NBA - Daniel Theis von den Boston Celtics im Interview: Houston? "Dafür wurde ich zum Sündenbock gemacht"

Ole Frerks
14. April 202209:05
Daniel Theis will mit den Celtics in den Playoffs für Furore sorgen.getty
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Daniel Theis geht mit einem der heißesten Teams der NBA in die Playoffs. SPOX sprach mit dem 30-Jährigen über seine turbulente Saison, die Gründe für den Aufschwung der Boston Celtics und die Ambitionen seines Teams.

Theis verrät zudem, warum er sich bei den Houston Rockets nicht wohlfühlte, wie es war, für seinen Kumpel Dennis Schröder getradet zu werden, und vergleicht Ime Udoka mit Coaches in Europa.

Herr Theis, erstmal herzlichen Glückwunsch zu Platz zwei! Noch vor wenigen Monaten galt Boston als Enttäuschung, über die vergangenen Monate war nun kein Team im Osten besser. Woran liegt es, dass es mittlerweile so gut funktioniert?

Daniel Theis: Danke. Das Team war ja schon sehr gut, als ich per Trade hierherkam, der Lauf hatte schon begonnen. Es wurden Automatismen gefunden und aufgebaut und es haben alle verstanden, dass man nicht in alte Gewohnheiten zurückfallen sollte. Es hat einfach Klick gemacht nach dem durchwachsenen Saisonstart. Wenn man erstmal so erfolgreich spielt und reihenweise Spiele gewinnt, dann will man auch nicht aufhören.

Für Sie war es erst recht nicht absehbar, auf einmal ganz oben mitzuspielen. Ihre Saison begann in Houston, wo es von Anfang an nicht um Siege ging. Wissen Sie diese Situation in Boston nun umso mehr zu schätzen?

Theis: Auf jeden Fall. Ich habe mich hier in Boston schon immer wohlgefühlt, aber man bekommt eine andere Perspektive, wenn man zwischendurch in einer Situation war, in der das nicht der Fall ist. Ich wusste bei meiner Unterschrift in Houston, dass es dort um einen Neuaufbau ging, es war dennoch nicht schön, wie es dort lief.

Was hat Sie bei den Rockets gestört?

Theis: Wir haben zu Saisonbeginn mal 16 Spiele in Folge verloren. Dafür wurde ich zum Sündenbock gemacht. Ich habe meinen Platz als Starter verloren und wurde nur noch gelegentlich eingesetzt, als wäre ich der Hauptschuldige. Ich habe versucht, professionell zu bleiben und den jüngeren Spielern zu helfen, das sollte sowieso Teil meiner Rolle sein, aber ich hatte mir das schon anders vorgestellt. Ich hatte ja nicht aus Zufall für vier Jahre unterschrieben.

Hat sich dadurch schon früh für Sie abgezeichnet, dass Sie nicht einmal diese Saison in Houston beenden würden?

Theis: Ich habe nie einen Trade gefordert. Aber es gab schon recht früh den Gedanken, dass es nicht passt, dass beide Seiten eigentlich andere Vorstellungen hatten. Wir haben uns mit dem Front Office ausgetauscht über meinen Agenten, ich habe auch signalisiert, dass ich im Fall der Fälle gerne wieder nach Boston gehen würde. Aber ich wusste, dass da viel zusammenkommen muss. Es hat tatsächlich bis 15 Minuten vor der Deadline gedauert, dann passte es auf einmal. Ich wäre sonst aber auch in Houston professionell geblieben. Man will nie getradet werden, wenn nicht irgendetwas Heftiges vorgefallen ist. Es betrifft ja die ganze Familie, die Kinder.

Daniel Theis absolvierte trotz eines neuen, lukrativen Vertrags nur 26 Partien für Houston.getty

Daniel Theis: "Ich habe Schröder mein Haus angeboten"

Wie muss man sich den Tag des Trades vorstellen? Werden Sie von Ihrem Agenten informiert oder aktualisieren Sie auch permanent Twitter wie die Fans und Journalisten?

Theis: Es ist eine Mischung. Man hört vorher schon mal etwas. Ich wusste an dem Tag, dass es die Möglichkeit mit Boston gibt, aber dass dafür erst noch etwas anderes passieren musste und dass es überhaupt nicht garantiert war. Ich war also selbst gespannt, wobei ich hier weniger Twitter nutze, es gibt ja SportsCenter im Fernsehen, wo man die ganzen Transaktionen mitbekommt. Der Tag an sich war eigentlich ein Spieltag, ich habe meine normale Routine durchgeführt, um mich vorzubereiten. Und dann ist es eben passiert.

Der Trade war dadurch etwas speziell, weil Sie unter anderem für Ihren Freund Dennis Schröder getauscht wurden. Haben Sie mit ihm mal darüber gesprochen? Er hatte sich die Saison ja vermutlich auch anders vorgestellt.

Theis: Wir hatten damals kurz gesprochen, aber nicht wirklich ausführlich. Man hat sehr schnell sehr viel zu organisieren, das Leben ändert sich komplett auf einen Schlag, deswegen blieb nicht viel Zeit.

Als Josh Hart und Larry Nance füreinander getradet wurden, ebenfalls gute Freunde, haben diese kurzerhand die Häuser getauscht.

Theis: Ich habe ihm mein Haus in Houston tatsächlich angeboten. (lacht) Es war aber nicht die richtige Situation dafür, er ist ja Free Agent im Sommer. Vielleicht sprechen wir noch einmal drüber, wenn er einen neuen Deal unterschreibt.

Wie lief der Umzug bei Ihnen?

Theis: Ich habe seither im Hotel gelebt. Meine Familie ist jetzt erst nachgekommen und wir hatten das Glück, ein Haus zu finden. Ich bin gerade noch am Auspacken, das ist mein trainingsfreier Tag. (lacht) Das tut sehr gut, dass sie jetzt endlich da sind. Es hilft uns auch, dass wir hier die Stadt und sehr viele Leute kennen, da braucht es nicht lange, um sich wieder einzugewöhnen.

Celtics-Big Daniel Theis: "Das sind doch Streicheleinheiten"

Das gilt vermutlich auch für das Team, oder? Neu ist eigentlich nur der Head Coach.

Theis: So lange war ich ja wirklich nicht weg. Ich habe hier mit jedem schon vorher zusammen gespielt außer mit Derrick White, der zeitgleich mit mir zum Team kam. Das hilft massiv, auch wenn wir nicht mehr exakt so spielen wie vorher. Manche Automatismen sind noch da, ich musste in erster Linie nur den Coach kennenlernen und er mich.

Wie ist Ihr Eindruck von Ime Udoka?

Theis: Er weiß auf jeden Fall, was er tut, er hat seine Ideen offensiv und defensiv und diese ergeben alle Sinn. Was auch sehr wichtig ist: Er zieht jeden zur Rechenschaft und spricht Fehler an, egal ob ich die mache, Grant Williams oder Jayson Tatum. Jeder wird exakt gleich behandelt. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es sich anhört.

Unterscheidet er sich arg von Brad Stevens?

Theis: Stevens hat auch sehr hohe Ansprüche. Aber Coach Udoka ist direkter in seiner Kommunikation. Bei ihm hörst du schon mal ein: "Was zum Teufel machst du da?" oder "Der Scheiß geht so nicht". Stevens war netter, er hat seine Kritik zumindest netter ausgedrückt. Aber ich finde das sehr gut so. Ich meine, ich komme aus Europa. (lacht) Wenn hier Leute etwas für sehr direkt halten, denke ich oft immer noch, das sind doch Streicheleinheiten. Da bekommst du von europäischen Coaches ganz andere Ansagen.

Sie hatten schon angesprochen, dass Udoka auch taktisch einiges verändert hat. Was denn im Detail? Hat es für Sie eine Weile gedauert, um sich zurechtzufinden?

Theis: Zum einen ist da die Rolle von Rob [Robert Williams, d. Red.]. Er wurde während der Saison vom gegnerischen Big Man weggezogen und beim schlechtesten Werfer des Gegners geparkt, damit er ständig aushelfen kann als Shotblocker. Das bot sich an, weil Rob diese unglaubliche Athletik hat, er kann aus der Halle springen. Dadurch ist mehr Absicherung da als bei jedem anderen Team, das ist einer der Gründe, weshalb wir über die vergangenen Monate die mit Abstand beste Defense der Liga hatten. Offensiv ... naja, Basketball ist Basketball. Man muss ein paar Systeme lernen, aber im Wesentlichen geht es darum, zusammenzuspielen, den Ball viel zu bewegen und solche Grundprinzipien.

Ihre Rolle hat sich kürzlich noch deutlich vergrößert, weil sich Williams einen Meniskusriss zugezogen hat. Sollen Sie jetzt spielen wie er?

Theis: Ja und nein. Niemand kann so spielen wie Rob, weil niemand so athletisch, so schnell und so lang ist. Giannis Antetokounmpo kann das, früher vielleicht mal DeAndre Jordan, sonst ist das einzigartig. Das wissen wir als Team, deswegen nimmt jeder seinen Job in der Defense jetzt noch ernster, weil er nicht mehr alles ausbügeln kann. Aber Al [Horford] und ich versuchen, den Ausfall zu kompensieren. Auch wir können switchen, können das Pick'n'Roll ganz normal verteidigen, können abseits des Balles den Ring beschützen. Es sieht bei uns eben etwas anders aus als bei Rob.

Ist das generell der Schlüssel für diese Celtics-Defense, dass im Prinzip der gesamte Kader Defense spielen und dabei vor allem auch so flexibel sein kann?

Theis: Es ist eine einzigartige Defense. Kein anderes Team spielt so und andere Teams wissen daher nicht, wie sie attackieren sollen. Das ist das Schematische, aber es ist auch der Einsatz. Wir sind immer körperlich da, selbst wenn wir viel switchen, wir lassen den Gegner permanent arbeiten. Die Stops verschaffen uns auf der Gegenseite leichte Punkte und Transition-Möglichkeiten, es macht die Offense so viel simpler. Und ja, wir bieten wenig Angriffsfläche. Es gibt bei uns nicht den Spieler, den sich andere immer rauspicken. Und selbst wenn, wir haben das System, ihn zu beschützen. Bald haben wir hoffentlich auch Rob zurück. Er ist nicht so weit weg, wie viele denken.

Sie haben die simplere Offense angesprochen. Es wirkt von außen auch so, als würde sich der Ball viel besser bewegen als noch zuletzt unter Stevens. Ist der Eindruck korrekt?

Theis: Definitiv. Wir waren zu sehr von Isolationen abhängig. Jetzt ist der Standard, dass sich der Ball bewegen muss. An gewissen Punkten brauchst du Isolationen, das wird auch in den Playoffs wichtig sein und man soll diese Matchups attackieren, wenn sie da sind. Aber grundsätzlich legt Coach einen riesigen Wert auf Assists. Gegen Chicago kam er neulich zur Halbzeit in den Locker Room und lobte die 20 Assists bei 25 Field Goals, das ist das Erste, was er sagt und was ihn interessiert. Nicht die 20-Punkte-Führung, lieber die 20 Assists.

Daniel Theis: Playoff-Duell mit den Nets? "Wir glauben an uns"

Noch zu Beginn der Saison kritisierte Marcus Smart öffentlich Jayson Tatum und Jaylen Brown, weil sie "nicht passen" wollten. Das wirkt jetzt überhaupt nicht mehr aktuell.

Theis: Zum einen haben sich alle im Team weiterentwickelt und jeder versteht jetzt, was seine Rolle ist. Was noch dazukommt: Hier haben jetzt alle langfristige Verträge und eine gewisse Sicherheit. Niemand muss auf seine Zahlen achten, weil er in seinem letzten Vertragsjahr ist. Jeder kann sich einfach auf das Ziel des Teams konzentrieren. Das fällt viel leichter, wenn Statistiken, die Finanzen und solche Themen keine Rolle spielen.

Am letzten Spieltag ließ Boston im Gegensatz zu Philly und Milwaukee das ganze Team spielen und holte den 2-Seed, statt zu taktieren, um vielleicht einem Duell mit Brooklyn zu entgehen. War das eine bewusste Entscheidung?

Theis: Die Konstellation hat es nicht wirklich hergegeben, dass wir den dritten Platz behalten. Wir hätten da auf andere Teams hoffen müssen. Als Team wollten wir auch nicht taktieren. Wir glauben an uns und es ist egal, gegen wen wir spielen. Wir müssen niemandem aus dem Weg gehen. Zumal der 2-Seed garantiert, dass wir in zwei Runden Heimvorteil haben. Das ist bei unseren Fans schon wertvoll. Wir fühlen uns wie das Team, das man schlagen muss.

Außerdem provoziert man durch Taktieren die Basketball-Götter.

Theis (lacht): Richtig.

NBA Playoffs - Celtics vs. Nets: Die Serie im Überblick

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärts
117. April21.30 UhrBoston CelticsBrooklyn Nets
221. April1 UhrBoston CelticsBrooklyn Nets
323. AprilTBDBrooklyn NetsBoston Celtics
426. AprilTBDBrooklyn NetsBoston Celtics
5*28. AprilTBDBoston CelticsBrooklyn Nets
6*30. AprilTBDBrooklyn NetsBoston Celtics
7*1. MaiTBDBoston CelticsBrooklyn Nets

*falls nötig

Daniel Theis über die Heim-EM und Magic-Rookie Franz Wagner

Zum Ende der Regular Season hin wurde und wird auch wieder viel über das Thema MVP gesprochen. Sie haben es als Verteidiger mit allen drei Favoriten schon oft zu tun bekommen. Wer wäre Ihr Pick?

Theis: Die drei sind wirklich unheimlich gut. Joel Embiid tritt wohl am dominantesten auf, Nikola Jokic ist derjenige mit den meisten Skills, der seine Teammates viel besser macht, Giannis ist ... naja, Giannis. Es ist echt schwierig. Es gibt ja auch noch Devin Booker, der für das beste Team der Liga 25, 5 und 5 auflegt und kaum Thema ist. Im Endeffekt wird es denke ich Joel werden. Ich glaube, dass er es dieses Jahr verdient.

Bei den Celtics gibt es mit Marcus Smart auch einen heißen Award-Kandidaten. Normalerweise gewinnen den Defensive Player of the Year eher Bigs. Kann er es als Guard trotzdem schaffen?

Theis: Er verdient es auf jeden Fall! Er ist der beste Verteidiger beim besten Defensiv-Team. Er kann alle Positionen verteidigen. Die großen Spieler waren oft Favoriten bei diesem Award, weil man nur auf Rebounds oder Blocks geschaut hat, aber Rebounds und Blocks alleine machen keinen guten Verteidiger. Ich hoffe, dass Marcus' Leistungen anerkannt werden und dass er genau wie Rob auch im All-Defensive First Team steht. Das Problem bei Defense ist halt, dass man sich die Spiele wirklich anschauen muss, um zu verstehen, was jemand wie Marcus macht. Er wird nicht wie Rudy Gobert Spiele mit 15 Rebounds und 6 Blocks haben, aber das macht ihn nicht zu einem schlechteren Verteidiger.

Abschließend: Jetzt stehen erstmal die Playoffs an, danach die Europameisterschaft zuhause. Werden Sie dabei sein?

Theis: Stand jetzt: Ja! Ich habe große Lust auf die Heim-EM. Wenn alle dabei sind, haben wir ein sehr, sehr gutes Team. Ich hoffe, dass ich jetzt eine lange Postseason vor mir habe, aber es sollte genug Zeit sein, um sich danach zu erholen und sich auf das Turnier vorzubereiten. Ich habe mich vor ein paar Wochen zum ersten Mal mit Coach Gordon Herbert getroffen, als wir in San Francisco waren. Das war ein sehr gutes Gespräch, ich kannte ihn ja auch noch von früher aus Frankfurt. Wir hoffen, dass wir alle Jungs an Bord haben und dann bei der EM etwas erreichen.

Einer davon könnte auch Franz Wagner sein. Wie haben Sie den Rookie erlebt in diesem Jahr?

Theis: Ich war auf jeden Fall positiv überrascht. Ich verfolge College-Basketball nicht so viel, habe halt mitgekriegt, dass er hoch gedraftet wurde, und er ist dann richtig eingeschlagen. Es hilft, wenn man bei einem jungen Team ist und direkt die Möglichkeit hat, viel zu spielen, sich zu entwickeln, auch Fehler zu machen. Gerade offensiv hat er wirklich viel Potenzial gezeigt. Es würde mich sehr freuen, im Sommer mit ihm zusammen zu spielen.