Die Philadelphia 76ers sind zum zweite Mal in Folge in den Western Semifinals gescheitert. Die Art und Weise, wie das Team dabei agiert hat, könnte enorme Auswirkungen auf die Zukunft der Franchise haben. Im Mittelpunkt dessen steht James Harden, um den sich viele Fragen ranken.
Wie ist die Saison der Sixers einzuschätzen?
Zunächst einmal müssen wir an dieser Stelle Joel Embiid loben. Der Center hat eine unfassbare Saison gespielt und wäre der verdiente MVP geworden, wäre ein gewisser Nikola Jokic nicht vollkommen durchgedreht. Dennoch hat sich der Kameruner als erster internationaler Spieler die Scoring-Krone geholt und war gleichzeitig der erste Center seit 40 Jahren, der mehr als 30 Punkte pro Spiel aufgelegt hat.
Und auch in den Playoffs hat er abgeliefert. Trotz Verletzungen am Daumen, im Gesicht und einer Gehirnerschütterung gab er jede Nacht 110 Prozent und war im Alleingang dafür verantwortlich, dass die Serie gegen Miami überhaupt über sechs Spiele ging. Ohne ihn wurden die Sixers in den ersten beiden Duellen von den Heat regelrecht vorgeführt.
Obwohl die Sixers neben Embiid mit Tobias Harris und James Harden noch zwei weitere Spieler mit einem Max-Vertrag in der Mannschaft haben, konnten sie das Fehlen ihres Superstars überhaupt nicht kompensieren. Und das sollte die Verantwortlichen in der Stadt der brüderlichen Liebe mehr alarmieren als alles andere.
Nach dem Blockbuster-Trade, der Harden nach Philly lotse, war die Euphorie zunächst groß. Die ersten vier Spiele wurden gewonnen und einige übereifrige Zungen schwärmten schon von ShaKobe 2.0. Von den folgenden vierzehn Spielen ging aber die Hälfte verloren und die Sixers-Fans waren wieder gewohnt missmutig.
Dabei war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass die Saison der Sixers eine ungewöhnliche werden würde. Die Posse um Ben Simmons war bis dato einzigartig und trug neben dem Trade dazu bei, dass die Sixers sich nie in einen richtigen Rhythmus spielen konnten. Der Winning Streak von sieben Spielen in Serie war der kürzeste aller Top-Teams und das Prinzip war oft simpel: Spielte Embiid gut, spielten die Sixers gut.
gettyNur Embiid reicht den Sixers nicht
Das alleine reicht aber einfach nicht. Wie wir vor allem in den Playoffs immer wieder erleben, sind es die Rollenspieler, die den entscheidenden Unterschied ausmachen - und von diesen Unterschiedsspielern gibt es in Philly schlichtweg zu wenige. Harris verdient 32 Mio. Dollar im Jahr in einer Rolle als Spot-Up-Shooter, mit der er sich augenscheinlich nicht wohlfühlt, Danny Green ist mit seinen 34 Lenzen (und jetzt auch noch einem Kreuzbandriss, wie amerikanische Medien berichten) bei weitem nicht mehr der 3-and-D-Star der vergangenen Jahre.
Zudem mangelt es an Shooting. Furkan Korkmaz und Shake Milton sind super streaky, Georges Niang war nach einer starken Toronto-Serie gegen Miami ein Totalausfall und Matisse Thybulle und Paul Reed sind ohnehin nicht für ihre Offensive bekannt. Der einzige Lichtblick ist Tyrese Maxey, der in den Playoffs bewiesen hat, dass er auch vor der großen Bühne nicht zurückschreckt und alle Anlagen hat, ein Star in dieser Liga zu werden.
Dass am Ende für Philly "nur" Platz vier im Osten heraussprang, ist in Anbetracht der großen Konkurrenz zu verkraften, mit nur zwei Siegen mehr wären sie schließlich sogar Top-Seed geworden. Vielmehr müssen sich die Verantwortlichen fragen, ob das Konstrukt Embiid-Harden eine Zukunft hat.
NBA Playoffs: Sixers vs. Heat - Die Serie im Überblick
Spiel | Datum | Uhrzeit | Heim | Auswärts | Ergebnis |
1 | 3. Mai | 1.30 Uhr | Miami Heat | Philadelphia 76ers | 106:92 |
2 | 5. Mai | 1.30 Uhr | Miami Heat | Philadelphia 76ers | 119:103 |
3 | 7. Mai | 1 Uhr | Philadelphia 76ers | Miami Heat | 99:79 |
4 | 9. Mai | 2 Uhr | Philadelphia 76ers | Miami Heat | 116:108 |
5 | 11. Mai | 1.30 Uhr | Miami Heat | Philadelphia 76ers | 120:85 |
6 | 13. Mai | 1 Uhr | Philadelphia 76ers | Miami Heat | 90:99 |
Können Embiid und Harden zusammen eine Championship holen?
Nach dem erneuten Aus werden die Stimmen lauter, die meinen, dass das Front Office der Sixers das nächste Jahr ihres Franchise-Spielers Embiid verschwendet hat. Es ist in Anbetracht des Sixers-Teams der vergangenen Jahre schon fast unglaublich, dass Embiid nie über die zweite Playoff-Runde hinaus gekommen ist.
Man erinnere sich nur mal an das Team von 2019 zurück, dass gegen die Kawhi-Raptors in sieben Spielen scheiterte. Mit Simmons, Jimmy Butler, Harris und Embiid startete Philly mit vier potenziellen Serien-All-Stars, gepaart mit J.J. Redick, der zweifelsohne einer der besten Shooter aller Zeiten ist.
Aber bleiben wir in diesem Jahr. Auf dem Papier ist das Duo Harden-Embiid eines der gefährlichsten der NBA-Geschichte. Der Bärtige ist wohl der beste Isolation-Scorer aller Zeiten und einen Big Man mit einem so feinen Händchen wie Embiid gab es auch selten in den bisherigen 75 NBA-Jahren. Und in der Realität?
Die Sixers-Verantwortlichen werden nicht müde zu betonen, dass ihr Star-Duo - inklusive Playoffs - insgesamt nur 31 Spiele zusammen auf dem Court stand. Und in den denen haben sie für diese kurze Eingewöhnungszeit auch geliefert. Das Duo wies in der regulären Spielzeit ein Net-Rating von +15,9 auf (Spitzenwert aller Sixers-Duos mit min. 500 Minuten), in den Playoffs waren es immerhin noch +5,4 (Spitzenwert aller Sixers-Duos mit min. 300 Minuten).
gettyEmbiid und Harden müssen ihre Waffe ausspielen
Brandgefährlich war dabei das Pick-and-Roll der beiden, das sich mit zunehmender Spielpraxis nur noch steigern dürfte. Laut NBA CourtOptixtracks Stats stellte Embiid jetzt schon 20 Screens pro Spiel für Harden (so viel wie für alle anderen Spieler zusammen!), was zu unglaublichen 1,25 Punkten pro Possession führte.
Dabei muss man bedenken, dass Embiid noch nie mit einem elitären Passgeber zusammenspielte, der auch noch werfen kann. Und auch Hardens Zeit als Pick-and-Roll-Meister mit Clint Capela in Houston sind schon einige Tage her.
Mit ihrer Fähigkeit, Fouls zu ziehen (Platz 1 und 3 in der regulären Spielzeit!) gepaart mit den butterweichen Händchen, Passer-Qualitäten und Embiids reiner Dominanz in der Zone könnten sie die Liga regelrecht terrorisieren und natürlich auch um den Titel mitspielen.
Vieles hängt dabei allerdings von Harden ab und der Frage, ob er sein Niveau noch mal nach oben schrauben kann.
Ist James Harden einen Maximalvertrag wert?
"Der Auftritt von James Harden muss untersucht werden. Wie zur Hölle kannst du 22 Minuten in der zweiten Halbzeit spielen und nur zweimal werfen? Es war eine fürchterliche und blutleere Vorstellung!", schimpfte Experte Stephen A. Smith nach dem Sixers-Aus bei ESPN und war sich mit seinem Kollegen Jalen Rose einig, dass man Harden niemals einen Maximalvertrag geben dürfe.
Nachdem er seine Spieler-Option über 47,4 Millionen Dollar im Sommer verstreichen lassen hat, könnte der Bärtige einen neuen Vertrag in Philly über fünf Jahre und 270 Mio. unterschreiben. Das wäre nicht nur der dickste Vertrag der NBA-Geschichte, sondern würde ihm noch im fortgeschrittenen Alter von 37 Jahren fürstlich entlohnen. Dabei muss natürlich die Kosten-Leistungs-Rechnung für beide Seiten stimmen.
Harden ist ein Spieler, der sich sein Geld schon immer am vorderen Ende des Courts verdient hat. Er war dreimal Scoring-Champion und wird als einer der besten Scorers ever in die Geschichte eingehen. Wenn er allerdings wie in Spiel 6 in der zweiten Halbzeit null Punkte erzielt, wird auch der eingefleischteste Harden-Fan über 50 Mio. pro Jahr nur schwer rechtfertigen können.
Dieser Negativtrend bei Harden ist zudem auch nicht neu. Er hat über Jahre in Houston den gesamten Laden im Alleingang geschmissen und jede Saison eine unglaubliche Workload abgespult. Das - und sein exzentrischer Lebensstil - scheinen nun Spuren zu hinterlassen.
Er ist nicht mehr der Spieler, der einen Schritt schneller als jeder Big Man ist und pro Nacht ohne Probleme 40+ Punkte auflegen kann. Man erinnere sich nur mal zurück an seinen irren Streak 2019 als er 32 Spiele in Folge mindestens 30 Punkte auflegte, darunter viermal über 50. Oder an seine 60-Punkte-Triple-Double.
Houston-Harden gibt es nicht mehr
"Jeder hat den Houston-Harden erwartet, aber das ist er nicht mehr. Er ist jetzt mehr Spielmacher", erkannte auch schon Embiid. Sollte sich dieser Trend fortsetzen und Harden weiter abbauen, wird es in nicht allzu ferner Zukunft für ihn sogar schwer, überhaupt seinen Platz in der Starting Five zu rechtfertigen.
Er war nicht ohne Grund Liebling der TNT-Crew bei Shaqtin' a Fool, die sich regelmäßig über seine Defensivversuche schlapp lachten. Er wirkt defensiv oft lustlos, kann nicht an schnelleren Gegenspielern dranbleiben und lässt Offensivrebounds en masse zu. Wenn er das nicht am anderen Ende wettmacht, bekommt er bald Probleme.
Seine Zukunft in Philly scheint darüber hinaus jedoch sicher und er hat schon angedeutet, unter Umständen auch auf Gehalt zu verzichten. Die Sixers sollten sich jedoch gut überlegen, wie lange sie ihn sich ans Bein binden wollen. Ein dicker Vertrag hat Potenzial, bald in einem Satz mit dem Westbrook- und Wall-Vertrag genannt zu werden. Und die Nets wären mit ihren zwei Erstrundenpicks am Ende vielleicht sogar die lachenden Dritten.
Was kann Philly in der Offseason machen?
Viel Cap-Space hat Philly bekanntlich nicht (über 100 Mio. für kommenden Saison bereits garantiert - ohne Harden), der ein oder andere Move wird aber anstehen müssen. Ganz oben auf dem Wunschzettel stehen dabei talentierte Three-and-D-Spieler für die Flügel, ein defensivstarker Guard würde dem Team zusätzlich gut zu Gesicht stehen.
Wichtig wird auch sein, einen ordentlichen Backup für Embiid zu finden, nachdem Drummond ja nach Brooklyn abgegeben wurde. Hier bieten sich einige Kandidaten wie JaVale McGee, Montrezl Harrell, Serge Ibaka oder Robin Lopez an.
Gleichzeitig könnte sich ein Harris-Trade anbahnen. Wie schon gesagt, passt der Forward einfach nichts ins System des Teams und könnte für einige ambitionierte Teams interessant werden, nicht umsonst hat Philly ihn damals mit einem Max-Deal ausgestattet. Vor der Trade-Deadline gab es diesbezüglich schon Gerücht um die Atlanta Hawks und Sacramento Kings.
Allerdings hängt die Entscheidung von damals, Harris über Butler zu wählen, einigen in der Franchise immer noch nach. Allen voran Embiid. "Ich weiß immer noch nicht, warum wir ihn gehen lassen haben. Ich wünschte, wir könnten immer noch gemeinsam in die Schlacht ziehen", sagte er nach dem Aus.
Und auch Butler hatte nach dem Einzug in die Conference Finals noch ein paar Worte zu diesem Thema zu sagen. Harden, Maxey, Butler und Embiid zusammen wären schon eine wirklich unfaire Kombi.
Gleichzeitig steht die Entscheidung an, was mit Thybulle passiert. Der Australier kann im Sommer eine Rookie-Verlängerung unterschreiben, die Lage ist aber verzwickt. Bei fast keinem Spieler der Liga ist die Schere zwischen Defensive und Offensive so groß wie bei ihm. Auf der einen Seite ist er einer der besten Perimeter-Verteidiger der Liga, auf der anderen wird er regelmäßig vom Gegner offen stehen gelassen.
Ist Doc Rivers nächste Saison noch Sixers-Coach?
Zum zweiten Mal in Serie sind die Sixers unter Rivers für ihre Ansprüche zu früh gescheitert, weshalb der Stuhl des Coaches stark wackeln wird. Vor allem in Anbetracht dessen, dass der Game-Plan in Halbzeit zwei von Spiel 6 anscheinend war, Harden nicht ins Spiel einzubinden.
Er selbst sieht das jedoch anders. "Ich mache mir keine Sorgen über meinen Job. Ich denke, ich mache einen ausgezeichneten Job. Ich habe mir meinen Arsch aufgerissen, damit wir es so weit geschafft haben", sagte es nach dem Playoff-Aus selbstbewusst.
Die Gerüchte über einen möglichen Abgang des 60-Jährigen machen jedoch schon jetzt die Runde. Stephen A. Smith riecht beispielsweise "viel Rauch aus Philadelphia aufsteigen" und Jamie Apody (6ABC) will wissen, dass Rivers Kopf der erste wäre, der in der Association rollen würde.
Dazu stehen auch schon mögliche Nachfolger in der Pipeline. Jazz-Coach Quin Snyder könnte nach der erneuten Playoff-Enttäuschung verfügbar werden, mit Mike d'Antoni wäre zudem ein alter Bekannter von Daryl Morey und James Harden auf dem Markt, die sich allesamt aus Houston-Zeiten bestens kennen.
Falls Rivers wirklich gehen müsste, wären die Lakers sicher die ersten, die ihr Interesse anmelden würde. Bereits Anfang April gab es etwaige Gerüchte. Rivers erteilte diesen damals eine klare Absage, so etwas kann sich aber bekanntlich auch mal schnell ändern.