Dejounte Murray spielt in seiner sechsten Saison den besten Basketball seiner Karriere und gilt als Kandidat für den Award des Most Improved Players. Kann er auch zum Gesicht der San Antonio Spurs werden? Ein großes Fragezeichen bleibt - die meisten hat er jedoch bereits ausgeräumt.
Vor der Saison fragte man sich zu Recht, wer von jetzt an eigentlich das Aushängeschild der Spurs sein beziehungsweise das Team anführen sollte. Die Veteranen wie DeMar DeRozan und Patty Mills waren weg und der Kader voll von jungen Spielern, von denen keiner sich bisher als möglicher Franchise Player hervorgetan hatte.
Dejounte Murray bringt sich derzeit für diese Position ins Spiel. Der defensiv seit Jahren bärenstarke Guard legt Karrierebestwerte bei Punkten, Rebounds und Assists (sowie Steals) auf, in der aktuellen Konversation um den meistverbesserten Spieler der Liga muss sein Name zumindest erwähnt werden.
Murray führt die Liga derzeit sogar bei den Triple-Doubles (6) an, bei den Rebounds belegt er unter allen Guards ebenfalls Platz eins. Damit war vor der Saison so nicht zu rechnen - aber das ist nichts Neues für den 25-Jährigen. Dass er es überhaupt in die NBA, geschweige denn an diesen Punkt geschafft hat, grenzt schon fast an ein Wunder.
Dejounte Murray: Verhaftet mit elf Jahren
Im Alter von elf Jahren gehen Kinder normalerweise zur Schule und treffen sich mit ihren Freunden zum Spielen - Murrays Kindheit war da ganz anders. Laut eigener Aussage war er mit elf bereits auf der Straße involviert und hatte dort Kontakt mit Gang-Mitgliedern.
Murray kannte nichts anderes: Er wuchs in einer schlechten Gegend Seattles auf, Kriminalität und Drogenhandel standen an der Tagesordnung. Seine Mutter war oft im Gefängnis, den Vater sah er selten. Mal wohnte er bei der Großmutter, mal bei seinem Onkel.
Das erste Mal wurde "Baby Boy", wie Murray auf der Straße genannt wurde, verhaftet, als er noch auf die Middle School ging. "Drogen verkaufen war in meiner Familie normal", erklärte Murray in einem Interview mit Sports Illustrated.
Dejounte Murray: Kehrtwende dank Jamal Crawford
Die Kehrtwende kam mit der Bekanntschaft des ehemaligen NBA-Spielers Jamal Crawford. Der dreifache Sixth Man of the Year wurde auf Murray aufmerksam, weil er einst auf dieselbe High School in Seattle ging. Als Crawford sich ein Spiel von Murray ansah, war er sofort von dessen Potential begeistert. Daraufhin wurde der NBA-Star so etwas wie ein Mentor für Murray. Er ermutigte ihn immer wieder sein Leben zu ändern, um sein Talent auf dem Court nicht zu verschwenden.
Auf der High School geriet Murray noch ein weiteres Mal in Schwierigkeiten und wanderte für einen Monat in den Jugendknast. Zeitgleich erhielten mehrere seiner Freunde lange Haftstrafen. Das führte zu einem Entschluss: Murray wollte sich ab sofort von der Straße fernhalten und sich nur noch auf Basketball konzentrieren.
Von da an ließ er sich nichts mehr zu Schulden kommen. Nach einer Saison für die University of Washington meldete sich Murray 2016 zum Draft an, wurde mit dem 29. Pick von den Spurs ausgewählt und hatte es tatsächlich geschafft - von einem Leben als Gang-Mitglied ohne Perspektive zu einem First Round Pick in der NBA.
"Ich bin momentan in der Phase, in der ich versuche herauszufinden, wie ich meine ganze Geschichte erzählen soll. Ich will die Welt motivieren", sagt Murray. "Ich war bisher sehr zurückhaltend, weil es mich traumatisiert hat. Es verfolgt mich bis an diesen Tag. [...] Ich bin jetzt seit fünf Jahren in der NBA und es fühlt sich noch immer nicht real an."
gettyDejounte Murray: Defensivmonster mit Höhen und Tiefen
In der besagten Zeit ist dabei schon viel passiert: Im ersten Jahr arbeitete er sich über die G-League zum Rotationsspieler und startete am Ende sogar in den Playoffs, ein Jahr darauf ersetzte er Franchise-Legende Tony Parker in der Starting Five. Am Ende einer für ihn persönlich guten Saison wurde er schließlich zum jüngsten All-NBA-Defender der Geschichte gewählt.
Die Spannweite von 2,08 m bei hoher Beweglichkeit und Aggressivität machten ihn vom Start weg zu einem starken Verteidiger, eine Voraussetzung, um sich früh das Vertrauen von Gregg Popovich zu verdienen.
Ein Kreuzbandriss kostete Murray die gesamte Spielzeit 18/19, San Antonio hatte aber bereits genug gesehen, um ihm trotzdem vorzeitig einen neuen Vertrag anzubieten. Der Point Guard unterschrieb für vier weitere Jahre und 64 Millionen Dollar bei den Spurs.
Dejounte Murray: Seine Statistiken in der NBA
Saison | Spiele | Punkte | True Shooting% | Rebounds | Assists | Steals |
16/17 | 38 | 3,4 | 50,3 | 1,1 | 1,3 | 0,2 |
17/18 | 81 | 8,1 | 48,5 | 5,7 | 2,9 | 1,2 |
18/19 | 0 - Kreuzbandriss | |||||
19/20 | 66 | 10,9 | 52,4 | 5,8 | 4,1 | 1,7 |
20/21 | 67 | 15,7 | 50,9 | 7,1 | 5,4 | 1,5 |
21/22 | 30 | 18,1 | 50,3 | 8,4 | 8,6 | 2 |
Dejounte Murray als neuer Führungsspieler in San Antonio
Diese Entscheidung sieht aus heutiger Sicht ziemlich gut aus. In seiner sechsten Saison nimmt Murray erneut eine neue Rolle ein: Mittlerweile ist er der am längsten zum Kader gehörende Spieler bei den Spurs und hat sich zum Leader eines Teams entwickelt, das nach einem 4-13-Start immer besser in Fahrt kommt (8-5 seither).
Popovich honorierte diese Entwicklung kürzlich: "Ich wünschte, Dejounte könnte 48 Minuten spielen, weil er uns im Moment wirklich wundervoll zusammenhält", schwärmte der Head Coach und betonte: "Seine Entscheidungen auf dem Court und seine Führungsqualitäten sind herausragend."
Noch nie hatte Murray offensiv so viel Verantwortung und weiß diese derzeit auch zu nutzen - so gut sogar, dass auch eine Berufung zum All-Star Game nicht komplett auszuschließen ist. Ein Makel bleibt indes noch bestehen: Der Dreier ist wacklig, wohlwollend ausgedrückt.
Dejounte Murray: Diese Lücken sind noch da
34,7 Prozent seiner Triples trifft er dieses Jahr - zu wenig, um Defenses Angst zu machen. Um wirklich zu einem Topspieler aufzusteigen, muss er von Downtown konstanter werden. Immerhin hat er mittlerweile genug Vertrauen, um den Wurf viermal pro Spiel zu nehmen; in seinen ersten beiden NBA-Jahren nahm er insgesamt bloß 57 in 119 Spielen.
Auch bei den Freiwürfen gibt es für Murray noch Luft nach oben. Er zieht zwar oft aggressiv zum Korb, doch dadurch springen bislang nicht viele Freiwürfe für ihn heraus. 2,2 Freiwürfe pro Spiel kriegt er zugesprochen, das ist noch sehr ausbaufähig für einen Spieler, der den Ball so oft in der Hand hält und seine Athletik einzusetzen weiß.
Seine Punkte erzielt Murray zu einem Großteil aus der Mitteldistanz - ganz Spurs-typisch sind derzeit 55 Prozent seiner Würfe Midranger, weshalb es nicht verwundert, dass er nicht zu den effizientesten Scorern gehört. Es stimmt jedoch positiv, dass er derzeit für einen Guard sehr starke 67 Prozent seiner Würfe am Ring trifft.
Dejounte Murray: "Für die Herausforderung gebaut"
Murray hat zudem bereits bewiesen, dass er in der Lage ist, hart an sich zu arbeiten. Es ist also damit zu rechnen, dass seine Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Gerade als Playmaker ist der heutige Spieler kaum noch zu vergleichen mit dem, der 2016 als roher Defensivspezialist in die Liga kam.
Die richtige Attitude bringt er ohnehin mit. "Ich bin für die Herausforderungen gebaut, ich nehme sie an und ich bin zuversichtlich, dass ich an den Punkt komme, jede Nacht die richtige Balance zu finden", sagte er nach dem wohl besten Spiel seiner Karriere, als er gegen die Clippers am Montag 24 Punkte, 13 Assists und 11 Rebounds aufgelegt hatte.
Dass er es mit seiner Vorgeschichte so weit gebracht hat, sagt ohnehin schon viel über seinen Antrieb aus. Wenn Murray sich weiter so positiv entwickelt, könnte er womöglich wirklich zum neuen Gesicht der Spurs werden.