Deandre Ayton ist dem Ruf zufolge genau die Art von Big Man, die den Dallas Mavericks und ihrem Small-Ball wehtun sollte. Zuletzt hat er das aber nicht getan. Warum der Mann von den Bahamas kurz vor seiner Free Agency noch immer ein Rätsel ist.
Die Postseason ist traditionell die Jahreszeit, in der Annahmen korrigiert werden müssen. In der Regular Season werden die Stärken von Teams und Spielern akzentuiert, in den Playoffs geht es um Fehler, um Schwächen, die entblößt werden, auch auf dem höchsten Niveau. Auch beim besten Team der Liga.
Die Suns waren das dominante Team dieser Spielzeit, weil sie vermeintlich keine Schwächen hatten, weil sie eingespielt waren, smarter als alle anderen, weil sie Fehler vermieden, weil sie funktionierten wie ein Uhrwerk. Das war in der Serie gegen Dallas nun aber in zwei Spielen nicht mehr der Fall. Phoenix war in beiden Partien keineswegs chancenlos, aber diktiert wurden sie von den Mavs. Dallas holte die Serie vom frisch gemähten Rasen irgendwo in den Schlamm, nahm ihr Tempo und Flow.
Vieles konzentrierte sich dabei richtigerweise auf Chris Paul, der back-to-back vielleicht seine zwei am wenigsten Chris Paul-igen Spiele im Suns-Dress hinlegte. Es sind allerdings auch die sekundären und tertiären Optionen, die Phoenix normalerweise so stark machen, die zuletzt ein Stück weit abgetaucht sind.
Mikal Bridges ist einer der besten Off-Ball-Spieler der Liga, in den vergangenen beiden Spielen kam er kombiniert nur auf 18 Punkte bei 8/23 aus dem Feld. Deandre Ayton wiederum kam jeweils auf Double-Doubles mit 16 beziehungsweise 14 Punkten, die Zahlen waren in Ordnung. Ein richtiger Faktor jedoch? Das war der Big Man auch nicht. Jedenfalls nicht der, der er sein sollte.
Deandre Ayton: Der 16-Game-Player
Ayton hat seit dem vergangenen Jahr den Ruf, ein klassischer 16-Game-Player zu sein - sehr wertvoll während der Regular Season, aber noch wertvoller, wenn es wirklich um alles geht. Weil er im Gegensatz zu vielen anderen Bigs einerseits wenig defensive Angriffsfläche bietet und andererseits Small-Ball bestrafen kann.
Der Nr.1-Pick von 2018 war einer der Breakout-Stars der Playoffs 2021, traf 65,8 Prozent aus dem Feld und hatte im Prinzip auf alles eine Antwort, bis in den Finals der unglaubliche Hulk Giannis wartete. Entsprechend wunderten sich viele, dass die Suns ihm nicht bei der ersten Gelegenheit in der Offseason eine vorzeitige Vertragsverlängerung zu maximalen Konditionen vorlegten, wie es bei seinen Jahrgangskollegen wie Luka Doncic oder Trae Young der Fall war. Zum Streik hat das aber nicht geführt, im Gegenteil. Ayton kam besser zurück und stellte sich weiter komplett in den Dienst der Mannschaft.
Und er erweiterte sein Arsenal. Ayton verlagerte sein Wurfprofil ein kleines Stück weiter nach draußen, perfektionierte seinen Hakenwurf und wurde zum elitären Midrange-Schützen (56 Prozent), dem vierten (!) im Bunde der Suns. Überdies wurde er zu einem der besten Screener der Liga und somit zum perfekten Pick'n'Roll-Partner, vor allem für Paul.
Phoenix generierte in der Regular Season 1,25 Punkte pro Play, wenn Ayton als Roll-Man eingesetzt wurde - Topwert unter allen Spielern mit mindestens vier solcher Aktionen pro Spiel. In den Playoffs ist der Wert sogar noch höher, aktuell 1,43, will sagen: Pick'n'Roll-Plays mit Ayton sind im Prinzip überhaupt nicht zu verteidigen.
Warum sieht man gegen die Mavs dann nur so wenig davon?
Deandre Ayton: Seine Statistiken 21/22
Spiele | Punkte | FG% | Rebounds | Net-Rating | |
Regular Season | 58 | 17,2 | 63,4 | 10,2 | +9,6 |
Playoffs vs. NOLA | 6 | 20,5 | 70 | 9,8 | +4,7 |
Playoffs vs. Dallas | 4 | 16 | 56 | 8,3 | +3,6 |
Jason Kidd: "Ayton ist nicht Gobert"
Noch einmal zu den eingangs erwähnten Annahmen. Vor wenigen Tagen noch schien es vollkommen naheliegend, davon auszugehen, dass Ayton in diesem Sommer dann eben doch seinen Maximalvertrag bekommen würde, von Phoenix oder von sonstwem (er ist Restricted Free Agent). Verlieren kann man so einen Big Man eigentlich nicht.
Gegen die Pelicans stand er nicht nur defensiv seinen Mann, er war auch offensiv dominant, machte 21 Punkte im Schnitt bei 70 Prozent aus dem Feld (!) und ließ eigentlich nur die Frage offen, ob er nicht noch mehr Abschlüsse serviert bekommen sollte. In Spiel 1 gegen die Mavs knüpfte er mit 25 Punkten und 8 Rebounds nahtlos daran an, bevor es in Spiel 2 dann zu Foul-Trouble kam - und das Bild sich seither fast komplett gedreht hat.
Es ist ein wenig paradox: "Wir müssen uns umstellen", hatte Mavs-Coach Jason Kidd noch vor der Serie gesagt. "Wir spielen nicht mehr gegen Utah. Sie können dir in der Zone wehtun. Ayton und McGee sind nicht Gobert oder Whiteside. Diese Jungs können scoren, sie werden unsere Bigs auf die Probe stellen."
Eigentlich war es naheliegend, davon auszugehen, dass der Small-Ball der Mavs gegen Phoenix tatsächlich nicht so funktionieren würde, zumindest nicht so gut wie gegen Utah. Jemand wie Ayton könnte und sollte das schließlich bestrafen, und auf der Gegenseite könnte und sollte er ja mobil genug sein, um trotzdem kein negativer Faktor zu sein.
Die Realität zuletzt: Nun, irgendwie funktioniert es doch für die Mavs.
Wo ist der Platz für Deandre Ayton?
Die "klassischen" Bigs der Mavs sind mehr oder weniger verschwunden. Dwight Powell startete zwar stets, spielte bei beiden Siegen allerdings bloß zehn Minuten und sammelte in dieser Zeit in erster Linie Fouls ein. Ansonsten: Maxi Kleber oder gar Dorian Finney-Smith nominell auf der Fünf, also in Wirklichkeit Small-Ball, mit fünf fähigen Schützen und der größtmöglichen Switchability in der Defensive. Sehr ähnlich wie gegen Utah.
Den Mavs erlaubt das zum einen, dass ihre besten Spieler so viel wie möglich gleichzeitig auf dem Court stehen können (Kleber in dieser Form ist nebenbei einer der besten Bankspieler der Liga), zum anderen geht es natürlich auch um Shooting. Die kleinen Lineups können das Feld breitmachen, für Luka Doncic, aber auch für die anderen Spieler.
Denn Phoenix tat sich zuletzt schwer darin, einen defensiven "Platz" für Ayton zu finden. Sie begannen Spiel 4 in der Drop Coverage, damit er den Ring beschützen konnte, dadurch wurde Doncic jedoch zu (sehr) offenen Würfen eingeladen. Wenn der Big so absinkt, ist das schlichtweg viel zu einfach zu lösen.
nba.com/statsIm weiteren Spielverlauf setzten die Suns wesentlich mehr auf Switches, Dallas war jedoch auch darauf vorbereitet. In mehreren Situationen pickte sich Doncic Ayton heraus und tat diesem sogar noch den Gefallen, des Öfteren zum (an diesem Tag ineffektiven) Stepback-Dreier zu greifen. Problematischer wurde es für Phoenix, wenn er den Weg Richtung Zone suchte.
Hatte Doncic am Perimeter das Ayton-Matchup, fehlte Phoenix der Ringbeschützer. Zumal Dallas dann auch noch insbesondere durch Kleber dafür sorgte, dass niemand sonst so richtig gegen den Drive aushelfen konnte. Dieser Cut hätte weiland Marcin Gortat stolz gemacht! Und man sah ihn während der Partie wieder und wieder.
nba.com/statsDie Mavs schafften es wieder und wieder sehr gut, die Zuteilungen der Suns durcheinanderzubringen, und Doncic löste diese Situationen. Speziell Ayton war, wenn er nicht das Doncic-Matchup hatte, immer wieder in der Zwickmühle gefangen, dass er entweder draußen aushelfen oder eben doch in Korbnähe ein Hindernis darstellen wollte.
Szenen wie diese zeigen recht gut, warum Dallas allein 16 Eckendreier in dieser Partie nehmen konnte. Jae Crowder müsste aushelfen, aber Klebers Cut verlangsamt das Closeout genug für den offenen Wurf.
nba.com/statsDrives wie diese wiederum sah man von den Mavs auch gegen die Jazz ständig.
nba.com/statsPhoenix vs. Dallas: Im Schlamm
Generell war Doncic öfter als in Phoenix in der Lage, Kontakt zur gegnerischen Zone aufzunehmen und dort entweder selbst zu scoren oder den Pass zu finden. Die Suns halfen mehr aus als in den ersten Spielen, vielleicht zu viel - Dallas ist harmloser, wenn der Slowene der einzige echte Scorer ist. Vielleicht sieht Doncic ab Spiel 5 wieder mehr Single Coverage, vielleicht muss die Umstellung aber auch eher anderswo erfolgen.
Das weitaus größere Problem der Suns in den Spielen 3 und 4 war nämlich die eigene Offensive. 129 und 142 (!) Punkte pro 100 Ballbesitze erzielte Phoenix in den ersten beiden Spielen der Serie, in Dallas waren es nun 107 respektive 106 - schaurige Werte für ein Team mit einem so breiten Arsenal und so vielen Antworten auf nahezu jede Frage.
Ayton stand sinnbildlich für die Möglichkeiten, die Phoenix liegen ließ. Individuell waren die Leistungen von CP3 sicherlich problematischer, aber Ayton ist derjenige, der vermeintlich immer ein Mismatch haben sollte, der physisch dominieren kann, wenn Dallas klein spielt. Das schienen aber weder die Suns noch Ayton selbst so wirklich auf dem Schirm zu haben.
Deandre Ayton ist zu passiv
Einerseits ist da das Thema der eigenen Passivität. Ayton sieht zwar aus wie einer der körperlich imposantesten Spieler der Liga, er ist jedoch mitnichten eine Dampframme, eher ein Finesse-Spieler. Deswegen geht er quasi nie an die Freiwurflinie (2,4 pro Spiel), deswegen hat er regelmäßig Abschlüsse, bei denen man ihn schütteln und fragen will, warum er den Ball nicht einfach dunkt.
nba.com/statsEs ist andererseits aber auch eine Frage der generellen Ausrichtung der Suns. Ayton nahm in den vergangenen beiden Spielen jeweils zwölf Würfe, also genau sein Saisonschnitt. Gerade gegen die kleinen Mavs-Lineups sollten es eigentlich mehr sein. Aber die Suns liefen bisweilen erstaunlich wenige Pick'n'Rolls, obwohl Dallas auf genau diese Aktionen eigentlich keine gute Antwort hat.
Die Suns suchten Ayton jedoch wenig, auch nicht nach dem Switch. Hier beispielsweise könnte der Pass auf Ayton gegen den kleineren Finney-Smith gehen, stattdessen versucht sich Devin Booker in einer Isolation gegen Kleber. Natürlich kann Book diese Würfe treffen und tat das auch teilweise, aber Ayton hätte theoretisch eben das Mismatch. Auch Phoenix ist besser, wenn die Punkte nicht nur per Iso-Plays seiner Stars kreiert werden.
Warum werden die Mavericks nicht bestraft?
Dallas hat sich defensiv dazu verschrieben, oft zwei Verteidiger auf Phoenix' Perimeter-Stars zu schicken und es tunlichst zu vermeiden, dass Doncic alleine gegen Paul oder Booker ran muss wie in Spiel 2. Das bedeutet automatisch Freiräume für Spieler wie Bridges oder Ayton, aber der Ball muss sie auch finden - und sie müssen ihre Vorteile konsequent nutzen.
Tun sie das nicht, tut vor allem Ayton das nicht, dann spielt das den Mavs in die Karten. Deren beste Option ist eben Small-Ball, gerne auch über 40 Minuten. Mit ein paar Offensiv-Rebounds von Ayton können sie durchaus leben, wenn er sie ansonsten nicht für ihre Switches und die riesige Aufmerksamkeit speziell für Booker bestraft.
Eigentlich sollte er das können. Ayton ist tatsächlich kein Gobert. Nur: Was genau ist er? Sein Skillset geht über das eines Rollenspielers hinaus. Wie ein Star tritt er jedoch auch nicht auf, beziehungsweise er wird nicht so eingesetzt. Das "in den Dienst der Mannschaft stellen" ist eigentlich eine tolle Qualität und elementar für den Erfolg der Suns der vergangenen zwei Jahre, aber es bleibt so auch ein Stück weit ein Rätsel, wie gut er wirklich ist.
Deandre Ayton: Bezahlt wird er so oder so, oder?
Um noch einmal auf das Thema Vertrag zurückzukommen. Die verbleibenden Spiele dieser Serie oder dieser Postseason sind vermutlich kein Referendum - Ayton wird bezahlt werden. Es bleibt dabei, dass das, was er kann, unglaublich wertvoll in der modernen NBA ist. Es gibt nur wenige Bigs, die die Fähigkeiten besitzen, um im modernen Playoff-Basketball gegen alle möglichen verschiedenen Systeme auf dem Court stehen zu können.
Man muss diese Fähigkeiten nur eben auch nutzen. Und eigentlich sollte dies nicht nur davon abhängig sein, dass ihn Paul oder sonstjemand füttert, auch wenn das selbstverständlich ein wichtiger Teil der Gleichung ist. Der Coaching Staff, Phoenix' Stars und nicht zuletzt Ayton selbst sind gefragt.
Diese Serie ist nach vier Spielen offener, als sie sein sollte. Phoenix hat mehr Waffen, mehr Lösungen, mehr Systemflexibilität. Aber Dallas hat den besten Spieler und ein für den Moment funktionierendes Konzept. Man darf gespannt sein, wie der Konter von Monty Williams ausfällt - und eigentlich muss der Big Man dabei eine Schlüsselrolle spielen.