Ron Artest war einst der Bad Boy der NBA, der Hauptprotagonist in der wohl dunkelsten Stunde der Liga-Geschichte. Zeit seiner Karriere kämpfte er dabei gegen innere Dämonen an, die auch das Malice at the Palace befeuert haben dürften. Doch Metta Sandiford-Artest, wie er heute heißt, hat sich gewandelt - und wurde zum respektierten Champion.
Diese eine Angst machte Ron Artest Senior schon wenige Jahre nach der Geburt seines ältesten Sohnes Sorgen. Die Angst, Ronald William Artest Jr. hätte das Temperament seines Vaters geerbt. Die Angst, dass dieses Temperament eines Tages dem begnadeten, aber hitzköpfigen Sprössling in die Quere kommen, womöglich sogar dessen komplette Karriere zerstören könnte. An einem Novemberabend 2004 wurde diese Angst fast zur Realität.
Die Abendstunden des 19. November sollten später als die vielleicht dunkelsten der NBA-Historie beschrieben werden, zusammengefasst unter dem geflügelten Begriff: Malice at the Palace. Diese vier Worte sollten auch Artest seine komplette Karriere begleiten, wie lange Zeit auch die Dämonen in seinem Inneren, die dieses Ereignis befeuerten.
Dabei war der 19. November 2004 eigentlich als Basketball-Fest geplant. Die aufstrebenden Indiana Pacers zu Gast bei den Detroit Pistons, der Herausforderer gegen den amtierenden Champion - natürlich live im nationalen Fernsehen übertragen. Bereits in der Vorsaison hatten sich die beiden Ost-Mächte einen harten Kampf in den Conference Finals geliefert, mit dem besseren Ende für die Pistons. Nun war Indy gewillt, dem Rivalen den Rang abzulaufen.
Die Voraussetzungen schienen vielversprechend: der spätere Hall of Famer Reggie Miller in den finalen Zügen seiner aktiven Laufbahn umringt vom jungen, aufstrebenden All-Star Jermaine O'Neal, dem kurz zuvor als letztes Puzzleteil verpflichteten Stephen Jackson und Artest, im Vorjahr Defensive Player of the Year und erstmals All-Star - aber eben auch ein unkontrollierbarer Heißsporn.
Machtdemonstration wird zum Desaster
In den ersten zwei Saisonwochen holte sich Indiana sechs Siege aus acht Spielen und auch die Partie in Detroit verlief wie am Schnürchen. Artest gab mit 17 Zählern im ersten Viertel den Ton an, im zweiten Durchgang setzten sich die Pacers bis auf 20 Punkte ab. Eine Machtdemonstration.
Als die Partie in der finalen Minute vor sich hinplätscherte, passierte es. Artest schubste Pistons-Big Ben Wallace bei dessen Korbleger in den Rücken. Ein hartes Foul, bei einer Pacers-Führung von +15 komplett unnötig. Wallace sah das ähnlich, er attackierte Artest, eine Rudelbildung brach los.
Doch während um ihn herum die Gemüter kochten, legte sich Artest auf den Anschreibetisch. Er folgte damit einer Anweisung seiner Therapeutin: durchatmen, bis zehn Zählen. Nicht die Nerven verlieren, wie es schon so oft zuvor in seinem Leben passiert war.
Malice at the Palace: Der dunkelste Moment der NBA
Doch es sollte wieder passieren. Ein Bierbecher, von einem Fan geworfen, traf Artest. Der Pacers-Forward sprang in die Zuschauerränge und attackierte den Fan, den er für den Übeltäter hielt. Seine Teamkollegen, insbesondere O'Neal und Jackson, folgten.
Die Rangelei auf dem Court kochte nun zu einer Massenschlägerei zwischen Fans und Spielern hoch. Es dauerte Minuten, bis die Pacers-Akteure in die Katakomben gebracht werden konnten, unter einem Regen von Getränkebechern und Popcorntüten von den Rängen.
"Eine Schande" nannte ESPN-Kommentator Mike Breen die Szenerie, wohlgemerkt nicht nur das Verhalten von den Indiana-Spielern, sondern auch das der Pistons-Fans. Doch die Pacers hatten nun den Ruf weg als "Schlägertypen", allen voran Artest. Commissioner David Stern sah sich gezwungen, hart durchzugreifen, er suspendierte den damals 25-Jährigen für die komplette restliche Saison.
Artest verpasste letztlich 86 Spiele inklusive Playoffs. Die Titelhoffnungen im Hoosier State lösten sich in Rauch auf. "Das Team war unglaublich. Jeder sagte damals, dass wir gewonnen hätten. Das hätten wir auch definitiv schaffen können", sagte Artest 2019 in einem Interview mit GQ. Noch Jahre später habe er sich Vorwürfe gemacht, den Pacers diese Chance zunichte gemacht zu haben.
Ron Artest: Die Dämonen einer schwierigen Kindheit
Es sind Szenen, wie sie sein Vater wohl schon Jahre zuvor in seinen schlimmsten Befürchtungen geahnt haben dürfte. Artest Junior wuchs in schwierigen Verhältnissen in der Sozialbausiedlung Queensbridge auf. Schon in jungen Jahren sah er auf den Straßen New Yorks Gewalt, selbst im eigenen Elternhaus. Er habe gelernt, er könne nur überleben, wenn er kämpft, so Artest.
Ähnlich wie später der Junior hatte auch sein Vater seine Nerven nicht im Griff. Ron musste dabei zusehen, wie der ehemalige Navy-Veteran und Amateur-Boxer seine Mutter schlug. Er selbst wurde bereits im Alter von acht Jahren zu einer Aggressionsbewältigungstherapie geschickt. Die Scheidung der Eltern sowie wenige Jahre später der plötzliche Tod seiner jüngeren Schwester waren zusätzliche, für den jungen Mann nur schwer zu verkraftende Schicksalsschläge.
Basketball diente als Ventil für seine Emotionen, doch Artest blieb ein Heißsporn. In der High School leistete er sich Wutausbrüche, schrie Mitspieler und Coaches an. Doch das Talent war zweifelsfrei vorhanden. Mit seiner physischen Spielweise und dem Drang, niemals aufzugeben, entwickelte er sich zu einem Lokalhelden, der sein College St. Johns in seinem Sophomore-Jahr ins Elite Eight führte.
Doch auf dem höchsten Level kam schon nach wenigen Jahren eine beeindruckende Sammlung an wilden Storys zusammen, die Artests Ruf spätestens nach den Geschehnissen im Palace of Auburn Hills negativ prägten.
Ron Artest: Cognac in der Halbzeit und frühes Karriereende?
Angefangen mit dem Draft 1999, als die Knicks auf das New Yorker Urgestein verzichteten. Der Grund: Artest verpasste ein Workout, weil er am Abend zuvor zu hart gefeiert hatte, wie er später selbst verriet. In Chicago, die Bulls wählten den Forward an 16. Stelle, bewarb er sich als Rookie bei einem Elektronikfachgeschäft, um Rabatte auf Computer zu bekommen.
Während seiner Zeit bei den Bulls gönnte er sich in Halbzeitpausen immer mal wieder einen Cognac, den er in seinem Spind versteckt hatte. Auch das gab er selbst zu. 2003 zerstörte er nach einer knappen Niederlage im Madison Square Garden aus Frust einen Monitor und eine Kamera. Zu Beginn der Saison 2004/05, wenige Wochen vor Malice at the Palace, bat er die Pacers angeblich um eine Auszeit, um ein Rap-Album zu promoten.
"Alles, was die Leute gesagt haben, war wahr", so Artest später über seinen damaligen Ruf bei den Fans und in den Medien. "Ich komme von der Straße, aus der Hood. Es gab da kein Missverständnis, die Frage war nur: Könnt ihr das akzeptieren? Ich liebe es, wo ich herkomme. Ich hatte eine Mutter und einen Vater, bis ich 13 Jahre alt war. Dann haben sie sich getrennt und für mich ging es emotional bergab."
Schon zu Beginn seiner Karriere hatte Artest mit Depressionen, Angstzuständen und Aggressionsstörungen zu kämpfen. Bereits 2004, nach gerade einmal fünf Jahren in der Liga, dachte er an ein vorzeitiges Karriereende, um der Emotions-Achterbahn namens NBA zu entfliehen. Artest machte weiter - nur nicht in Indiana.
Ron Artest nach Malice at the Palace: "Druck war zu groß"
"Mein Indiana-Trikot wurde in meinem schlimmsten Moment im Fernsehen gezeigt. Als ich es trug, wollte ich mich verstecken. Ich wollte nie wieder im Indiana-Trikot spielen. Der Druck war zu groß", erklärte Artest in der Netflix-Doku "Untold: Malice at the Palace". Er absolvierte nach seiner Sperre nur noch 16 Spiele für die Pacers, bevor er einen Trade forderte. Doch seine Teamkollegen fühlten sich verraten.
Bei all den Eskapaden geriet der Spieler Ron Artest dabei fast in Vergessenheit. Zu seinen besten Zeiten war er nicht nur ein ekliger Verteidiger, wie vier All-Defensive-Nominierungen und der DPOY-Award in der Saison 2003/04 belegen, sondern auch ein hervorragender Scorer. Eine echte Bedrohung an beiden Enden des Courts.
Bei seiner nächsten Station, den Sacramento Kings, knackte er über die komplette Saison die 20-Punkte-Marke, in insgesamt sieben Spielzeiten legte er mindestens 15 Zähler pro Partie auf. Nach Zwischenstopps bei den Kings und Rockets landete er schließlich in Los Angeles. An der Seite von Kobe Bryant gelang ihm 2010 mit den Lakers das, was den Pacers verwehrt blieb: der Gewinn der Championship.
Artest selbst spielte dabei eine tragende Rolle. Einerseits mit seiner immer noch hervorragenden Defense, andererseits mit wichtigen Buckets genau zur richtigen Zeit. Sein Gamewinner in Spiel 5 der West-Finals gegen die Suns nach einem Kobe-Airball ist da zu nennen. Oder auch sein Dreier eine Minute vor dem Ende von Spiel 7 der Finals gegen die Boston Celtics, der den Titel quasi eintütete.
NBA: Die Karrierestatistiken von Ron Artest
Team | Saisons | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
Bulls | 3 | 175 / 31,0 | 12,5 | 4,2 | 2,9 | 40,9 | 32,3 |
Pacers | 5 | 193 / 34,9 | 16,5 | 5,2 | 3,0 | 42,9 | 31,2 |
Kings | 3 | 167 / 38,4 | 18,9 | 5,9 | 3,6 | 43,1 | 34,9 |
Rockets | 1 | 69 / 35,5 | 17,1 | 5,2 | 3,3 | 40,1 | 39,9 |
Lakers | 6 | 358 / 28,0 | 8,9 | 3,6 | 2,0 | 39,4 | 33,5 |
Knicks | 1 | 29 / 13,4 | 4,8 | 2,0 | 0,6 | 39,7 | 31,5 |
GESAMT | 17 | 991 / 31,7 | 13,2 | 4,5 | 2,7 | 41,4 | 33,9 |
Ron Artest: Therapie zum Titel
Im anschließenden Interview entschuldigte er sich öffentlich bei den ehemaligen Kollegen in Indiana, die er im Stich gelassen habe. Er bedankte sich auch bei seiner Psychologin, die ihn damals schon einige Jahre begleitet und ihm durch schwere Zeiten hindurchgeholfen hatte.
Zum Beispiel, als er 2007 wegen häuslicher Gewalt zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt wurde. Auch das gehört eben zur Geschichte von Artest. Ohne die Therapie wäre er nicht in der Position gewesen, den entscheidenden Wurf in Spiel 7 zu versenken, war sich Artest sicher.
Der Wunsch, an sich zu arbeiten und die persönlichen Probleme zu verarbeiten, spiegelte sich auch in seiner Namensänderung wider. 2011 gab er seinen neuen Namen bekannt: Metta World Peace. Metta ist ein Begriff aus dem Buddhismus und bedeutet so viel wie "Freundschaft" oder "Güte".
gettyRon Artest: Über Weltfrieden zu Metta Sandiford-Artest
"Ich habe meinen Namen geändert, weil ich genug von Ron Artest habe", erklärte er damals in der L.A. Times. "Und wenn die Fans sauer auf mich werden, können sie nicht sagen:' Ich hasse World Peace.'" Kurz vor einem Wechsel aus der NBA nach China, spielte er mit dem Gedanken, sich in Panda's Friend umzubenennen, mittlerweile hat er den Namen seiner Frau angenommen: Metta Sandiford-Artest.
Der einstige Raufbold wurde sogar mit dem J. Walter Kennedy Citizenship Award ausgezeichnet, der jährlich einem NBA-Spieler für besondere Verdienste in der Arbeit für die Community verliehen wird. Zudem hat er sich für zahlreiche Organisationen eingesetzt, die im Bereich mentale Gesundheit arbeiten.
Zu diesem Zweck versteigerte er seinen Championship-Ring, um Spenden zu sammeln. 650.000 Dollar kamen zusammen. Er spricht mittlerweile offen über seine Probleme, um mehr Aufmerksamkeit für das Thema Depression zu generieren.
Ron Artest aka Metta World Peace aka Metta Sandiford-Artest scheint die schlimmsten Dämonen überwunden zu haben. Nach insgesamt 17 turbulenten Jahren in der NBA, nach unglaublichen Höhen und Tiefen wäre sein Vater sicherlich stolz auf ihn.