NBA Finals - Das Experten-Panel zu Golden State Warriors vs. Boston Celtics: Was ist der X-Faktor der Serie? Wer wird Finals-MVP?

Ole FrerksPhilipp JakobStefan Petri
02. Juni 202210:15
Andrew Wiggins gegen Jayson Tatum wird auch in den NBA Finals ein spannendes Duell werden.getty
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Es ist endlich so weit: Die NBA Finals sind da! Holen sich die Boston Celtics den ersten Titel seit 2008? Oder schlägt die einstige Warriors-Dynastie nach drei Titeln in den vergangenen sieben Jahren wieder zu? Drei SPOX-Redakteure diskutieren mit ESPN-Experte Kevin Pelton die wichtigsten Faktoren, die diese Serie entscheiden werden.

Pelton schreibt seit 2013 für ESPN, zuvor war er unter anderem für Sports Illustrated, das Wall Street Journal und von 2010 bis 2012 für die Indiana Pacers als Statistik-Berater tätig. Dazu taucht er regelmäßig im "Hoop Collective Podcast" auf und ist der Co-Host vom "Fabulous Peltoncast"-Podcast. Bei Twitter ist er natürlich ebenfalls zu finden.

Bevor es heute Nacht in den NBA Finals ums Ganze geht (Spiel 1 ab 3 Uhr live auf DAZN), sprechen wir mit Pelton über das wichtigste Matchup sowie den X-Faktor dieser Serie, über einen Spieler aus der zweiten Reihe, der eine Partie für sein Team entscheiden wird - und natürlich über unsere Prognosen.

NBA Finals: Das Key-Matchup der Serie ist ...

Ole Frerks (SPOX-Redakteur): Bostons Guards gegen Stephen Curry. Ein bisschen offensichtlich, aber so ist das eben. Meine Frage: Kommt Marcus Smart beziehungsweise Derrick White mit Currys permanenter Bewegung so gut zurecht, dass der zweimalige MVP in Single Coverage verteidigt werden kann?

Oder versucht Boston den Ball aus seinen Händen zu forcieren, indem der Druck erhöht wird? Oder versucht man den Warriors durch permanentes Switching ihren Flow zu nehmen a la Houston im Jahr 2018? Die Antwort lautet vermutlich: Man wird alles mal sehen, die eine perfekte Lösung gibt es nicht und es liegt auch an den anderen Warriors, jede Wahl zu einem "Pick your Poison"-Szenario zu machen.

Boston hat das Personal, um jede Coverage auszutesten, genug Spieler, die durchaus auf Curry switchen sollen und dürfen. Gerade Smart und White werden sich aber an Screens vorbeischlängeln müssen, wenn die Alternative lautet, dass sonst Horford oder vor allem Robert Williams auf Curry switcht. Sind sie dazu konstant in der Lage?

Gerade Smart sah gegen die Heat am Ende nicht mehr wirklich spritzig aus, der DPOY ist seit der Bucks-Serie angeschlagen mit Knöchelproblemen. Ime Udoka hat nun gesagt, dass es "keine Sorgen" um ihn gibt. Das wäre Gold wert, denn Verteidigung gegen Curry ist ein Knochenjob. Es ist auch ein Job für das gesamte Team, aber den Anfang am Point of Attack muss eben voraussichtlich Smart - oder White - machen.

NBA Finals: Wird Andrew Wiggins zum Tatum-Stopper?

Kevin Pelton (ESPN-Experte): Jayson Tatum gegen Andrew Wiggins. Wiggins ist der einzige gesunde Warrior mit der nötigen Kombination aus Größe, Stärke und Geschwindigkeit, um Tatum zu verteidigen. Der Celtics-Star stellt für alle Gegner in diesen Playoffs eine große Herausforderung dar.

Es ist zwingend nötig, dass Wiggins seine beeindruckende Defense fortsetzt, die wir seit seinem Trade zu den Warriors gesehen haben - und auch im Matchup mit Luka Doncic in den Western Conference Finals.

Auf der anderen Seite des Courts wird es den Warriors helfen, wenn er weiterhin gute Würfe nimmt und effizient punktet, wie er es über weite Teile der Playoffs gemacht hat. So kann er Golden States Backcourt perfekt komplementieren.

Philipp Jakob (SPOX-Redakteur): Dafür muss allerdings der Dreier besser fallen als zuletzt in der Mavs-Serie (8/28, 28,6 Prozent), die größere Stichprobe über die Regular Season macht in dieser Hinsicht natürlich Hoffnung (39,3 Prozent). Ansonsten stimme ich Dir aber in allen Punkten zu.

Tatum muss der beste Spieler der Serie sein, wenn Boston die Larry O'Brien Trophy in die Höhe recken will. Und hier kommt eben Wiggins ins Spiel. Übrigens erledigte er nicht nur gegen Doncic, sondern auch gegen Ja Morant seine defensiven Aufgaben mehr als ordentlich. Nun wartet ein weiterer Hochkaräter, der in der bisherigen Postseason 27 Punkte pro Spiel bei 58,9 Prozent True Shooting auflegt. Wiggins muss ihm das Leben schwermachen, auch mit der Unterstützung von zum Beispiel Draymond Green als Help-Verteidiger.

Und wie bereits von den Kollegen erwähnt, wird Boston mit dem Movement von Curry, Klay und Co. sowie dem Playmaking von Green allerhand zu tun haben - Wiggins kann und muss zum Nutznießer in der Offense werden. Auch als Shot Creater in seiner Rolle als dritte, vierte Scoring-Option kann er wichtig werden, damit sich Tatum defensiv nicht nur ausruhen kann.

Kleine Randbemerkung: Draymond muss in vereinzelten Phasen ebenfalls den eigenen Abschluss suchen, damit er nicht zu berechenbar wird. Ansonsten können die Celtics ihn bedenkenlos an der Dreierlinie stehen lassen und Vier-gegen-Fünf spielen. Gegen die ohnehin erstickende Defense der Kelten wäre das für Golden State kein gutes Zeichen.

Andrew Wiggins gegen Jayson Tatum wird auch in den NBA Finals ein spannendes Duell werden.getty

NBA Finals: Das könnte die Warriors-D zum Zerreißen bringen

Stefan Petri (SPOX-Redakteur): Klay Thompson gegen Jaylen Brown. Bei Curry und Tatum wird es auf die Teamverteidigung ankommen, auf die Schemes der Head Coaches und die jeweiligen Konter. Die Celtics werden Curry trotz überragender Einzelkünstler doppeln und im Pick'n'Roll blitzen, während Tatum umgekehrt versuchen wird, Wiggins abzuschütteln und den Switch auf Curry bzw. Jordan Poole zu bekommen.

Aber die "Second Bananas", die dürften es oft one-on-one miteinander zu tun bekommen. Wer dieses Matchup gewinnt und konstant punktet, könnte entscheidend sein. Kann Brown Klay durch die diversen Screens und Actions verfolgen und ihn beim Dreier behindern, ebenso bei den Midrange-Würfen? Umgekehrt muss Thompson zeigen, wie es um seine Defense bestellt ist. Das Dribbling Browns ist immer wieder suspekt - der "alte" Klay hätte da vor einigen Jahren auf jeden Fall die Finger im Spiel gehabt.

Curry und Tatum werden die Double Teams ziehen, beide Teams sind defensiv so stark, dass die nötigen Rotationen kommen werden. Wenn aber Brown beispielsweise im Eins-gegen-Eins auch nicht gestoppt werden kann, könnte das die Warriors-Defense zum Zerreißen bringen.

NBA Finals: Warriors vs. Celtics - Die Termine im Überblick

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärtsÜbertragung
13. Juni3 UhrGolden State WarriorsBoston CelticsDAZN
26. Juni2 UhrGolden State WarriorsBoston CelticsDAZN
39. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State WarriorsDAZN
411. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State WarriorsDAZN
5*14. Juni3 UhrGolden State WarriorsBoston CelticsDAZN
6*17. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State WarriorsDAZN
7*20. Juni2 UhrGolden State WarriorsBoston CelticsDAZN

*falls nötig

NBA Finals - Warriors vs. Celtics: Der X-Faktor der Serie ist ...

Kevin Pelton: Die Gesundheit der Spieler bekommt nicht genügend Aufmerksamkeit. Auf Seiten der Warriors wird die Verfügbarkeit von Otto Porter Jr. darüber bestimmen, wie viel sie Green auf Center spielen lassen können. Vor allem, um gut gegen die kleinen Lineups der Celtics mit Al Horford in der Mitte gegenhalten zu können.

Golden State wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch Gary Payton II im Laufe der Finals zurückbekommen, vielleicht sogar Andre Iguodala. Boston scheint auf dem Papier gesund in die Serie zu gehen, aber Marcus Smart und Robert Williams sind angeschlagen. Schon in den Conference Finals haben sie immer mal wieder aussetzen müssen. Gegen ein so starkes Team wie die Warriors könnte das Fehlen dieser beiden Spieler den Unterschied ausmachen.

Ole Frerks: Ballverluste. Auf einen Spieler gemünzt würde ich Robert Williams sagen, aber mehr noch denke ich, dass die Turnover diese Serie (mit-)entscheiden werden. Golden State hat diese Achillesferse seit etlichen Jahren, auch in diesem Jahr begehen die Dubs die zweitmeisten Turnover aller Teams, die Runde eins überstanden haben (Turnover-Rate: 15 Prozent). Direkt hinter ihnen? Die Celtics. 14,7 TOs bei 100 Ballbesitzen sind es für Boston.

Die Celtics haben mehrere Spiele in dieser Postseason aufgrund der Ballverluste verloren. Bei Siegen sind es knapp 13 Turnover, bei Niederlagen mehr als 16 pro Spiel. Der Grund, warum das so problematisch ist, ist recht simpel: Es ist im Halbfeld unfassbar schwer, gegen Boston zu scoren. Doch Ballverluste führen zu Schnellangriffen und leichten Punkten, von denen Milwaukee und auch Miami phasenweise lebten.

Gerade Brown ist aufgrund seines losen Ballhandlings anfällig, die (mit Abstand) meisten Turnover dieser Postseason hat jedoch Tatum begangen (der auch mehr Playmaking-Verantwortung hat, natürlich). Beide dürften froh sein, dass die Warriors selbst etwas weniger aggressive Balldiebe haben als etwa Miami, aufpassen müssen sie dennoch ...

Vor allem in Anbetracht der Rückkehr von Gary Payton II. Der "Fäustling" ist der vielleicht beste On-Ball-Verteidiger der Liga und dürfte, wenn fit, jedem Celtics-Ballhandler das Leben zur Hölle machen.

Auf der Gegenseite müssen die Warriors ebenfalls aufpassen. Boston hat eine solide Halbfeld-Offense, leichter wird es aber auch für die Celtics in Transition. Gegen Miami rannten sie am Ende bei jeder Gelegenheit. Das dürfte auch gegen die Dubs ein wichtiger Part ihres Spiels sein.

NBA Finals: Wer hat die Nase beim Dreier vorn?

Stefan Petri: Die Dreierquote. Das klingt natürlich banal, aber so ist es nun einmal. Die Quote der genommenen Dreier steigt von Jahr zu Jahr - und ein kausaler Zusammenhang mit den vielen Blowouts in dieser Postseason ist nicht von der Hand zu weisen, auch wenn es natürlich auch andere Faktoren gibt. Gefühlt steht in jedem zweiten Spiel ein Team zur Halbzeit bei 10/20 Dreiern und der Gegner bei 4/20 - und das sind dann eben schon 18 Punkte Unterschied.

Natürlich ist Dreier nicht gleich Dreier. Wer drückt ab, aus der Ecke oder von 30 Fuß, wie nah ist der Verteidiger dran, was sagt die Shot Clock, etc. Aber gerade die Rollenspieler drücken mittlerweile zum absoluten Großteil von Downtown ab, weil die Stars eben gedoppelt werden - sie sollen das Spiel doch bitte nicht selbst entscheiden.

Und wer hat die Nase vorn? Gefühlt natürlich die Splash Brothers, aber der Unterschied ist nicht die Welt: Die Dubs treffen in dieser Postseason 37,9 Prozent von draußen, bei 35,6 Versuchen. Die Celtics bieten eine Quote von 36,2 Prozent bei 37,1 Versuchen. Mit Horford und Grant Williams treffen aber immerhin zwei Spieler aus Beantown über 40 Prozent - das kann kein Spieler aus der engeren Warriors-Rotation von sich behaupten.

Philipp Jakob: Die Crunchtime-Offense der Celtics. Die ganze Basketball-Welt hofft mal wieder auf ein paar spannende Playoff-Partien. Die ganze Basketball-Welt? Vielleicht abgesehen von einem Fleckchen Erde im Nordosten der USA. In engen Spielen war Boston schon die gesamte Saison über schwach.

Wobei man hier relativieren muss: Die überschaubare Clutch-Bilanz in der regulären Saison (13-22) liest sich auch deshalb so schlecht, weil die meisten Spiele davon in der ersten Saisonhälfte kamen. Als Boston nach dem Jahreswechsel die Liga rasierte, gab es fast nur Blowouts, kaum mehr ein Duell benötigte überhaupt eine Crunchtime. In der Postseason setzte sich ein alarmierender Trend aber teilweise fort.

Das Problem dabei ist in erster Linie die Offense. In 10 Clutch-Situationen in den bisherigen Playoffs (5 Punkte Differenz oder weniger in den letzten 5 Minuten des Spiels) kommt Boston auf ein katastrophales Offensiv-Rating von 94,7 Punkte pro 100 Possessions. Zum Vergleich: Die schlechteste Offense der regulären Saison (Thunder) kam auf einen Wert von 103,8.

In engen Spielen geht die Celtics-Offense oftmals und unverständlicherweise weg von ihren Set-Plays und Bewegung. Stattdessen übernimmt eine abwartende, statische Offense, die zu spät in der Shotclock auf Isolations vertraut. Auch Tatum nimmt dadurch zu oft schwierige Abschlüsse.

In Verbindung mit der Fehleranfälligkeit kamen so schon mehrere Kollapse zustande, so auch fast in Spiel 7 der Ost-Finals. In den Finals und insbesondere in einem solch ausgeglichenen Matchup wird Boston dringend gute Aktionen in der Crunchtime benötigen, um die Serie für sich zu entscheiden.

Dieser Spieler aus der 2. Reihe gewinnt seinem Team ein Spiel

Stefan Petri: Jordan Poole. Den Schwung aus der Regular Season hat Poole nur teilweise mitnehmen können, als er zeitweise richtig brillierte und praktisch auf All-Star-Niveau agierte. Und natürlich ist er defensiv ein Sieb allererster Güte. Dennoch ist seine Quote (53/39/92) immer noch hervorragend. 30, 29 und 27 Punkte gegen die Nuggets, 31 und 27 gegen Memphis, 23 und 19 in Spielen gegen Dallas.

Weil Steph und Klay im Fokus der Celtics stehen werden, könnte auf Poole der vergleichsweise schlechteste Verteidiger warten - auch wenn das in einer engen Rotation von Boston nicht viel heißen wird. Aber er wird gefragt sein, wenn es bei den Splash-Brüdern mal nicht läuft. Gerade auf dem Weg in die Zone ist er unfassbar schnell, er gleitet förmlich zum Layup, wenn sich ihm nur ein bisschen Platz bietet.

Poole wird Punkte liefern müssen für die Warriors, bei denen ich durchaus das eine oder andere holprige Spiel gegen diese formidable Defense erwarte. Mindestens einmal wird er das mit 20+ Punkten schaffen. Die Frage ist, ob er gleichzeitig seinerseits in der Defensive irgendwie versteckt werden kann. Andernfalls könnte ihn Boston recht schnell vom Parkett spielen - und Kerr müsste hoffen, dass Gary Payton II rechtzeitig fit wird.

Philipp Jakob: Gary Payton II. Da hake ich direkt ein. Die Neuigkeiten aus dem Warriors-Lazarett lasen sich in den vergangenen Tagen recht positiv. Iguodala (Nacken), Porter Jr. (Fuß) und auch Payton II nach seinem Ellenbogenbruch in der Memphis-Serie haben allesamt wieder am Training teilgenommen. Sein Status für Spiel 1 ist zwar noch offen, doch wenn er im Laufe der Serie zurückkommt, wird er defensiv einen großen Einfluss haben.

Im 29-Jährigen bekommen die Dubs einen Lockdown-Defender zurück, der sich regelmäßig den besten Spieler des Gegners unabhängig von Position und Größennachteilen gegenüberstellt oder Ballhandler unter Druck setzt. Er dürfte selbst Minuten gegen Tatum und/oder Brown sehen, mehrere unterschiedliche Optionen schaden in diesem Fall definitiv nicht.

Das öffnet Coach Steve Kerr zudem andere Small-Ball-Türen, denn auch offensiv strahlt Payton II mit seinem Dreier oder als Cutter in der Zone genügend Gefahr aus, wie zum Beispiel in Spiel 5 gegen Denver gesehen (10 von 15 Punkten im entscheidenden vierten Viertel, 2/2 Dreier). Sofern denn die Wurfbewegung des Linkshänders durch die schwere Verletzung an seinem linken Ellbogen nicht zu sehr eingeschränkt ist.

Wenn mit Payton II, Iguodala und Porter Jr. tatsächlich irgendwann die ganze zweite Kapelle wieder auf dem Court steht, dazu in vereinzelten Minuten womöglich die Energie von Jonathan Kuminga oder Moses Moody, droht den Celtics altes "Strength in Numbers"-Ungemach.

NBA Finals: "Ich glaube an den VanVleet-Bump"

Kevin Pelton: Grant Williams. Das wird erneut eine extrem wichtige Serie für den 23-Jährigen. Einerseits wird sein Shooting (40,5 Prozent Dreierquote in den Playoffs) dabei helfen, das Spielfeld breit zu machen. Das wiederum macht es für Golden State schwieriger, bei Mismatches in Folge von Switches auszuhelfen.

Andererseits steht Williams' eigene Vielseitigkeit in der Defense auf der Probe. Stephen Curry und Jordan Poole werden einen schwierigen Test für ihn darstellen, er muss die Guards nach Switches vor sich halten.

Ole Frerks: Derrick White. Seinen defensiven Impact erwähnte ich schon bei Frage eins, wobei man es wirklich kaum oft genug sagen kann, wie stark er insbesondere die Off-Ball-Aktionen von Max Strus & Co. verteidigte. Auch offensiv hatte White aber seine Momente, und ich glaube logischerweise an den VanVleet-Bump.

Zur Erinnerung: Vor drei Jahren traf Fred VanVleet kaum einen Wurf, bis während der Postseason sein Kind auf die Welt kam und er dann nicht mehr danebenwerfen konnte. Bei White sieht es bisher ähnlich aus: Seit der Geburt seines Sohnes hatte er eine Nullnummer und dann nacheinander 13, 14, 22 und 8 Punkte von der Bank bei 20/44 aus dem Feld.

Es geht dabei gar nicht nur um die Quote, sondern vor allem um die Aggressivität. Wenn White ins Spiel kommt und direkt attackiert, zum Korb geht, Floater nimmt, dann bringt das Leben in die Celtics-Offense, die von Zeit zu Zeit ja doch nach wie vor in Stagnation verfällt. White ist ein schneller Decision-Maker und immer in Bewegung, das tut der Offense unheimlich gut.

Es gibt nur eben auch die andere, die passive Seite. Dank seiner Defense beeinflusst er fast jedes Spiel positiv, aber offensiv kommt und geht die Aggressivität eben manchmal. Er hat Tage, an denen er offene Würfe verweigert oder nur sehr zaghaft nimmt, das schadet dann wiederum dem Rhythmus.

Die Warriors sind berühmt dafür, Schützen des Gegners offen stehen zu lassen, vor denen sie keine Angst haben. White, aber auch Grant Williams oder Horford werden Spiele haben, in denen sie eingeladen werden. Mindestens einmal wird White dazu in der Lage sein, das konsequent zu bestrafen.

NBA Finals: So läuft die Serie - und wer wird Finals-MVP?

Ole Frerks: Die (Championship-)Erfahrung spricht klar für Golden State, die Dubs kennen diese Bühne, sie sind ausgeruhter und etwas tiefer, gefühlt haben sie in dieser Postseason noch nicht am Limit gespielt. Vieles sagt eigentlich Warriors, aber ...

Die Top 7 der Celtics ist, wenn Time Lord einigermaßen fit ist, meiner Ansicht nach stärker und weniger angreifbar als das, was Golden State aufbieten wird. Die Celtics haben sich über die letzten Jahre genug blutige Nasen geholt, in diesen Playoffs sowieso. Irgendwie wirken sie reif, nach allem, was in dieser Saison passiert ist, ist es vielleicht einfach ihr Jahr.

Boston klaut eins der ersten beiden Spiele in Golden State, dann wird auch in Boston gesplittet - und die letzten beiden Spiele sichern sich die Kelten. Tatum drückt auch dieser Serie seinen Stempel auf, die Defense findet einen Weg gegen das konstante Ball- und Player-Movement der Warriors.

Der Ring wird zugemacht, also etwas geschafft, was den Mavericks nicht im Geringsten gelang. Horford und Co. sorgen zudem dafür, dass Looney et al. nicht 50 Offensiv-Rebounds pro Spiel holen können und die Celtics damit zermürben.

Der Pick: Celtics 6, Finals-MVP: Jayson Tatum. In den Worten von LaVar Ball: Speak it into existence!

NBA Finals: "Gibt sehr wenige Schwächen in Bostons Rüstung"

Stefan Petri: Seit Steve Kerr Head Coach der Warriors ist, gibt es nur ein Team, das gegen die Warriors eine positive Bilanz aufweist. Genau: Boston. Und das ist kein Zufall, auch wenn Partien von 2014 für 2022 nicht sonderlich aussagekräftig sind. Gerade Avery Bradley hat sich über die Jahre gut gegen Curry verkauft, und der ist ... ja, wo ist der überhaupt? Ach ja, bei den Lakers.

Es gibt einfach sehr wenige Schwächen in Bostons Rüstung, die Golden State konsequent attackieren kann. Hätten wir Klay und Steph von 2017 an Bord, sähe die Sache anders aus - aber Curry hat insgesamt für seine Verhältnisse keine gute Saison gespielt und Thompson hat zu große Schwankungen drin. Ich erwarte von beiden keine 40-Punkte-Spiele, auch 30 könnten schon eng werden.

Als Fan wünscht man sich ja vor allem enge Spiele, aber mindestens zwei Blowouts sehe ich für Boston schon am Ende im Boxscore stehen (man erinnere sich an den peinlichen Auftritt der Dubs gegen Memphis). In den engen Spielen ist es dann fifty-fifty, aber trotzdem kommt bei dieser Milchmädchenrechnung am Ende ein 4-2 für die Celtics heraus, mit dem MVP Jayson Tatum, aber dem größeren Fokus auf einer geschlossenen Teamleistung.

Klar, wenn es am Ende die Warriors machen, ist es auch keine große Überraschung. Wie Ole schon sagt, sie haben die Erfahrung, sind ausgeruhter, abgezockter. Aber das, was ich in dieser Postseason bisher von Golden State gesehen habe, ist für mich einfach kein Title Team.

NBA Finals: Die Curry-Zeitbombe tickt und tickt ...

Philipp Jakob: Die Kollegen haben die entscheidenden Punkte bereits genannt. Golden State ist erfahrener, ausgeruhter und waren bislang noch nicht am Limit. Letztlich sind das genau die Dinge, die mich in der Serie ganz knapp auf die Seite der Dubs lehnen lassen.

Klar, die Athletik, die Länge, die fehlenden Schwachstellen in der Defense machen Boston zu einem unfassbar harten Matchup, aber nicht alle Schlüsselspieler sind bei 100 Prozent. Das gilt in erster Linie für Smart, dessen Knöchelverletzung offenbar sehr ernst war, und Robert Williams, der sich immer noch mit seinem lädierten Knie herumschlägt.

Boston hat zwei lange, physische und zermürbende Serien hinter sich, die Warriors dagegen drei volle Tage mehr Pause. Und sie kennen die Bühne. Golden States Spieler versammeln 123 absolvierte Finals-Partien in ihrem Erfahrungsschatz, die Celtics bekommen kein einziges zusammengekratzt. Auch das kann in engen Spielen, in denen Bostons Offense bisher ohnehin nicht glänzen konnte, eine Rolle spielen.

Und dann ist da auch noch die Personalie Stephen Curry. Wir warten immer noch auf diese eine typische Chefkoch-Explosion inklusive Dreierregen, Shimmy Shake und eines bebenden Chase Centers. Natürlich wird ihm die Celtics-Defense dies extrem erschweren, dennoch bin ich mir sicher, dass die Curry-Zeitbombe tickt.

So wird sich der Splash Brother schließlich auch zum verdienten Finals-MVP ballern, der ihm in seinem illustren Trophäenschrank noch fehlt. Er wird sich allerdings etwas gedulden müssen. Die Serie wird über die volle Distanz gehen, bevor Boston die Kraft ausgeht und der Heimvorteil sowie Curry den siebten Dubs-Titel klarmachen. Golden State in 7!

Kevin Pelton: Ich bin hin und hergerissen, mein Pick hat sich ständig verändert. Aber ich habe mich jetzt auf Warriors in 7 festgelegt. Der Grund: Ihr Heimvorteil ist eine echte Stärke. Und wenn Golden State gewinnt, dann ist Curry für mich der haushohe Favorit, seinen ersten Finals-MVP-Award zu gewinnen.