Als P.J. Carlesimo am 1. Dezember 1997 vor die Presse trat, schien zunächst nichts ungewöhnlich. Soeben hatte der Head Coach der Golden State Warriors eine Trainingseinheit mit seinem Team abgeschlossen - eine bitter notwendige Trainingseinheit, sei dazugesagt. Erst im Sommer hatte der damals 48-Jährige die Dubs übernommen, doch nach den ersten 14 Saisonspielen stand gerade einmal ein Sieg zu Buche. Und das war nicht einmal das größte Problem von Carlesimo.
"Haben Sie heute Morgen einen schlechten Rasierer erwischt? Haben Sie sich geschnitten?", fragte einer der anwesenden Journalisten scherzhaft. Ein ungewöhnliches Detail war ihm an diesem Montagnachmittag nämlich doch aufgefallen: merkwürdige Narben am Hals des Coaches. "Kein Kommentar", blaffte dieser nur zurück.
Nein, das größte Problem von Carlesimo war nicht die 1-13-Bilanz, auch nicht sein Rasierer. Sein größtes Problem hörte an diesem Dezembertag auf den Namen Latrell Sprewell.
Sprewell vs. Coach Carlesimo: Zwei Attacken in einem Training
27 Jahre war Sprewell damals alt, sein bisweilen schwieriger Charakter bereits bekannt. Doch was in der besagten Trainingseinheit geschah, war und ist in dieser Form bis heute einmalig. Ein handfester Skandal, der Sprewells Karriere einen heftigen Knick verpassen sollte.
Was war passiert? Sprewell und Carlesimo lieferten sich zunächst einen verbalen Schlagabtausch. Der Coach forderte etwas mehr Pfeffer in den Pässen seines bis dato dreimaligen All-Stars, schneller und präziser sollte er den Ball an den Mann bringen. Der Forward war für Kritik aber gar nicht zu haben, er gab seinem Coach zu verstehen, er solle ihn in Ruhe lassen. Als Carlesimo seinen Spieler konfrontieren wollte, brannten Sprewell die Sicherungen durch.
Er nahm seinen Coach in einen Würgegriff, schleifte ihn durch die Halle, rund zehn Sekunden lang. Dann endlich konnten Teamkameraden und Team-Offizielle dazwischen gehen. Sprewell verschwand in die Kabine, doch anstatt sich abzuregen, kehrte er 20 Minuten später zurück und schlug auf Carlesimo ein. Erneut verhinderten die umstehenden Spieler Schlimmeres.
Latrell Sprewell über Würge-Attacke: "Er konnte ja noch atmen"
"So stark habe ich P.J. gar nicht gewürgt, er konnte ja noch atmen", versuchte sich Sprewell ein Jahr später in der CBS-Sendung "60 Minutes" herauszureden. Die Warriors und die NBA sahen die Angelegenheit nicht ganz so locker.
Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten. Golden State löste den Vertrag mit Sprewell auf, darüber hinaus erhielt er eine einjährige Sperre seitens der NBA. Kurz darauf verlor er auch seinen Schuh-Deal mit Converse.
Zwar legte Sprewell gegen die Sanktionen Protest ein, und die Vertragsauflösung musste tatsächlich widerrufen werden, doch die Sperre der NBA blieb bis zum Saisonende bestehen. 68 Spiele sollte er dadurch ohne Bezahlung verpassen, einzig Ron Artest erhielt in der Liga-Geschichte aufgrund seiner Rolle im Malice at the Palace eine höhere Strafe.
Was für Sprewell erschwerend hinzukam: Die Würge-Attacke war nicht der erste Zwischenfall in seiner Karriere. Zwei Jahre zuvor gerieten er und Teamkollege Jerome Kersey aneinander. Zur nächsten Trainingseinheit erschien er mit einem Kantholz in der Hand und drohte, beim nächsten Mal eine Schusswaffe mitzubringen. Wiederum zwei Jahre zuvor legte er sich mit Warriors-Guard Byron Houston an, der nebenbei bemerkt rund 22 Kilogramm mehr wog. Bei dem Versuch, die beiden Hitzköpfe auseinanderzubringen, wurde das Shirt von Coach Don Nelson komplett zerrissen.
Latrell Sprewell: Geprägt von einer schweren Kindheit
Wer die Geschichte Sprewells verstehen will, muss sich mit seiner Kindheit beschäftigen. Als mittleres von drei Kindern wuchs Sprewell in schwierigen Verhältnissen auf. Seine Eltern trennten sich, als er gerade einmal sechs Jahre jung war, da der Vater sowohl die Mutter als auch Latrell und seine beiden Geschwister physisch missbrauchte. Sprewells Vater dealte mit Drogen und verbrachte später zwei Jahre im Gefängnis, nachdem die Polizei eine abgesägte Schrotflinte in seinem Auto fand.
Zwischenzeitlich war Latrell zu seinen Großeltern gezogen und an der High School kristallisierte sich Basketball als willkommene Ablenkung heraus. Mit seiner Athletik und Schnelligkeit sorgte Sprewell für Aufsehen, über ein Junior College erspielte er sich schließlich die Aufmerksamkeit von der University of Alabama, wo er eine erfolgreiche College-Karriere hinlegte.
Im NBA Draft 1992 entschieden sich die Warriors schließlich an 24. Stelle für den 1,96-Meter-Mann und Sprewell schlug als dritte Scoring-Option hinter Chris Mullin und Tim Hardaway sofort ein. In seiner Rookie-Saison legte er 15,4 Punkte pro Spiel auf, bereits in seiner zweiten Spielzeit schaffte er es sogar ins All-NBA First Team.
In drei seiner ersten fünf Spielzeiten in der Association wurde er zum All-Star gewählt, doch der Teamerfolg blieb weitestgehend aus. Nur einmal erreichte Golden State in dieser Phase die Postseason, 1994 war in der ersten Runde Schluss. Und Sprewells sportlicher Erfolg konnte auch die unzähligen Skandale nicht aus der Welt schaffen. Denn weitere sollten folgen.