NBA - MVP-Ranking im März: Luka Doncic? Ja Morant? Stephen Curry? Hochkonjunktur für die Snubs-Prediger

Philipp Jakob
31. März 202210:00
Trotz historischer Zahlen hat es Giannis im MVP-Rennen schwer.getty
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Das MVP-Rennen geht in die heiße Phase und es bleibt unfassbar eng. Mit dabei: Der Versuch einer MJ-Imitation, der Kampf gegen Respektlosigkeiten und eine Snubs-Liste prominenter als das Oscar-Promiboxen. SPOX rankt die Top 5 im MVP-Rennen.

Eins ist gut eineinhalb Wochen vor dem Ende der regulären Saison glasklar: Die wenigsten Fanlager werden mit den Ergebnissen des finalen MVP-Votings zufrieden sein. An der Spitze werden zwei absolut verdiente Superstars leer ausgehen, sicherlich zum Unverständnis der Anhänger. Und dahinter bleiben eben nur noch zwei Plätze in der Top 5 für mehr als eine Handvoll hochkarätiger Kandidaten übrig. Das verspricht Hochkonjunktur für die Snubs-Listen.

SPOX zieht sich schon mal vorab den Ärger unter anderem der Mavs-, Grizzlies-, Warriors- und Nets-Fans auf sich. Im MVP-Rennen entscheiden dieses Jahr Kleinigkeiten, manchmal sicherlich auch ein Hauch Subjektivität. Wobei bei diesem Thema Ja Morant hier im Ranking weit vorne mit dabei sein müsste. Der 22-Jährige spielt ohne Zweifel eine unglaubliche Saison, macht Spaß wie kaum ein Zweiter, doch durch Verletzungen und die absolvierten Spiele (56) fällt er in Anbetracht der enormen Konkurrenz etwas zurück.

Stephen Curry kann sein hervorragender Saisonstart mittlerweile nicht mehr retten, Kevin Durant hat zu viele Partien verpasst, als dass er in der finalen Diskussion eine Rolle spielen könnte. DeMar DeRozan fiel durch den Bulls-Absturz aus dem Rennen. Und selbst Luka Doncic hat es trotz einiger absolut irrer Wochen letztlich nicht in die Top 5 geschafft, zu groß war die Hypothek des überschaubaren Saisonstarts. Das soll natürlich nicht seine bärenstarken Auftritte schmälern.

Vielmehr spricht es für die enorme Qualität des MVP-Rennens 2022 - wobei dieses Rennen eigentlich in zwei einzelne unterteilt werden muss. Das Rennen um den eigentlichen Award, das die Top 3 unter sich ausmachen wird. Und das Rennen um die Plätze 4 und 5. Es geht so eng zu, dass sich im Saisonendspurt noch einiges verschieben kann, doch Ende März sieht unser MVP-Ranking so aus:

Luka Doncic verpasst Stand jetzt hauchdünn die Top 5 im SPOX-MVP-Ranking.getty

PLATZ 5: JAYSON TATUM (Boston Celtics)

  • Platzierung im Vormonat: nicht gerankt
  • Teambilanz: 47-30, Platz 4 in der Eastern Conference
  • Stats 2021/22: 27,0 Punkte, 8,0 Rebounds und 4,3 Assists bei 45,1 Prozent aus dem Feld und 35,3 Prozent von Downtown (in 72 von 77 Celtics-Spielen)

Seit dem Jahreswechsel sind die Celtics eine Macht, erst recht seit dem All-Star Break. Seit der Pause Mitte Februar hat Boston nur vier Spiele verloren, auf der Habenseite stehen unter anderem Siege gegen Teams wie die Nets, Grizzlies, Warriors, Nuggets, Jazz oder Timberwolves, allesamt Blowouts wohlgemerkt. Das haben die Kelten einerseits ihrer hervorragenden Defense zu verdanken - andererseits einem überragenden Jayson Tatum.

Vor unser aller Augen hat sich der Dauerbrenner unter den MVP-Kandidaten (nur fünf verpasste Spiele) von einem Star in einen Superstar gewandelt. Seit dem All-Star Game legt er im Schnitt 31,7 Punkte, knapp 7 Rebounds und 5 Assists auf.

Wie wichtig er für sein Team ist, zeigen auch die On/Off-Stats: Boston ist laut Cleaning the Glass mit Tatum um 17,5 Punkte pro 100 Possessions besser als ohne ihn, nur ein Spieler hat einen besseren Wert vorzuweisen - und zu dem kommen wir später noch. In totalen Zahlen steht Tatum bei einem Plus/Minus von +595 über die gesamte Saison, in dieser Kategorie ist keiner besser. Er reißt allerdings auch die meisten Minuten unter der Top 5 ab, die aber immer auf einem hohen Niveau.

Zumindest seit ein paar Wochen. Der durchwachsene Saisonstart tut ihm im MVP-Ranking dagegen etwas weh, genau wie es auch bei Doncic der Fall ist. Beide sind dafür schon länger im Aufwind, um mal etwas tiefzustapeln. Da Tatum ganze 12 Spiele mehr absolviert hat als Doncic, bekommt er hier den hauchdünnen Vorzug.

PLATZ 4: DEVIN BOOKER (Phoenix Suns)

  • Platzierung im Vormonat: nicht gerankt
  • Teambilanz: 62-14, Platz 1 in der Western Conference
  • Stats 2021/22: 26,4 Punkte, 5,0 Rebounds und 4,9 Assists bei 46,1 Prozent aus dem Feld und 37,6 Prozent von Downtown (in 65 von 76 Suns-Spielen)

März und April sind die Monate im NBA-Kalender, die an Respektlosigkeiten kaum mehr zu überbieten sind. Es sind die Monate, in denen die Award-Diskussionen in die heiße Phase gehen und da fühlt sich zwangsläufig immer irgendwer übergangen. Dann wird es höchste Zeit, möglichst öffentlich, möglichst laut auf diese Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Vergangene Woche rollte diese PR-Maschine für Devin Booker an.

Los ging es beispielsweise mit seinem Head Coach Monty Williams. "Ich habe gesehen, dass Devin in einem MVP-Ranking auf Platz 9 geführt wurde. Was sind da die Kriterien?", fragte der Suns-Coach ungläubig. "Die scheinen sich jedes Jahr zu ändern. Wenn ich anfange, mich damit auseinanderzusetzen, dann ärgere ich mich nur, dass zwei unserer Jungs nicht da stehen, wo sie stehen sollten."

Er spielte damit auf Booker und Chris Paul an. Letzterer fand sich im Laufe der Saison auch an dieser Stelle immer mal wieder in der Top 5 wieder, verpasste dann aber verletzungsbedingt einige Zeit. Und Booker? Der hielt die Suns auch ohne seinen kongenialen Backcourt-Partner an der Spitze des Westens, schenkte anderen Top-Teams 30+ und 40+-Spiele ein und kratzte dann in der Vorwoche gegen Denver gar an den 50 Zählern. Vor dem Spiel hatten die Nuggets ihn, wie Booker fand, mit einem falschen Bild auf dem Videowürfel gedisst.

Booker antwortete auf dem Parkett, anschließend drehte sich das "Disrespect"-Karussell ganz schnell in die andere Richtung, und zwar etwas zu weit. Isiah Thomas, Morant, Kyrie Irving, auf einmal war der 25-Jährige bei einigen der ganz großen Namen des NBA-Business als Top-3-MVP-Kandidat im Gespräch, mindestens. Das ist freilich übertrieben. Booker hat trotz spektakulärer Auftritte in der Top 3 nichts verloren, die spielt in dieser Saison nochmal in einer anderen Liga.

Dahinter ist auch dieser vierte Rang für Booker fast schon großzügig. Es balgt sich ein Quartett um die letzten beiden Plätze in der Top 5: Booker, Tatum, Morant und Doncic, jeder bringt für sich stichhaltige Argumente mit. Für den Suns-Star war trotz etwas "schlechterer" individueller Stats in erster Linie die Dominanz seines Teams auschlaggebend, Phoenix ist bilanztechnisch dem Rest der Liga schon längst enteilt. Auch das sollte gewürdigt werden.

Book wird sich laut StatMuse voraussichtlich in einen elitären Klub einreihen mit bislang neun Spielern, die mindestens 25/5/5 für ein Team mit einer Siegquote von 80 Prozent oder besser auflegten. Acht davon gewannen den MVP-Award. Der 25-Jährige wird also wohl der zweite Star sein, der auf diese Weise "nicht respektiert" wird. Vielleicht nutzt er es ja als Ansporn für die kommende Saison.

PLATZ 3: GIANNIS ANTETOKOUNMPO (Milwaukee Bucks)

  • Platzierung im Vormonat: 3
  • Teambilanz: 47-28, Platz 2 in der Eastern Conference
  • Stats 2021/22: 29,9 Punkte, 11,6 Rebounds, 5,8 Assists und 1,5 Blocks bei 55,2 Prozent aus dem Feld und 30,1 Prozent von Downtown (in 62 von 75 Bucks-Spielen)

Viele US-amerikanische Medien zeichnen im Saisonendspurt ein Bild eines zweiköpfigen MVP-Rennens. Jokic oder Embiid? Embiid oder Jokic? Ein Freak aus Griechenland gerät da manchmal in Vergessenheit, zu Unrecht. Antetokounmpo zaubert eine überragende Saison aufs Parkett, er agiert auf einem höheren Niveau als in seinen beiden MVP-Saisons 2018/19 und 2019/20. Der Bucks-Star wäre ein verdienter MVP.

Das lässt sich relativ simpel beim Blick auf die Statistiken untermauern, zwar führt Jokic die Asssociation in nahezu allen Advanced Stats an, auf Platz zwei folgt aber zumeist Antetokounmpo. VORP, PER, BPM, diese Liste ließe sich in guter, alter Fanta4-Manier schier beliebig fortsetzen, fast überall findet sich die Kombi Jokic/Giannis an der Spitze.

Der Eye-Test bestätigt die hervorragende Saison des 27-Jährigen, der beim MVP-Tracker von basketball-reference.com ebenfalls auf Platz zwei hinter Jokic und vor Embiid rangiert. Antetokounmpo ist auf dem Court überall zu finden, hat bei so gut wie jeder positiven Aktion der Bucks irgendwie seine Finger im Spiel. Er ist vielseitig einsetzbar, universell dominant. Nicht ausgeschlossen, dass er in derselben Spielzeit sowohl Defensive Player of the Year als auch Scoring-Champion wird - das gelang sonst nur Michael Jordan (1987/88).

Und doch landet er eben auch im SPOX-Ranking nur auf Platz 3. Einerseits fehlt Milwaukee die Dominanz als Team, die Giannis' Argumentationskette auf ein neues Level hieven würde, andererseits fehlt dem Griechen das Narrativ. Das ist bei Embiid (noch nie gewonnen) oder Jokic (trägt die Nuggets im Alleingang) stärker - auch deshalb, weil Antetokounmpo dieser Award schlichtweg egal ist.

Ob er sich mit dem MVP-Rennen auseinandersetze, fragte zuletzt The Athletic. Giannis' Antwort: "Oh, hell no." Die Freude über den Titelgewinn im Vorjahr sei nicht zu vergleichen mit einem popligen MVP-Award, anstatt der Maurice Podoloff Trophy steht deshalb nur Larry O'Brien im Fokus. Antetokounmpo ist es also herzlich egal, wenn es am Ende doch nur ein Zwei-Mann-Rennen ist.

PLATZ 2: JOEL EMBIID (Philadelphia 76ers)

  • Platzierung im Vormonat: 2
  • Teambilanz: 46-29, Platz 3 in der Eastern Conference
  • Stats 2021/22: 29,9 Punkte, 11,4 Rebounds, 4,3 Assists und 1,4 Blocks bei 48,9 Prozent aus dem Feld und 36,4 Prozent von Downtown (in 62 von 75 Sixers-Spielen)

Embiid will den MVP-Award dagegen unbedingt, das machte er erst kürzlich im Podcast von Draymond Green und gegenüber nba.com deutlich. Sogar mehrere MVPs und mehrere DPOYs wolle er in seiner Karriere einsacken, sagte der 28-Jährige. Am liebsten natürlich angefangen mit dieser Saison. Und: "Er verdient ihn", ist sich Teamkollege James Harden sicher.

"Er hat die Mentalität eines Siegers und er punktet auf einem hohen Level. Er hat sich genau darauf vorbereitet, dass diese Saison eine seiner besten wird", erklärte Harden bei ESPN. Normalerweise sollte man solchen Aussagen von Wegbegleitern nicht allzu viel Bedeutung beimessen, schließlich sieht Lakers-Coach Frank Vogel auch Lakers-Star LeBron James als MVP. Muss er ja irgendwie auch, genauso wie Harden seinen neuen Co-Star unterstützen muss. Aber der Bärtige hat schon Recht: Embiid verdient den MVP-Award.

In diesem Jahr gibt es eben mehrere höchst qualifizierte Kandidaten, der Sixers-Center gehört dazu. Auch die Ankunft von Harden hat seine Argumente gegenteilig zu vorherigen Befürchtungen nicht geschmälert. Im März erzielte er zum Beispiel viermal in Folge mindestens 32 Punkte, kurz nach einer 43-Punkte-Show. Über die gesamte Saison hat niemand mehr Partien mit 30+ Zählern vorzuweisen als Embiid (35).

In diesen Spielen steht Philly bei 27-8, sein Einfluss geht aber natürlich weit über das schnöde Scoring hinaus, Stichwort Defense. Laut Harden mache "Dominanz" und "Einfluss aufs Gewinnen" einen MVP aus, Embiid macht 2021/22 hinter beiden Kästchen einen Haken. Philly hat gute Chancen auf den ersten Platz im Osten, den braucht Embiid wohl auch, um im SPOX-MVP-Ranking den aktuell Führenden tatsächlich noch zu verdrängen. Doch selbst mit dem 1-Seed wird es eng ...

NBA: Der MVP-Tracker von basketball-reference.com

PlatzNameMVP-Chancen
1.Nikola Jokic (Nuggets)40,2 Prozent
2.Giannis Antetokounmpo (Bucks)27,8 Prozent
3.Joel Embiid (Sixers)9,9 Prozent
4.Chris Paul (Suns)7,1 Prozent
5.Luka Doncic (Mavericks)3,1 Prozent

PLATZ 1: NIKOLA JOKIC (Denver Nuggets)

  • Platzierung im Vormonat: 1
  • Teambilanz: 46-31, Platz 5 in der Western Conference
  • Stats 2021/22: 26,5 Punkte, 13,6 Rebounds, 8,0 Assists und 1,4 Steals bei 58,0 Prozent aus dem Feld und 34,5 Prozent von Downtown (in 70 von 77 Nuggets-Spielen)

Immer wieder ist in der Gegenargumentation gegen den Joker als Wiederholungs-MVP von der Tabellenposition zu lesen. Denver nur auf Platz fünf heißt es da abfällig von den Embiid-Jüngern, gestützt von der Top-3-Platzierung der Sixers. Dieses Argument hat allerdings einen Haken, wenn man die Tabelle genauer aufdröselt.

Unterm Strich trennt die Nuggets und die Sixers bilanztechnisch nämlich nur ein Spiel. Auch wenn Denver in der Western Conference weiter unten steht und sogar noch ein wenig um das sichere Playoff-Ticket bangen muss, sind die beiden Konkurrenten mit ihren Teams was die Siegquote angeht fast gleichauf (DEN: 59,7 Prozent, PHI: 61,3 Prozent). Dieses Argument ist Stand jetzt also nichtig.

Was Jokic den knappen Vorteil gegenüber Embiid einbringt: Über seine sportliche Brillanz müssen wir wohl kaum mehr Worte verlieren, das haben wir in den vorherigen Ausgaben des MVP-Rankings bereits ausführlich getan, dem Serben gelingt dies allerdings mit deutlich weniger Hilfe im Vergleich zur Konkurrenz. So sieht der Blick auf die Game-Highs der Nuggets bei Punkten, Rebounds und Assists eigentlich schon die komplette Saison aus. Der Joker hat mit +18,2 die mit Abstand besten On/Off-Zahlen dieses Trios (Giannis: +9,9, Embiid: +9,6).

Was Jokic im Alleingang abreißt, verdient enormen Respekt. Und er macht es mit einer Konstanz, die ihresgleichen sucht. Als einziger Spieler findet man den 27-Jährigen von Saisonbeginn an in der Top 3 des SPOX-MVP-Rankings, er hat 70 von 77 Nuggets-Spielen absolviert - und damit einen Vorteil von acht Einsätzen gegenüber Giannis und Embiid. Der Joker könnte seine Spitzenposition wohl nur dann noch verlieren, wenn Denver im Saisonendspurt zu viele Spiele liegenlässt.