Die Minnesota Timberwolves sind mit zwei Siegen in die Saison gestartet und blicken endlich mal wieder positiv in die Zukunft. Das liegt vor allem an Anthony Edwards; kann der letztjährige Nr.1-Pick die notorisch glücklose Franchise retten?
Es gibt Spieler, die haben ein besseres Gespür für den Moment als andere. Die wissen, wo die Kameras stehen, welche Geste, welcher Blick nötig ist, um aus einer spektakulären Szene ein überdauerndes Highlight zu machen. Die Liste dieser Entertainer ist lang, auf ihr stehen mit Michael Jordan, LeBron James oder Kobe Bryant viele der ganz Großen.
An diesem Punkt ist Anthony Edwards zwar noch lange nicht, bei der Liste der größten aktuellen Entertainer vergeht dennoch nicht viel Zeit, bevor man beim Nr.1-Pick 2020 landet. Sein Rookie-Jahr war bereits von etlichen Highlights geprägt, darunter dem vielleicht besten Dunk der Saison, als er Yuta Watanabe ins Parkett des Target Centers rammte.
Leider wurde dieser Moment aufgrund der Pandemie nicht von Zuschauer-Reaktionen begleitet, doch das ist vorbei: Edwards spielt nun vor Fans, endlich: "Letztes Jahr war es hier eiskalt. Heute war es heiß in der Halle", sagte er nach dem Heimdebüt gegen die Houston Rockets. "Eine andere Atmosphäre. Einfach großartig."
Natürlich brauchte es für diese Premiere auch ein erstes Highlight, wobei Edwards gleich mehrere lieferte. Er dunkte an Alperen Sengün vorbei (der Rookie contestete nur bedingt - weise), traf Pullup-Dreier über Christian Wood. Und er gab Rockets-Coach Stephen Silas Anweisungen. "Ja, ich habe ihm gesagt, dass er eine verdammte Auszeit nehmen soll. Ich bin heiß. Du brauchst eine Auszeit", erklärte er im Anschluss.
Anthony Edwards: Auf dem Weg zur Kultfigur
Edwards hat alles, um eine Kultfigur in der NBA zu werden. Überragende Athletik, das Gefühl fürs Spiel, den Entertainment-Faktor und die Persönlichkeit. Nur ein paar mehr Siege wären noch nett. Aber auch das soll sich bald ändern, wenn Edwards ein Wörtchen mitzureden hat.
Die Timberwolves stehen seit vielen Jahren ziemlich weit oben auf der Liste der am schlechtesten geführten Franchises der NBA. Seit dem MVP-Jahr von Kevin Garnett erreichte Minnesota genau einmal die Playoffs, 2018 war das, wenige Monate später erzwang Jimmy Butler seinen Trade vom Team.
Dabei ist es nicht so, dass die Wolves in der Zwischenzeit kein Talent gehabt hätten. Nach KG gab es Kevin Love, nach Love gab es satte dreimal den Nr.1-Pick, aber Andrew Wiggins entpuppte sich nicht als Franchise-Player und Karl-Anthony Towns ist zwar einer der begabtesten NBA-Spieler, bisher jedoch nicht als Winner bekannt.
Endlich Aufwind bei den Wolves
Edwards will das ändern, gemeinsam mit Towns. Der Saisonauftakt gegen die miesen Rockets zeigte, wie das aussehen könnte, Towns legte 30, Edwards 29 Punkte auf, hinzu kamen 22 Zähler des dritten "Stars" im Bunde, D'Angelo Russell. "Wir spielen mit Leidenschaft und wir spielen dieses Jahr, um zu gewinnen", sagte Edwards im Anschluss.
Zwar waren es nur die Rockets, und auch der zweite geschlagene Gegner war mit den Zion-losen Pelicans kein großer, aber generell umgibt die Franchise erstmals seit einer Weile wieder so etwas wie positive Energie. Das liegt an Towns, der nach einem persönlich katastrophalen Jahr wieder angreifen will, an der neuen Besitzergruppe, auch am während der Vorsaison installierten Head Coach Chris Finch - selbst das Chaos um Ex-GM Gersson Rosas konnte die gute Stimmung nicht nachhaltig kaputtmachen.
Den vielleicht größten Anteil am Aufwind hat Edwards, das große Versprechen an die Zukunft der Wolves. "Ihr werdet schon sehen. Es wird eine Menge Spaß machen", kündigte dieser bereits Ende September mit Blick auf die neue, seine zweite Saison an und sagte, er werde "zurückkommen wie Houdini". Er habe im Sommer unheimlich viel und hart gearbeitet, um in dieser Saison den nächsten Schritt machen zu können.
Anthony Edwards: Enormer Sprung unter Finch
Schon in seinem Debütjahr gab es einen solchen Schritt, und dieser hatte zu einem großen Anteil mit Finch zu tun. Unter dessen Vorgänger Ryan Saunders begann Edwards sehr ineffizient, nicht selten für einen Rookie, aber doch auffällig: 14,3 Punkte bei 37,5 Prozent aus dem Feld erzielte er in den 31 Spielen unter Saunders, zunächst von der Bank kommend.
Unter Finch veränderten die Wolves ihre Offense, sie ließen mehr über Towns laufen, sie gaben auch Edwards mehr Freiheiten. Nach dem Coaching-Wechsel kam der Shooting Guard auf 23,2 Punkte bei 44,1 Prozent aus dem Feld, eine massive Steigerung. Zumal sich auch die Offense an sich enorm steigerte, es waren nicht nur leere Zahlen: Von drittschwächsten Offensiv-Rating der NBA unter Saunders ging es unter Finch immerhin auf Platz 17.
"Er sagte uns, dass wir einfach wir selbst sein sollen", sagte Edwards bei GQ über Finch. "Von da an hatte ich einfach Spaß. Ich spiele am besten, wenn ich Spaß habe." Seine steigenden Spielanteile ließen sich auch mit diversen Metriken belegen, insbesondere nach der All-Star-Pause ging es nach oben:
Isolationen* | Drives | Touches | Pot. Assists | eFG% | |
Vor All-Star | 3 | 8,9 | 47,9 | 4,9 | 43,4 |
Nach All-Star | 4,8 | 12 | 60,4 | 7,6 | 53 |
Differenz | +1,8 | +3,1 | +12,5 | +2,7 | +9,6 |
*Daten via Second Spectrum
Anthony Edwards: Die neuen Tricks sind ...
Zum Saisonstart 21/22 scheint Edwards ebenfalls viel Spaß zu haben. Er knüpft mit seinen Leistungen an die starke Schlussphase der Vorsaison an, wirkt sogar noch ein Ticken selbstbewusster in seinen Aktionen. Er hat an seinem Wurf gearbeitet, da er natürlich weiß, dass ein besserer Distanzwurf ihm noch mehr Platz für seinen Drive schaffen wird.
Stolze 20 Dreier nahm Edwards in den ersten beiden Saisonspielen und traf neun davon. Gerade aus dem Catch-and-Shoot hat er Fortschritte gemacht, aber auch den einen oder anderen schwierigen Stepback-Jumper hat er schon eingestreut. "Damit sich die Zone öffnet, muss man Dreier werfen oder zumindest dafür sorgen, dass der Jumper respektiert wird", sagte Edwards.
"Wenn man sieht, wie ich einen Switch bekomme, Christian Wood ist komplett abgesunken. Also muss ich ein paar Dreier treffen, damit er hochkommt und meinen Jumper respektiert."
nba.com/statsAnthony Edwards kann von Karl Towns nur profitieren
Die Chemie mit Towns wird zudem immer besser: Zieht der beste Spieler des Teams die Aufmerksamkeit auf sich, versteht Edwards, wo sich Lücken auftun und wie er diese durch Cuts ausnutzen kann.
Schon vergangene Saison schloss er als Cutter sehr effizient ab (1,51 Punkte pro Play), hatte jedoch nur 0,8 dieser Plays pro Spiel, nicht zuletzt aufgrund der Ausfälle: Towns, Edwards und Russell absolvierten 20/21 nur 24 gemeinsame Spiele.
Der Cut könnte für Edwards nun weitaus mehr zur Waffe werden, wo er zumeist mit mindestens einem weiteren Ballhandler zusammen auf dem Court steht. Gerade Towns ist ein williger und unterschätzter Passer.
nba.com/statsTimberwolves: Die Defense muss besser werden
Edwards, Towns und Russell hatten in der limitierten gemeinsamen Zeit in der vergangenen Saison ein Offensiv-Rating von 120,9, womit sie die Liga angeführt hätten. Das Defensiv-Rating von 116 wiederum war übel - und es war keine Überraschung. Minnesota hat als Team seit 2013/14 kein Top-20-Defensiv-Rating mehr aufgelegt, selbst Tom Thibodeau und Butler änderten daran nichts.
In der Offseason wurde Patrick Beverley verpflichtet, um einen neuen Versuch zu starten - allerdings natürlich in dem Wissen, dass auch die drei besten Spieler des Teams ihren Teil würden leisten müssen. Die ersten Resultate sind vielversprechend, selbst wenn es wie gesagt bisher nicht gerade gegen Top-Teams ausprobiert wurde.
Die Wolves wirken defensiv aktiver, rotieren viel, wildern in den Passwegen und nutzen ihren Speed; 31 Steals und 20 Blocks stehen bereits nach zwei Spielen zu Buche. "Das ist das, was wir unseren Jungs die ganze Zeit verkaufen wollten", sagte Finch nach dem Rockets-Spiel. "Wenn wir ein Team sein wollen, das einen Schritt nach vorne macht, dann müssen wir das auch über die Defense angehen."
Chris Finch über Edwards: Gibt es ein Limit?
Edwards ist als Rookie durch solide On-Ball-, aber teilweise katastrophale Off-Ball-Defense aufgefallen. Seine Aufmerksamkeit kam und ging, dabei hat er theoretisch alle Anlagen, um ein Plus-Verteidiger zu sein. Und er wirkt motiviert, all seine Anlagen auszureizen. Darauf setzen die Wolves, um endlich wieder den Sumpf der NBA zu verlassen.
"Ich habe keine Ahnung, ob er ein Limit hat. Vermutlich hat er eins. Wir wissen nur nicht, wo das liegt", sagte Finch im Sommer bei Heels on Hardwood. "Er ist ein integraler Bestandteil unseres Erfolgs. Das größte Potenzial in unserer Organisation liegt in seiner Entwicklung. Wir wollen alles dafür tun, damit er der elitäre Spieler werden kann, den wir ihn ihm sehen."
Es liegt alles bereit für einen weiteren Sprung, und dieser ist auch nötig, wenn die Wolves sich tatsächlich steigern und um die Playoffs mitspielen wollen. Nicht nur in Minnesota blick man gebannt darauf, ob Houdini den Wolves - und ihrem Superstar Towns - endgültig die Fesseln abnehmen kann.