapp gegen die Boston Celtics aus, dennoch musste die Saison als große Enttäuschung verbucht werden. Die Bucks waren kein unbeschriebenes Blatt mehr, vielmehr waren sie der schlafende Riese, der nur noch nicht geweckt wurde.

Die Offseason 2018 stellte den endgültigen Wendepunkt dar. Mike Budenholzer wurde als neuer Coach vorgestellt, alte Zöpfe wie der ständig verletzte Parker wurden abgeschnitten. Mit Brook Lopez gelang den Bucks das Schnäppchen des Sommers, der Center unterschrieb für gerade einmal 3,4 Millionen Dollar. Der Effekt war, dass Antetokounmpo endlich Platz in der Zone hatte, dazu wurden weitere Schützen wie Pat Connaughton oder Donte DiVincenzo (Draft) einverleibt.

Milwaukee Bucks: Regular Season hui, Playoffs pfui

Milwaukee entwickelte sich zu einer Maschine. Vorne wurden endlich mehr Dreier genommen, hinten wurde die Drop Coverage eingeführt. Lopez war mit seiner Länge dafür der optimale Mann, Antetokounmpo wurde zu einer Art Ausputzer, der mit seiner starken Help Defense Löcher stopfte und die Zone verriegelte.

Die Bucks gewannen 2018/19 60 Spiele, in der anschließenden verkürzten Spielzeit 56. In der Regular Season wurden die Gegner reihenweise weggefegt, in den Playoffs wurden jedoch die Schwächen gnadenlos aufgedeckt. Antetokounmpo fehlten noch die Counter Moves, Bledsoe enttäuschte als Spielmacher Jahr für Jahr, hinzu kam Budenholzers aus Atlanta bekannte sture Systemtreue. Die Bucks waren gut, aber eben nicht gut genug. Elitäre Verteidigungen wie die der Toronto Raptors oder Miami Heat entschlüsselten Milwaukee und verpassten den Bucks bittere Niederlagen.

Vor allem das Aus in der Bubble gegen Miami schmerzte, nie wurde deutlicher, dass Horst mit der Vertragsverlängerung von Bledsoe aufs falsche Pferd gesetzt hatte und dafür Brogdon aus finanziellen Gründen 2019 gen Indiana ziehen ließ. Mit der anstehenden Free Agency von Antetokounmpo waren die Bucks an einem Ort, an dem es kein Zurück mehr gab.

Milwaukee Bucks: Die Bilanzen seit 2013

SaisonBilanzRang OstenPlayoffs
2013/1415-6715-
2014/1541-416Aus in Runde 1 (Bulls) 2-4
2015/1633-4912-
2016/1742-406Aus in Runde 1 (Raptors) 2-4
2017/1844-387Aus in Runde 1 (Celtics) 3-4
2018/1960-221Runde 1 (Pistons) 4-0
Conference Semifinals (Celtics) 4-1
Aus in den Conference Finals (Raptors) 2-4
2019/2056-171

Runde 1 (Magic) 4-1
Aus in den Conference Semifinals (Heat) 1-4

2020/2146-263Runde 1 (Heat) 4-0
Conference Semifinals (Nets) 4-3
Conference Finals (Hawks) 4-2
NBA Finals (Suns) 3-2

Milwaukee Bucks: Das Spiel mit dem Feuer mit Jrue Holiday

Middleton unterschrieb bereits 2019 für fünf Jahre und 178 Millionen, dazu kamen weitere Investments in Bledsoe, George Hill und Lopez. Die Bucks mussten handeln - und das taten sie, indem sie den wohl riskantesten Trade ihrer Franchise-Geschichte wagten. Mit dem Mute der Verzweiflung holten die Bucks in Jrue Holiday einen gestandenen Spielmacher, der in seiner Karriere erst ein einziges Mal All-Star war.

Der Preis dafür war fast schon unerhört. Zwei Erstrundenpicks, zweimal das Recht, den Pick zu tauschen, sowie Bledsoe und Hill waren Milwaukee die Dienste des Defensiv-Spezialisten wert, der in seiner Karriere nur 30 Playoff-Spiele absolvierte und gerade einmal zwei Serien gewann.

Es sollte ein Zeichen in Richtung Antetokounmpo sein, dass Milwaukee zu allem bereit ist, um ein Championship-Team zu stellen. Dafür wurde die benötigte Tiefe für die Regular Season geopfert und stattdessen auf das Modell einer Big Three gesetzt. In Bogdan Bogdanovic wurde kurz darauf ein weiterer Eckpfeiler ausgemacht, der Deal mit dem Restricted Free Agent platzte jedoch, da der Serbe gar nicht zugestimmt hatte und Milwaukee ohnehin nicht hätte verhandeln dürfen.

Stattdessen wurde der Kader mit Akteuren wie Bobby Portis oder Bryn Forbes aufgefüllt, die in den Playoffs mit ihrer Offense halfen. Das Fundament blieb dagegen die Defense, dieses wurde bereits unter Kidd etabliert und unter Budenholzer noch einmal angepasst.

Milwaukee Bucks: Ein Champion der alten Schule?

Durch die Supermax-Verlängerung von Antetokounmpo kehrte schließlich Ruhe ein. Es wäre nicht auszumalen gewesen, wie die Diskussionen ausgesehen hätten, als Milwaukee in den Conference Semifinals 0-2 gegen die Brooklyn Nets hinten lagen. Stattdessen herrschte Ruhe und Sicherheit, auch mit Holiday wurde bereits um vier Jahre verlängert.

Der Kader der Bucks steht für die kommenden Jahre, sieht man einmal vom alternden P.J. Tucker ab, der als letzte Säule im März via Trade kam und dem Team weitere Toughness verpasste. Antetokounmpo ist der Leuchtturm, Middleton der Mann für die wichtigen Würfe und Holiday das Schweizer Taschenmesser. Milwaukee ist es nach mehreren Anläufen gelungen, ein variables Team aufzubauen, welches mehrere Stile beherrscht.

Vorbei sind die Zeiten, in denen das Team abhängig vom Dreier war. In den Finals dominiert Milwaukee durch Größe in der Zone und Flexibilität in der Defense, sei es eben mit Drop Coverage oder der neu implementierten Switch-Defense. Die Bucks stehen nun kurz vor der Krönung, auch weil sie Geduld bewiesen und mit Antetokounmpo einen loyalen Superstar in ihren Reihen wissen.

Eine Bucks-Championship wäre die Anti-These zu vergangenen Titelträgern. Milwaukee ist über Jahre organisch um Antetokounmpo und Middleton gewachsen, lediglich die Durant-losen Warriors können dies in der vergangenen Dekade von sich behaupten. Es gab zahlreiche Rückschläge und Zerreißproben, aber im dritten ernsthaften Anlauf ist die Franchise aus Wisconsin mit einer Hand an der Larry O'Brien Trophy. Es ist der Stoff, aus dem Hollywood-Filme gemacht werden, wobei das Ende der Heldengeschichte noch nicht in Sicht ist.

Milwaukee Bucks: So kamen die Schlüsselspieler zum Team

SpielerAlterPositionIm Team seitTransaktionDraft-Pick
Giannis Antetokounmpo26F7/2013Draft15
Pat Connaughton28G8/2018Free Agency41
Donte DiVincenzo24G7/2018Draft17
Bryn Forbes27G11/2020Free Agencyundrafted
Jrue Holiday31G11/2020Trade17
Brook Lopez33C07/2018Free Agency10
Khris Middleton29F07/2013Trade39
Bobby Portis26C11/2020Free Agency22
Jeff Teague33G04/2021Buyout19
P.J. Tucker36F03/2021Trade35