NBA-Kolumne Above the Break: James Harden und die Philadelphia 76ers - Warum für niemanden mehr auf dem Spiel steht

Ole Frerks
05. April 202208:26
James Harden ist bei den Philadelphia 76ers noch nicht zu 100 Prozent eingeschlagen.getty
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Für wohl keinen Spieler steht in den anstehenden Playoffs mehr auf dem Spiel als für James Harden. Wie präsentiert sich der 32-Jährige bisher bei den Philadelphia 76ers? Sagen wir so: Es ist kompliziert ...

Seit knapp zwei Monaten ist James Harden nun Teil der Philadelphia 76ers, hat 18 Spiele für sein neues Team absolviert. Zwölf Spiele davon haben die Sixers gewonnen, das klingt gut. 22 Punkte, 8 Rebounds und 10 Assists verzeichnet Harden im Schnitt für Philly, das klingt nach All-Star. 1,13 Punkte verzeichnet er pro Isolation, das klingt sogar noch besser, nach Superstar, nach Prime Harden. Die Realität jedoch ist ein bisschen komplizierter.

Es gab nun schon einige Spiele, in denen Harden eben nicht wie er selbst aussah, sondern abtauchte. Miese Spiele darf jeder mal haben, dass diese mehrfach ausgerechnet gegen die Top-Teams kamen, zu denen Philly ja auch gehören will und gegen die Harden einen Unterschied machen sollte, ist zumindest unglücklich.

Nüchtern betrachtet spielt Harden bisher gut, nicht überragend. Wie ein Star auf jeden Fall, aber nicht wie der Superstar früherer Tage. Problematischer noch für die Sixers ist indes, dass dieser Umstand bei Harden nicht zu der Erkenntnis zu führen scheint, dass er sein Spiel entsprechend anpassen sollte.

Harden hat Ansätze gezeigt, gerade in den ersten Spielen wirkte er Off-Ball richtiggehend engagiert. Für den Moment muss sich jedoch festhalten lassen, dass das eher Ausnahmen waren. Oft wirkt es so: Die anderen Sixers machen ihr Ding, Harden macht seins. Auf diesem Weg wird Philly seine Ziele aber nicht erreichen - und Harden wohl auch nicht.

James Harden: Ihr macht das schon!

Offensiv lassen sich drei primäre Probleme identifizieren. Das erste ist eins, welches Harden am leichtesten selbst fixen könnte. Wir bezeichnen es als "Rumstehen, wenn er den Ball nicht hat". Dieses Bild verdeutlicht es ganz gut:

Theoretisch könnte James Harden einen weiteren Verteidiger binden.nba.com

Harden ist in die Offense involviert, wenn er selbst die Entscheidungen trifft. Wenn er den Ball jedoch abgegeben hat, ist er sehr oft nicht mehr als eine Salzsäule, die an der Dreierlinie herumsteht. Und hat dabei keine Shooting Gravity, was merkwürdig erscheint, schließlich hat Harden die drittmeisten Dreier der NBA-Geschichte versenkt und ist einer ihrer besten Shooter.

Harden bevorzugt jedoch nicht die Würfe, die ihm aus diesem Setup heraus ermöglicht werden könnten. Seit Jahren hat er kein Interesse an Catch-and-Shoot, sondern nimmt seine Würfe, nachdem er gedribbelt und am liebsten einen Schritt zurück genommen hat.

Harden nimmt in dieser Saison 1,1 Dreier pro Spiel, ohne vorher gedribbelt zu haben. Zur Einordnung: Sein "Vorgänger" in Philly, Seth Curry, nahm knapp vier dieser Würfe. Harden will oben am Perimeter stehend oft nur passen, oder eben dribbeln - und seine Gegenspieler wissen das. Deshalb wissen gegnerische Teams, dass Harden oben keine unmittelbare Gefahr als Scorer ausstrahlt, und helfen von ihm aus, etwa hier gegen Embiid im Post.

Immerhin steht James Harden nicht ganz aufrecht.nba.com/stats

Der Kameruner hat zwar nach Jahren mit Ben Simmons jede Menge Erfahrung, im Halbfeld 4-gegen-5 zu spielen - eigentlich sollte das mit Harden aber vorbei sein. Das ist fast schon Negative Gravity! Und es wäre recht einfach vermeidbar, wenn Harden mehr Catch-and-Shoot-Bereitschaft und/oder mehr Bewegung ohne Ball an den Tag legen würde.

In einigen wenigen Aktionen sah man Harden schon als Screener, das ist zumindest ein Anfang. Gegen gut vorbereitete Playoff-Defenses wird es aber noch viel mehr davon geben müssen.

James Harden: Am Ball überragend ... oder?

Auch mit dem Ball in der Hand wechseln sich Licht und Schatten bisweilen ab. Harden ist mit einigem Abstand der beste Passer im Team, er hat sowohl Embiid als auch Tyrese Maxey oder Tobias Harris schon zu etlichen leichten Abschlüssen verholfen, die sie vorher nicht hatten. Er macht die Offense viel besser, um satte 13,1 Punkte pro 100 Ballbesitze laut Cleaning the Glass.

Es ist also Meckern auf hohem Niveau, ganz ohne geht es trotzdem nicht. Harden ist ein bereitwilliger Passer, dennoch hat er manchmal nach wie vor die Tendenz, seine Mitspieler zu Statisten zu machen, wie es in Houston jahrelang praktiziert wurde. Und er winkt noch immer gern alle Mitspieler weg, um sein Ding zu machen.

Zu viel Bewegung ist auch nicht gut!nba.com/stats

Von Zeit zu Zeit ist das vollkommen okay, die Sixers haben ihn ja auch für diese Fähigkeit geholt, aus der Isolation Punkte zu kreieren. Es sollte nur eben nicht das primäre Ziel sein, einen Stepback-Dreier zu nehmen, wenn man eine noch bessere Option im Post stehen hat, die vielleicht sogar gerade einen kleineren Gegenspieler bei sich stehen hat.

Gerade nach dem Switch geht Harden bisher zu oft auf den eigenen Abschluss, statt Embiid zu füttern. Er ist aber aktuell nicht mehr der Terror gegen Mismatches, der er für viele Jahre war. Nekias Duncan (basketballnews.com) zufolge steht Harden aktuell bei 2/13 FG und 3 Ballverlusten, wenn er nach dem Switch gegen Embiids Verteidiger scoren wollte. Das ist schlecht!

Vor ein paar Jahren wäre Olynyk in diesem Szenario wohl Toast gewesen.nba.com/stats

Harden fehlt es nach seiner Oberschenkelverletzung aus den 2021er Playoffs noch immer an Explosivität, ein Problem, das sich schon zu Beginn der Saison in Brooklyn anbahnte. Wir erinnern uns: Damals wurden zudem neue Freiwurfregeln eingeführt, Harden kam kaum an die Linie, alle Welt dachte, seine Art des Spiels wäre auf einmal zum Scheitern verurteilt.

Nun, nein. In Philadelphia zieht Harden bei fast genau einem Viertel seiner Würfe ein Foul. Das ist (deutlich) mehr als je zuvor! Wenn Harden zu Beginn der Saison ein Opfer der neuen Regeln war, hat es mittlerweile eine heftige Überkorrektur gegeben. So gnädig waren die NBA-Refs ihm gegenüber tatsächlich noch nie und Harden nutzt dies liebend gerne aus.

Dieser Umstand birgt allerdings eine gewisse Gefahr. Um noch einmal auf Hardens starke Zahlen bei Isolationen zu kommen: Diese sind so gut, weil er in 30 Prozent der Fälle an der Freiwurflinie landet. Die Freiwürfe kaschieren, dass Harden in der aktuellen Saison ein unheimlich schlechter Finisher ist - nur 49 Prozent trifft er am Ring, damit liegt er satte 9 Prozentpunkte unter Ligadurchschnitt.

Solange er mehr Freiwürfe bekommt als jeder andere (Embiid ausgenommen), ist das nicht so schlimm. In den Playoffs wird jedoch traditionell mehr Kontakt erlaubt, ein Umstand, der Harden schon in Houston des Öfteren eingeholt hat. Was ist dann? Dann wird er zunehmend vom Stepback abhängig sein, wenn er die Defizite nicht anderweitig kompensiert.

In Korbnähe ist Harden alles andere als effizient.nba.com/stats

James Harden hat eine Zielscheibe auf dem Rücken

Auch die defensiven Probleme dürften in den Playoffs ein noch größeres Thema werden. Harden switcht am liebsten, das liegt jedoch Embiid nicht. Dessen Drop Coverage funktioniert allerdings auch nur bedingt, wenn der Flügelverteidiger gefühlt an jedem Screen hängen bleibt und eben nicht das Tempo hat, um die Lücke schnell zu schließen.

Das Spiel gegen die Suns lieferte hier einen Vorgeschmack, wie kluge Teams (gut: so klug wie Phoenix ist sonst niemand) dieses Duo attackieren werden. Harden wurde durch teilweise diverse Back-Screens immer wieder in die Aktion involviert, genau das dürfte ihm in den Playoffs noch öfter blühen.

Nicht jeder Pick&Roll-Ballhandler ist so gnadenlos wie Hardens Ex-Kumpel und heutige Nemesis Chris Paul, aber dieses Template dürften wir über die nächsten Wochen des Öfteren zu sehen bekommen ...

Chris Paul ist gemein.nba.com/stats

Kann Philly Harden "verstecken"?

Es wird sich zeigen, ob die Sixers dies kompensieren können, der Kader scheint indes nicht unbedingt perfekt dafür geeignet. Der mit Abstand beste Flügelverteidiger Matisse Thybulle ist offensiv limitiert und steht nur knapp 26 Minuten pro Spiel auf dem Court, Danny Green ist in die Jahre gekommen und nicht mehr die 3-and-D-Macht früherer Tage.

Maxey ist bemüht, aber körperlich vielen Guards unterlegen. Harris ist eher langsam, gerade auf dem Flügel, und teilt dieses Problem mit vielen Spielern im Kader. Mit Ausnahme von Maxey und Thybulle sind die Sixers ein sehr langsames Team, was ihnen gerade in Transition defensiv schadet.

Nur Atlanta und New York lassen mehr gegnerische Transition-Punkte pro Play zu als die Sixers, die auch hier oft in Unterzahl sind, weil sowohl Harden als auch Embiid nicht unbedingt jeden Weg zurück mitmachen. Die Nets etwa machten sich das sehr zunutze, als sie die Sixers Anfang März überrannten. In den Playoffs wird zwar langsamer gespielt, und die Sixers sind ein gutes Halfcourt-Team, aber ... wie gesagt, sie wirken angreifbar.

James Harden: Nicht nur die Legacy steht auf dem Spiel

Und so bleibt für den Moment ein gemischter Eindruck. Harden macht die Sixers besser, er bringt jedoch auch seine Herausforderungen mit. Die Zeiten, in denen er als Ein-Mann-Offense in Houston quasi einen Top-5-Wert garantieren konnte, scheinen vorbei zu sein, dafür fehlt es an Explosivität. Bisher hat die dadurch nötige Umstellung bei ihm nicht ausreichend stattgefunden.

Das wiederum bringt für die Sixers kurz- als auch mittelfristige Fragen mit. Sind sie gut genug, um einen tiefen Playoff-Run hinzulegen und den ersten Titel seit 1983 zu holen? Sind sie es nicht - was passiert dann? Fühlt sich die Organisation dann wohl damit, Harden über fünf weitere Jahre 270 Millionen Dollar zu zahlen, was in der Offseason möglich wäre?

Es steht viel auf dem Spiel für den Bärtigen. Seine Legacy sowieso - nachdem er binnen eines Jahres zwei Trades erzwungen hat, gibt es keine Entschuldigungen mehr, und seine (zahlreichen) Kritiker werden sich bereitwillig darauf stürzen, wenn er in den Playoffs erneut nicht den ganz großen Wurf landet. Aber eben nicht nur die Legacy.

Gut ist nicht gut genug. Niemand hat in den anstehenden Playoffs mehr zu beweisen als James Harden.