NBA Playoffs - Sixers zittern nach 3-0-Führung gegen Toronto: Der Kampf gegen alte Dämonen

Robert Arndt
27. April 202209:30
James Harden hat nicht den besten Ruf in den Playoffs.getty
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Die Philadelphia 76ers wackeln. Zweimal verpassten die Sixers es nun gegen die Toronto Raptors, den Sack zuzumachen. Nun geht es wieder nach Kanada und langsam macht sich Unruhe breit, vor allem bei Franchise-Star Joel Embiid. James Harden muss jetzt liefern.

Es ist nicht einmal eine Woche her, als Joel Embiid ganz Toronto zum Schweigen brachte. Ein Turnaround-Jumper von der Dreierlinie rettete ein schwaches Sixers-Team in der Verlängerung und die Gäste mogelten sich irgendwie zu einer 3-0-Serienführung. Embiid jubelte, schließlich ist diese Serie für ihn auch Vergangenheitsbewältigung.

Knapp drei Jahre ist es her, als Philadelphia dem späteren Champion in den Conference Semifinals alles abverlangte und am Ende durch den ikonischen Wurf von Kawhi Leonard in Spiel 7 mit der Schlusssirene verlor. Nach Spiel 3 schien der Bock endlich umgestoßen und so tönte der MVP-Kandidat beim Weg in die Kabine zu Rapper Drake: "Ich komme wieder - für den Sweep."

Eine Woche später sonnen sich Pascal Siakam und Co. aber immer noch nicht am Strand von Cancun. "Wir sind eine Truppe, die sehr widerstandsfähig ist", befand Raptors-Forward O.G. Anunoby, der auch angab, dass die Mannschaft keine Angst vor einer möglichen aufgeheizten Atmosphäre in Philly hatte.

Aufgeheizt war womöglich das falsche Wort, feindlich trifft es schon eher - jedoch gegenüber der eigenen Mannschaft. In wohl keiner NBA-Arena dürfte es Buhrufe für die Heimmannschaft hageln, die ihre Serie mit 3-1 anführt und zur Pause gerade einmal mit 13 Punkten hinten liegt. In Philadelphia ist das möglich und weiß Gott kein Einzelfall.

Sixers: Joel Embiid fordert mehr von James Harden

Nach zwei Siegen der Raptors am Stück droht den Sixers eine Nervenschlacht, Spiel 6 dürfte der erste echte Stresstest für ein Team sein, welches seit dem Trade für James Harden im Februar weiterhin auf der Suche nach sich selbst ist. Die Flitterwochen sind lange vorbei und auch Embiid, der mit einer Bänderverletzung im Daumen auf die Zähne beißt, scheint langsam ungeduldig zu werden.

"Ich sage es nun schon seit er hier ist. Er muss aggressiv spielen und einfach er selbst sein", forderte der Center nach einer abermals schwachen Vorstellung von Harden in Spiel 5. 15 Punkte bei 4/11 aus dem Feld, dazu nur 7 Assists bei 5 Ballverlusten sind nicht das, was sich die Sixers vom neunfachen All-Star erhofft hatten.

Der 32-Jährige legt bisher durchschnittlich 18,4 Punkte und 9,2 Dimes im Schnitt auf, die Wurfquoten von 37 Prozent aus dem Feld und 37,9 Prozent von der Dreierlinie lassen aber arg zu wünschen übrig. Harden wirkt zögerlich und nimmt überhaupt nur gut 13 Würfe pro Spiel. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, als Harden schlafwandelnd 30 Zähler pro Partie auflegte.

Auch Embiid scheint dies zu wundern, mehrfach forderte er von Harden, mehr zu werfen, obwohl er selbst dies nicht als seine Aufgabe ansieht. "Das muss wahrscheinlich der Coach machen und mit ihm reden. Er muss ihm sagen, dass James mehr Würfe nehmen soll, vor allem wenn sie mich so verteidigen, wie sie es in dieser Serie machen."

Sixers: James Harden ist oft zu passiv

Der 28-Jährige hat damit nicht unrecht. Harden ist es, der den Ball die meiste Zeit in seinen Händen hält und damit hauptverantwortlich dafür ist, wie Phillys Offense läuft. In den ersten beiden Spielen hatten die Sixers zum Beispiel zusammengerechnet 31 Punkte mehr in Transition erzielt als die Kanadier, in Spiel 5 ging das Duell klar an die Raptors (24:16). Toronto hat es geschafft, die Sixers auszubremsen und diese in mehr Halfcourt-Sets zu zwingen.

Kurioserweise half den Raptors dabei auch der Ausfall von Fred VanVleet, an dessen Stelle Precious Achiuwa in die Starting Five rückte. Es erlaubte den Raptors noch bessere Switch-Defense zu spielen, sodass die Sixers überhaupt nur 31 Abschlüsse in der Zone nahmen. Vor allem Harden ist inzwischen an einem Punkt in seiner Karriere, wo er kaum noch seinen Gegenspieler im Eins-gegen-Eins so klar schlagen kann, dass dieser ihn beim Drive in die Zone nicht mehr beeinflussen kann.

Wenn dann auch noch Philadelphias explosivster Scorer in Tyrese Maxey (12, 5/14 in Spiel 5) einen schwachen Tag erwischt, haben die Sixers große Probleme, effizient zu scoren. In der Nacht auf Mittwoch hatten die Gastgeber laut Cleaning the Glass ein desaströses Offensiv-Rating von 77,2 im Halbfeld.

Sixers vs. Raptors: Die Serie im Überblick

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärtsErgebnis
117. April0 UhrPhiladelphia 76ersToronto Raptors131:111
219. April1.30 UhrPhiladelphia 76ersToronto Raptors112:97
321. April2 UhrToronto RaptorsPhiladelphia 76ers101:104 OT
423. April20 UhrToronto RaptorsPhiladelphia 76ers110:102
525. April1 UhrPhiladelphia 76ersToronto Raptors88:103
628. April1 UhrToronto RaptorsPhiladelphia 76ers-
7*1. MaiTBDBoston CelticsToronto Raptors-

*falls nötig

Sixers: Joel Embiid soll müde gemacht werden

Genau darauf setzen aber die Raptors. Jeder außer Embiid darf Toronto schlagen, nur eben nicht der All-Star-Center, der selten bis nie nur im Eins-gegen-Eins zu Werke gehen darf. Hilfe ist stets in der Nähe, wohl wissend, dass die Raptors mit ihren vielen langen Forwards stets in der Lage sind, schnell genug zurück zu den Schützen zu rotieren. Dies kostet Kraft, doch Teams von Nick Nurse sind bekannt für ihre intensive Spielweise und dafür entsprechend gerüstet.

Hier ist ein gutes Beispiel für die vielen Double Teams. Selbst auf Höhe der Freiwurflinie kommt Siakam zur Hilfe. Embiid ahnt es, hat aber für seinen Drive nicht die beste Position und wird von Achiuwa gnadenlos abgeräumt.

Embiid versucht vor dem Double Team zu fliehen - und wird geblocktNBA.com/stats

Natürlich ist es nicht so, dass es darauf keine Lösungen gibt. Hier mal ein positives Beispiel für die Sixers, als Embiid und Harden schnell und entschlossen Entscheidungen treffen und Tobias Harris einen Trainingswurf aus der Ecke ermöglichen. Davon trafen die Gastgeber aber zu wenig. Die Sixers erspielten sich zwar 19 völlig offene Dreier laut NBA.com/stats, drei mehr als durchschnittlich in der Serie, trafen davon aber gerade einmal vier, also eiskalte 21 Prozent.

Embiid und Harden ermöglichen mit schnellen Entscheidungen einen offenen Dreier.NBA.com/stats

Es zeigt aber auch, dass Embiid von den Raptors konstant in Stresssituationen gebracht wird. Der Kameruner hat die Tendenz, über eine Serie etwas abzubauen, erste Anzeichen waren auch in den letzten beiden Partien zu bemerken, unabhängig von der unglücklichen Daumenverletzung.

Joel Embiid: Seine Stats in den ersten fünf Spielen

SpielMINPTSFG3PFTREBAST
137:09195/150/29/11154
237:14319/161/212/14110
344:283312/203/86/9132
439:21217/160/17/983
539:39207/150/46/6114

Sixers-Offense entscheidet die Serie

Viel offensichtlicher wurde der Verschleiß von Embiid im dritten Viertel, als Torontos Frontcourt den Franchise-Star der Sixers bloßstellte. Achiuwa, Anunoby und Siakam scorten fünfmal in Folge (!) in Ringnähe (einmal durch Freiwürfe), indem sie Embiid attackierten, das sollte einem der besten Verteidiger der NBA eigentlich nicht passieren.

"Ich war in dieser Phase furchtbar", gab auch Embiid selbst zu. "Dafür gibt es keine Erklärung. Ich muss mich mehr reinhängen und meine Füße besser bewegen." Letztlich ist dies aber nur ein Randaspekt, da diese Serie mit Phillys Offense steht und fällt. Bei allem Lob für die Raptors fehlt den Kanadiern die Firepower und ein echter Go-to-Guy im Angriff, um ein echtes Top-Team zu sein.

Auch Embiid weiß das: "Bei uns ist alles okay. Es gibt Gründe dafür, warum wir drei Spiele am Stück gewonnen haben. Die letzten beiden Spiele haben wir im Angriff nicht das gezeigt, was wir können und das ist auch der Grund für die Niederlagen." Und damit wären wir auch wieder bei Harden angekommen, den die Sixers für das Ball Movement und Scoring so sehr benötigen.

Hat Harden doch noch einen Extra-Gang in sich oder sind die Raptors mit ihrer Länge und Athletik tatsächlich das befürchtet undankbare Matchup? Hier nur mal ein Beispiel, wie schwer es der Guard gegen die Defense der Raptors hat. So oder so, aufgrund der zahlreichen Playoff-Enttäuschungen der vergangenen Jahre werden auch in der Nacht auf Freitag wieder viele Augen auf den 32-Jährigen gerichtet sein.

Harden, Embiid und Rivers gegen alte Dämonen

Aber nicht nur Harden dürfte Druck verspüren. Es ist nun 19 Jahre her, dass ein Team in einer Best-of-Seven-Serie nach 0-3-Rückstand zumindest mal ein siebtes Spiel erzwingen konnte. Wäre es nicht passend, wenn ausgerechnet die Sixers der Gegner wären? Coach Rivers hat als einziger HC der NBA bereits drei 3-1-Führungen verspielt, sieben der letzten acht Elimination Games hat er verloren - eine gruselige Statistik.

Und auch Embiids Playoff-Karriere ist mit Enttäuschungen gepflastert. In bisher fünf Postseasons konnten seine Teams nur drei Serien gewinnen, spätestens in den Conference Semifinals war immer Schluss. Dazu kommt der vermeintliche Heimvorteil in einem möglichen Spiel 7. Wer erinnert sich nicht daran, wie gelähmt die Sixers im Vorjahr gegen Atlanta auftraten und das galt nicht nur für Ben Simmons und dessen Dunk-Verweigerung.

Die kommenden Tage könnten schon jetzt zu einer Nervenprobe für ein Philly-Team werden, welches wie schon in den vergangenen Jahren erstaunlich labil wirkt. Embiid, Harden, Rivers - was soll schon schiefgehen?