NBA

Das Rezeptbuch des Versagens

Von Haruka Gruber
Folgenschwerer Turnover: Jason Kidd verliert in der Endphase den Ball gegen Wesley Matthews
© Getty

Die US-Medien schreiben von einem "kolossalen Kollaps", einige Mavericks wie Jason Terry und Jason Kidd hingegen reden die 82:84-Pleite bei den Portland Trail Blazers schön, obwohl Dallas zwischenzeitlich mit 23 Punkten in Führung lag. Doch es gibt aus dem Team auch offene Kritik an Coach Rick Carlisle.

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Die erste Reaktion auf eine der bittersten Niederlagen seiner Karriere war ein lautes: "Fuck!" Während des Duschens im Locker Room jedoch tropfte die Wut von ihm ab - und es blieb die Fassungslosigkeit.

"Der Frust ist riesig, aber das Gute ist, dass wir jetzt zwei Siege aus drei Spielen brauchen und wir zweimal Heimrecht haben. Wir müssen positiv bleiben", sagte ein bemüht zuversichtlicher Dirk Nowitzki bei der Pressekonferenz. Das Gesagte jedoch stand im krassen Gegensatz zu seiner ermatteten Körpersprache.

Es war in jeder Hinsicht eine Schmach, die Nowitzki und die Dallas Mavericks erlitten. Man könnte auch Begriffe wie Blamage, Fiasko oder Debakel anführen. Obwohl die Texaner bei den Portland Trail Blazers eine Minute vor Ende des dritten Viertels mit 23 Punkten führten und mit einem 67:49 ins Abschlussviertel gingen, gaben sie Spiel 4 der Best-of-seven-Serie doch noch mit 82:84 verloren.

Statt mit einem komfortablen 3-1 nach Dallas zurückzukehren und vor heimischem Publikum das Weiterkommen in die zweite Runde zu sichern, steht es nun 2-2. Was noch schwerer wiegt, ist die mentale Folge dieses Zusammenbruchs auf eine Mannschaft, die ohnehin als nervenschwach gilt.

Eine Niederlage der Superlative

"Ein kolossaler Kollaps", titelte die "Dallas Morning News". "ESPN" konstatierte: "Die Mavs können ihrem Playoff-Dämon nicht entfliehen."

Erst zweimal in der langen Playoff-Geschichte der NBA ist es passiert, dass ein Team mit einem Vorsprung von 18 Punkten oder mehr in das letzte Viertel startete und das Spiel doch noch hergab. 2002 wurde New Jersey von Boston nach einem zwischenzeitlichen 74:53 überrollt und verlor 90:94. 1994 lag Phoenix in Houston bereits mit 100:82 vorne, am Ende hieß es 117:124. Nun führt Dallas die unheilvolle Liste fort.

Weitere Superlative: Noch nie gelang es Portland in seiner Historie, ein Playoff-Spiel zu gewinnen, wenn der Rückstand nach dem dritten Viertel zweistellig war. Und: Die Mavs haben 18 der vergangenen 20 Playoff-Auswärtsspiele verloren, obwohl sie in der Regular Season mit Miami noch die beste Bilanz in der Fremde hatten (28-13). "Diese Spiel ist in meiner persönlichen Liste der frustrierenden Niederlagen definitiv oben dabei", sagte Nowitzki.

Blazers - Mavericks: Die Highlights des Spiels im Video bei ESPN

"Hey, wir haben nicht gewonnen"

Damit reiht sich das Blazers-Spiel nahtlos ein neben der als "Miami Meltdown" berühmt gewordenen Pleite in den Finals 2006, als Dallas eine 13-Punkte-Führung im letzten Viertel verspielte und Spiel 3 und später auch die gesamte Serie gegen die Heat verlor. Oder 2007: Die Mavs schieden in einer Best-of-seven-Serie als erstes an Nummer eins gesetztes Team gegen einen Achtplatzierten in der Auftaktrunde aus. Das Golden State von damals heißt nun Portland.

Entsprechend seltsam muteten Jason Terrys Aussagen an: "Es ist nicht so, als ob jetzt alles auseinanderfällt. Es ist mehr ein: 'Hey, wir haben nicht gewonnen.' Ob man mit 20 oder einem Punkt verliert, ob der Gegner 20 Punkte aufholt, das ist alles nicht wichtig."

Auf die Frage, ob sich die Mannschaft von dem Rückschlag erholen wird, sagte Terry: "Ich persönlich habe es schon abgeschüttelt. Wir sind bereit, das alles hinter uns zu lassen und uns auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren."

Kritik an Coach Rick Carlisle

Hoffnungsvolle Worte - wenn sie nur nicht von seinen Mitspielern konterkariert werden würden. "Ich bin angepisst", sagte Shawn Marion, der recht offen Kritik an Trainer Rick Carlisle übte.

Marion, der trotz einer ordentlichen Leistung im Großteil des letzten Viertels nicht eingesetzt wurde, sagte: "Wir haben ein bisschen zu sehr relaxt. Von der Bank sieht man Dinge, die auf dem Parkett schief laufen. Man versucht, jeden darauf aufmerksam zu machen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt, wenn man nicht spielt."

Center Tyson Chandler hätte sich taktische Veränderungen gewünscht, um dem urplötzlich aufdrehenden Brandon Roy Einhalt zu gebieten. Dem Shooting Guard der Blazers war anzusehen, dass es ihm vier Monate nach schweren Operationen in beiden Knien an Athletik und Spritzigkeit mangelt, dennoch zeichnete er mit eigenen Korberfolgen und Assists für 34 der letzten 40 Portland-Punkte direkt verantwortlich. 18 seiner 24 Zähler erzielte er im letzten Viertel, darunter war auch der Gamewinner.

"Wir haben uns überhaupt nicht auf Roy eingestellt, Punkt. Wir haben uns nicht darauf eingestellt, ihn zu decken, wir haben uns zu keinem Zeitpunkt auf ihn eingestellt. Das war offensichtlich", sagte Chandler.

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Kein Stevenson, kein Brewer - warum?

Coach Carlisle selbst versicherte, dass er und sein Trainerteam Roy nicht unterschätzt hätten, "wir behandeln ihn in unserem Game-Planning, als ob er noch immer ein All-Star wäre". Das tatsächlich Gezeigte widersprach dem jedoch - oder warum folgte keine Anpassung auf Roys Explosion?

Der defensivschwache Terry bestritt die letzten Minuten, während die Verteidigungsspezialisten DeShawn Stevenson und Corey Brewer auf der Bank blieben. Dass Carlisle auf den zuletzt starken Terry als Offensivoption nicht verzichten wollte, wäre bei einem knappen Resultat verständlich gewesen, als dieser 5:20 Minuten vor dem Ende für Stevenson eingewechselt wurde, führte Dallas jedoch noch mit 9 Punkten (75:66). Brewer kam überhaupt nicht zum Einsatz.

Die Kritikpunkte summieren sich: Warum versauerte Backup-Center Brendan Haywood die letzten 8 Minuten auf der Bank, obwohl er es zuvor verstand, die Zone weitgehend zu kontrollieren (5 Rebounds, 2 Blocks) und Chandler Foulprobleme bekam? Wieso stellte Carlisle zwischenzeitlich nicht auf die in der Regular Season exzellent umgesetzte Zonen-Verteidigung um und beharrte auf der durchsichtigen Eins-gegen-eins-Deckung von Roy?

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Rick Carlisle: "Ich übernehme für viele Dinge die Verantwortung"

"Nach Spiel 3 war es schon die zweite Nacht, in der Roy so eine Leistung gezeigt hat. Ich übernehme für viele Dinge die Verantwortung. Wir hätten defensiv einiges anders machen können", gestand Carlisle. Chandler sagte: "Wir haben gegen einen Typen verloren, der die ganze Saison nichts zustande gebracht hat."

Die Verantwortung alleine dem Coach zuzusprechen, würde jedoch zu kurz greifen. Chandler etwa begann stark gegen LaMarcus Aldridge, verfiel aber zunehmend in alte Verhaltensmuster: Erst kurz vor der Pause bekam er sein erstes Foul gepfiffen, dann folgten 3 weitere Fouls in 5 Minuten. Auch wenn einige Entscheidungen der Referees zweifelhaft waren: Genau solche Aussetzer meinte Nowitzki, als er Chandler dazu mahnte, mit mehr Weitsicht und Cleverness zu spielen.

Aldridge hingegen fing sich nach schwachem Beginn (0/6 Würfe), wühlte sich mit zwei Blocks gegen Chandler regelrecht ins Spiel, lieferte sich mit dem Kontrahenten noch eine lautstarke Auseinandersetzung und traf in der Schlussphase wichtige Würfe. Portland machte im letzten Viertel 18 Punkte in Korbnähe, Dallas keinen einzigen.

Jason Kidds Dreier die Krönung

Der 25-jährige Aldridge wurde von Roy elektrisiert und ging mit Toughness und Nervenstärke voran - genau jene Attribute, die sich Dallas von seinem 38-jährigen Veteran Kidd versprach. Vergebens.

Wer Kidd sah, wie er sich in der Schlussphase fast schon unbeteiligt nach seinem folgenschweren Turnover gegen Wesley Matthews in der Auszeit auf die Bank setzte und keinerlei Anstalten machte, sein Team aufzurütteln, wusste bereits, dass Dallas das Spiel verloren hatte. Kidds Blick war nicht einmal resignierend, er war ausdruckslos.

Dass Nowitzki in den letzten Minuten keinen Wurf mehr bekam, hatte sehr viel mit den unbeholfenen Pick'N'Roll-Spielzügen zu tun, die Kidd ansagte und selbst lief. Der Höhepunkt einer am Ende unsäglichen Vorstellung war Kidds Dreier 29 Sekunden vor Schluss, der den Sieg hätte bringen können - aber am Ende mit einer solchen Zitterhand geworfen wurde, dass der Ball nicht einmal den Ring berührte.

"Das ist Basketball - manchmal hat man selbst einen Lauf, manchmal der Gegner", sagte Kidd. Und manchmal verliert eine Mannschaft ein Spiel, das es nicht hätte verlieren dürfen.

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